Inhaltsverzeichnis

Gefühlswelten

Dieses Projekt untersucht die visuelle Darstellung von Frauen*¹ in Informationsbroschüren und -portalen zu Schwangerschaftsabbrüchen hinsichtlich ihrer emotionalen Verfasstheit. Die forschungsleitende Hypothese stützt sich auf die Annahme, dass die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung sowie der Schwangerschaftsabbruch an sich emotional sehr unterschiedlich erlebt werden, die Diversität an Gefühlswelten allerdings nicht in dem Informationsmaterial sichtbar ist. Die Leitfrage des Projekts lautet: Wie werden Frauen*, besonders hinsichtlich ihrer emotionalen Verfasstheit visuell in Informationsportalen und -broschüren über Schwangerschaftsabbrüche dargestellt?

Aktueller Forschungsstand

Der Forschungsstand bezüglich der Gefühlswelten von schwangeren Frauen*, besonders nach dem Schwangerschaftsabbruch, ist weitläufig und kontrovers. Im Zentrum steht das viel zitierte Post-Abortion-Syndrome (PAS, vereinzelt Post-Abortion-Stress-Syndrome (PASS)), welches einen positiven Zusammenhang zwischen einem durchgeführten Schwangerschaftsabbruch und negativen psychischen Folgen herstellt. Die Existenz eines solchen Phänomens ist jedoch medizinisch weitestgehend widerlegt² ³ ⁴. Zudem ist es „weder in den Diagnosemanuals ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch im DSM-V der American Psychiatric Association (APA) als psychische Beeinträchtigung anerkannt”⁵. Vielmehr, besteht der stärkste Zusammenhang zwischen der dem Schwangerschaftsabbruch vorausgegangenen psychischen Verfassung und der dem Abbruch folgenden Verfassung³. Im deutschen Kontext hat das Hamburger Familienplanungszentrum in einer Studie über die kurzfristigen und direkten emotionalen Auswirkungen herausgefunden, dass die meisten Frauen* sich „traurig und befreit zugleich” fühlen⁶. Eine der größten themenrelevanten Untersuchungen, durchgeführt durch den National Collaborating Centre for Mental Health – eine Kollaboration des Royal College of Psychiatrists und des University College London, fand heraus, dass die größte psychische Belastung die ungewollte Schwangerschaft an sich sei². Zudem wurde festgestellt, dass psychische Probleme oft durch äußeren Druck, wie beispielsweise durch den Partner, die Freunde oder Familie hervorgerufen werden und wiederum soziale Akzeptanz der Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch für das Wohlbefinden der Frauen* förderlich sind⁷. Eine 2015 veröffentlichte Stellungnahme von profamilia zur Entscheidungssicherheit von Frauen* verweist zudem auf eine Studie „die als positive Erfahrung von Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch auch Gefühle der Reife, der tieferen Selbsterkenntnis und des gestärkten Selbstwertes nachweisen konnte”⁵ ⁸. Die Veröffentlichung zur Entscheidungssicherheit von Frauen* besagt zudem, dass die Entscheidung für den Abbruch für über die Hälfte der Frauen* keine leichte war, besonders bei späten Schwangerschaftsabbrüchen. „Dennoch gaben die Teilnehmerinnen direkt nach dem Eingriff und auch noch drei Jahre danach zu 95 Prozent an, sie hätten die richtige Entscheidung getroffen und Gefühle der Erleichterung waren stärker als Reue, Ärger, Trauer oder Schuldgefühle. Grundsätzlich zeigte sich, dass alle mit dem Schwangerschaftsabbruch zusammenhängenden Emotionen mit der Zeit an Intensität verloren”⁵ ⁹. Die psychischen Folgen bei Frauen* die sich entscheiden zu gebären sind zudem noch nicht ausreichend vergleichend untersucht. Zwei Studien im US-amerikanischen Kontext verweisen darauf, dass sich eine ungewollte Geburt negativ auf die emotionale Verfassung der Frauen* auswirkt, dies sei vor allem von der praktischen und seelischen Unterstützung der Frauen* abhängig¹⁰ ¹¹. Zusätzliche Lücken der Forschung bestehen im zeitlichen Vergleich der emotionalen Verfassungen, ausführlicher zu den positiven Auswirkungen eines Schwangerschaftsabbruchs und den weiteren Faktoren, die die psychische Verfasstheit beeinflussen, zudem in der Untersuchung der Gefühlswelt der zweiten Erzeugerperson sowie letztlich zu den Darstellungen von Frauen* in sogenannten „Schwangerschaftskonflikten”.

