==== Of Viewponts and Standpoints ==== ====== On Rational, Scientific, Objective Viewpoints from Mythical, Imaginary, Impossible Standpoints ====== **S. 73-96, Sitzung 5, 10.06** \\ //Principle: Elevate Emotion and Embodiment// ===== Überblick ===== \\ Verstand und Gefühle – zwei Welten, die sich in der datenzentrierten Wissenschaft scheinbar nur schwer vereinbaren lassen. Zwei Welten, die gegendert sind. Doch laut Lauren Klein und Catherine D’Ignazio muss das nicht sein, weder die Unvereinbarkeit noch das Gegenderte. Doch wie kommen wir von solchen binären Logiken weg? Was ist eigentlich Neutralität? Wir können wir uns Gefühle in der Arbeit mir Daten zu Nutze machen? Ist es unethisch Unsicherheiten bezüglich der Daten zu visualisieren oder ist es die einzig sinnvolle Art der Datenkommunikation? Mit diesen und ähnlichen Fragen lenken die zwei Autorinnen die Lesenden durch ein Kapitel, das sich mit fragwürdiger Objektivität, schwer greifbarer Neutralität, unmöglichen Standpunkten, vielfältigen Perspektiven, neuen Wissensbegriffen und kreativer Daten-Darstellung beschäftigt. Hierbei werden unterschiedlichste Formen der Visualisierung und Visceralization aufgezeigt und vor dem Hintergrund des Einbezugs von Gefühlen in der Datenverarbeitung sowie vor dem feministischer Objektivität beleuchtet. ===== Ansprüche komplexeren Wissens bzw. Feministischer Objektivität ===== == „account for the situated nature of knowledge and […] bring together multiple [partial] perspectives” (83) == » account = erklären, i.S.v. * belegen: die Situiertheit des Wissens belegen und … \\ * rechtfertigen, für etwas geradestehen: die Situiertheit des Wissens rechtfertigen und … \\ * verursachen, zu Grunde liegen: der Situiertheit des Wissens zu Grunde liegen und…]\\ » ...verschiedene partiale Perspektiven vereinen \\ \\ == den eigenen Standunkt preisgeben (und reflektieren): == „Disclosing your subject position(s) is an important feminist strategy for being transparent about the limits of your – or anyone’s – knowledge claims” (83) \\ \\ == Emotionen bewusst einsetzen: == „Deliberately embracing emotions […] enables a valuable form of data maximalism, one that allows for multisensory entry points, greater accessibility, and a range of learning types” (88) \\ \\ == Unsicherheiten spürbar machen: == „//leverage emotion and affect// so that people experience uncertainty perceptually. […] make them //feel// the uncertainty.” (90) \\ \\ == Kontext beachten: == „If there is any single rule in design, it’s that context is queen” (91) \\ \\ == Verantwortung übernehmen: == „requests permission for the names to be reproduced in that context. […] proceeds with sensitivity to her own positionalities, as well as the depth of meaning of each particular place, its name and community” (95) \\ \\ == Ent-grenzen: == „designers should look first to those at the margins: the people pushed to the margins in any particular design context demonstrate who and what the system is trying to exclude. Subsequent work in HCI insists that designers then work to ‘demarginalize the “margins” by recognizing intersections that exist, and engaging solidarity to navigate towards equality and inclusion’” (95) \\ \\ == Gefühle und Verstand (wieder) in ein gesundes Gleichgewicht bringen: == „working toward a more inclusive and holistic ideal. […] an ideal knowledge situation as one in which ‚neither ethics nor emotions are subordinated to reason.’ Rebalancing emotion and reason opens up the data communication toolbox” (96) \\ \\ ===== wichtige Begriffe und Konzepte ===== **visualization** – Visualisierung: * „optisch darstellen, veranschaulichen” ((https://www.duden.de/rechtschreibung/visualisieren))/ „the __act or process of interpreting__ in visual terms or of putting into visible form” ((https://www.merriam-webster.com/dictionary/visualization, Hervorh. d. Verf.)) * im Ursprung in Zusammenhang mit Machgefälle: „European men mapping their colonial conquests“, „powerful nations as they amassed increasing amounts of data on the populations they sought to control” (77) \\ \\ **visceralization** – Viscerlaization: * Daten-Darstellungen, die mit dem ganzen Körper – sowohl emotional wie auch körperlich – erfahren werden können (84f.) * vorteilige Art der Darstellung von Daten, weil ⇒ Menschen Informationen nicht nur mit dem Auge aufnehmen, sondern diese als körperliche, multisensorische Wesen mit Kulturen, Erinnerungen und Verlangen erfahren \\ ⇒ Menschen mit Behinderung auch die Möglichkeit haben müssen Diagrammen und Dashboards Daten entnehmen zu können (85) * //visceralized// im Deutschen? ⇒ umfasst viele Ebenen: Gefühle, Gedanken, Sinneswahrnehmungen, Rationales \\ ⇒ //emotionalisiert// - spricht nur die Gefühlsebene an, kann die vielschichtige Bedeutung des Originals nicht fassen \\ ⇒ //greifbar// - bezieht sich v.a. auf Haptik und Rationalität, kann Vielschichtigkeit ebenfalls nicht wiedergeben\\ ⇒ //erfahrbar// - greift Vielschichtigkeit auf, bezieht sich jedoch stark auf den Verstand, weniger auf Emotionen \\ ⇒ //erlebbar// - umfasst alle Ebenen, macht ganzkörperliche Wahrnehmung, Verarbeitung und Verstehnsprozesse deutlich \\ \\ \\ **rhetoric** - Rhetorik: * „the faculty of observing in any given case the available means of persuasion” (78)/ die Fähigkeit, das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen * sobald ein Gegenstand der Kommunikation Entscheidungen über die Auswahl und Darstellung der Wirklichkeit widerspiegelt, ist er rhetorisch (78) \\ \\ **framing effects** – Framing Effekte:\\ Effekte, die dazu führen, dass Auffassungen bzw. Interpretationen der Betrachtenden durch die Art und Weise der Daten-Darstellung, welche auf Überarbeitungsentscheidungen der Designenden basiert, beeinflusst wird (vgl. 82) \\ \\ \\ **God Trick** (nach Donna Haraway): * alles von nirgendwo sehen * Betrachtende glauben alles auf einmal von einem erfundenen und unmöglichen Standpunkt aus zu sehen (76) * das, was komplett und neutral erscheint, ist in Wahrheit nur partiale Perspektive (und meistens die der herrschenden Gruppe) (76) \\ \\ **Master Stereotype**: * „Frauen sind emotionaler als Männer und Männer sind rationaler als Frauen” (77) * //visual minimalism// spricht zuerst den Verstand an, ausschmückende Elemente werden mit chaotischen Gefühlen bzw. einem heimlichen gefühlsgeleiteten (d.h. unwissenschaftlichen) Überzeugungsversuch assoziiert * starker Zusammenhang: ⇒ Gefühle + Frau = unwissenschaftlich bzw. \\ ⇒ Verstand + Mann = wissenschaftlich \\ ⇒ hieraus entstehen wiederum Hierarchien \\ \\ \\ \\ **Feminist Objectivity** – Feministische Objektivität: * „is a tool that can account for the situated nature of knowledge and can bring together multiple [partial] perspectives” (83) * geht nicht davon aus, dass von einem Standpunktaus Wissen bzw. Daten neutral oder objektiv geschaffen bzw. dargestellt werden können \\ \\ **Universal Objectivity** – Universelle Objektivität: * allgemeingültige Objektivität * „Die Objektivität besitzt Ansprüche auf ein universelles Wissen.