Inhaltsverzeichnis

Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses

Bei diesem Werk handelt es sich um eine Vorlesung, die Michel Foucault am 2. Dezember 1970 am Collège de France hielt. Bevor ich auf diese Vorlesung eingehen werde, steige ich mit einer Definition von Diskurs im Foucault'schen Sinne ein, um ein leichteres Verständnis der Thematik zu erzielen:

Was sind Diskurse?

Der Begriff Diskurs wird in unterschiedlichen Disziplinen verschieden gebraucht. Wie Sara Mills schreibt, wird der Begriff Diskurs wie selbstverständlich verwendet, ohne ihn dabei explizit zu definieren. (Mills 2007: 1) Hier verweise ich gerne auf das Wiki Einstieg Diskursforschung (in der Soziologie).
Da es in diesem Wiki („Die Ordnung des Diskurses“) um Foucault und seine Ansichten über Diskurse und nach welchen Regeln sie sich organisieren, geht, beschränke ich mich auf eine Definition des Foucault'schen Begriffs Diskurs. Aber auch Foucault hat keine explizite Definition des Begriffs. Es sind vielmehr Gedanken von ihm, die sich durch seine Werke ziehen und sich verändern. (vgl. Kammler et al. 2008: 233)

Besonders in Archäologie des Wissens und Die Ordnung der Dinge geht er auf Diskurse ein. (vgl. Ruoff 2009: 92) Hier reduziert Foucault den Diskurs nicht auf seinen sprachlichen Aspekt, die Zeichen aus denen Diskurse bestehen und mit denen Dinge bezeichnet werden können (vgl. Foucault 2013: 525), sondern weist daraufhin, Diskurse als „Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.“ (Foucault 2013: 525) Somit werden durch den Diskurs Wahrheiten gebildet, die innerhalb von Denksystemen sichtbar werden. (vgl. Ruoff 2009: 92)
Kammler et al. verweisen auf drei Ebenen des Diskursbegriffes: Die erste Ebene handelt von Merkmalen und Funktionen, die bei allen Diskursen vorhanden ist. Dazu gehört auch die Idee, dass Wissen immer durch Diskurse vermittelt wird. Zweitens sind Diskurse pluralistisch zu verstehen, da Diskurse im Kontext zueinander bestehen können. Z. B. kann scheinbar derselbe Gegenstand in unterschiedlichen Diskursen anders gesehen werden. Drittens geht es um die diskursive Praxis. Sie ist sozusagen die Erweiterung des reduzierten Verständnisses von Diskursen bestehend aus Zeichen. Die Praxis beinhaltet zusätzlich die Verfahren der Wissensproduktion, wie ich es im vorigen Absatz bereits angedeutet habe. (vgl. Kammler et al. 2008: 234)

Kammler et al. schlagen eine Kurzdefinition für Diskurs im Sinne Foucaults vor: „Diskurs […] meint in der Archäologie des Wissens demnach eine Praxis des Denkens, Schreibens, Sprechens und auch Handelns, die diejenigen Gegenstände, von denen sie handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt. Diskurse folgen innerhalb bestimmter historischer Schnitte einem für sie spezifischen und sie von anderen unterscheidendem synchronen Set von Regularitäten, das bestimmt wie und was gedacht, geschrieben, gesprochen, gehandelt werden kann, was als wahr und was als falsch gilt“. (Kammler et al. 2008: 234)
Um letztere Regularitäten handelt dieses Wiki. Nach den Eigenschaften von Diskursen und der grundlegenden These Foucaults in dieser Vorlesung gehe ich auf die Regularitäten ein.

Eigenschaften von Diskursen

Um das Verständnis der Thesen Foucaults zu der Ordnung des Diskurses zu unterstützen, trage ich verschiedene Eigenschaften, die Foucault in dieser Vorlesung dem Diskurs zugeschrieben hat, zusammen:

Der Diskurs ist eingebunden in Institutionen, wie z. B. Gesetze oder dem Bildungswesen (vgl. Foucault 1974: 10). Wenn der Diskurs Macht hat, hat er sie alleine von den Institutionen erhalten (vgl. Foucault 1974: 10). Zum Beispiel hat der wissenschaftliche Diskurs Macht, indem die Institution ‚Universität‘ jemandem den Titel ‚Professor*in‘ verliehen hat und diese Person somit automatisch für den wissenschaftlichen Diskurs relevante Aussagen tätigt.