Relevanz der Thematik aus feministischer Perspektive

Die Thematik der Darstellung abtreibender Frauen* ist vielfach relevant. Bestätigt sich die Hypothese im Verlauf des Forschungsprojekts, dass die diversen emotionalen Erfahrungen nicht in ihrer Vielfältigkeit, sondern vordergründig hinsichtlich ihrer negativen Aspekte visuell dargestellt werden, so wäre das eine mit der empirischen Realität auseinanderdriftende und somit unvollständige und fälschliche Darstellung. Das ist an sich kritikwürdig, möglicherweise weitgreifender jedoch sind die Auswirkungen dieser Darstellungen auf Frauen* im sogenannten „Schwangerschaftskonflikt”. Die visuelle Abbildung von Frauen* die abtreiben ist ein Faktor unter vielen, die das (emotionale) Verhältnis von Frauen* zum Thema Abtreibung prägen, dennoch sollte die Suggestionskraft dieser Bilder, welche die Entscheidung für eine Abtreibung als vielfältig belastend darstellen nicht unterschätzt werden. Sie könnte Frauen* verunsichern und sogar daran hindern eine Entscheidung zu treffen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht sowie sie letztlich auch darin bremsen, ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung wahrzunehmen. Erica Millar, australische Sozialwissenschaftlern, thematisiert in einem Interview über ihr 2018 erschienenes Buch Happy Abortions, inwiefern die Gefühlswelten eines Schwangerschaftsabbruchs eng und disziplinierend an die Erwartungen von Frausein geknüpft sind. Sie geht außerdem auf die Bedeutsamkeit der Sichtbarmachung verschiedener Abtreibungserfahrungen sowie Aspekte der vorherrschenden Diskursverschiebung ein:

„[…] abtreibende Frauen werden dabei oft als negative Schablone der „guten Mutter„ hingestellt. Es gibt verschiedene Emotionsskripte: eines der Öffentlichkeit, wo Abtreibungen als schwierig und traumatisch besprochen werden, und eines im Privaten, wo Frauen eher positiv über eine Abtreibung denken. […]. Und ich glaube, das liegt an einem Mangel an Diversität, was die Frauenrolle angeht. Die Idee, dass das Mutterwerden nicht nur natürlich vorgesehen ist, sondern zudem das größte Glück jeder Frau darstellt, ist immer noch stark verbreitet. Deshalb ist auch häufig die Rede davon, dass abtreibende Frauen und Frauen ohne Kinder Scham empfänden: Sie werden damit konfrontiert, versagt zu haben.[…] Scham ist ohne Kultur nicht möglich. Man schämt sich, weil man an gesellschaftlichen Erwartungen, Normen und Werten gescheitert ist. Auch die Trauer nach einer Abtreibung, die quasi vorausgesetzt wird, ist ein Produkt unserer Kultur: In den vergangenen Jahrzehnten konnte man beobachten, wie der Abtreibungsdiskurs sich auf die leidende Frau verschob. Statt eine Abtreibung als selbstgewähltes Ende einer ungewollten Schwangerschaft zu betrachten, wird sie häufig als Tötung eines autonomen Wesens bewertet - die emotionalen Schäden nach einer Abtreibung für die Frau müssen also gravierend sein. Abtreibungsgegner nutzen das als Warnung: Wer abtreibt, wird unweigerlich trauern.”¹²

