Welche Bedeutung haben Metaphern für die intersektionale Forschung und ihre widerständige Praxis? Inwiefern können sachdienliche Verbildlichungen dabei helfen, die methodologische Architektur der Intersektionalität auszubauen? Sind Metaphern vielleicht der Schlüssel zum Öffnen der konventionellen Theoriegebäude und tragen sie zuletzt nicht sogar zur Verschiebung epistemologischer Grenzen bei?
Dieses Wiki behandelt die Bedeutung von Metaphern und metaphorischem Wissen für die widerständige Praxis der Intersektionalität. Dabei bezieht es sich vordergründig auf das Konstrukt der »Borderlands« nach Gloria Anzaldúa, das sie auf essayistische und poetische Weise in ihrem Buch „Borderlands/La Frontera: The New Mestiza“ (1987) auch in Auseinandersetzung mit ihren eigenen Grenzerfahrungen erarbeitet. Daneben soll sich auf Jazz-Musik als sachdienliches Sinnbild für die Relationalität und Ko-Formation in der Intersektionalität bezogen werden - als akustisches Bezugsmedium, das früher wie heute hörbar von indigenen und afrikanischen Kultureinflüssen ausgehandelt wird (vgl. Collins 2023: 331). Zudem wird auf die Verwendung der Spinnennetz-Metapher in Bill Cohens Artikel „The Spider's Web: Creativity and Survival in Dynamic Balance“ (2001) eingegangen, die dazu dient, die Perspektive indigener Menschen der Okanagan-Gemeinschaft auf Bildung und gesellschaftlichen Wandel einzufangen. Der Verwobenheitsgedanke des Spinnennetzes ist dabei zentral für die Geschichte der Gemeinschaft selbst (vgl. Collins 2023: 333).
Darauf aufbauend werden die Grenzen der Verbildlichung und die Strapazierfähigkeit von Metaphern als »Brücke« zwischen intersektionaler Theorie und Praxis bzw. Akademie und Aktivismus diskutiert. Patricia Hill Collins misst Metaphern einen hohen Stellenwert für die intersektionale Denkweise bei, wenn sie zu ihrer methodologischen Ausformung schreibt:
„Metaphern sind für den epistemischen Widerstand bedeutsam, weil sie nicht einfach das kritisieren, was ist - vielmehr stellen sie das dar, was möglich ist“ (Collins 2023: 334).
Ko-Formation ist nach Collins neben Addition und Artikulation einer der „drei Modi des relationalen Denkens“ (Collins 2023: 304), die je nach Anwendung und Feld eine spezifische Bedeutung (für die Theoriebildung) erhalten. Als gleichwertige Kategorien sind sie mögliche Entwürfe, um das Denken über Relationalität innerhalb der Intersektionalität abzubilden (vgl. ebd.: 336).
Das Konzept der Relationalität ist nicht nur auf den Rahmen der Intersektionalität beschränkt. So taucht es z.B. in verschiedenen Forschungsprojekten wie der Netzwerk- oder Konversationsanalyse auf (vgl. ebd.: 303). Es bezeichnet das Zusammenspiel von Beziehungen, die Phänomene wie Race, Gender, Klasse usw. oder soziale Strukturen und Größen stabilisieren können. Nach Collins stellt Relationalität einen „Themenschwerpunkt im paradigmatischen Denken der Intersektionalität dar“ (ebd.: 303) und ist somit wegweisend für die Bildung kritischer Sozialtheorie.
Ko-formierte Phänomene reichen von Netzwerken über verschränkte Machtsysteme bis hin zu Subjekten und können von einer kritischen Sozialtheorie auf eine bestimmte Art gefasst werden. Die Ko-Formation im klassischen Sinne, so Collins, kondensiert ihre Kategorien (z.B. Race und Gender) bzw. das Ko-zu-Formierende in ihrer Argumentation oder Theorie zu einer Universalie (z.B. die Wechselbeziehung von Race und Gender). Da innerhalb der Intersektionalität allerdings davon ausgegangen wird, dass die Analysekategorien bzw. Dimensionen sozialer Ungleichheit (etwa Race, Gender, Klasse etc.) nicht analytisch voneinander trennbar sind, sondern sich überlagern, ist es laut Collins „viel einfacher, sich die Ko-Formation intellektuell vorzustellen, als sie methodologisch zu erreichen“ (ebd.: 324).