“ ((https://institut.soziologie.uni-freiburg.de/dokuwiki/doku.php?id=lv-wikis-oeffentlich:post17:situiertes_wissen)) \\ \\ **Situated Knowledge** - Situiertes Wissen (nach Donna Haraway):\\ Wissen wird von bestimmten Menschen unter spezifischen Umständen erschaffen (83) ausgehend von partialen Perspektiven \\ \\ \\ **Strong Objectivity** – Starke Objektivität (nach Sandra Harding): * strebt eine umgreifender Wissensproduktion an, die Perspektiven und Standpunkte berücksichtigt, welche sonst von Prozessen der Wissensschaffung ausgeschlossen sind (vgl. auch standpoint theory – Standpunkttheorie) (83) * //stark// daher vermutlich im Gegensatz zu schwacher Objektivität, die durch eine limitierte Perspektive keine stabile Basis hat \\ \\ **Positionality** (nach Linda Alcoff):\\ berücksichtigt den Einfluss kultureller und kontextueller Faktoren auf Individuen sowie deren Positionen, von welchen aus sie Wissen schaffen (83) \\ \\ ===== Diskussionsfragen ===== OBJEKTIVITÄT \\ » Was ist Objektivität?\\ » Inwiefern ist es sinnvoll von feministischer //Objektivität// zu sprechen? NEUTRALITÄT \\ » Was ist Neutralität?\\ » Ist Neutralität in der Datendarstellung möglich?\\ » Ist visual minimalism wirklich neutraler als bspw. ausgeschmückte Grafiken? (vgl. 77)\\ » Ist Informationsvermittlung nicht neutraler, objektiver und/ oder einheitlicher, wenn eine spezifische Emotion dabei gefördert wird und somit weniger Interpretationsspielraum bleibt?\\ » Daten werden nie isoliert dargestellt; Grafiken bspw. stehen nie alleine, sondern von Text begleitet, mit einer Überschrift, betitelten Achsen etc. Die verwendete Sprache kann aber nie neutral sein. Inwiefern können neutrale Darstellungen tatsächlich neutral sein?\\ » Seitens der Forschenden und der Datendarstellung wird Objektivität angestrebt. Geht diese nicht in dem Moment verloren, in dem eine – niemals neutrale – Person Daten innerhalb eines bestimmten Kontexts betrachtet? Wie können Betrachtende Objektivität für ihre Position herstellen bzw. wäre diese notwenig oder hilfreich? DARSTELLUNG VON DATEN: VISUALISIERUNG UND VISCERALIZATION\\ » Gibt es Daten, für die Visceralization nicht vorteilhaft ist?\\ » Welche Chancen und Risiken birgt emotionsgeladene, nicht „neurale“, Datenvermittlung?\\ » Stehen Daten-Visualisierungen immer noch (teilweise) in einem Zusammenhang mit Macht bzw. einem Machtgefälle?\\ » Landkarten sind immer aus einer bestimmten Perspektive erstellt, das beeinflusst Positionen und Bezeichnungen. Wie können Karten objektiver gestaltet werden? FORSCHUNG\\ » Kann Distanz zwischen dem Forschungsobjekt und -subjekt geschaffen werden und wenn ja, wie? Werden Forschungsdetails in der Distanz unsichtbar?\\ » Kann der //Master Stereotype// und der damit einhergehende Zusammenhang (Frau – Emotion/ Mann – Verstand) noch größer gedacht werden: Wer ist in der Wissenschaft? Wer darf forschen? Wer forscht? Wer forscht aus welcher Perspektive? Wer stellt welche Fragen? Wem wird von wem Raum gegeben und zugehört? BILDUNG \\ » //Allgemeine Hochschulreife// - auch hier steckt ein verallgemeinernder Wissens- bzw. Bildungsbegriff drin. \\ » Welches //allgemeine// Wissen wird in der Schule vermittelt? Aus wessen Perspektive ist es //allgemein//? Für welche Zwecke ist dieses //allgemeine// Wissen ausgelegt oder ausreichend? \\ » Welche Aspekte werden in diesem //allgemeinen// Wissen bzw. der //allgemeinen// Bildung