Die Aktualität des Themas psychischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen lässt sich ebenfalls an der von dem Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn visierten Studie über das Post-Abortion-Syndrom erkennen. Neben der wissenschaftlichen Kritik an einer solchen Studie, kritisieren Feminist*innen sie ebenfalls politisch. Kirsten Achtelik, Sozialwissenschaftlicherin und feministische Autorin, sieht die Studie skeptisch insofern, dass wichtigere frauenpolitische Themen aus dem Blickfeld gerückt werden und dass Abtreibungsgegner*innen die Studie im Sinne von Frauen* als „zweite Opfer” des Schwangerschaftsabbruch instrumentalisieren um Abtreibungen weiter zu delegitimieren¹³. Petra Schweigert schreibt im Sammelband „Abtreibung” von Ulrike Busch und Daphne Hahn zudem über das Frauenwohl als Deckmantel reaktionärer Politik: „Sie nennt es „auffallend”, dass „in unserer Gesellschaft der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft als Stressfaktor deutlich überbewertet wird im Vergleich zu anderen Belastungen, die Frauen erleben”, etwa Scheidungen, Arbeitslosigkeit oder ihre Doppelschichten in Beruf und Familie.”¹⁴

Material

Die Auswahl für Informationsmaterial als Datengrundlage liegt nahe insofern darin häufig Bilder zu illustrativen Zwecken verwendet werden und es sich an eben die Zielgruppe Frauen* im „Schwangerschaftskonflikt” richtet und sie deshalb vermehrt abbildet (im Kontrast zu vordergründig feministischen und Abtreibungssymbolen in der medialen Berichterstattung und von Abtreibungsbefürworter*innen selbst). Das ursprüngliche Vorhaben - ausschließlich Informationsbroschüren aus dem Raum Freiburg im Breisgau heranzuziehen - wurde aufgrund der wenigen Bilder um Flyer und Postkarten sowie Internetquellen der gleichen und ähnlichen Quellen erweitert. Es wurde nur Material herangezogen, das sich auf den rechtlichen Rahmen des Schwangerschaftsabbruchs in der Bundesrepublik Deutschland bezieht. Veröffentlichungen über Schwangerschaftsabbruch im Kontext Pränataldiagnostik und vertrauliche Geburt wurden aufgrund ihrer Spezifika nicht berücksichtigt. Aus der gesamten Bildauswahl wurden zudem Bilder gestrichen, auf denen ausschließlich Gegenstände oder Menschen, die nicht im direkten „Schwangerschaftskonflikt” stehen, wie beispielsweise die männlichen Partner oder Säuglinge und Kleinkinder, abgebildet sind. Das Datenmaterial umschließt insgesamt 74 Bilder aus 15 verschiedenen Quellen. Die Urheber dieser Quellen lassen sich in staatliche Behörden sowie säkulare und religiöse Beratungsträger unterteilen. Folgend sind sie aufgeführt:

Staatliche Behörden
Broschüren: Ratgeber für Frauen bei ungewollter Schwangerschaft von Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (2017); Schwangerschaftsberatung §218. Informationen für Frauen, Familien, Beratungsstellen, Ärztinnen und Ärzte über strafrechtliche Regelungen, das Schwangerschaftskonfliktgesetz und das Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005) und Rundum Schwangerschaft und Geburt von Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2016)
Internetquellen: familienplanung.de und schwanger-unter-20.de (beides Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)

Säkulare Beratungsträger
Broschüre: Schwangerschaftsabbruch Was sie wissen sollten - Was sie wissen sollten , was sie beachten müssen von Pro Familia (2015)
Flyer: Sexualität, Schwangerschaft, Familienplanung von Arbeiterwohlfahrt Bundesverband Klinik
Internetquellen: profamilia.de und humanistisch.de

Religiöse Beratungsträger
Flyer: Für schwierige Umstände: Diakonie; Väter, Schwanger, Anonym (jeweils Unterüberschrift: Hilfe rund um Schwangerschaft, Familie, Leben) von Diakonie Freiburg; Schwangeren- und Familienberatung von Sozialdienst katholische Frauen Freiburg und Für das Leben von Donum Vitae
Internetquellen: donumvitae.org und diakonie-freiburg.de

Materialsammlung und Quellenangaben
material_gefuehlswelten_seminar_praxis_diskursanalyse.pdf

Analyse

Motiv

Wer ist abgebildet?
Die abgebildeten Frauen* entsprechen den hegemonialen weiblichen Schönheitsvorstellungen überproportional und sie sind überwiegend weiß. Nach freier Einschätzung ist der Großteil der abgebildeten Frauen* Mitte bis Ende zwanzig (Ausnahme der Quelle schwanger-unter-20.de). Die Kleidung ist in Form und Farbe gedeckt, wobei sich der Stil am ehesten als casual chic bezeichnen lässt.