Dinge und Ereignisse machen sich nach Foucault selbst zu einem Diskurs, indem sie „das Geheimnis ihres eigenen Wesens entfalten“ (Foucault 1974: 32) Genauso kann alles zu einem Diskurs werden, da es prinzipiell nichts gibt, das nicht gesagt werden kann (vgl. Foucault 1974: 32). Demnach kann sich der Diskurs auch verändern. Dennoch ist der Diskurs nach Foucault nicht nur die Versprachlichung eines Ereignisses oder wie er es ausdrückt eines ‚Kampfes‘, es ist das Ereignis oder der Kampf selbst. Denn die Versprachlichung enthält Macht und ist nicht nur eine bloße Erzählung des Ereignisses. (vgl. Foucault 1974: 11)

Foucault sagt auch, dass die geregelte Entstehung des Diskurses Kontrollprozeduren integrieren kann. Das ist allerdings nur unter bestimmten Bedingungen und bis zu einem gewissen Grad möglich. Umgekehrt können sich auch die Kontrollprozeduren selbst in einen Diskurs einbetten. (vgl. Foucault 1974: 42)

Auf die Kontrollprozeduren werde ich in den folgenden Kapiteln näher eingehen.

These zur Ordnung des Diskurses

In dieser Vorlesung geht Foucault davon aus, dass die Diskursproduktion durch bestimmte Prozeduren geordnet werden:

„Ich setze voraus, daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.“ (Foucault 1974: 10f.)

Diese Prozeduren erläutere ich im nachfolgenden Kapitel:

Drei Gruppen zur Kontrolle und Einschränkung des Diskurses

Nach Foucault gibt es drei Gruppen, welche die Produktion von Diskursen kontrollieren und einschränken. Dabei unterscheidet er zwischen äußeren Prozeduren, internen Prozeduren und Prozeduren, die die Auswahl an Menschen mit Zugang zu Diskursen beschränken. Diese drei Gruppen erläutere ich anhand von Beispielen zum Thema Organspende, um die Theorie mit der Praxis zu verbinden und so das Verständnis zu erleichtern. Zu erkennen sind die Beispiele an dem blauen Längsstrich vor dem Text.

I. Äußere Prozeduren zur Kontrolle und Einschränkung des Diskurses:

Die äußeren Prozeduren wirken von außen auf den Diskurs und sind Ausschließungsprozeduren, die auf institutioneller Basis aufgebaut sind. (vgl. Foucault 1974: 15) Sie schließen vom Diskurs Situationen, Themen bzw. Gegenstände und/ oder Personen aus, können aber auch Aussagen, die nicht als wahr verifiziert wurden, ausschließen. Foucault unterscheidet zwischen dem Verbot, der Grenzziehung zwischen Vernunft und Wahnsinn und dem Willen zur Wahrheit:

1. Das Verbot

Das Verbot unterteilt Foucault in drei Arten, welche sich überschneiden, verstärken oder auch ausgleichen können. Die Verbote sind somit veränderbar. (vgl. Foucault 1974: 11)

Diese drei Arten des Verbots sind: Das Tabu des Gegenstandes (man darf über etwas nicht sprechen), das Ritual der Umstände (Gelegenheit, in der etwas nicht gesagt werden darf) und das Recht des sprechenden Subjekts (bestimmte Personen dürfen etwas nicht sagen). (vgl. Foucault 1974: 11)

Beispiel: Ein/eine Angehörige*r darf keine Aussagen in Bezug auf den medizinischen Hirntod des/der Patient*in treffen. Solche Aussagen sind dem medizinischen Fachpersonal vorbehalten (Recht des sprechenden Subjekts).

→ Merke: Das Verbot schränkt den Diskurs auf institutioneller Basis ein, indem Gegenstände, Situationen oder Subjekte in einem Diskurs nicht geäußert werden dürfen bzw. sich nicht äußern dürfen.

