Das vorliegende Wiki bezieht sich auf die Kapitel drei und vier aus dem Buch „Challenging Diversity“ von Davina Cooper. Wenn es gilt, Diversity oder Diversität „herauszufordern“, ist damit eine Problematisierung des Begriffs oder Konzepts mitinbegriffen, die nicht ohne weiteres verständlich ist. Die Wikis „Definitionen von Diversität“ und „Diversität - eine kritische Einführung" geben einen umfassenden Überblick der wesentlichen Problematiken des Begriffs und dessen politische wie soziologische Dimension, auf die sich Cooper bezieht. Eine kritische Betrachtung des Diversitätsbegriffs fungiert als Basis, die notwendig ist, um die Schritte zu verstehen, die Cooper in ihrer „Herausforderung von Diversität“ geht.
Das dritte Kapitel plädiert für eine detailliertere und theoretischer Herangehensweise, um über verschiedene soziale Gruppen nachzudenken. Es werden mögliche theoretische Herangehensweisen diskutiert, von denen Cooper ihr „Konzept der Organisationsprinzipien“ herleitet. Nachdem sie damit einen konzeptionellen Rahmen für das Denken über Diversität schafft, behandelt das vierte Kapitel Vorstellungen der Umsetzung von Gleichheit. Ziel des Kapitels ist es, über Gleichheit in einer Weise nachzudenken, die ihre politische Bedeutung stärkt. Dabei geht Cooper der zentralen Frage nach „Gleichheit in Bezug auf was herzustellen?“ In diesem Kontext diskutiert sie Überlegungen, die auf der Frage der Verteilung und der Anerkennung beruhen und stellt ihren alternativen Ansatz vor, der auf der Gleichheit von Macht basiert.
Im ersten Schritt des Wikis soll Coopers Konzept der Organisationsprinzipien und ihr Ansatz in Bezug auf Gleichheit der Macht vorgestellt werden. Coopers Konzeption und Ansatz von Gleichheit der Macht beinhalten diverse Positionen und Herangehensweisen bezüglich Diversität. Am Beispiel von kultureller Aneignung sollen im nächsten Schritt einige dieser Perspektiven diskutiert werden, um Elemente aus Coopers Konzeption verständlich zu machen.
In der Herleitung zu ihrer Konzeptualisierung von sozialer Ungleichheit bezieht sich Cooper auf feministische Arbeiten seit den früheren 1970er Jahren, da sich die feministische Literatur nach Cooper mehr als andere mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie man multiple Formen von Ungleichheit erkennen und die Beziehung zwischen ihnen Konzeptualisieren kann (vgl. Cooper 2004: 41). Zudem bietet die feministische Literatur eine Reihe von Arbeiten, die untersuchen, wie Orte und Institutionen vergeschlechtlicht, rassifiziert und sexualisiert werden. Hierbei stellt Cooper zwei Ansätze, die „Unterdrückung als ineinandergreifende Systeme oder Achsen“ sowie die „Konzeption von Unterdrückung mit Fokus auf Erfahrungen von Gruppen mit unterschiedlichen Standorten“, vor. Dabei werden Möglichkeiten und Grenzen der Modelle aufgezeigt, auf dessen Basis Cooper ihr Konzept der Organisationsprinzipien einführt. Im Folgenden soll zunächst ein knapper Überblick über die beiden konkurrierenden Konzeptionen zu Ungleichheit gegeben werden, bevor daraus Coopers Konzept der Organisationsprinzipien hergeleitet wird.
Cooper arbeitet heraus, wie in vielen späteren feministischen Arbeiten der Begriff der „Machtachsen“ richtungsweisend war (vgl. Cooper 2004: 47). Der Begriff ist aus dem Versuch entstanden, verschiedene Arten von Ungleichheit anzuerkennen und mit einzubeziehen (ebd.). Dadurch war es möglich, die Überschneidungen zwischen verschiedenen Formen der Unterdrückung zu konzeptualisieren (ebd.). Anders als im Denken in dualen Systemen, indem beispielsweise Klasse und Geschlecht als konzeptionell verschieden aber miteinander verflochten verstanden wurde, werden in diesem Konzept unterschiedliche Achsen identifiziert, die sich gegenseitig überschneiden (ebd.). Dadurch ist es möglich, Individuen an kontrastierenden oder divergierenden Schnittpunkten zu verorten.