In welchen Situationen sind die Frauen* abgebildet?
Drei Idealtypen der Darstellung von Frauen* konnten identifiziert werden.

1. Nachdenkliche Frauen*
Am häufigsten (27) sind die Abbildungen von Frauen*, die keiner konkreten Tätigkeit nachgehen, aber nachdenklich aussehen. Es ist auffallend, dass viele der Frauen* mit den Händen ihr Gesicht berühren. Ihre Blicke fixieren meist einen unbestimmten Punkt in der Ferne oder die Frauen* halten ihre Augen gesenkt. Sie erwecken einen abwesenden und in Gedanken versunkenen Eindruck. Sie befinden sich sowohl im häuslichen als auch im öffentlichen Umfeld.



2. Frauen* im Gespräch
Das zweithäufigste Motiv (26) sind Frauen* im Gespräch, entweder mit Beraterinnen und Ärztinnen (17, mit der Ausnahme eines Bildes ausschließlich Frauen*) oder mit gleichaltrigen Nahestehenden (9, davon 5 mal mit dem vermeintlich männlichen Partner). Auffallend ist hierbei, dass die Frauen* bei allen Bildern im Gespräch zuzuhören scheinen.



3. Frauen*, die Gegenstände halten
Eine dritte Situation in der die Frauen* vermehrt (13) abgebildet sind, ist in der Interaktionen mit einem Gegenstand. Am häufigsten halten sie einen Schwangerschaftstest (13). Weitere Gegenstände sind Laptops, Bücher und eine Brille.


Sonstige Anmerkungen zu den Bildmotiven
Die Frauen* werden überwiegend sitzend dargestellt (29), gefolgt von stehend (12) und liegend (4). Bilder die einzig bestimmte Körperteile von Frauen* zeigen wurden unter diesem Gesichtspunkt nicht berücksichtigt. In 34 Bildern sind andere Menschen, wenn auch unterschiedlich deutlich, zu erkennen. Auf ähnlich vielen Bildern (33) sind die Frauen* allein abgebildet. Auf 37 Bildern befinden sich die Frauen* im Inneren. Die Bilder suggerieren, dass es sich um ihr Zuhause handelt, welches in den meisten Fällen modern und hell gestaltet ist. In 32 Fällen sind die Frauen* in der im weitesten Sinne öffentlichen Sphäre dargestellt; 17 Mal in Beratungsstellen, 10 Mal in der Natur, davon die Hälfte am Meer, 3 Mal im Café. Weder in den Bildern noch in dem Text lassen sich Unterschiede bezüglich des zeitlichen Aspekts (vor, während oder nach der Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch) finden. Allein die Abbildungen von Frauen* der katholischen Träger lassen Rückschlüsse auf den zeitlichen Aspekt zu, da diese die Frauen* hochschwanger abbilden und somit die Entscheidung gegen den Schwangerschaftsabbruch implizieren. Interessanterweise sind diese Bilder neben einem einzigen Bild aus der Pro Familia Broschüre, die einzigen die positive Emotionen vermitteln. Zwar sind auf den Bildern der katholischen Träger die Gesichter nicht zu sehen, die Farben und das Setting (eine saftige Blumenwiese) vermitteln jedoch Gefühle von Leichtigkeit und Glück.