2. Die Grenzziehung zwischen Vernunft und Wahnsinn

Bei der zweiten äußeren Prozedur gilt das Gesagte des/der Wahnsinnigen entweder nicht oder es werden den Worten eigenartige Kräfte zugetraut. Das könnte zum Beispiel eine verborgene Wahrheit in dem Gesagten des/der Wahnsinnigen sein oder es wird ihnen zugeschrieben, die Zukunft voraussehen zu können. Damit wurden die Worte des/der Wahnsinnigen als Grenze des Diskurses wahrgenommen. (vgl. Foucault 1974: 12)

Beispiel: Es kann der Vernunft widersprechen, wenn der/die sogenannte Wahnsinnige behauptet, dass die Seele des verstorbenen Menschen mit den gespendeten Organen in die Empfänger*innen übergehen. Somit zählt die Aussage nicht als Vernunft, sondern als Wahnsinn und kann damit als ungültig deklariert werden.

Interessant ist hier hervorzuheben, dass die Aussagen des/der Wahnsinnigen, die als ungültig erklärt werden, dennoch die Wahrheit bestimmter Ängste der Menschen darstellen können.

→ Merke: Hier geht es um die Grenzen eines Diskurses. Ein Diskurs produziert Wahrheiten. Werden diese Wahrheiten in einem Diskurs für ungültig erklärt, fallen diese aus dem Diskurs heraus. Dabei könnten diese Aussagen in einem anderen Diskurs völlig sinnig erscheinen.

3. Der Wille zur Wahrheit

Je nach Jahrhundert wurde Wahrheit unterschiedlich definiert. Im 6. Jahrhundert war die Wahrheit das, was der Diskurs war oder was er tat. Mit anderen Worten, die Wahrheit war der Akt der Aussage. Ein Jahrhundert später wurde die Wahrheit als das definiert, was der Diskurs sagte, also die Aussage selbst. Im beginnenden 17. Jahrhundert ist die Wahrheit als Wille zum Wissen aufgetreten. Es war ein technisches Instrument, das ein bestimmtes technisches Niveau vorschreibt, um Erkenntnisse zu verifizieren. (vgl. Foucault 1974: 14f.) Ruoff schreibt dazu, dass das Wissen eine Bedingung der Wissenschaft ist, aber nicht dasselbe wie Wissenschaft ist. Denn Wissen kann auch ohne Wissenschaft bestehen, nicht so aber Wissenschaft ohne Wissen. Voraussetzung für das Wissen ist allerdings eine diskursive Praxis. (vgl. Ruoff 2009: 236) „Das Wissen besteht aus den […] Regeln einer diskursiven Praxis, die Elemente ausbildet und möglicherweise, durch Überwindung einer Schwelle, zu einem wissenschaftlichen Diskurs führt, der einen bestimmten Bereich absteckt.“ (Ruoff 2009: 236)
Der Wille zur Wahrheit wird ständig verstärkt und erneuert durch Institutionen und Praktiken, wie Bücher und Bibliotheken. Zusätzlich abgesichert wird er durch die Art und Weise wie der Wille zur Wahrheit in einer Gesellschaft eingesetzt wird. Das kann durch Bewertungen, Sortierungen, Verteilungen und Zuweisungen des Wissens geschehen. Foucault geht davon aus, dass der Wille zur Wahrheit Druck und Zwang auf andere Diskurse ausübt, da zum Beispiel Gesetze an die Wissenschaft angelehnt sind. Nach seiner Theorie bewegen sich auch die ersten beiden äußeren Prozeduren, das Verbot und die Grenzziehung, auf den Willen der Wahrheit zu. Macht und Begehren durchdringen diese Prozedur. Die Wahrheit verdeckt den Willen zur Wahrheit. Das heißt, dass die Menschen die Wahrheit sehen, aber nicht die Ausschließungsmaschinerie, welche die Wahrheit vorsortiert hat, bevor sie als Wahrheit aufgenommen wurde. (vgl. Foucault 1974: 15ff.)

Beispiel: Der Wille zur Wahrheit im medizinischen Bereich kann Druck auf ethische Diskurse ausüben.
Beispiel: Die Wahrheit wird abgesichert durch Gesetze, welche die genaue Definition des Hirntodes regeln oder über Flyer, welche über Organspende informieren und die Wahrheit darstellen.

→ Merke: Diese Prozedur schließt Wissen aus dem z. B. wissenschaftlichen Diskurs aus, das nicht ein bestimmtes Niveau erreicht. Abgesichert wird das Niveau z. B. durch die Art des Einsatzes von dem Wissen, wie u. a. die Flyer im oben genannten Beispiel.

