Auf Grundlage ausgewählter Literatur gibt dieses Wiki einen Einblick in Schwarzen Feminismus als Kritische Sozialtheorie. Der Fokus liegt hierbei auf der Unterdrückung sowie dem Widerstand Schwarzer afrikanisch-amerikanischer Frauen in Form des Black Feminist Thought. Des Weiteren wird ein kurzer Einblick in queerfeministische Kritische Theorien von Judith Butler und Theodor W. Adorno gewährleistet.
Kritische Sozialtheorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie bestimmte soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der Vergangenheit abgelehnt haben und gleichzeitig ihren Nutzen und ihre Wichtigkeit für die Gegenwart begründen (vgl. Hill Collins 2023: 121). Eine Kritische Theorie ist daher nicht als starr zu begreifen, sondern als ein dynamischer und wandelbarer Prozess, welcher „sich an gesellschaftlichen Problemkonstellationen und Fragestellungen bildet, die ihrerseits in gewandelten Formen und historisch veränderten Kontexten wiederkehren“ (Stögner 2022: 12).
Eine tiefergehende Einführung in die Kritik ist hier zu entnehmen, während ein umfassenderer Einblick in die Kritische Theorie in diesem Wiki gewährleistet wird. Des Weiteren soll an dieser Stelle auf weitere interessante thematisch weiterführende, vertiefende bzw. angrenzende Beiträge verwiesen werden:
Patricia Hill Collins ist eine US-amerikanische Soziologin, welche die Stellung afrikanisch-amerikanischer Frauen erforscht. Unter anderem ihr Buch Black Feminist Thought dient als wichtige Grundlage für die folgenden Ausführungen. In diesem Buch geht Hill Collins auf die Unterdrückung und den Widerstand Schwarzer afrikanisch-amerikanischer Frauen ein. Im Zuge der Unterdrückung wurden die Ideen, Arbeiten und Gedanken Schwarzer afrikanisch-amerikanischer Frauen „weggeworfen“, was dazu führte, dass Schwarze afrikanisch-amerikanische Frauen und ihre Ideen, Arbeiten und Gedanken durch diese Unterdrückung unsichtbar wurden. Der Schwarze Feminismus fordert unter anderem diesen Schwarzen Frauen sowie deren „weggeworfenen“ Ideen, Arbeiten und Gedanken Aufmerksamkeit zu gewähren (vgl. Hill Collins 2000: 2f.).
Eine wichtige Person für den Schwarzen Feminismus ist unter anderem Maria W. Stewart. In den 1830er Jahren machte Stewart darauf aufmerksam, dass Unterdrückung aufgrund von Ethnizität, Geschlecht und Klasse fundamental für die Armut Schwarzer Frauen verantwortlich ist. Stewart setzte sich zudem dafür ein, dass die Gemeinschaft Schwarzer Frauen für Aktivismus und Selbstbestimmung gefördert wird (vgl. Hill Collins 2000: 1). Durch diese Gemeinschaft wurde es möglich, dass das Bewusstsein der Unterdrückung (durch das Teilen von diskriminierenden, unterdrückenden Erfahrungen) immer größer wurde (vgl. The Combahee River Collective 1977: 273).
“As black women we see black feminism as the logical political movement to combat the manifold and simultaneous oppressions that all women of color face”(The Combahee River Collective 1977: 271).
Kennzeichnend für den Schwarzen Feminismus ist die Dialektik von Unterdrückung und Aktivismus, welche die Ideen und Aktionen Schwarzer Frauen beeinflusst (vgl. Hill Collins 2000: 12).
Die Unterdrückung der afrikanisch-amerikanischen Frauen umfasste drei unabhängige Dimensionen.
Dieses System der Unterdrückung hatte zum Ziel, die Ideen Schwarzer Frauen aus der Wissenschaft herauszuhalten, um somit die Interessen und Weltsichten elitärer weißer Männer zu schützen (vgl. Hill Collins 2000: 5). Dadurch, dass westliche Wissensprojekte die Wissenschaft dominieren und somit die Grenzen von Theorien bestimmen, wird eine „[f]alsche Universalität des Weißseins als normalisier[ter] Standard“(Hill Collins 2023: 142) vermittelt und rassistische Hierarchien reproduziert (vgl. ebd.: 127).