„Das Konstrukt der [metaphorisch vermittelbaren] Ko-Formation bezieht sich auf einen Zwischenraum, der sich nicht bloß zwischen verschiedenen disziplinären Formen des Wissens der Sozial- und Geisteswissenschaften befindet, sondern vor allem zwischen westlichen und nicht-westlichen Epistemologien. Die Intersektionalität benennt dieses Dazwischen, diesen dynamischen Schwellenraum, der sich an den Grenzen von vermeintlich separaten und verschiedenen Einheiten befindet“ (ebd.: 338).
Die praktische Unerreichbarkeit einer trennscharfen und ganzheitlichen Fassung der Ko-Formation als methodologisches Ziel in den Sozial- und Geisteswissenschaften sowie in der Intersektionalität selbst stellt letztere vor eine Herausforderung: Wie kann Ko-Formation, die als Werkzeug westlicher Erkenntnistheorie konzeptualisiert wurde, um durch Zerlegen Verständnis zu produzieren, intersektional gedacht werden (vgl. ebd.: 326ff.)? An dieser Stelle verweist Collins auf Metaphern „für die Bewältigung der Herausforderungen, die sich bei der Theoriebildung zur Rationalität durch Ko-Formation auftun, [als] ein wichtiges methodologisches Werkzeug“ (ebd.: 328).
Metaphern können dabei helfen, mit der wissenschaftlichen Tradition des abstrakten Aufbaus einer eindeutigen Ordnung zu brechen, oder einen fachfernen Zugang zu Theorie im Allgemeinen und Intersektionalität im Speziellen zu ermöglichen. Gerade wenn sie organisch von widerständigen Wissensprojekten und/oder subordinierten Gruppen hervorgebracht werden (vgl. Hill Collins 2023: 328). Metaphorisches Denken kann in vielerlei Hinsicht den epistemischen Widerstand stärken, z.B. indem akustische Metaphern (Jazz-Musik ⇔ Ko-Formation) spielerisch Praktiken des Silencings umkehren oder visuelle Metaphern (Spinnennetz ⇔ vernetztes Weltsystem) Übersetzungsfehler minimieren. Außerdem können epistemische Macht und testimoniale Autorität dadurch auf dekoloniale Weise sichtbar gemacht werden (vgl. ebd.: 334).
„Metaphorisches Denken, das sich dem kolonialen Wissen und den epistemischen Praktiken des Westens aktiv widersetzt, könnte besonders nützlich sein, um sich Ko-Formation und Intersektionalität bildhaft vorzustellen“ (ebd.: 328).
Auch die Politikwissenschaftlerin Jone Martínez-Palacio unterstreicht in ihrem Aufsatz „The power of metaphorical intersectional thought“ die Bedeutung von Metaphern für das intersektionale Denken. Für sie sind Metaphern mögliche Werkzeuge sozialer Akteur:innen, die diese dabei unterstützen, sich selbst zu hinterfragen bzw. zu analysieren, um ein adäquates Verständnis für die eigene soziale Positionierung zu erlangen (vgl. Collins, da Silva, Ergun et al. 2021: 714). Daneben sieht sie in der (alltags-)praktischen Nutzung von Metaphern das Potenzial, öffentliche Politiken zu stärken, die sich der sozialen Gerechtigkeit und dem nachhaltigen Aufbau eines guten Lebens verschrieben haben (vgl. ebd.: 715).
Am Beispiel der intersektionalen Metapher der „Marked bodies“ bzw. Cuerpos marcados argumentiert Martínez-Palacio für ihre komplexitätsreduzierende Wirkung - sie verweist auf den Körper als politisch formbares Medium und den Körper als Ansatzpunkt mehrdimensionaler Unterdrückung. Daher prognostiziert sie Zugewinne für die Selbstverortung im Hinblick auf mehr soziale Gerechtigkeit durch eine solche Metapher, besonders für nicht-akademische Akteur:innen, auch weil sie schreibt, auf (selbst-)therapeutische Weise davon profitiert zu haben bzw. entlastet worden zu sein (vgl. Martínez-Palacio 2021: 717ff.). Das Sinnbild der „Markierten Körper“ wurde 2019 von den spanischen Feminist:innen Silvia López und R. Lucas Platero vorgeschlagen. Es beschreibt die Erfahrung von verletzlichen Körpern, die von verschiedenen Unterdrückungsformen und -strukturen durchkreuzt sind (vgl. ebd.: 715).
„To live in the Borderlands means you
are neither hispana india negra española ni gabacha, eres mesitza, mulata, half breed
caught in the crossfire between camps
while carrying all five races on your back
not knowing which side to turn to, run from;
(…)
Cuando vives en la frontera
people walk through you, the wind steals your voice,
you're a burra, buey, scapegoat,
forerunner of a new race,
half and half - both woman and man, neither -
a new gender;
(…)
To survive in the Borderlands
you must live sin fronteras
be a crossroads“ (Anzaldúa 1987: 194f.).
