Eine zentrale Frage in der Debatte um Identitätspolitik ist, wie sich der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte rund um den Globus erklären lässt. Diesbezüglich lassen sich verschiedene Erklärungsansätze finden. Die Kritiker_innen der Identitätspolitik behaupten, die Linke selbst mit ihrer sogenannten Identitätspolitik sei Schuld, da das vermeintlich „eigentliche und universelle Subjekt des Arbeiters“ nicht mehr im Zentrum ihrer Politik steht. In dieser Argumentationslinie wird oft eine Komplizenschaft mit dem Neoliberalismus unterstellt, da sich die Identitätspolitiker_innen mit ökonomischen Gleichstellungen für Frauen* und PoCs begnügen würden. Auch begründen viele Kritiker_innen den rechten Aufstieg als nationale Gegenbewegung zur neoliberalen Globalisierung, von welcher sich viele abgehängt fühlen und keine Dividende mehr erwarten (Haruna-Oelker, Hadija, unser wiki). Die Frage, warum sich Menschen rassistischen beziehungsweise faschistischen Ideologien und Bewegungen anschließen, beschäftigte schon die frühe kritische Theorie am Institut für Sozialforschung (https://www.youtube.com/watch?v=m7SaXSWJ_V8)]] ). Zunächst entstehen die empirischen Forschungen Fromms über faschistische Einstellungen bei Arbeitern („Berliner Arbeiter und Angestellten Erhebung“) und die zusammen mit Horkheimer durchgeführten „Studien zu Autorität und Familie“ (Benicke 2012:11-13). Später entwickelt Adorno im amerikanischen Exil gemeinsam mit Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford die Studien zum autoritären Charakter. Die Erkenntnisse dieser Studien werden nachfolgend vorgestellt, um sie in einem zweiten Schritt zu prüfen, inwieweit Adornos Argumente für den gegenwärtigen Rechten Aufschwung noch zeitgemäß sind. Außerdem gilt es zu klären, ob für Adorno die Wahlmotive mit der Identitätspolitikkritik hinreichend begründet sind oder ob sich andere und abweichende Begründungen ergeben.
Die 1949/1950 in New York erschienen Studien zum autoritären Charakter versuchen auf empirischen Weg zu beantworten, warum sich Menschen rechten bzw. antidemokratischen Ideologien und Bewegungen anschließen. Hierbei geht es um das „potentiell faschistische Individuum“ (Adorno 2018: 1), da der Faschismus in den USA im Gegensatz zu Europa nicht ausgebrochen ist und die meisten Menschen nicht in faschistischen Organisationen tätig waren oder sind. Als die Studie vor Ende des zweiten Weltkriegs begann, erschien die Frage noch dringlicher, inwieweit eine faschistische Machtübernahme auch in den USA möglich ist (Benicke 2012: 14). Vor diesem Hintergrund formuliert Adorno einleitend folgende Forschungsfragen: „Wenn es ein potentiell faschistisches Individuum gibt, wie sieht es ,genau betrachtet, aus? Wie kommt antidemokratisches Denken zustande? Welche Kräfte im Individuum sind es, die sein Denken strukturieren?“ (Adorno 2018: 2). Hier steht nicht die Frage im Vordergrund, wie rechte Propaganda und Ideologien entstehen, sondern wie zu erklären ist, warum manche diesen Ideologien folgen und andere nicht (ebd.: 3). Deswegen wird eine Betrachtung der einzelnen psychologischen Struktur des Individuums nötig, denn
„Je nach dem individuellen Bedürfnis und dem Ausmaß, in dem dieses befriedigt wird oder unbefriedigt bleibt, haben sie (Propaganda und Ideologien) für die einzelnen Individuen verschieden starke Anziehungskraft“ (ebd.)
Gleichwohl kann die Empfänglichkeit bei ähnlicher oder gleicher Bedürfnisbefriedigung variieren. Dennoch hält Adorno den Zusammenhang von Ideologie und erlebtem für zentral, da jedes Individuum auf seine Erfahrungen mit der Welt unterschiedlich reagiert (ebd.: 5/7f.). Um psychischen Strukturen analysieren und interpretieren zu können, bedient sich Adorno der Psychoanalyse Freuds (Benicke 2012:3). Allerdings wird direkt zu Anfang die Relevanz gesellschaftlicher Strukturen betont, da das Individuum in diese eingebettet ist und Antisemitismus oder Faschismus als Teil eines gesellschaftlichen Systems funktionieren (Adorno 2018: 3/9f.).