Grenzen des Achsenmodells ergeben sich vor allen Dingen aus der statischen Vorstellung der Achsen. Hierbei bringt jede Achse nur zwei bipolare Positionen, mächtig und machtlos, hervor, an denen sich Individuen positionieren lassen (vgl. Cooper 2004: 53). Dieser Umstand wird laut Cooper der Tatsache nicht gerecht, dass sich zu gewissen historischen Zeitpunkten einige Identitäten besser entlang eines Kontinuums von „Rasse“, Klasse oder Geschlecht positionieren, als es diese Polarität vorgibt (ebd.). Darüber bietet das Modell keinen angemessenen Rahmen für multiethnische Identitäten oder Identitäten, die sich nicht entlang einer binären Achse von Geschlecht verorten lassen (ebd.). Ein weiteres Problem betrifft die Art und Weise, in der der Achsenrahmen andere Aspekte des Sozialen erklärt. So befinden sich Individuen an verschiedenen Schnittstellen, wobei diese Knotenpunkte keine Möglichkeit zu verstehen geben, wie die Schnittstellen in Bezug auf beispielsweise Macht zusammenhängen (vgl. Cooper 2004: 57).
Der zweite von Cooper vorgestellte Ansatz wird unter anderem von Iris Marion Young vertreten. Young konzentriert sich auf Erfahrungen von Gruppen mit unterschiedlichen Standorten. Sie argumentiert am Beispiel von Frauen, dass Unterdrückung nicht als systematischer, strukturierter und institutioneller Prozess gedacht werden kann, ohne Frauen als Gruppe zu begreifen (vgl. Cooper 2004: 51). Gruppenzugehörigkeiten ergeben sich nach Youngs relationalem Ansatz nicht anhand von einer Reihe von Eigenschaften, die Mitglieder einer Gruppe gemeinsam haben, sondern aus der Beziehung, in denen sie zu anderen stehen (ebd.). Demnach ist das, was beispielsweise Frauen als Gruppe vereint ihr gemeinsamer Standort. Youngs Ansatz konzentriert sich auf historisch geronnene Objekte, Strukturen und Praktiken, um die herum sich Serien (Gruppen) entwickeln (ebd.). Dadurch bietet das Modell der sich überschneidenden Gruppen eine verstärkte Auffassung von sozialer Identität, Gruppenbildung und Zugehörigkeit (vgl. Cooper 2004: 57). Im Vergleich zu einem Modell, dass sich auf Machtachsen bezieht, sieht Cooper einen weiteren Vorteil darin, dass es den Gruppen eine Handlungsfähigkeit bei der Strukturierung und Gestaltung ihrer Beziehung zu anderen verleiht und Gruppen nicht als vollständig konstituiert und durch bipolare Machtbeziehungen definiert (ebd.).
Schwierigkeiten eines solchen Ansatzes sieht Cooper darin, dass ein gruppenbasiertes Modell Probleme hat, die soziale Ausnahme zu erklären, die durch Beziehungen zwischen bereits bestehenden Kräften entsteht (vgl. Cooper 2004: 58). So stellt dieser Ansatz Gruppen vor Ungleichheitsbeziehungen (ebd.). Besonders problematisch für Cooper ist die Behauptung eines solchen Modells, dass Ungleichheit größtenteils durch die (falschen) Eigeninteressen bestimmter Gruppen angetrieben wird (vgl. Cooper 2004: 59). Diese Verortung des Problems in die Gruppenherrschaft führt zu einem fehlerhaften Verständnis von sozialem Wandel (ebd.).