Gloria Anzaldúa entwirft in ihrem Buch „Borderlands/La Frontera: The New Mestiza“ (1987) in Auseinandersetzung mit ihren eigenen Grenzerfahrungen das Konstrukt der »Borderlands«. Sie widmet sich darin auf essayistische und poetische Weise den Einflüssen der physischen Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexico auf die Bildung von Subjekten und Gemeinschaften. Daraus leitet sie weitere »Borderlands« ab, z.B. psychologische (z.B. krank ⇔ gesund), sexuelle (z.B. sex ⇔ gender) oder spirituelle (z.B. Religion A ⇔ Religion B), die immer dort entstehen, wo mehrere Kulturen, Ethnien, Territorien, Klassen usw. sich berühren, vermischen oder begrenzen, auch auf der Mikroebene (vgl. ebd.: Preface). In der Folge entsteht ein Zwischenraum des Be- bzw. Entgrenztseins, ein Ort. Aber es entstehen auch pluralistische Identitäten, die um ihre Integrität ringen. Dabei handelt es sich um qualitativ neue Subjekte, die sie im Zusammenhang ihres Buchs als mestizas bezeichnet (vgl. ebd.). Für Anzaldúa haben die Metaphorik und ihre Liebe zu Bildern ebenfalls eine integritätsfördernde, heilende und damit kollektivierende Wirkung:
„My love of images - mesquite flowering, the wind, Ehécatl, whispering its secret knowledge, the fleeting images of the soul in fantasy - and words, my passion for daily struggle to render them concrete in the world and on paper, to render them flesh, keeps me alive“ (vgl. ebd.).
Das neue Subjekt, das aus den spezifischen »Borderlands« und seinen eigenen Möglichkeiten darin hervorgeht, bewältigt seine interdirektionale Spaltung sowie die inneren Widersprüche, die ihm auferlegt werden, indem es lernt diese Mehrdeutigkeiten zu tolerieren (vgl. ebd.: 79). Nach Anzaldúa ist es Teil der Selbstfindung der mestiza, die häufig schmerzlichen Erfahrungen einer widersprüchlichen Persönlichkeit in einem neuen Bewusstsein zu vereinen, das sich weder der einen noch der anderen »Border«-Seite vollständig zuordnen lässt (vgl. ebd.: 79f.).
Laut Collins entwirft Anzaldúa mit ihrer räumlichen Metapher der »Borderlands« für pluralistische Identitätskonstruktionen von Chicana-Frauen in intersektionalen Grenzgebieten eine Metapher, die direkt aus dem Wissens- und Erfahrungsschatz marginalisierter Menschen stammt (vgl. Collins 2023: 328). Collins hält ihren metaphorischen Ansatz deshalb und wegen seiner Berufung auf Relationalität und Ko-Formation für „eine Möglichkeit, den Raum der intersektionalen Kreuzungen zu theoretisieren“ (ebd.: 328f.).
Anzaldúas Vorgehen, das davon geprägt ist, eine Mestiza zu sein, und sich beispielsweise gleichzeitig auf Spanisch und Englisch auszudrücken, wertet die Borderlands-Räume Collins zufolge „als Schauplätze intellektuellen und politischen Engagements auf“ (ebd.: 330). Der dynamische und räumlich-metaphorische Rekurs auf ihre persönliche Biografie als Erkenntnisquelle sowie den „instabilen Charakter der Borderlands-Identifizierungen“ (ebd.) stellt ein lebendigeres Sinnbild für das dialogische Engagement und die intersektionale Theoriebildung in Collins Sinne dar als eine asphaltierte Straßenkreuzung mit ihren eher statischen Implikationen (vgl. ebd.).
Wie die Grenzgänger:innen in Anzaldúas Buch versucht die Intersektionalität als (selbst-)kritische Sozialtheorie im Entstehen beständig ihre Sichtweise zu aktualisieren und zu integrieren, um komplexe soziale Phänomene wie Relationalität oder Ko-Formation im Hinblick auf mehr soziale Gerechtigkeit abzubilden (vgl. ebd.). Der Wandel von Metaphern deutet auf diesen Prozess hin.
„A gnarled root hat broken through
into the belly of the house
and somehow a shoot
had sprung in the darkness
and now a young tree was growing
nourished by a nightsun.
Then I heard footsteps again
making scuffing sounds
on the packed dirt floor.
It was my feet making them
It had been my footsteps I'd heard“ (Anzaldúa 1987: 169).