Wie die vorhergegangenen Zitate passend ausdrücken, sind Schwarze afrikanisch-amerikanische Frauen in einer Position, in welcher diese gegen mehrere Unterdrückungen simultan ankämpfen müssen. Dies verdeutlicht, in welcher „geschwächten“ Position sich Schwarze afrikanisch-amerikanische Frauen wiederfinden. Schwarzer Feminismus übt Kritik am Weißen Feminismus, denn dieser beinhaltet lediglich die Sichtweisen weißer Frauen aus der Mittelklasse und unterdrückt damit die Arbeiten und Lebensrealitäten Schwarzer Frauen (vgl. Hill Collins 2000: 6).
“For African-American women, critical social theory encompasses bodies of knowledge and sets of institutional practices that actively grapple with the central questions facing U.S. Black women as a collectivity. The need for such thought arises because African-American women as a group remain oppressed within a U.S. context characterized by injustice. This neither means that all African-American women within that group are oppressed in the same way, nor that some U.S. Black women do not suppress others. Black feminist thought’s identity as a “critical” social theory lies in its commitment to justice, both for U.S. Black women as a collectivity and for that of other similarly oppressed groups.” (Hill Collins 2000: 9).
Kritische Sozialtheorien unterdrückter Gruppen zielen darauf ab, vorherrschende soziale und ökonomische Ungleichheiten aufzuzeigen sowie einen Weg aus diesen Ungleichheiten zu gewährleisten. US-amerikanische Schwarze Frauen haben mit dem Schwarzen Feminismus einen Weg gefunden, dieser Unterdrückung entgegenzuwirken, obwohl - oder vielleicht genau weil - die Formen der Ideen und Gedanken aus dem Schwarzen Feminismus von standardisierter akademischer Theorie abweichen (vgl. ebd.).
Historisch gesehen förderten zwei Faktoren die Kritische Sozialtheorie der US-amerikanischen Schwarzen Frauen.
„But her work of caring for White women allowed her an insider’s view of some of the contradictions between White women thinking that they are running their lives and the patriarchal power and authority in their households.“ (ebd.: 11).
Ein wichtiger Bestandteil des Schwarzen Feminismus ist die Dekonstruktion des Begriffs „intellektuell“. Viele Frauen, die wichtige Beiträge zum Schwarzen Feminismus geleistet haben, sind nicht in den akademischen Kontext einzuordnen. Einige von ihnen, wie unter anderem Sojourner Truth konnten weder schreiben noch lesen und gelten dennoch als intellektuelle Frauen. Truth gelingt es in ihrer Rede zudem das Konzept Frau als kulturell konstruiert zu enthüllen, welches nicht für alle Frauen gleich gilt, sondern ideologisch und kulturell konstruiert ist (vgl. Hill Collins 2000: 15). „By deconstructing the concept woman, Truth proved herself to be a formidable intellectual.”(ebd.).
„Thus Black feminist thought as critical social theory aims to aid African-American women’s struggles against intersecting oppressions.“ (Hill Collins 2000: 32).
1. Schwarzer Feminismus zeichnet sich durch die dialektische Beziehung der Unterdrückung und des - aus dieser Unterdrückung resultierenden - Aktivismus Schwarzer Frauen aus (vgl. Hill Collins 2000: 22).
2. Die Verknüpfung zwischen dem Handeln und dem Denken einer individuellen Schwarzen Frau kann die Erfahrungen von Schwarzen Frauen als Gruppe charakterisieren (vgl. ebd.: 25). Selbst wenn die Frauen nicht dieselben Erfahrungen machen, so ist doch eine „schwarze feministische Sensibilität“ (ebd.: 26) zu erkennen. Diese Sensibilität zeigt sich dadurch, dass die Frauen erkennen, dass sie einer Gruppe angehören, welche sehr verletzlich und prädestiniert für Rassismus, Misogynie und Armut ist (vgl. ebd.).
3. Die dialogische Beziehung, welche die Verbindung zwischen den Erfahrungen Schwarzer Frauen als heterogenes Kollektiv und dem daraus resultierenden Gruppenwissen darstellt, ist ebenfalls kennzeichnend für den Schwarzen Feminismus. Eine dialogische Beziehung führt sowohl auf der individuellen als auch auf der kollektiven Ebene dazu, dass sich Handeln und Denken gegenseitig beeinflussen. Veränderungen im Denken können zu Änderungen im Handeln führen und veränderte Erfahrungen können wiederum ein verändertes Bewusstsein fördern (vgl. ebd.: 30).
4. Schwarze intellektuelle Frauen sind wichtig und kennzeichnend für den Schwarzen Feminismus. Die Erfahrungen afrikanisch-amerikanischer Frauen bieten Sichtweisen, die Personen außerhalb dieser Strukturen nicht erhalten, wodurch ihnen eine kritische Innensicht der Unterdrückung möglich ist (vgl. ebd.: 35). „Black women must be in charge of Black feminist thought, but being in charge does not mean that others are excluded.” (ebd.: 18).