Bildkomposition

Die auf den Darstellungen abgebildeten Menschen stehen ausnahmslos im Vordergrund der Bilder, allerdings nicht immer zentral in dem Bild. Bemerkenswert sind die überwiegend kleinen Bildausschnitte, die von wenigen Zentimetern bis zu ungefähr 2 Metern reichen. Weite ist auf den Bildern nur im Zusammenhang mit den Mensch-Naturaufnahmen abgebildet. Auffällig ist die Fragmentierung, welche die Bilder durchzieht. Oft wird ein zusammenhängendes Bild in mehrere kleinere Fotos unterteilt oder die Frauen* selbst werden auf den Abbildungen zerschnitten. 29 Bilder in denen nur bestimmte Körperteile der Frauen* abgebildet sind, konnten identifiziert werden (mit Ausnahme des Kopfes, da dies als Portraitaufnahme verstanden werden kann). Davon bilden 17 Bilder die Frauen* ohne Kopf ab, 7 Bilder lediglich den Bauch (sowohl erkennbar schwanger und auch nicht), 3 Bilder ausschließlich die Augen und 2 Bilder die Füße.


Bildästhetik

Die meisten Bilder sind Stockfotos. Konkret bedeutet dass, das die Bilder gestellt - nicht unbedingt in dem spezifischen Kontext Schwangerschaftskonflikt geschossen sind - sondern auch ähnliche Situationen in anderen Kontexten abbilden sollen. Die Pastelltöne, ebenso wie die Auswahl der Modelle und des Hintergrunds deutet auf die Beliebigkeit und Uneindeutigkeit solcher Fotos hin. Die Frauen*, die ohne Namen oder Zitate abgebildet werden, verstärken den Eindruck einer solchen Austauschbarkeit. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht ist die Website familienplanung.de (Bild 1 und 2) oder auch ein Bild der Website Diakonie Freiburg (Bild 3). Der Eindruck entsteht, dass die Bilder in den tatsächlichen Beratungsräumen geschossen werden auch wenn sie ebenfalls gestellt wirken und dass die dargestellten Menschen keine hauptberuflichen Modelle sind. Sie entsprechen nicht unbedingt hegemonialen Schönheitsvorstellungen, tragen ‚alltägliche‘ Kleidung und wirken insgesamt ‚realer‘. Die Farben der Bilder sind desweiteren wesentlich stärker.

Unterschiede der Darstellungen hinsichtlich der Herausgeber

Staatliche Organisationen (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung)

Auffallend in den Publikationen der staatlichen Organisationen ist die Verwendung vieler Bilder, besonders von Stockfotografien die vorwiegend westliche Frauen* in einem modernden und hellen häuslichen Umfeld abbilden. Die Frauen* sind auf den Bildern überdurchschnittlich oft alleine sowie nachdenklich, traurig und passiv abgebildet. Die Bilder dieser Broschüren sind häufig fragmentiert. Interessanterweise, unterscheiden sich die Bilder der Broschüren von denen der Webseite. Online werden Bilder verwendet auf welchen Frauen* realitätsnäher abgebildet werden. Diese befinden sich oft in Gesprächssituationen. Auffallend im Vergleich sind besonders die starken Farben sowie die erweiterte Abbildung des Körpers. Die Webseite die sich an jüngere Frauen* richtet fällt hinsichtlich der Fotos insofern aus dem Raster, da sie junge Frauen* - oft stereotypisch jugendlich - und vermehrt außerhalb des Hauses abbildet.

Säkulare Beratungsorganisationen (Pro Familia, Arbeiterwohlfahrt und Humanistischer Verband)

Der humanistische Verband und die Arbeiterwohlfahrt verwenden nur wenige Bilder. Diese weichen allerdings nicht von den oben beschriebenen Motiven ab. Eine Ausnahme hinsichtlich der dargestellten Frauen*, ihrer Gestik und Mimik stellen die Bilder von Pro Familia dar. In ihren Bildern von Frauen* spiegelt sich ethnische Diversität und realistische Abbildungen von Frauen* hinsichtlich gängiger Schönheitsnormen wieder. Obwohl viele der Bilder durch die Haltung und den Gesichtsausdruck der Frauen* ebenfalls emotionale Schwere vermitteln, sticht ein Bild heraus. Das Bild einer jungen Frau* vor dem Hintergrund einer Rasenfläche mit anderen Personen, die auf Augenhöhe direkt die betrachtende Person anschaut und dabei leicht lächelt.