Die Studie stellt auch einen Versuch einer „Quantifizierung antidemokratischer Trends auf der Ebene der Charakterstruktur“ (Adorno 2018:38) da. Eine solche Quantifizierung dient Adorno auch, um seine Annahmen und Erkenntnisse zu untermauern (Adorno 2018: 4). Um dieses Vorhaben umzusetzen wird ein dreigliedriger Fragebogen erstellt, welcher die potentiell faschistischen Individuen identifizieren soll. Der erste Teil bezog sich auf Fragen zur Person, während der zweite anhand von Skalen die Einstellung erfasste. Die Einstellungsskala besteht aus verschiedenen Aussagen, die von der Versuchsperson abgelehnt oder befürwortet werden können. Um als antidemokratisch eingestuft zu werden, muss die Versuchsperson der Mehrzahl der Aussagen zustimmen (Adorno 2018: 18/21). Deswegen werden potentiell faschistische Versuchspersonen als H (da hohe Punktwerte auf der Skala) und potentiell nicht-faschistische als N (niedrige Punktwerte) bezeichnet. Im dritten Teil des Fragebogens sollten offene Fragen Wertvorstellungen und Konflikte offenlegen (Adorno 2018: 22). Als Versuchsgruppe wurden zunächst College Student_innen ausgewählt, dann verschiedene Erwachsene mit möglichst unterschiedlichem gesellschaftlichen Hintergrund. Insgesamt gab es 2099 Fragebögen (Adorno 2018: 25ff.). Allerdings wurden die Fragebögen lediglich als Erhebung der öffentlichen Meinung bezeichnet, dass genaue Forschungsvorhaben erfuhren die Versuchspersonen nicht (Adorno 2018: 20/32f.).
In einem zweiten Schritt wurden dann die 25 Prozent mit den höchsten und 25 Prozent mit den niedrigsten Punktwerten auf den Skalen für Leitfadeninterviews ausgewählt. Ihr Hintergrund wurde dabei nicht berücksichtigt. Es wurde ihnen allerdings nur gesagt, dass die Forscher_innen mit ihnen genauer über ihre Überzeugungen sprechen würden (Adorno 2018: 34f.). Im Interview sollen die vergangene und derzeitige Situation und ihre diesbezüglichen Gefühle, Wünsche, Abwehrmechanismen und Ängste ermittelt werden. Es werden Fragen zu soziale Beziehungen, der Kindheit und gesellschaftlichen Themen gestellt (Adorno 2018: 16f./23) .Eine weitere angewandte Methode, mit welcher versucht wurde um Wünsche und Ängste aufzudecken, ist der sogenannte Thematic Apperception Test. (Adorno 2018: 23f.). Die Interviews sollten den Beweis für die Einordnung im Fragebogen bereitstellen, wenngleich nicht bei jeder Versuchsperson die Einordnung im Fragebogen den des Interviews entspricht (Adorno 2018: 21/47ff.).