5. „U.S. Black women still do a remarkable share of the emotional nurturing and cleaning up after other people, often for lower pay. In this context, the task for contemporary Black feminist thought lies in explicating these changing relationships and developing analyses of how these commonalities are experienced differently” (ebd.: 40). Dieses Zitat verdeutlicht, dass sich verändernde Bedingungen dazu beitragen, dass Schwarzer Feminismus dynamisch ist und sich mit der Zeit entsprechend verändert/ anpasst (vgl. ebd.: 39).
6. Ein wichtiges Prinzip des Schwarzen Feminismus ist das Einstehen für soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde und Empowerment (vgl. ebd.: 41).
Alexandra Colligs greift in ihrem Werk Zwei Formen der Kritik an Identität. Zum Verhältnis von Kritsicher Theorie und Queerfeminismus zwei Theorien auf und setzt diese miteinander ins Verhältnis. Diese Theorien befassen sich mit der Kategorie Geschlecht, zeigen die Konstruiertheit von Geschlecht (-sidentität) und üben Kritik am sprachlichen Identitätsbegriff (vgl. Colligs 2022: 225).
Die Theorien, welche Colligs in ihrem Werk behandelt, stammen von Judith Butler und Theodor W. Adorno. Judith Butler gilt durch ihr Buch Das Unbehagen der Geschlechter, welches die Kategorie der (Geschlechts-) Identität problematisiert, als Mitbegründerin des Queerfeminismus (vgl. ebd.: 225). Auch Theodor W. Adorno, welcher als Hauptvertreter der Frankfurter Schule und der Kritischen Theorie gilt, trifft wichtige Überlegungen zur Identität. Bei beiden Theorien befassen sich mit der sprachlichen Produktion von Identitäten, welche als Ausgangspunkt für die Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse genommen wird (vgl. ebd.: 234). Sowohl Butler als auch Adorno stellen mit ihrer Theorie ein emanzipatorisches Gegenbild zur Konstruktion von Identität vor.
Butler sieht alle Identitätsformen als gemachtes, soziales Konstrukt an (vgl. Colligs 2022: 226). Demnach sagt Butler, dass es kein biologisches Geschlecht (sex) gibt, auf welches sich das soziale Geschlecht (gender) beziehen kann. Vielmehr müsse die Kausalität umgedreht werden: gender bringt sex hervor (vgl. ebd.: 227).
Die zentrale Idee von Butlers Arbeiten liegt der Annahme zugrunde, „dass Identität als soziale und sprachlich vermittelte Praxis begriffen werden muss, die auf Wiederholung angewiesen bleibt“ (ebd.: 226). Mit dieser Annahme verweist Butler nicht nur auf die soziale Gemachtheit von Identität, sondern stellt auch einen Zusammenhang von Identität mit sprachlich vermittelten Denk- und Repräsentationsformen her (vgl. ebd.: 243).
In Zuge dieser Annahmen untersucht Butler die Machtverhältnisse, welche diesen Effekt des Geschlechts (sex) hervorbringen. Hierfür verbindet Butler den Effekt der Geschlechtsidentität mit dem Prozess der Subjektivierung. Der Prozess der Subjektivierung folgt der Annahme, dass die Handlungsfähigkeit des Subjektes in einer Abhängigkeit vom Anderen wurzelt (vgl. ebd.: 227). Butler untersucht jene Machtverhältnisse/Normen, welche die „heteronormative Zwangsmatrix konstituieren. Deren Wirkungsmacht zeigt sich unter anderem darin, dass Subjektivierung immer mit der Zuschreibung von Geschlechtsidentität verbunden ist.“ (ebd.: 228). Als Beispiel ist an dieser Stelle die Geburt eines Kindes zu nennen. Indem direkt bei der Geburt performative Aussagen darüber getroffen werden, ob es ein Mädchen oder Junge sei, wird ein Kind direkt zum Beginn des Lebens vergeschlechtlicht. Die Identität stellt dadurch eine Bestimmung von außen dar (vgl. ebd.).
Butler nimmt Identitätsformen „als Teil eines hierarchischen Apparates“(ebd.) an. Das Subjekt ist den entgegenstehenden Gesetzen unterworfen und ist nicht wehrhaft gegen die äußere Macht. Veränderung dieser gegebenen Situation sieht Butler in der Beweglichkeit von Sprache (vgl. ebd.: 228f.). Butler führt aus, dass Subjektformen in kleinen und wiederholenden Schritten so verändert werden sollen, dass der Reproduktion von Hegemonialität entgegengewirkt wird (vgl. ebd.: 230).