II. Interne Prozeduren – Diskurse üben eigene Kontrolle selbst aus:

Durch die internen Prozeduren kontrollieren sich Diskurse selbst und verknappen den Diskurs bzw. schränken ihn ein. Die Prozeduren wirken als Prinzipien für Klassifikation, Anordnung und Verteilung. Das führt zu einer Begrenzung von Ereignissen und Zufällen in Diskursen. (vgl. Foucault 1974: 17) Diese Prozeduren wirken demnach von innen aus den Diskursen heraus.

1. Der Kommentar

Der Kommentar basiert auf Primärtexten. Dadurch ergänzen sich Sekundär- und Primärtexte gegenseitig. Denn der Kommentar sagt, was der Primärtext bereits sagte. Durch den Primärtext können beliebig viele neue Diskurse konstruiert werden. Neu an den entstehenden Diskursen ist nicht das, was gesagt wird, sondern, dass es wiederholt wird. Damit darf nur Neues gesagt werden, wenn der Primärtext wiederholt wird und ergänzt oder vollendet wird. (vgl. Foucault 1974: 19f.)

Beispiel: Der Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn, plädiert für eine Widerspruchslösung zum Thema Organspende. Seine Aussagen wurden von verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen aufgegriffen und beispielsweise um mögliche Konsequenzen einer solchen Lösung ergänzt.

→ Merke: Durch den Kommentar wird der Zufall von Aussagen im Diskurs eingeschränkt, indem der Kommentar nur Neues sagen darf, wenn er den Basistext wiederholt.

2. Der Autor

Für Foucault ergänzt diese interne Prozedur den Kommentar in einem gewissen Maße. (vgl. Foucault 1974: 20) Er definiert den/ die Autor*in nicht als Mensch, der/ die etwas gesagt oder geschrieben hat, sondern als „Prinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts“ (Foucault 1974: 20). Dabei wirkt diese Prozedur nicht überall in gleicher Weise. Zum Beispiel spielt der/ die Autor*in bei Verträgen keine Rolle - ganz im Gegensatz zum/ zur wissenschaftlichen Autor*in Mittelalter, weil dort die Person als Index für Wahrheit galt. Ab dem 17. Jahrhundert hat sich die Wirkung des/ der Autor*in im Bereich des literarischen Diskurses verstärkt. Seine/ ihre Aufgabe ist nun den verborgenen Sinn der eigenen Werke zu offenbaren. (vgl. Foucault 1974: 20f.)

Beispiel: Ein Elternpaar erzählt von der Entscheidung zur Organspende bei ihrem minderjährigen Kind und wie diese Entscheidung das Leben eines anderen Kindes gerettet hat. Dieses Elternpaar erzählt unter anderem davon, um andere Menschen für Organspende positiv zu stimmen. Somit eröffnen sie einen neuen Diskurs und schränken den Zufall der Diskursbildung ein.

→ Merke: Der Zufall der Diskursbildung wird eingeschränkt, indem die Autor*innen ihren Werken einen festgelegten Sinn zuschreiben und sich der daraus entstehende Diskurs nicht in zufällige Richtungen ausbreiten kann.

3. Die Disziplinen

Durch Disziplinen wird die Produktion von Diskursen eingeschränkt, indem jede Disziplin verschiedenen Regeln folgt, wie neue Sätze konstruiert werden dürfen. Diese Regeln werden permanent reaktualisiert. Innerhalb dieser Regeln können uneingeschränkt viele neue Sätze formuliert werden. Zu beachten ist hier, dass Disziplinen nicht einfach nur die wahren Aussagen zu einer Sache beinhalten, sondern auch Irrtümer. Somit ist die Wahrheit keine Bedingung für die Zugehörigkeit einer Aussage zu einer Disziplin. Dahingegen sind aber eine bestimmte Gegenstandsebene, bestimmte Begriffe und Techniken des Satzes sowie die Eingliederung in einen bestimmten theoretischen Horizont Bedingung, um als Satz zu der jeweiligen Disziplin zu gehören. (vgl. Foucault 1974: 22ff.)

Beispiel: In Disziplinen können unterschiedliche Aussagen als wahr gelten. Im medizinischen Bereich wird der Hirntod als Tod des Menschen definiert und legitimiert eine Organspende. Weitere Definitionen für den Tod des Menschen können Religionen geben. Die Definitionen wurden anhand von medizinischen oder religiösen Kriterien getroffen und können beispielsweise auch ein bestimmtes Vokabular enthalten.