In Bezug auf die genannten und weitere Grenzen der beiden Konzeptualisierungen von Ungleichheit entwickelt Cooper ihr Konzept der Organisationsprinzipien. Organisationsprinzipien der Ungleichheit strukturieren, formen und ziehen verschiedene Aspekte des sozialen Lebens zusammen (vgl. Cooper 2004: 61). Geschlecht, Klasse, Sexualität, Alter, körperliche Fähigkeiten und „Rasse“ bezeichnen nach Cooper nicht nur Unterordnungsverhältnisse, in denen ein Akteur den Entscheidungen eines anderen unterworfen ist (ebd.). Sie prägen darüber die Zuteilung, den Einsatz, die Auswirkungen und die Geschichte von Machttechnologien und können an ihnen abgelesen werden (ebd.). Dadurch wird die organisierende Qualität der Organisationsprinzipien der Ungleichheit hervorgehoben (ebd.). Organisationsprinzipien der Ungleichheit prägen die institutionelle Praxis, indem die mit ihnen einhergehenden Machttechnologien das Organisationsleben durchdringen (ebd.). Demnach ist es möglich, zu beschreiben, wie staatliche Einrichtungen beispielsweise „vergeschlechtlicht“ sind. Organisationsprinzipien der Ungleichheit lassen sich von anderen Formen sozialer Benachteiligung unterscheiden. Diese Unterscheidung nimmt Cooper anhand drei Aspekte vor.
Als erstes bezieht sie sich auf Beziehung zwischen Organisationsprinzipien und einer binären Konzeption von Macht. Cooper stellt die Tendenz vieler westlicher Feministinnen fest, Ungleichheitsverhältnisse wie Geschlecht, Klasse und „Rasse“ auf einfache Binärformen von Unterdrücker und Unterdrückten zu reduzieren (vgl. Cooper 2004: 63). Nach Cooper muss die Beziehung von Organisationsprinzipien und Macht allerdings keine binäre Form annehmen (ebd.). Die Binarität aus Unterdrücker und Unterdrückte markiert vielmehr einen besonderen Punkt in der Funktionsweise moderner, westlicher Organisationsprinzipien (ebd.). Um Prozesse zu verstehen, die Ungleichheitsverhältnisse binarisieren, muss die Geschichte und Entwicklung untersucht werden, wie einige Prinzipien vor ihrer Entstehung als binäre Begriffe als Diskurse wirken, die andere Ungleichheiten konsolidieren (ebd.).
Der zweite Aspekt beinhaltet die Art und Weise, in der Organisationsprinzipien Aspekte des Sozialen umfassen, die über die Gruppenzugehörigkeit hinausgehen. Eine besondere Eigenschaft von Organisationsprinzipien der Ungleichheit ist, dass sie mit Normen und Werten verbunden sind, die die Fähigkeit haben, andere Aspekte des Sozialen zu durchdringen (vgl. Cooper 2004: 67). Beispielsweise tragen Werte, die mit Männlichkeit assoziiert werden (Distanz/Rationalität) in Verbindung mit Institutionen wie dem Gesetz dazu bei, die Affinität zwischen Männlichkeit und diesen institutionellen Strukturen zu verstärken und fördern gleichzeitig die Fähigkeit der Institutionen, bestehende Ungleichheiten zu reproduzieren (ebd.).
Der dritte Punkt betrifft das Verhältnis zwischen Organisationsprinzipien und sozialen Dynamiken. Zunächst ist zu bestimmen, was Cooper unter sozialen Dynamiken versteht. Cooper nutzt soziale Dynamiken als Begriff, um Prozesse wie Kapitalismus, Bildung von Gemeinschaftsgrenzen, Begehren und das Intime/Impersonelle zu bezeichnen (ebd.). Diese Prozesse durchdringen und kombinieren das soziale Leben in einer Weise, die sowohl die soziale Stabilität als auch den sozialen Wandel vorantreibt (ebd.). Soziale Dynamiken bedingen sich gegenseitig und sind eng miteinander verbunden. Nach Coopers Konzeption bilden Organisationsprinzipien der Ungleichheit und soziale Dynamiken zwei ineinandergreifende Schichten innerhalb eines komplexen, nie vollständig darstellbaren Ganzen (vgl. Cooper 2004: 69). Die Vorstellung als Schichten hat zwei Funktionen. Zum einen wird deutlich, dass sich Prinzipien der Ungleichheit und soziale Dynamiken auf unterschiedliche Weise bilden, überschneiden und formen (ebd.). Zum anderen können sie als koexistierende, sich abwechselnde Brennpunkte betrachtet werden, wobei das eine das andere verschwimmen lässt. Dadurch entsteht ein analytischer Raum zwischen Prinzipien wie Geschlecht, „Rasse“ und Klasse und der sozialen Dynamik des Kapitalismus, der Grenzziehung und des Intimen/ Impersonellen (ebd.). Alle Organisationsprinzipien der Ungleichheit haben unterschiedliche und vielfältige Beziehungen zu verschiedenen sozialen Dynamiken(vgl. Cooper 2004: 75). Komplexität und ein Verständnis der Geschichte müssen deshalb im Vordergrund stehen, wenn es darum geht, Prinzipien der Ungleichheit durch ihre Beziehung zu bestimmten sozialen Dynamiken zu differenzieren (vgl. Cooper 2004: 77).
