Innerhalb der konstruktivistischen Grounded Theory Methode stoßen die Forschende ständig an Momente, in dem eine Entscheidung getroffen werden muss. Die konstruktivistische Grounded Theory Methode selbst trägt die Forschende auf, zu entscheiden. Diese These wollen wir mit einigen Beispielen erklären. Wir werden nachfolgend einige zentrale Leitlinien der konstruktivistischen Grounded Theory Methode aus dieser Annahme und vorschlagen, inwiefern den Begriff von dem Moment des Entscheidens polarisiert wird.
Beim Kodieren1) geht es darum, die Daten zu interpretieren, um Code daraus zu erschaffen. Das Entscheiden steht im Hintergrund: Zwar geht es darum, die Daten zu verstehen, das Geschehnis zu analysieren; Ziel ist aber das Wesentliche herauszufinden (vgl. Charmaz, 2014: 135). Dafür soll man irgendwann entscheiden, was für uns als das Wesentliche erscheint. Dies kann in diesem Fall unbewusst sein: Das Entscheiden wird von dem sozialen Hintergrund der Forschenden gemischt, kontaminiert. Eine saubere Erscheinung des Entscheidens tritt beim fokussierten Kodieren 2) auf (ebd.: 138ff.). Im Fall geht es darum, einen bestimmten Code zu wählen, mit welchem wir die kodierten Daten neu ansehen werden. >„Focused coding involves making decisions, but these decisions are tentative, not binding.“ (Charmaz, 2014: 144) Diese Schritte kann man mit verschiedenen Codes iterativ wiederholen.
Das Entscheiden in Bezug auf dem theoretischen Sampling3) erkennen wir erstens vor der Anwendung dieser Methode: Nämlich wird das theoretische Sampling angewendet, sobald man eine bestimmte Richtung in der Forschung erkunden und erforschen will. Dafür muss man sie auserwählt haben.
Bei der Anwendung des theoretischen Sampling spielt neuerdings das Entscheiden eine Rolle. Da der Forschende an Informationen mangelt, kann es sein, dass er nicht weiß, was für neue Informationen er durch das theoretische Sampling herausfinden kann. Der Forschende stößt nämlich an Lücke innerhalb der Kategorien (ebd.: 206), deren Anwesenheit manchmal wahrnehmbar ist, aber gegenwärtig unerklärbar oder deren Fülle mehr oder weniger unvorhersehbar ist. In diesem Fall soll der Forschende entscheiden, wo genau er diese potentielle Information verfolgen will, wie (Bevölkerung, Ort, art und Weise, usw.) er das theoretische Sampling durchführen will, um diese Lücke in der Kategorie zu integrieren.
Letztendlich wird das theoretische Sampling iterativ durchgeführt, solange der Forschende noch nicht seine Kategorie besättigt hat.
„Carolyn Wiener (2007) clearly states that saturation4) is a judgment, but also takes into account the situation of research, including running out of time or money (p.306)“ (Charmaz, 2014: 214).
Eine Kategorie wird nie die Wahrheit entsprechen: Dies ist aber nicht ihre Aufgabe oder Bestimmung. Eine Kategorie wird nämlich in der konstruktivistischen Grounded Theory Methode als konstruiert angesehen. Infolgedessen kann man an keinem teleologischen idealen Form einer Kategorie stoßen. An der Stelle einem linearen teleologischen Weg der Forschung, setzt sich die konstruktivistische Grounded Theory Methode für eine Herangehensweise ein, den von dem Entscheiden geprägt ist. Eine Kategorie wird nämlich strapazierfähig, nicht wenn sie die Wahrheit am nächsten genährt haben wird, sondern wenn die Forschende entschieden haben werden, dass diese Kategorie besättigt wird. Bowen spricht nämlich von Samplingsangemessenheit (sampling adequacy), in dem die Kategorie nur besättigt werden kann, wenn sie zu dem erhobenen Sample angemessen ist (ebd.: 214).
Beim theoretischen Sortieren5) versucht man eine Logik aus allen Memos, Kategorien, Erklärungen und andere Verständnisse aufzustellen. Verschiedene Logiken können aber zu den Daten passen. Beim theoretischen Sortieren geht es darum, zu organisieren, zu integrieren. Dafür sollen die Forschende verschiedene Erklärungsweise probieren und eine von den wählen, diejenige die am besten zur Situation zutrifft:
„Try several different sortings and think through each portrays your analysis.“ (Charmaz, 2014: 217)
Das Vergleichen erscheint bei Charmaz als Leitlinie alle Begriffe der konstruktivistischen Grounded Theory Methode. Daten sollen mit anderen Daten verglichen werden (ebd.: 120,132), mit Codes (ebd.: 143), Codes sollen miteinander verglichen werden (ebd.: 140) und so geht es weiter innerhalb der Memos6) (ebd.: 191) zwischen den Memos (ebd.: 217) und zwischen den Kategorien (ebd.: 216), um ein theoretisches Sortieren fertigzustellen.
Die Vergleichungsmöglichkeiten sind aber zu hoch, um alle probieren zu können. Die Forschende sollen dann einige Entscheidungen treffen, welche Vergleichungen er durchführen will.
Sowohl bei dem Vergleichen als auch bei allen anderen Begriffen verzichtet Charmaz darauf, eine teleologische Wahrheit durch die konstruktivistische Grounded Theory Methode zu erreichen. Im Gegensatz dazu schwebt deswegen die Forschung in einem kontingenten konstruierten Wissensraum, welcher von der Strapazierfähigkeit, der Sättigung, der Logik und Angemessenheit, der Näherung an der Daten und der Einbindung der Forschenden geleitet ist. Da dieser Raum nicht linear und unendlich erforschbar wäre, müssen dadurch die Forschende Entscheidungen treffen, um einige Richtungen zu vertiefen.
Charmaz spricht übrigens für das theoretische Spiel:
„Theoretical playfulness allows us to try out ideas and to see where they may lead.“ (Charmaz, 2014: 137).
Charmaz, K., (2014). Constructing Grounded Theory. 2. Auflage. London: Sage.