====== Diversität als Forschungsansatz ====== **Diversität** als **Forschungsansatz** ist eine **Analysekategorie** und ein „**herrschaftskritisches Instrument**“,((Maureen Eggers, „Diversity/Diversität“, in //Wie Rassismus aus Wörtern spricht// herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Münster: Unrast-Verlag, 2011), 259.)) wie die deutsche Professorin für Diversity Studies, Maureen Eggers, erklärt.\\ Das heißt: Der Forschungsansatz stellt die **Frage** nach **Macht** und **Dominanz** und analysiert diese anhand von **Diversitätsdimensionen**.\\ Damit hat der Forschungsansatz das** Potenzial** als „**Gesellschaftskorrektiv** sowie als **Normalitätskritik**“ ((Maureen Eggers, „Diversity/Diversität“, in //Wie Rassismus aus Wörtern spricht// herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Münster: Unrast-Verlag, 2011), 261.)) zu funktionieren, indem er deutlich macht, dass „**Heterogeni­tät** […] zu **allen Zeiten** einen **Teil** der **Gesell­schaftsstruktur** ausmacht.“((Maureen Eggers, „Diversity/Diversität“, in //Wie Rassismus aus Wörtern spricht// herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Münster: Unrast-Verlag, 2011), 261.))\\ Wichtig dabei ist, dass es **nicht** um eine **Essentialisierung** von **Unterschieden** geht, sondern um **Prozesse** des „**Gewordensein[s]**.“((Maureen Eggers, „Diversity/Diversität“, in //Wie Rassismus aus Wörtern spricht// herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Münster: Unrast-Verlag, 2011), 262.))\\ Zum Beispiel zu analysieren, dass der [[https://genderplanet.univie.ac.at/begriffsuniversum/androzentrismus.html|Androzentrismus]] ein historisch gewachsener Prozess und keine ‚natürliche‘ Sache ist.\\ Diversität als **Forschungsansatz** ist **nicht nur** in der **Soziologie** verbreitet, sondern speist sich auch aus **benachbarten Forschungsfeldern** wie den **Politikwissenschaften** oder den **Gender Studies**.\\ Mit den **[[https://learn.org/articles/What_is_Diversity_Studies.html|Diversity Studies]]** gibt es inzwischen sogar ein **eigenes transdisziplinäres Forschungsfeld** des Ansatzes. ==== Weitere Elemente des Forschungsansatzes ==== **Weitere** kennzeichnende **Elemente** des **Ansatzes** sind: * **Diversitätsdimensionen** werden **nicht eindimensional** betrachtet, sondern auch ihre **Schnittpunkte** und **Wechselwirkungen**.((Ulrike Mayer, „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik   und darstellende Kunst Wien“, //Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management// 5, Nr. 1 (2020): 76.)) * Der Ansatz **hinterfragt** auch die **Wissenschaft** selbst.((Ulrike Mayer, „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik   und darstellende Kunst Wien“, //Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management// 5, Nr. 1 (2020): 76.)) Zum Beispiel: Wer schafft eigentlich Wissen? Wie wird dieses Wissens durch die in der Wissenschaft dominanten Diversitätsdimensionen geprägt? * Diversität als Forschungsansatz ist **multiperspektiv**. Das heißt **Diversität** wird auf **unterschiedlichen Ebenen** betrachtet. Zum Beispiel erklärt die Diversitätsmanagerin Ulrike Mayer, dass Diskriminierungen auf den Ebenen „individuell, interaktional, organisational, gesellschaftlich, international/global“((Ulrike Mayer, „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik   und darstellende Kunst Wien“, //Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management// 5, Nr. 1 (2020): 77.)) betrachtet und analysiert werden können. ===== Kritik am Forschungsansatz ===== An **Diversität** als **Forschungsansatz** gibt es **verschiedene Kritikpunkte**: ==== Uneindeutigkeit ==== Ein **Kritikpunkt** bezieht sich auf den **Begriff selbst**. Nämlich, dass er sich von anderen **(entpolitisierten) Verwendungsformen**, zum Beispiel in der [[diversitaet_in_der_arbeitswelt|Arbeitswelt]], **nicht** ausreichend **abgrenzt**. Dadurch läuft er **Gefahr**, seine **politische** und **machtkritische Schlagkraft** zu **verlieren**. Mayer schlägt deshalb vor, von „**kritischer Diversität**“((Ulrike Mayer, „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik   und darstellende Kunst Wien“, //Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management// 5, Nr. 1 (2020): 76.)) zu sprechen, um den **Begriff** deutlicher von **anderen Verwendungen** zu **unterscheiden**. ==== Beliebigkeit ==== Der Begriff läuft außerdem **Gefahr beliebig** zu werden. Die Politikwissenschaftlerinnen Sybille Hardmeier und Dagmar Vinz begründen diese **Tendenz zur Beliebigkeit** damit, dass es eine „schier **unendlichen Fülle** von **Differenzen** gibt,“((Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz, „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“, //Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft// 16, 1 (2007): 28.)) die der **Forschungsansatz** Diversität untersuchen kann. Das **[[diversitaet_im_allgemeinen_gleichbehandlungsgesetz|Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz]]**, kurz AGG, listet zum **Beispiel** **sechs Diversitätsdimensionen** auf, aber anhand der **Kritik** zum AGG wird schon deutlich, dass diese **Dimensionen nicht ausreichend** sind. ==== Intersektionalität oder Diversität ==== Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass es **schon** den **Ansatz** der **Intersektionalität** gibt.