Zentral bei der Unterscheidung von Organisationsprinzipien von sozialer Ungleichheit und anderer Formen von Benachteiligung ist, dass bei anderen Formen der Ungleichheit die zentrale, unvermittelte Rolle bei der Gestaltung spezifischer sozialer Dynamiken nicht gegeben ist (vgl. Cooper 2004: 77). Solche Formen der Benachteiligung können zwar von bestimmten sozialen Dynamiken beeinflusst werden, aber die Dynamiken werden nicht in der Weise aufrechterhalten, aufgeladen, bewohnt und reproduziert, wie es in Bezug auf Organisationsprinzipien der Fall ist (ebd.). Die Benachteiligung ist demnach weniger eingebettet und verfestigt und damit offen für Veränderung. Damit geht einher, dass andere Formen der Benachteiligung ihre eigene Existenzbedingung nicht reproduzieren (ebd.).
Diese Unterscheidung zeigt Cooper eindrücklich über ihr Beispiel, ob Raucher*innen ein (neues) organisierendes Prinzip der Ungleichheit darstellen. Bei dieser Feststellung muss die Auswirkung des Zigarettenrauchens auf Machtverhältnisse, institutionelle Strukturen und sozialen Dynamiken betrachtet werden (vgl. Cooper 2004: 85). Nach Cooper gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass das Rauchen als Durchsetzung und Reproduktion sozial asymmetrischer Positionen institutionelle Formen wie das Bildungswesen beeinflusst (ebd.). Darüber hinaus macht es keine Machtformen und andere soziale Phänomene verständlich. Das Rauchen hat wenig Einfluss auf soziale Dynamiken und reduziert damit die Fähigkeit, sich auf das Soziale auszuwirken (ebd.). Es handelt sich bei der Benachteiligung von Raucher*innen demnach nicht um ein Organisationsprinzip von Ungleichheit.
Im Folgenden soll Coopers Ansatz zur Gleichheit der Macht vorgestellt werden, die sie in Auseinandersetzung mit der Gleichheit von Ressourcen und der Gleichheit der Anerkennung entwickelt. Dafür sind zunächst grundlegende Annahmen von Cooper festzuhalten. Cooper plädiert für einen Ansatz, der das Individuum und nicht die Gruppe zum Subjekt der Gleichheit macht (vgl. Cooper 2004: 71). Dieser Fokus hat drei Gründe. Zum einen möchte sie die Auslassungen und Auslöschungen vermeiden, die auftreten, wenn eine größere Klasse als Gegenstand der Gleichstellung identifiziert wird (ebd.). Eine Gefahr der Behandlung von größeren Klassen sieht sie darin, dass die Gleichstellung zwischen Gemeinschaften wenig zur Beseitigung der Ungleichheit innerhalb der Gemeinschaft beitragen kann (ebd.). Zum anderen möchte sie sich auf das Individuum konzentrieren, da Gemeinschaften oder soziale Gruppen keine diskreten, unverbundenen Einheiten sind und demnach nicht als solche behandelt werden sollten (ebd.). Den dritten Grund für ein individuelles Konzept der Gleichheit sieht sie darin, dass der oder die Einzelne nicht auf seine/ ihre soziale Identität reduzierbar ist (ebd.). Damit ist gemeint, dass der soziale Standort nicht vollständig konstitutiv für das Sein ist (ebd.). Zunächst sollen die Konzepte zur Gleichheit der Ressourcen und Anerkennung vorgestellt werden, bevor zu Coopers Konzept zur Gleichheit der Macht übergeleitet wird.