Religiöse Beratungsorganisationen

Fazit

Die forschungsleitende Hypothese - dass die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung sowie der Schwangerschaftsabbruch an sich emotional sehr unterschiedlich erlebt werden, die Diversität an Gefühlswelten allerdings nicht in dem Informationsmaterial sichtbar ist - bestätigte sich im Verlauf dieser kleinen Untersuchung. Drei idealtypische Darstellungen konnten identifiziert werden: die nachdenkliche Frau*, die Frau* im Gespräch sowie die mit Gegenständen interagierende Frau*. Die Bilder unterscheiden sich hinsichtlich des Motivs, jedoch suggerieren sie durch Bildkomposition, -ästhetik sowie besonders durch die Mimik und Gestik der abgebildeten Frauen* durchgehend negative Gefühle. Diese reichen von Unentschlossenheit und Hilflosigkeit, Trauer, Angst und Belastung zu Leere, Anspannung und Besorgnis. Die Diversität der Erfahrungen von Abtreibungen, die positive Gefühle einschließen können, werden mit der Ausnahme eines Bildes von Pro Familia und den Bildern von hochschwangeren Frauen* der katholischen Träger nicht abgebildet.
Auffällig ist zudem, dass die Frauen* sehr passiv dargestellt werden. Oft sitzen die Frauen* und befinden sich in scheinbar stillen und verharrenden Körperhaltungen. Selbst in den abgebildeten Gesprächssituationen scheinen die Frauen* eher zuzuhören. Die Frau* wird im sogenannten Schwangerschaftskonflikt auf diesen Bildern eher als Empfängerin von Informationen verstanden anstatt als Person, welche die eigenen Bedürfnisse und Interessen wahrnimmt und kommuniziert. Die Entscheidung über die Abtreibung findet den Bildern zufolge innerhalb eines kleinen Raumes statt, auf wenigen Metern Fläche und nur einigen Zentimetern des nackten, weiblichen Körpers. Auffallend sind die kleinen Bildausschnitte, die durch die Bildkomposition die Gefühle der Enge spiegeln. Die Bilder stellen die Auseinandersetzung zudem als private und sehr intime Angelegenheit dar. Die Frauen* befinden sich überwiegend zu Hause, in den Beratungszimmern oder in der Natur, dort jedoch ebenfalls allein, eventuell noch mit einer weiteren Vertrauensperson. Auffallend in der Bildkomposition ist die vielfältige Fragmentierung des weibliches Körpers. Die zerstückelte Frau* fügt sich in die Vorstellung der emotional gebrochenen, unsicheren, handlungsunfähigen und beratungsbedürftigen Schwangeren ein.
Die Frauen* im sogenannten Schwangerschaftskonflikt werden hauptsächlich von Frauen*, die den hegemonialen Schönheitsvorstellungen entsprechen dargestellt. Die Stockfoto-Ästhetik vieler Bilder mit der Verwendung heller Farben und einem modernen, häuslichen Setting wirkt vor dem Hintergrund der Darstellung emotionaler Aufgewühltheit steril und ähnlich wie das perfekte Aussehen der Modelle realitätsfern. Im Hinblick auf die Herausgeber des Informationsmaterials, stechen die säkularen Beratungsträger sowie die Internetseiten der staatlichen Behörden hervor, da sie Frauen* vergleichsweise realitätsnah und divers darstellen. Die katholischen Beratungsorganisationen sind insofern auffallend, da sie die Frauen* ausschließlich als werdende Mütter ansprechen und darüber hinaus nur Säuglinge und Kleinkinder abbilden.
Vielmehr als die Differenzen zwischen den verwendeten Bildern drängte sich im Verlauf der Untersuchung die Frage auf, was nicht abgebildet wird. Nicht oder nur wenig zu sehen sind Frauen* die mit ihrem ganzen Körper dargestellt sind, Frauen* die durch Mimik und Gestik Selbstbewusstsein, Reife oder auch Leichtigkeit ausstrahlen, Frauen* die sich oder andere Personen und Dinge aktiv in Bewegung setzten und initiieren, Frauen* die Konflikthaftigkeit nicht nach innen richten sowie Frauen* mit Namen und Zitaten. Auch der Schwangerschaftsabbruch - weder der Vorgang an sich noch die verwendeten Instrumente und Medikamente - das zentrale Thema der Beratung ist mit Ausnahme der Pro Familia Broschüre nicht abgebildet. Der kürzlich reformierte Paragraph 219a zu der Informationslage über Schwangerschaftsabbrüche wird die Wahrnehmung von Frauen* im sogenannten Schwangerschaftskonflikt nicht verbessern können. Die Ärzt*innen dürfen fortan informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, allerdings nicht wie. Eine Enttabuisierung und eine offene Gesprächskultur über die unterschiedlichen Erfahrungen, auch hinsichtlich der erlebten Gefühlswelten, ist in absehbarer Zeit deshalb nicht zu erwarten.