→ Merke: Der Zufall der Diskursbildung und die Diskursbildung selbst wird durch die Disziplinen eingeschränkt, indem sie Regeln vorschreiben, wie Aussagen getätigt werden dürfen. Somit dürfen nur bestimmte Arten von Aussagen und Sätze mit bestimmtem Vokabular in die Diskurse miteinfließen.

III. Verknappung der Sprechenden Subjekte – damit nicht Jede*r Zugang zum Diskurs hat:

Mit diesen Prozeduren ist der Zugang von bestimmten sprechenden Subjekten zu bestimmten Diskursen eingeschränkt. Je nach Diskurs kann der Zugang stark eingeschränkt oder sehr offen sein. Der eingeschränkte Zugang erfolgt durch gewisse Regeln, die zu den jeweiligen Prozeduren gehören, die ich nachfolgend erläutern werde. (vgl. Foucault 1974: 26)

1. Das Ritual

Durch die Prozedur des Rituals sind die Qualifikationen definiert, die das sprechende Subjekt haben muss, um am Diskurs teilnehmen zu dürfen. Das beinhaltet Gesten, Verhaltensweisen, die Umstände und die Zeichen. (vgl. Foucault 1974: 27) Dadurch wird die „vorausgesetzte oder erzwungene Wirksamkeit der Worte, ihre Wirkung auf ihre Adressaten [sic!] und die Grenzen ihrer zwingenden Kräfte“ fixiert. (Foucault 1974: 27)

Beispiel: Um am medizinischen Diskurs teilhaben zu dürfen, bedarf es medizinischer Fachkenntnis, die sich das sprechende Subjekt vorher in einer entsprechenden Ausbildung angeeignet haben muss. Auch bestimmte Fachausdrücke, die für das Benennen von Organen oder des Operationsbestecks notwendig sind, müssen vorhanden sein für die Teilhabe an bestimmten medizinischen Diskursen.

→ Merke: Diese Prozedur schließt Menschen aus Diskursen aus, die nicht über erforderliche Qualifikationen, wie Verhaltensweisen oder Gesten, für einen Diskurs verfügen.

2. Die Diskursgesellschaften

Diskursgesellschaften produzieren Diskurse und bewahren sie auf, damit sie in einem geschlossenen Raum zirkulieren können. Die Diskurse werden nach bestimmten Regeln verteilt, wobei die Inhaber*innen der Diskurse Inhaber*innen bleiben müssen und die Rollen der Hörenden und der Sprechenden nicht austauschbar sind. (vgl. Foucault 1974: 27) Nach Foucault produzieren Schriftsteller*innen ihre Diskurse in Diskursgesellschaften, denn „[d]ie Besonderheit des Schriftstellers [sic!], die von ihm [sic!] selber gegenüber der Tätigkeit jedes anderen sprechenden oder schreibenden Subjekts hervorgehoben wird, der intransitive Charakter, den er seinem Diskurs verleiht, die fundamentale Einzigartigkeit, die er seit langem dem »Schreiben« zuspricht, die behauptete Asymmetrie zwischen dem »Schaffen« und irgendeinem anderen Einsatz des sprachlichen Systems - all dies verweist in der Formulierung (und wohl auch in der Praxis) auf die Existenz einer gewissen »Diskursgesellschaft«“. (Foucault 1974: 28)

Beispiel: Verschiedene Schriftsteller*in schreiben unterschiedliche Bücher zum Thema Organspende, die ihren geschlossenen Raum nicht verlassen, aber sich darin bewegen können. Dabei bleiben die Schriftsteller*innen Eigentümer*innen der jeweiligen Diskurse. Auch bleiben die Schriftsteller*innen und das Publikum jeweils ihn ihren/ seinen Rollen der Hörenden oder Sprechenden.

→ Merke: Diskursgesellschaften schließen wechselnden Rollen zwischen Hörenden und Sprechenden aus. Somit ist der Austausch nur in eine Richtung gegeben. Hörende dürfen damit nur passiv am jeweiligen Diskurs teilnehmen. Es verknappt die Menschen, die als Sprechende und Inhaber*innen von Diskursen an Diskursen teilnehmen dürfen.