Die gleichmäßige Verteilung von Ressourcen ist nach Cooper eine der gängigsten Interpretationen von Gleichheit, die sowohl Fragen der Verteilung als auch der Umverteilung umfasst (vgl. Cooper 2004: 74). Ein ressourcenbasiertes Modell mit systemischen Wiederholungen von „oberflächlichen Umverteilungen“ kann Nancy Fraser zu Folge zwei Formen annehmen, die nach Cooper einer kritischen Einordnung bedürfen. Eine gemäßigte Form neigt dazu, die vorherrschenden wirtschaftlichen Dynamiken wie den Kapitalismus zu verankern, ohne eine offensichtliche Bedrohung für die sozioökonomischen Klassenstandorte darzustellen (vgl. Cooper 2004: 75). Eine radikale Veränderung der Art und Weise, wie Ressourcen produziert und erworben werden versucht die vorherrschenden sozioökonomischen Beziehungen umzustürzen, indem die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Frage gestellt werden (ebd.).
Das wesentliche Problem an ressourcenbasierten Modellen von Gleichheit sieht Cooper darin, dass sie das Soziale nicht angemessen berücksichtigen (vgl. Cooper 2004: 75). Wie über das Soziale gedacht wird, macht für Cooper einen entscheidenden Unterschied für das Verständnis heutiger Asymmetrien (vgl. Cooper 2004: 76). Ressourcenbasierte Gleichstellungsmodelle behandeln Gleichheit als eine Art Paradigma, das in allgemeiner Form durch eine Kombination aus Philosophie und Wirtschaftstheorie abgeleitet werden kann, nehmen allerdings das Soziale nicht als Ausgangspunkt für die Frage, was Gleichheit bedeutet (vgl. Cooper 2004: 75). Um diesen Punkt von Cooper zu verstehen, soll ein Beispiel gegeben werden. Der Rechtsphilosoph Ronald Dworkin legt in seiner Arbeit zu Ressourcengleichheit Wert darauf, zwischen teuren Vorlieben und nicht gewählten Behinderungen zu unterscheiden (vgl. Cooper 2004: 77). So soll vermieden werden, dass Menschen mit einem „Champagner-Geschmack“ nicht zusätzliche Mittel erhalten, Menschen, die auf Grund eines „Handicaps“ „kostspielige“ Bedürfnisse haben aber berücksichtigt werden (ebd.). Diese Unterscheidung ignoriert das Soziale bei der Konstruktion und Entwicklung von Bedürfnissen und unterscheidet teure Geschmäcker von Behinderung, nicht weil das eine oder das andere sozial konstituiert ist, sondern weil das eine gewählt wird und das andere nicht (ebd.).
Während sich Ressourcengleichheit weitgehend auf das Individuum konzentriert, geht es bei der Gleichheit der Anerkennung in erster Linie um das Kollektiv (vgl. Cooper 2004: 79). Ungerechtigkeiten bei der Anerkennung sind nach Fraser in sozialen Mustern der Darstellung, Interpretation und Kommunikation verwurzelt (ebd.). Ein Beispiel hierfür stellt die kulturelle Beherrschung. Eine Politik der Anerkennung beruht auf der zentralen Bedeutung der Gruppenzugehörigkeit für die individuelle Wertschätzung und Identität sowie auf der Bedeutung und Fähigkeit benachteiligter Gruppen, ein positives, kollektives Selbstverständnis zu entwickeln (ebd.). Herrschafts-und Unterdrückungsverhältnisse haben zwar die Art und Weise strukturiert, in der untergeordnete Gruppen gesehen werden, doch haben sie die Fähigkeit dieser Gruppen, einen Wert zu besitzen, nicht geschmälert (ebd.).