Allerdings entwickelte sich das Forschungsdesign innerhalb des Forschungsprozesses. So wurde der Fragebogen immer wieder an die Ergebnisse aus den Interviews angepasst und die Interviewfragen auf den Fragebogen abgestimmt (Adorno 2018: 22ff.). Durch dieses Vorgehen wird im Forschungsprozess auf Grundlage der bisherigen Ergebnisse entsteht die für die Studien zum autoritären Charakter so ausschlaggebende F-Skala (Faschismus-Skala). Sie wurde vor allem aus dem Material entwickelt, wenn Versuchspersonen im Interview über mit den Vorurteilen in Verbindung stehenden persönlichen Aspekten sprachen, wie etwa persönliche Werte, Familie zwischenmenschliche Beziehungen oder Sexualität. Dadurch sollten auf psychologischer Ebene faschistische Züge gemessen werden (Adorno 2018: 18/37ff./41). Zudem wurde auch die F-Skala selbst nach empirischer Erprobung verändert und verbessert (Adorno 2018: 71ff.). Eine Besonderheit der F-Skala besteht darin, dass sie Vorurteile misst, ohne das dies den Befragten offenbart wird und ohne, dass Minderheiten explizit genannt werden beziehungsweise eine direkte Verbindung erkennbar ist (Adorno 2018:37/39). Verdeckte Aussagen und Fragen zielen darauf nicht nur die oberflächlichen, sondern die Verborgenen und latenten, gewissermaßen die „wirklichen“ Einstellungen der Individuen zu ergründen (Adorno 2018:38/46). Außerdem werden verdeckte Aussagen benutzt, weil einerseits aus psychoanalytischer Sicht die Einstellungen der Individuen tatsächlich im Unbewussten liegt und dadurch zu wage sind, um bewusst artikuliert werden zu können. Andererseits können aufgrund des gesellschaftlichen Klimas offen faschistische Haltungen nicht immer zugegeben werden (Adorno 2018: 5/20). Mit der F-Skala wird ein „Schablonendenken“ sichtbar, auch bei Versuchspersonen die keine Feindseligkeit gegenüber Minderheiten äußern (Adorno 2018:39). Die F-Skala besteht aus neun Variablen, die Adorno kurz wie folgt beschreibt:
a) Konventionalismus. Starre Bindung an die konventionellen Werte des Mittelstands. b) Autoritäre Unterwürfigkeit. Unkritische Unterwerfung unter idealisierte Autoritäten der Eigengruppe. c) Autoritäre Aggression. Tendenz nach Menschen Ausschau zu halten, die konventionelle Werte mißachten, um sie verurteilen, ablehnen und bestrafen zu können. d) Anti-Intrazeption. Abwehr des Subjektiven, des Phantasievollen, Sensiblen. e) Aberglaube und Stereotypie. Glaube an die mystische Bestimmung des eigenen Schicksals; die Disposition, in rigiden Kategorien zu denken. f) Machtdenken und „Kraftmeierei“. Denken in Dimensionen wie Herrschaft – Unterwerfung, stark – schwach, Führer – Gefolgschaft; Identifizierung mit Machtgestalten; Überbetonung der konventionalisierten Attribute des Ich; übertriebene Zurschaustellung von Stärke und Robustheit. e) Destruktivität und Zynismus. Allgemeine Feindseligkeit, Diffamierung des Menschlichen. h) Projektivität. Disposition, an wüste und gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben; die Projektion unbewusster Triebimpulse auf die Außenwelt. i) Sexualität. Übertriebene Beschäftigung mit sexuellen „Vorgängen“. (Adorno 2018: 45)
Die verschiedenen Aussagen des Fragebogens beziehen sich auf mindestens eine dieser Variablen. Allerdings werden die Variablen in den Sätzen für die Versuchsperson nicht sichtbar, noch sind die Sätze nach Variable geordnet (Adorno 2018: 20/41/46). Zudem gilt als Maßgabe für die Sätze, dass sie weder zu abstrakt noch zu evident in Bezug auf gesellschaftliche Bedingungen formuliert sein dürfen (Adorno 2018: 62/76).
Des Weiteren wird an der F-Skala ein zentrales Konzept der Studie deutlich. Zwar steht jede einzelne Variable in Zusammenhang mit faschistischen Einstellungen, die Denkstruktur des potentiell antidemokratischen Individuums lässt sich allerdings nur erkennen, wenn die Sätze und Variablen miteinander in Verbindung gesetzt werden (Adorno 2018: 48). So können Versuchspersonen erst einer Variable zugeordnet werden, wenn sie mehreren Sätzen dieser Variable zustimmen. Potentiell faschistische Gefolgschaft kann dann erst angenommen werden, wenn bei vielen Variablen ein hoher Punktwert erreicht wird (Adorno 2018: 48/62f.). Folglich wird auch immer „eine bestimmte Meinung auf ihre Relation zu anderen Meinungen“ (Adorno 2018: 18f.) untersucht. Dieses Forschungsvorgehen deckt sich mit der Konzeption eines autoritären Charakters. Für Adorno entstehen Ansichten und Überzeugungen einer Person aus einem bestimmten übergeordneten Denkmuster, bilden ein „organisiertes Ganzes“ (Adorno 2018: 4). Deshalb verdichten sich die Variablen zu einem Syndrom als mehr oder minder feste Struktur im Individuum, einem Charakter, der es für Faschismus anfällig macht (Schwandt 2010: 77). Insofern wird auch angenommen, dass autoritäre Charakter sehr viel Gemeinsam haben (Adorno 2018: 1f./312).