ausgelassen und aus welchem Grund? \\ \\ ===== weiterführende Verweise ===== Amare, Nicole and Alan Manning 2016. A Unified Theory of Information Design. New York: Routledge, [[https://doi.org/10.4324/9781315232737]] \\ Anonymous Contributors 2018. lv-wikis-oeffentlich:post17:situiertes_wissen. In: Institut für Soziologie – Lehrwiki, [[https://institut.soziologie.uni-freiburg.de/dokuwiki/doku.php?id=lv-wikis-oeffentlich:post17:situiertes_wissen]] \\ Diakopoulos, Nick 2011. Is Data Rhetorical? CHARITO 5. August 2011, [[https://chartio.com/blog/is-data-rhetorical/]] \\ Goldberg, Nieca. Nieca Goldberg: Women's Hearts and Health. Interview (06.01.2015), [[https://www.youtube.com/watch?v=XmVAD169VHc]] \\ Harding, Sandra 1995. „Strong Objectivity“: A Response to the New Objectivity Question. In: Synthese 104 (3): 331-349, [[https://www.jstor.org/stable/20117437?seq=1#metadata_info_tab_contents]] \\ HU Berlin 2020. Wissen ist ein Prozess – Situiertes Wissen. [[https://rs.cms.hu-berlin.de/gemintdig/plugins/api_resource/?ref=103&videoplayer=1&k=5ab3133e12]] \\ Hullman, Jessica and Nick Diakopoulos 2011. Visualization Rhetoric: Framing Effects in Narrative Visualization. In: IEEE Transactions on Visualization and Computer Graphics 17 (12): 2231-2240, [[https://doi.org/10.1109/TVCG.2011.255]] \\ \\ **Beispiele für visceralized data:** \\ Bliss, Laura 2016. The Hidden Histories Of Maps Made By Women: Early Noth America. The first part in a series exploting little-seen contributions to cartography. BloombergCityLab 21. März 2016, 12:00 MEZ, [[https://www.bloomberg.com/news/articles/2016-03-21/the-little-seen-maps-and-stories-of-women-in-cartography?utm_source=url_link]] \\ D'Ignazio, Catherine and Andi Sutton 2018. Boston Coatsline: Future Past, [[http://www.kanarinka.com/project/boston-coastline-future-past/]] \\ Elevator Repair Service Theater and The Office For Creative Research 2015. A Sort of Joy at MoMA (excerpts), [[https://vimeo.com/133815147]] \\ Information is Beautiful Awards, [[https://www.informationisbeautifulawards.com/showcase?type=awards]] \\ Katuli, Maana 2018. Young artists use fashion and data to promote dialog on sexual health. Data Zetu 28. März 2018, [[https://medium.com/data-zetu/young-artists-use-fashion-and-data-to-promote-dialog-on-sexual-health-517429662ec2]] \\ Klein, Lauren et al. The Shape of History, [[http://shapeofhistory.net/]] \\ Klein, Lauren. What Is Feminist Data Science? Vortrag (21.04.2021), [[https://www.youtube.com/watch?v=QeIcauW23cQ&t=3s]] ((kurze Erwähnung der interaktiven Daten-Decke ab 33:35 – 35:58.))\\ Mikhail Mansion 2011. Two Rivers (2011) – Mikhail Mansion, [[https://vimeo.com/29885745]] \\ Pearce, Margaret Wickens 2018. Coming Home to Indigenious Places Names in Canada. Canadian-American Center, [[https://umaine.edu/canam/publications/coming-home-map/coming-home-indigenous-place-names-canada-pdf-download/]] \\ Periscopic 2018. U.S. Gun Killlings in 2018, [[https://guns.periscopic.com/]] \\ Reub, Teri 2007. Core Sample, [[http://terirueb.net/core-sample-2007/]] \\ Rüst, Annina 2017. A Piece of the Pie Chart, [[http://www.anninaruest.com/pie/]] \\ Sinitiere, Phillip Luke 2018. W: E: B: Du Bois’s Data Portraits: A New Book on Visualizing America. BLACK PERSPECTIVES published by AAIHS 20. Dezember 2018, [[https://www.aaihs.org/w-e-b-du-boiss-data-portraits-a-new-book-on-visualizing-black-america/]] \\ Sounds oft he Forest. [[https://timberfestival.org.uk/soundsoftheforest-soundmap/]]