Die Gleichheit der Anerkennung ist nach Cooper mit Spannungen behaftet, die insbesondere in dem Versuch zum Ausdruck kommen, einen Spagat zwischen einer pluralistischen Auffassung des Sozialen und einer universalistischen Betonung gemeinsamer Normen zu schaffen (vgl. Cooper 2004: 81). Gleiche Anerkennung wirft die Fragen auf: Wer ist es, der anerkennt und auf welcher Grundlage und nach welchen Werten erfolgt die Anerkennung? Was genau wird anerkannt? Und: wie erkenne ich die Identität einer Person? (ebd.). Zudem hängt die Anerkennung von den Werten desjenigen ab, der die Anerkennung ausspricht (ebd.). Entmachtete Gruppen sollten die Bedingungen für ihre Anerkennung festlegen, dadurch entsteht das durchgängige Problem dieses Ansatzes in der Tendenz, von einer gemeinsamen Position innerhalb der Gruppe auszugehen. Infolgedessen besteht die Gefahr, dass eine formale Erlaubnis an die Stelle einer „echten“ Anerkennung tritt (ebd.).
Coopers Konzept zur Gleichheit der Macht soll den sozial konstitutiven Charakter von Ungleichheit zum Ausdruck bringen. Cooper nimmt vorweg, dass es sich bei der Gleichheit der Macht mehr um einen ethischen oder politischen Leitfaden handelt als um ein realisierbares Ziel (vgl. Cooper 2004: 86). Ein solcher Leitfaden soll die normative Prämisse zum Ausdruck bringen, dass niemand ein inhärentes Recht hat, mehr Einfluss auf ihr soziales und physisches Umfeld als jeder/ jede andere/r zu haben (vgl. Cooper 2004: 87). Die Gleichheit der Macht umfasst die liberale und pluralistische Betonung des Rechts des Einzelnen auf die gleiche Fähigkeit, gewünschte Ziele zu erreichen oder auf bestimmte Weise zu handeln (ebd.). Sie beinhaltet auch eine radikale Betonung der gleichberechtigten Teilhabe am Zustandekommen und der Umsetzung kollektiver Entscheidungen in Politik, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft (ebd.). In Ihrer Auslegung des Machtbegriffs bezieht sich Cooper im Kern auf ein Verständnis von Macht nach Foucault.
Zusammenfassend „[beruht] Machtgleichheit auf der normativen Prämisse, dass politisches und soziales Handeln zu einer größeren Gleichheit in der Fähigkeit der Menschen führen sollte, die soziale und physische Welt zu gestalten.“ (Cooper 2004: 91). Durch die Fokussierung auf die Fähigkeiten geht die Gleichheit der Macht nicht davon aus, dass die tatsächlichen produktiven Auswirkungen, die jede Person erzeugt oder erzeugen möchte, gleich sind (vgl. Cooper 2004: 91). Gleichheit ist nicht gleichbedeutend mit Gleichheit auf der Ebene der Identität oder der Praxis (ebd.). Die Gleichheit der Macht kann durch eine Weise angestrebt werden, indem sie stärker strukturell ausgerichtet wird (vgl. Cooper 2004: 97). Damit wird nicht versucht, das Soziale durch Gleichheitsrahmen zu transzendieren, sondern sich in die Verflechtungen bestimmter sozialer Momente einzubetten, um die gegenwärtig wirkenden Organisationsprinzipien der Ungleichheit zu identifizieren, anzugehen und aufzuheben (ebd.).
Im Jahr 2015 wurde an der Universität von Ottawa in Kanada auf Wunsch von Kritiker*innen eine kostenlose inklusive Yogastunde abgesagt, die dort seit mehreren Jahren von der (weißen) Yogalehrerin Jennifer Scharf angeboten worden war (Plikat 2020: 204). Kritiker*innen weisen darauf hin, dass Yoga aus einer Kultur stamme, die in der (Vergangenheit) unterdrückt wurde. Auch die Umbenennung des vorherigen „Yoga-Kurses“ in „stretching for mental health“ brachte nichts. Der Kurs wurde aus dem Programm genommen (ebd.).