Für Collins ist Live-Jazz eine weitere Metapher, die bei der Verbildlichung der Ko-Formation helfen kann, „nämlich sowohl hinsichtlich des Schaffensprozesses der Musik als auch der Musik selbst, welche ein holistisches Ergebnis der Ko-Formation darstellt“ (vgl. Collins 2023: 330). Die theoretische Einzigartigkeit der musikalischen Gruppen-Performance, die häufig improvisiert wird, prädestiniert eine solche akustische Metapher Collins zufolge für die Übertragung auf dauerhaft zu replizierende und intersubjektive Beziehungsgeflechte in einem intersektionalen Bezugsrahmen (vgl. ebd.). Darüber hinaus handelt es sich bei Jazz um eine Musikrichtung, die „den Einfluss Indigener afrikanischer Weltanschauungen und deren kulturelle Neuinterpretation durch die afrikanische Diaspora widerspiegelt“ (ebd.: 331).
Von der Verwendung gewöhnlicher visueller Metaphern (z.B. logische Kopplungen) über weitere Metaphern (z.B. musikalische Gruppenleistungen) werden der Forschung über Intersektionalität neue und interkulturelle Perspektiven zuteil (vgl. ebd.). Im Fall der Jazz-Metapher wird Musik „zur universellen Sprache des dialogischen Engagements“ (ebd.: 332).
Der kanadische Professor Bill Cohen verwendet in seinem Artikel „The Spider's Web: Creativity and Survival in Dynamic Balance“ (2001) die Metapher eines Spinnennetzes für die Perspektive indigener Menschen der Okanagan-Gemeinschaft auf Bildung und gesellschaftlichen Wandel. Statt einer dominanten Weltsicht werden dadurch zusammenhängende Partikularität und Verwobenheit ausgedrückt. Gemäß Collins „scheint seine Anwendung dieser Metapher auf Lehrtraditionen ausgerichtet zu sein, die auf der indigenen kulturellen Praxis des Geschichtenerzählens basieren“ (Collins 2023: 332).
Laut Cohen ist es ein bedeutendes Merkmal der Okangan-Weltanschauung, dass der Mensch nicht über anderen Wesen und der Natur steht, sondern auf derselben Stufe und zwar in einer von Abhängigkeiten geprägten Wechselbeziehung (vgl. ebd.: 333). Das Spinnennetz als Zugang zur Welt repräsentiert demnach zweierlei: seine organische Herkunft und seine dialogische Herstellung durch Okangan-Personen (vgl. ebd.:). Cohen pointiert:
„All of us carry our belief systems into the classrooms, and through respectful engagement and sharing, generate understanding and appreciation for the diversity of peoples and cultures: new ideas form, paradigm shifts occur, networks expand. Webs are created“ (Cohen 2001: 140).
Collins sieht darin einen möglichen Ausbruch aus der kolonialen Logik der Zergliederung und Segregation, weil die Spinnennetz-Metapher nach Cohen sowohl auf „eine andere Politik [als auch] eine andere Ethik [verweist]“ (Collins 2023: 334).
Alle vorausgegangen Metaphern lassen sich wegen ihrer Deutungsoffenheit nicht ohne Weiteres in den epistemologischen Rahmen der westlichen Theoriebildung einfügen (vgl. Collins 2023: 334). Im Fall eines Aufgreifens der Metaphern der „Marked Bodies“, der Borderland-Identitäten, des Jazz-Ensembles oder des weltlichen Spinnennetzes durch den traditionellen Wissenschaftsapparat sieht Collins die Gefahr, dass sowohl der Kontext ihrer sozialen Entstehung als auch die abgrenzbaren Perspektiven der Frauen und PoC, die sie hervorgebracht haben, in der Abstraktion verschüttet bzw. von ihr überschattet werden, z.B. durch Entdeckungs-Narrative (vgl. ebd.). Durch die Verwendung der Metaphern in anderen ideologischen Kontexten werden beispielsweise „die Komplexitäten, die sich in Anzaldúas Theoriebildung zu den Borderlands auftun, durch den übermäßigen Gebrauch des Begriffes in den Hintergrund gedrängt“ (ebd.: 335).
Als Kimberlé Crenshaw ihren Artikel „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrince, Feminist Theory and Antiracist Politics“ (1989) veröffentlichte, nutzte sie den Begriff der Intersektionalität, um zu erklären, dass „antirassistische und feministische Bewegungen sich gegenseitig beeinträchtigten, wenn sie ihre Kämpfe als getrennt voneinander und nicht als verbunden verstanden“ (ebd.: 42). Metaphern wie diese, die unsere Gedanken und unser Alltagshandeln leiten, stellen laut Collins „eine ‚Abkürzung‘ [dar], die auf existierenden Auslegungen [aufbaut], um Verbindungen erkennbar zu machen“ (ebd.: 43). Eine Abkürzung, die auch dazu führen kann, dass Metaphern nicht gründlich genug auf einen komplexen Sachverhalt oder ein soziales Phänomen verweisen, oder dass sie geringen analytischen Wert aufweisen, das bedeutet nicht adäquat zwischen dem Sozialen und seiner Bedeutungsebene vermitteln können (vgl. ebd.: 44).