\\ **Diversität** und **Intersektionalität ähneln sich** in einigen Punkten. Doch **Intersektionalität** hat als Forschungsansatz **gegenüber** dem Forschungsansatz **Diversität** **einige Vorteile**: Zum einen wird der Begriff **Intersektionalität** **nicht entpolitisiert** verwendet.((Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz, „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“, //Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft// 16, 1 (2007): 27.)) Zum anderen ist **Intersektionalität** in **Theorie eingebettet**, während es bei **Diversität** „**weniger** um **Theorie** und **mehr** um **praktische Anwendung** geht“((Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz, „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“, //Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft// 16, 1 (2007): 27.)) und die **theoretische Einbettung** (noch) **fehlt**.((Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz, „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“, //Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft// 16, 1 (2007): 29.)) === Intersektionalität === **Intersektionalität: **\\ {{ :lv-wikis:divtheo22:titel_intersektionalitaet_grafik_lara_wehler_copyright_cc-nc-sa-4.0.svg?200| Schaubild Intersektionalität. | Titel: Intersektionalität | Grafik: Lara Wehler | Copyright: CC-NC-SA-4.0}} Der Begriff **Intersektionalität** (abgeleitet vom Englischen ‚intersection‘ auf **Deutsch ‚Straßenkreuzung‘**) wurde von der Rechtswissenschaftlerin **Kimberlé Crenshaw** geprägt.** 1989** veröffentlichte sie einen Text mit dem Titel **„Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory, and Antiracist Politics,“** in dem sie den **Fall** **„DeGraffenreid vs. General Motors“** untersuchte.\\ Fünf **Schwarze Frauen** hatten nach ihrer **Kündigung** durch das Unternehmen General Motors **geklagt** und dem Unternehmen vorgeworfen, „dass sein Vergütungssystem auf der Dauer der Betriebszugehörigkeit basiert, und damit die Folgen der **Diskriminierung Schwarzer Frauen** aus der Vergangenheit **aufrechterhalte**.“((Kimberlé Crenshaw, „Die Intersektion von ‚Rasse‘ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik“ in //Fokus Intersektionalität// herausgegeben von Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar und Linda Supik, übersetzt von Thorsten Möllenbeck (Wiesbaden, Springer-Fachmedien: 2010), 37.)) Das **Gericht** entschied **gegen** die **Klage** mit der **Begründung**, dass hier **keine geschlechtliche Diskriminierung** vorliege (weißen Frauen war nicht gekündigt worden) und **keine rassistische Diskriminierung** (Schwarzen Männern war ebenfalls nicht gekündigt worden).\\ Dies führte Crenshaw zu der Analyse:\\ "Dieser scheinbare Widerspruch ist jedoch nur ein **weiterer Ausdruck** der begrifflichen** Beschränkungen eindimensionaler Analysen**, die der Intersektionalitätsansatz infrage stellt. Es **kommt** gerade **darauf an**, dass **Schwarze Frauen** auf **verschiedene Arten Diskriminierung erfahren** können […] Nehmen wir als **Beispiel** eine **Straßenkreuzung**, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch **Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen**.((Kimberlé Crenshaw, „Die Intersektion von ‚Rasse‘ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik“ in //Fokus Intersektionalität// herausgegeben von Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar und Linda Supik, übersetzt von Thorsten Möllenbeck (Wiesbaden, Springer-Fachmedien: 2010), 40.)) ===== Merkmale des Diversitätsverständnisses ===== Aus diesen Ausführungen lassen sich folgende **Merkmale** des **Diversitätsbegriffs** als **Forschungsansatz** ableiten: - Diversität hinterfragt **Machtverhältnisse** und **Strukturen**. - Diversität lässt sich **nicht** auf **einen (Forschungs-)Kontext** eingrenzen. - Diversität ist der **‚Normalzustand‘**. Fehlende Vielfalt ein Ergebnis von gesellschaftlichen Entwicklungen. Der Eintrag **‚Diversität als Forschungsansatz‘** ist einer von **vier Beiträgen**, die sich mit den **Definitionen von Diversität** in **unterschiedlichen Bereichen** beschäftigen.\\ Eine **Übersicht** über **alle Beiträge** finden Sie hier: **[[definitionen_von_diversitaet|Was ist Diversität?]]** ===== Quellen ===== * Eggers, Maureen.„Diversity/Diversität“. In //Wie Rassismus aus Wörtern spricht// herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofua tey-Alazard, 256 - 263. Münster: Unrast-Verlag, 2011. * Crenshaw, Kimberlé. „Die Intersektion von ‚Rasse‘ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik“. In //Fokus Intersektionalität// herausgegeben von Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar und Linda Supik, übersetzt von Thorsten Möllenbeck, 35 - 58. Wiesbaden, Springer-Fachmedien: 2010. * Hardmeier, Sibylle und Dagmar Vinz. „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“. //Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft// 16, 1 (2007): 23 - 33. * Mayer, Ulrike. „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien“. //Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management// 5, Nr. 1 (2020): 76 - 82.