Durch die Fragestellung bedingt, steht der potentielle H im Vordergrund der Studie. (Adorno 2018: 159f.). Somit beschreibt Adorno immer wieder anhand des erhobenen Materials verschiedene Anschauungen, Einstellungen und Handlungen – sprich die oben schon erwähnten Syndrome - des potentiell faschistischen Charakters. Ein zentraler Aspekt ist das gleichzeitige Bedürfnis nach Unterwerfung und Herrschaftswille. Die Bereitschaft sich zu Unterwerfen entsteht, wenn das Individuum mit gesellschaftlichen Realitäten konfrontiert wird. Hier müssen rebellische Impulse unterdrückt und verdrängt werden, weswegen sie zu einem Übermaß an Dankbarkeit und Gehorsam umschlagen (Adorno 2018: 50). Die Feindschaft gegenüber den herrschenden Autoritäten löst sich allerdings nicht auf, sondern wird auf eine Gruppe projiziert, die dem Individuum als Schwächer erscheint und mit welcher es sich nicht identifiziert (Adorno 2018: 323). Die eigenen versagten Bedürfnisse werden einer Fremdgruppe zugeschrieben und scharf verurteilt (Adorno 2018: 60). Wer sich immer einschränken und unterwerfen musste, hasst es um so mehr, wenn andere es nicht tun und sich auflehnen (Adorno 2018: 50). Die Missachtung wird aktiv gesucht, da so der Fehler bei anderen ausgemacht werden kann (Adorno 2018: 52). Herrschende gesellschaftliche Ideologien – wie etwa Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus – bieten hier den idealen Nährboden für Projektionen und gleichzeitig noch eine moralische Rechtfertigung (Adorno 2018: 51f.). Sie stellen das psychische Gleichgewicht durch Übertragung auf Schwächere wieder her und rationalisieren parallel die Triebe, indem sie sie an die Gesellschaft anpassen (Adorno 2018: 205f./Schwandt 2010: 79). Beispielsweise schlägt die Unterdrückung eigener sexueller Triebe in ein Strafbedürfnis bei Überschreitungen sexueller Normen um oder die Aggression, die das Individuum selbst hegt, wird einer Fremdgruppe vorgeworfen (Adorno 2018: 61). Für Adorno kommen dadurch Masochismus und Sadismus zusammen. Es entsteht eine „Gleichzeitigkeit von blindem Glauben an die Autorität und der Bereitschaft anzugreifen, was Schwach erscheint und gesellschaftlich als „Opfer“ akzeptabel ist. (Adorno 2018: 323). Zudem wird am Material deutlich, dass die Ablehnung einer bestimmen Gruppe meist mit der Ablehnung anderer Gruppen einhergeht (Adorno 2018: 12).
Zudem nutzt der autoritäre Charakter Projektionen um sich seine Umwelt begreiflich zu machen. Die Schwierigkeiten der Individuen die komplexen ökonomischen Prozesse einzuschätzen und in Einklang mit persönlichen Erfahrungen zu bringen, lassen sie nach Orientierungsmöglichkeiten suchen. Projektionen als Orientierung helfen dem Individuum in einer „kalten, entfremdeten und weiterhin unverständlichen Welt“ (Adorno 2018: 109) einen Standpunkt zu beziehen und eigene Ängste abzuschwächen. Allerdings betont Adorno ausdrücklich, dass eine solche Wahrnehmung der Gesellschaft keineswegs selbst imaginierte Projektion ist, sondern die Realität im Spätkapitalismus widerspiegelt (Adorno 2018: 56). Es ist vielmehr die Schlussfolgerung aus dieser Realität, welche den autoritären Charakter zur_zum potentiellen Faschist_in werden lässt. Er_Sie zieht einfache Erklärungen vor, da aufgrund seiner psychischen Struktur die Interpretation einer widersprüchlichen Welt mit Angst besetzt ist (Adorno 2018: 55). Dies führt auf der Suche nach Orientierung zum sogenannten Ticket-Denken (Schwandt 2010: 79f.). Im Ticket-Denken eint