3. Die Doktrin

Im Gegensatz zur Diskursgesellschaft, in denen die sprechenden Subjekte begrenzter sind, breiten sich Doktrinen eher aus. Aber nicht nur die sprechenden Subjekte sind ein Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Doktrin, auch die Aussagen selbst sind ausschlaggebend. Die Bedingung ist hier, dass dieselben Wahrheiten anerkannt und für gültig erklärte Diskurse akzeptiert werden. (vgl. Foucault 1974: 28f.) Die Doktrin schließt somit Subjekte aus, die nicht mit den Aussagen der Diskurse und den Diskursen selbst übereinstimmen. Damit bindet die Doktrin die Individuen an festgelegte Aussagetypen, womit automatisch keine anderen Aussagetypen mehr möglich sind. Dadurch werden die Individuen miteinander verbunden und grenzen sich so von Anderen ab. (vgl. Foucault 1974: 29) Ein weiteres Merkmal der Doktrin findet sich in der doppelten Unterwerfung: „die Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und die Unterwerfung der Diskurse unter die Gruppe der sprechenden Individuen“. (Foucault 1974: 29)

Beispiel: Religiöse Gemeinschaften können unterschiedliche Haltungen zum Thema Organspende haben und die damit verbundenen Aussagetypen, wie ‚Organspende ist ein Ausdruck von Nächstenliebe‘, ‚Organspende zerstört die Vollkommenheit des Körpers‘ oder ‚Organspende greift in den von Gott/ von den Göttern gewollten Sterbeprozess des/ der Spender*in und des/ der Empfänger*in oder der Empfänger*innen ein‘. Damit grenzen sich die religiösen Gemeinschaften voneinander und von anderen Doktrinen ab. Stimmt ein Subjekt nicht mit einer grundlegenden Aussage seiner/ ihrer religiösen Gemeinschaft überein, wird er/ sie aus dieser Doktrin ausgeschlossen.

→ Merke: Durch die Doktrin werden Menschen ausgeschlossen, die nicht mit grundlegenden Aussagen der jeweiligen Diskurse der Doktrin oder den Diskursen selbst übereinstimmen.

4. Die Gesellschaftliche Aneignung der Diskurse

Durch die Methode der Erziehung haben Subjekte Zugang zu Diskursen. Dabei sind gewisse Diskurse gesellschaftlich erlaubt - andere nicht. (vgl. Foucault 1974: 29f.) Um die gesellschaftliche Aneignung eines Diskurses aufrecht zu erhalten oder zu ändern, werden Erziehungssysteme benötigt: „Jedes Erziehungssystem ist eine politische Methode, die Aneignung der Diskurse mitsamt ihrem Wissen und ihrer Macht aufrechtzuerhalten oder zu verändern.“ (Foucault 1974: 30)

Beispiel: Bei der Organspende können Erziehungsmethoden beispielsweise Flyer sein, die in Arztpraxen ausgelegt werden, um Vorurteile abzubauen. Das könnte verändern, dass mehr Menschen der Organspende positiv gesinnt sind und die Organspendenzahlen steigen.

→ Merke: Je nach Erziehungssystem haben Menschen Zugang zu bestimmten Diskursen oder nicht.

Zusammenfassung

Foucault geht davon aus, dass Diskurse nicht einfach so entstehen, sondern nach (un-)sichtbaren Regeln produziert werden. Durch diese Regeln wird u. a. die Produktion des Diskurses eingeschränkt oder die Teilnehmer*innen an dem Diskurs. Eine knappe Zusammenfassung bieten hier die jeweiligen Merksätze unter den verschiedenen Prozeduren. Durch die Diskurse wiederum werden Aussagen produziert, die wir Menschen für wahr halten, ohne dabei bewusst zu merken, welche Selektionsprozesse diese Aussagen (z. B. durch die Prozeduren und Regularitäten des Diskurses) durchlaufen haben. Wir halten für wahr, was der Diskurs produziert.

Literatur

Michel Foucault (2013): Die Hauptwerke. Mit einem Nachwort von Axel Honneth und Martin Saar, Frankfurt am Main.

Michel Foucault (1974): Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France. 2.12.1970, München.

Michael Ruoff (2009): Foucault-Lexikon. Entwicklung - Kernbegriffe - Zusammenhänge, Paderborn.

Clemens Kammler, Rolf Parr und Ulrich Johannes Schneider (2008): Foucualt-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart.

Sara Mills (2007): Der Diskurs. Begriff, Theorie, Praxis, Tübingen.