„Intersektionalität funktionierte so gut als Metapher, da sie so vertraut wie dehnbar war“ (ebd.: 45).
Die Vorstellung von Intersektionen sozialer Ungleichheit bzw. Intersektionalität als räumliche (Straßen-)Kreuzung war wegen seinen naheliegenden Assoziationen besonders geeignet, um sich kreuzende Machtverhältnisse an einem Ort oder in einer Person zu verbildlichen und seinen bzw. ihren aus epistemologischer Sicht günstigen Blickwinkel auf soziale Ungleichheiten zu theoretisieren (vgl. ebd.: 45). Lange nach ihrer wissenschaftlichen Verwendung bot die Kreuzungs-Metapher Akteur:innen Anlass, Intersektionen im privaten, öffentlichen und politischen Raum unter emanzipatorischen Gesichtspunkten ausfindig zu machen und sozialen Wandel zu beeinflussen (vgl. ebd.: 46). Entscheidend für die Kontinuität von Metaphern sind letztlich ihre kognitive Verfügbarkeit und ihre inhärenten Möglichkeiten zur Verknüpfung von Wissensbeständen (vgl. ebd.: 47f.).
Grenzen bei der Verwendung von bestimmten Metaphern für Intersektionalität tun sich dabei nicht nur hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Eignung für die Theoriebildung auf, sondern auch in Abgrenzung zu anderen Metaphern. Zum Beispiel macht es einen deutlichen Unterschied, ob eine mögliche Vorstellung von Intersektionalität sich vordergründig auf das Bild einer statischen Straßenkreuzung oder z.B. dynamische Grenzgebiete bezieht - je nach Forschungsgegenstand und Darstellungsinteresse (vgl. ebd.: 49ff.). Aus diesem Grund argumentiert Collins dafür, dass die Aussagekraft von Konzepten nicht überstrapaziert werden sollte, die als Metapher strukturiert sind (vgl. ebd.: 52).
Die Intersektionalität baut auf den Wissensbeständen einer Praxis auf, „die durch die metaphorische, heuristische und paradigmatische Anwendung [eines intersektionalen Bezugsrahmens] generiert wurden“ (Collins 2023: 337). Am Konstrukt der Ko-Formation wird das Potenzial von Metaphern augenscheinlich: Komplexen interaktionellen, interdisziplinären und nicht zuletzt interkulturellen Beziehungen „von vermeintlich separaten und verschiedenen Einheiten“ (ebd.: 338) kann sich mit geeigneten Bildern in ihrer vielschichtigen Dynamik angenähert werden.
Dabei stellen Metaphern häufig, gerade wenn sie aus den Wissensprojekten subordinierter Personen hervorgehen, einen komplexitätsreduzierenden und wirklichkeitserweiternden Bezugsrahmen dar, der intersektional bzw. sozialtheoretisch und öffentlichkeitswirksam von kritischen Forscher:innen und Aktivist:innen nutzbar gemacht werden kann. Gemäß den Überlegungen von Collins ist es hier zu vermeiden, dass Metaphern wie bspw. Live-Jazz oder das indigene Spinnennetz (für Ko-Formation) bis zur Unkenntlichkeit dekontextualisiert und abstrahiert werden. An die Frage, wie Intersektionalität zu denken ist, knüpft die Frage, ob bestimmte Modelle und Metaphern dazu in der Lage sind, die komplexen Machtverhältnisse abzubilden, die erklärt werden sollen. Das Evaluieren eines angemessenen Ansatzes bringt laut Behrens die Notwendigkeit mit sich, kontinuierlich „eine eigene Verortung [des eigenen Ansatzes] innerhalb der Intersektionalitätsdebatten vorzunehmen“ (Behrens 2021).
Collins schließt ihr Buch mit der Frage, ob der „Raum der Intersektionalität grundsätzlich ein Raum der Ko-Formation [ist], der nur auf eine neue Sprache wartet - eine Sprache die das, was dort vor sich geht, besser beschreibt“ (Collins 2023: 338), und Metaphern stellen einen zentralen Ansatzpunkt dar, diesen intersektionalen Raum zu restrukturieren.