sich erneut das oben schon angedeutete Denkschema von Stereotypie und Personalisierung. Bei der Stereotypie wird als Erklärung für komplexe Gemengelagen oder Probleme auf gesellschaftlich angebotene Tickets zurückgegriffen: „Man löst eine (geistige) Fahrkarte für ein von anderen bereitgestelltes Erklärungsmuster und spring sozusagen als Passagier auf einen Fahrenden Zug auf“ (Schwandt 2010: 80). Die Personalisierung bietet die Möglichkeit eigene Wünsche und politische Ideen einer Autorität, dem „starken Mann“ anzuvertrauen (Adorno 2018: 196f.). So kann Personalisierung der genaue Gegensatz zur gesellschaftlichen Entfremdung: sie „bietet Ersatz für die Entmenschlichung der gesellschaftlichen Sphäre“ (Adorno 2018: 199). Die auf eine Person projizierte Allmacht kompensiert hier die eigene Ohnmacht (Adorno 2018: 199). Jedoch bleibt die Welt durch Stereotypie und Personalisierung ebenso abstrakt wie zuvor, ist für ihre Realität unzureichend und geht dem konkreten aus dem Weg. Die wirkliche Welt – welche durch Eigentumsverhältnisse bestimmt ist – wird zur „“nichterlebten“ Welt“ (Adorno 2018: 191). An Stereotype und Personen geklammert, wird jede wirkliche Erfahrung verhindert (Adorno 2018: 190).
Des Weiteren kann aus den gesellschaftlichen Entfremdungen und Zwängen eine Kluft zwischen wirklichem und vorgegebenem Denken entstehen (Adorno 2018: 199). Das Vorgegebene passt sich oft an gesellschaftlich als opportun angesehene Auffassungen an (Adorno 2018: 204). Diese Abweichungen des autoritären Charakters zwischen oberflächlicher und wirklicher Meinung – die auch der F-Skala zu Grunde liegen - bezeichnet Adorno als pseudokonservativ, wobei pseudokonservativ hier im Sinne von pseudodemokratisch zu verstehen ist (Adorno 2018: 205). Solche Abweichungen spiegeln sich im Innenleben der Pseudokonservativen:
„Die dem Pseudokonservatismus entsprechende psychische Struktur ist Konventionalität und autoritäre Unterwürfigkeit in der bewussten Sphäre, begleitet von Gewalttätigkeit, anarchistischen Impulsen und chaotischer Destruktivität in der Unbewußten“ (Adorno 2018: 205)
Die Machtlosigkeit gegen die durch den Kapitalismus auferlegten Verzichte in der jetzigen Demokratie, wandelt sich in gewaltbereite Ablehnung gegen die Demokratie selbst (Adorno 2018: 209/221). Liberale oder konservative Forderungen werden nur als Schleier für aggressive Bedürfnisse genutzt (Adorno 2018: 206). Der Regierung oder dem Staat wird das vorgeworfen, was sich eigentlich zutiefst gewünscht wird: Der Regierung wird zu viel Macht und Einfluss unterstellt während gleichzeitig ein starker Anführer verlangt wird. Diese paradoxe Logik zeigt sich besonders drastisch in antisemitischen Stereotypen und Handlungen (Adorno 2018: 219). Soziale Kontrolle wird angeprangert, aber gleichzeitig gewünscht, solange es die „richtigen“ machen (Adorno 2018: 222).
Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass wirtschaftliche Motive nicht die entscheidende Rolle bei der Anfälligkeit spielen, da Menschen mit gleichen ökonomischen Ressourcen nicht immer als H oder N eingeordnet wurden (Adorno 2018: 10/309). Vielmehr wurde deutlich, dass sich Menschen oft nicht nach ihren wirtschaftlichen Interessen verhalten, obwohl manchmal klar ist, wo die Interessen liegen (Adorno 2018: 11). Die H sprachen sich unabhängig ihres ökonomischen Hintergrundes in großer Mehrzahl gegen wirtschaftliche Interventionen des Staates und für freie Konkurrenz aus (Adorno 2018: 210f./252/257).