Die Liste von Beispielen kultureller Aneignung ließe sich beliebig erweitern. Auch in Deutschland wird besonders medial vermehrt auf Fälle kultureller Aneignung aufmerksam gemacht. Häufig ist nach der Thematisierung von kultureller Aneignung die Rede eines „Shitstorms“ auf beteiligte Personen, was impliziert, wie aufgeladen der gesellschaftliche Aushandlungsprozess in Bezug auf die Thematik ist. Bei kultureller Aneignung handelt es sich um einen Aspekt, der auf komplexe Prozesse zurückgeht, welcher unter anderem Fragen der Identität, Unterdrückung und Ungleichheit aufwirft. Damit bietet sich der Diskurs um kulturelle Aneignung an, um Elemente sichtbar zu machen, die Coopers Konzept der Organisationsprinzipien der Ungleichheit zu Grunde liegen.
Im Folgenden soll zunächst der Begriff der Aneignung betrachtet werden, um dessen konstitutiven Charakter zu veranschaulichen. Im Anschluss soll die Wirkungsweise von Organisationsprinzipien der Ungleichheit am Beispiel von kultureller Aneignung gezeigt werden.
Der Begriff der Aneignung wird in verschiedensten Kontexten verwendet. Er kann ein politischer, ein rechtlicher oder ein philosophischer Begriff sein (vgl. Zizek; Piepenbring 2020: 18). Aneignen bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch zunächst sich-etwas-zu-eigen-machen (ebd.). Wenn ein Individuum sich einen Gegenstand widerrechtlich aneignet, obwohl es Fremdeneigentum ist, kann der Aneignungsprozess allein durch die ausgeführte Handlung beschrieben werden (ebd.). Wird Aneignung nicht lediglich als (gewaltsame) Inbesitznahme betrachtet, lässt sich mit diesem Begriff hervorheben, dass sich das Subjekt etwas bereits Vorhandenes zu eigen macht, wenn es sich die Welt und sich selbst erschließt (vgl. Zizek; Kirchner 2020: 72). Der Begriff der Aneignung beinhaltet dann sowohl Aspekte der eigentätigen Konstruktion als auch der Rekonstruktion der physischen und sozialen Realität (ebd.).Im Prozess der Aneignung wird sich folglich einer Sache angeschmiegt und gleichzeitig wird der Sache ein Stempel aufgedrückt (ebd.).„Der unvermeidbare Eigenanteil im Aneignungsprozess bringt es also mit sich, dass die Aneignung des Fremden von der besonderen Situation und Verfasstheit des Subjekts abhängig ist […].“ (Zizek; Kirchner 2020: 72)
Wie die in der Einleitung erwähnten Beispiele verdeutlichen, werden zur Begründung der Kritik an kultureller Aneignung Kategorien wie die Ethnie, Geschlecht, „Rasse“ und Kultur herangezogen. Die Identifikation der Kategorien als Organisationsprinzipien der Ungleichheit erweist sich als äußert fruchtbar in Bezug auf Diskurse der kulturellen Aneignung.
Wird in dem in der Einleitung gegebenen Beispiel Ethnie als Organisationsprinzip von Ungleichheit identifiziert, kann daran die Zuteilung, der Einsatz, die Auswirkungen und die Geschichte von Machttechnologien sichtbar gemacht werden. Dadurch lässt sich ablesen, wie das Organisationsprinzip der Ethnie das soziale Leben und die institutionelle Praxis durchdringt. Auf diesen Punkt stützt sich die Kritik, dass Angehörige einer ethnischen Minderheit häufig nicht dieselben Chancen haben, um im Beispiel zu bleiben, einen Yoga-Kurs anbieten zu können oder ein Yoga-Studio zu eröffnen. Das sind „Effekte“, die sich durch die Wirkungsweise von Organisationsprinzipien erklären lassen. Während diese Feststellung eher auf Chancen(un)gleichheit beruht, lässt sich mit Coopers Konzeption zu Organisationsprinzipien der Ungleichheit noch ein weiterer Aspekt in Bezug auf die Kritik an kultureller Aneignung erklären. Dieser ist in der Verschränkung der Organisationsprinzipien mit sozialen Dynamiken begründet. Der Kapitalismus gibt vor, wie Angebot und Nachfrage den Markt regulieren. So könnte