Butlers Theorie stellt eine „[…] radikal dekonstruktive Strategie [dar], die auf [die] Auflösung aller Identität und alles Urteilens zielt […]“ (ebd.: 233). Dies führt jedoch zu einem Problem, denn für marginalisierte Gruppen stellt Identität eine Sicherheit dar, da diese eine Position markiert, von welcher wichtige politische Forderungen formuliert werden können. Um diese Problematik zu umgehen, nimmt der Queerfeminismus eine intersektionale Perspektive ein. Hierbei werden Identitätsformen, welche als besonders vulnerabel wahrgenommen werden, nicht kritisch befragt und somit geschützt (vgl. ebd.).
Auch Adorno weist der Sprache eine bedeutende Funktion im Zusammenhang mit Identität zu und befasst sich mit der Frage, „welche Wirkungsmacht Sprachhandlungen dabei zukommt, Wirklichkeit hervorzubringen.“ (Colligs 2022: 234).
„Das emanzipatorische Gegenbild zu den automatisierten Verstehensvollzügen, die durch die Kulturindustrie eingeübt werden, ist auch bei Adorno mit dem Ästhetischen verbunden“ (ebd.: 237). Adorno nimmt dabei eine negative Ästhetik an, deren materialistischer Kern eine dialektische Beziehung zwischen Subjekt und Objekt darstellt. Dabei wird dem Subjekt einerseits aufgezeigt, dass das Objekt unabhängig von ihm existiert, und andererseits wird das Subjekt selbst zum Objekt (vgl. ebd.). „In der Verzögerung des automatischen Verstehens unterbricht das ästhetische Objekt die identifizierende, schematische Denktätigkeit, die das Subjekt als Subjekt konstituiert, und öffnet die Möglichkeit für ein anderes Denken, das sich der Sache anzunähern bemüht, indem es sich dem Objekt ähnlich macht, statt dieses zu unterwerfen.“ (ebd.: 238).
Kernthese des Materialismus stellt die Vorrangigkeit des Objekts dar. Damit einhergehend spielt auch die Existenz einer äußeren, vom Subjekt unabhängigen, objektiven materiellen Welt eine Rolle (vgl. ebd.). Für Adorno wird Subjektidentität nicht nur durch sprachlich-symbolische Bedeutungszusammenhänge hergestellt, sondern ist auch intrinsisch mit der Unterwerfung der äußeren und inneren Wirklichkeit als Natur verbunden (vgl. ebd.: 239).
Identitätskategorie „Frau“: Die innere Natur zeigt sich hier in heterosexuellen Normen und Unterdrückung bestimmter Regungen, die nicht mit stereotypen Weiblichkeitsbildern in Einklang gebracht werden können. „Die vermeintlich weibliche Natur ist immer schon gesellschaftlich hervorgebracht“(ebd.: 241). „Diese weibliche Verdinglichung in der patriarchalen Gesellschaft […] ist in Wahrheit […] das Produkt sozialer Gewalt.“ (ebd.). Die Identitätskategorie Frau erschließt sich erst, wenn die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung berücksichtigt wird. Diese gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung gestaltet sich so, dass „Frauen den überwiegenden Teil der gesamtgesellschaftlich notwendigen Reproduktions- und Sorgearbeiten […] übernehmen […], während zugleich diese Arbeit eben nicht als Arbeit anerkannt, sondern als Liebesdienst verklärt oder als Teil einer vermeintlichen weiblichen Natur entpolitisiert wird.“ (ebd.: 241f.).
Colligs, A. (2022), „Zwei Formen der Kritik an Identität. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Queerfeminismus“, in: K. Stögner, A. Colligs (Hg.), Kritische Theorie und Feminismus. Berlin, 225–246.
Hill Collins, P. (2000), Black feminist thought. New York.
Hill Collins, P. (2023), Intersektionalität als kritische Sozialtheorie. Münster.
Stögner, K. (2022), „Kritische Theorie und Feminismus – ein produktives Spannungsverhältnis“, in: K. Stögner, A. Colligs (Hg.) Kritische Theorie und Feminismus. Berlin, 11-36.
The Combahee River Collective (1977), „A Black Feminist Statement“, in: Women's Studies Quarterly [2014] 42(3/4), 271-280.