Für Adorno lässt sich dieses Resultat nur mit Blick auf die Charakterstruktur des potentiell antidemokratischen Individuums erklären (Adorno 2018: 12). Der autoritäre Charakter denkt infolge von Projektionen in Kategorien wie stark-schwach, Eigen - Fremdgruppe oder Gewinner_innen – Verlierer_innen. Das Schema deckt sich mit den Erzählungen eines ungezügelten Kapitalismus: Die die sich wirklich reinhängen und alles geben, immer „hart genug“ arbeiten und bereit sind sich gegen Schwächere durchzusetzen, werden am Ende belohnt. In dieser Logik können sich Unterwerfungswille und Strafbedürfnis gleichsam entfalten. Die wirtschaftlich stärksten werden als Autorität anerkannt, da ihr Besitz sie zur Macht berechtigt (Adorno 2018: 219f.). Andererseits produziert vor allem ein ungezügelter Kapitalismus ökonomisch Schwächere, an welchen sich der Frust entladen kann. Auch hier entlädt sich die Selbstverachtung im Hass gegen andere (Adorno 2018: 238). Erneut wird dasjenige, was dem Individuum versagt blieb, auf andere projiziert und ihnen vorgeworfen (Adorno 2018: 238). Die wirtschaftlich Schwachen werden zu schuldigen gemacht (Adorno 2018: 253). Da der autoritäre Charakter für sein psychischen Gleichgewicht solche Projektionsflächen benötigt, erklärt sich auch seine Ablehnung gegen sozialdemokratische Wirtschaftsprogramme. Diese Programme könnte etwa auch die begünstigen, die nicht wirklich „hart genug“ arbeiten, wie es im Material den Gewerkschaften vorgeworfen wird (Adorno 2018: 250f./258f.). Wenn zumindest formal allen geholfen werden soll, dann auch den Schwachen, der Fremdgruppe und den Verlierer_innen. Es dürfen aber genau nicht alle schaffen können, es bedarf eine ökonomische Trennlinie, damit der autoritäre Charakter seine Projektionen aufrecht erhalten kann.
Medien Beispiele sind „Schrei nach Liebe“ Ärzte, für Wiki (Schwandt 2010: 79)
Zudem ist es für Adornos Konzeption der autoritären Persönlichkeit zentral, gesellschaftliche Strukturen in den Blick zu nehmen. Diese Strukturen schaffen ein „allgemeines kulturelles Klima“ (Adorno 2018: 176), welches sozusagen Tickets bereitstellt, die dann von den Individuen aufgegriffen und genutzt werden (Adorno 2018: 307). Das die Einstellung der Individuen auf gesellschaftliche Bedingungen zurückzuführen ist, beweist nach Adorno auch seine Studie. Die im Material geäußerten Stereotype und Haltungen sind eben keine individuell konstruierten, sondern entsprechen immer den gesellschaftlich präsenten (Adorno 2018: 176). Außerdem spiegelt sich die totale Struktur der Gesellschaft auch im psychischen Schema des autoritären Charakters, denn es
„ist dabei kein individuell zufälliges, sondern Produkt der zunehmenden Vergesellschaftung und Endindividualisierung des Einzelnen durch direkte ökonomische Zwänge und seine zunehmende Abhängigkeit von Märkten, staatlichen Verwaltungsapparaten und den Einflüssen der Kulturindustrie“ (Schwandt 2010: 79)
Somit ist standardisiertes Denken Ausdruck einer standardisierenden Welt (Adorno 2018: 176). Diese Standdadisierung begünstigt wiederum den Hang in Stereotypen zu denken:
„Je mehr das Leben selbst stereotypisiert wird, desto mehr fühlt sich der Stereopath im Recht, sieht er seine Denkmuster durch die Realität bestätigt“ (Adorno 2018: 190)
Adorno geht soweit festzuhalten, zu er Aufgrund der totalen gesellschaftlichen Struktur stereotypes denken für beinahe unvermeidlich hält (Adorno 2018: 190). Dem Zwang der Gesellschaft kann sich das Individuum nur unterordnen, wenn es daran gefallen findet, wodurch der Masochismus auch auf gesellschaftlicher Ebene relevant wird. Dieser sei „Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung“. Masochismus als auch Sadismus können in der gegenwärtigen Gesellschaft gleichsam gut ausgelebt werden (Adorno 2018: 323). Letztlich steht der betont gesellschaftliche Ansatz aber in keinem Widerspruch zum Forschungsanliegen, da es darum geht zu ergründen warum manche sich einer faschistischen Bewegung anschließen würden, andere aber nicht (Adorno 2018: 313).