von Gegegner*innen angeführt werden, dass es gleichgültig wäre, ob ein Yoga-Kurs oder ein Kurs für „stretching for mental health“ angeboten würde, oder, um es überspitzt zu zeigen, eine deutsche Person ein Restaurant mit türkischer Küche oder ein Restaurant mit deutscher Küche eröffnen würde. In jedem Falle wären die Gesetze des Kapitalismus verantwortlich für den Erfolg oder Misserfolg konkurrierender Läden. Diese Art von Argumentation bedeutet, dass nicht die Ethnie „Schuld“ daran ist, wenn das Yoga-Studio einer indischen Person Konkurs geht, weil daneben ein günstigeres, von einer deutschen Person geleitetes, Yoga-Studio (oder Dehn-Studio) eröffnet hat, sondern eben die Regeln des Kapitalismus. Wird Kapitalismus als soziale Dynamik betrachtet, wie Cooper ihn verwendet, wird die Vorstellung der beiden Elemente als ineinandergreifende Schichten deutlich. Sowohl das Organisationsprinzip der Ethnie als auch der Kapitalismus sind sich abwechselnde Brennpunkte, die an der unterschiedlichen Argumentation in Bezug auf den Yoga-Kurs sichtbar werden. So kann in der Kritik an kultureller Aneignung Bezug auf die Chancenungleichheit genommen werden, oder die Problematiken des Kapitalismus betrachtet werden. Dabei wird besonders deutlich, wie das eine, das andere verschwimmen lässt. Für das Ergebnis, und das unterstreicht die Notwendigkeit der Kritik an kultureller Aneignung, sind beide Elemente Coopers Konzeption gleichermaßen verantwortlich.
Coopers Konzeption gibt einen analytischen Rahmen, der sich für die Untersuchung bestehender Ungleichheiten und Prozesse von Unterdrückung eignet. Wie die Analyse gezeigt hat, bietet sich die Konzeption an, um Techniken der Ungleichheit sichtbar zu machen, und dessen Verschränkung mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen und Dynamiken zu veranschaulichen. Cooper führt in ihrem Buch „Challenging Diversity“ und konkret in den hier vorgestellten Kapiteln drei und vier auf umfängliche Art und Weise die Komplexität um Diversität und dessen Problematiken aus. Die Konzeption, die sie daraus entwickelt, eignet sich, um gegebene Realitäten untersuchen zu können. Wie sich bereits im Rahmen des Seminars „Theorien der Diversität“ abgezeichnet hat, hat ihr Konzept allerdings Probleme, über eine Analyse gegebener Umstände hinaus einen Einfluss auf den Wandel von Ungleichheitsprozesse zu haben. So bleibt unklar, wie sich ihr Konzept für eine „Diversitätspolitik“, die den Anspruch hat, Ungleichheiten nachhaltig umzuwandeln, anwenden lässt. Wird ihre Anmerkung betrachtet, dass es sich bei der Gleichheit der Macht um einen ethischen oder politischen Leitfaden handelt, kann einschränkend hinzugefügt werden, dass es nicht Coopers Ziel gewesen sein muss, eine „Anleitung“ für eine sinnvolle Politik gegen Ungleichheiten zu liefern, sondern umfänglich auf Komplexitäten und Problematiken aufmerksam zu machen.
Cooper Davina 2004. Challenging Diversity: Rethinking Equality and the Value of Difference. Cambridge, Cambridge University Press.
Plikat Jochen 2021. Cultural appropriation - (k)ein Theme für die Fremdsprachendidaktik?. Dresden, Technische Universität.
Zizek Boris; Kirchner Anna Katharina 2020. Künstlerische Aneignung des Fremden am Beispiel von Eugène Delacroix` Marokko-Reise. In: Zizek Boris; Piepenbring Hanna N. (Hg.) 2020. Formen der Aneignung des Fremden. Heidelberg, Universitätsverlag Winter: 71-97.
Zizek Boris; Piepenbring Hanna N. 2020. Formen der Aneignung des Fremden aus interdisziplinärer Perspektive: Historisch, sozial- und erziehungswissenschaftliche Zugänge (Eine Einleitung). In: Zizek Boris; Piepenbring Hanna N. (Hg.) 2020. Formen der Aneignung des Fremden. Heidelberg, Universitätsverlag Winter: 7-27.