Literaturverzeichnis

1. Der Genderstern verweist auf die Einsicht, dass eine schwangere Person in ihrer Geschlechtsidentität nicht deckungsgleich mit der einer schwangeren (cis-)Frau ist und somit auch Personen anderer Geschlechtsidentitäten als die einer (cis-)Frau, schwanger sein können. In Beschreibungen von Bildern die ausschließlich (cis)Frauen abbilden wird der Begriff Frau verwendet.
2. Vgl. Cantwell, R. et al. (2011): Induced Abortion and Mental Health, Academy of Medical Royal Colleges, unter: https://www.aomrc.org.uk/wp-content/uploads/2016/05/Induced_Abortion_Mental_Health_1211.pdf.
3. Vgl. Major, B. et al. (2008): Mental Health and Abortion, American Psychological Association, unter: https://www.apa.org/pi/women/programs/abortion/mental-health.pdf.
4. Vgl. Munk-Olsen et al. (2011): Induced First-Trimester Abortion and Risk of Mental Disorder, in The New England Journal of Medicine 2011(364), S.332-339.
5. Schweiger, P. (2015): Schwangerschaftsabbruch - Studie belegt erneut die Entscheidungssicherheit von Frauen in pro familia magazin 2015 (4), S.23.
6. Vgl. Knopf, M. et al. (1995): Traurig und befreit zugleich: psychische Folgen des Schwangerschaftsabbruchs. Rowohlt Verlag. Hamburg.
7. Vgl. Rocca, C. et al. (2015): Decision Rightness and Emotional Responses to Abortion in the United States: A Longitudinal Study. PLoS ONE 10(7), unter http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0128832#sec013.
8. Vgl. Kero, A. et al. (2004): Wellbeing and mental growth – long term effects of legal abortion. Social Science and Medicine 58(12), S. 2559-2569.
9. Vgl. Rocca, C.et al. (2015): Decision Rightness and Emotional Responses to Abortion in the United States: A Longitudinal Study. PLoS ONE 10(7), unter: http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0128832#sec013.
10. Vgl. Stotland, N. (1992): The Myth of the Abortion Trauma Syndrome.“ Journal of the American Medical Association 268(15): S. 2078-2079.
11. Vgl. Foster, D.G. et al. (2019): Effects of Carrying an Unwanted Pregnancy to Term on Women’s Existing Children. The Journal of Pediatrics 205. S.183-190.
12. Von Hof, E. (2018): Abtreibungen und Frauenbild „Eine gewinnbringende Erfahrung“. In: Spiegel Online unter: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/abtreibung-und-frauenbild-erica-millar-ueber-ihr-buch-happy-abortions-a-1243059.html.
13. Vgl. Hassenkamp, M. (2019): Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen - „Wir brauchen keine teure Studie, die beweist, was wir schon wissen“. In: Spiegel Online unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/abtreibung-interview-zu-studie-zu-folgen-von-schwangerschaftsabbruechen-a-1253457.html.
14. Dernbach, A. et al. (2019): Psychische Folgen von Abtreibungen Brauchen wir Spahns neue Studie? In: Der Tagesspiegel unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/psychische-folgen-von-abtreibungen-brauchen-wir-spahns-neue-studie/23974850.html