(Die Seitenzahlen beziehen sich auf den Haupttext)
Der „westliche Feminismus“ ist eine Positionierung, die sowohl politisch als auch epistemologisch ist. Durch die Vereinnahmung der Kämpfe „anderer“ Frauen wird einer Solidarität untereinander geschadet. Die transnationale feministische Perspektive soll unter anderem marginalisierte Formen des Feminismus im wissenschaftlichen Feld beheben. Sie dient als Intervention und Rekonstruktion von zentralen Begriffen und Theorien.
Dieses „westliche“ Projekt wird im Zusammenhang von Kolonialismus, Theorieproduktion und einer diskursiven oder epistemologischen Entkolonialisierung kritisiert (S. 174 bis 177).
Die Gulbenkian-Kommission hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Krise der Sozialwissenschaften zu behandeln und diese neu zu strukturieren.
Die drei Hauptprobleme der Sozialwissenschaften sind:
Die Vorstellung der hierarchischen Aufteilung in „The West and the Rest“ veranschaulicht die disziplinäre Unterteilung in den Sozialwissenschaften. Deswegen ist für die transnationale Perspektive die Auseinandersetzung mit den Theorien der Moderne in der postkolonialen Zeit von großer Bedeutung.
Der Eurozentrismus, der durch rassistische Herrschaftsverhältnisse bestimmt ist, hält eine epistemologische und institutionelle Privilegierung inne. Dies bedarf einer theoretische und konzeptionelle Transformation.
Eine Möglichkeit der Veränderung schlägt Michael Buraway vor. Er möchte die Sozialwissenschaften provinzialisieren, um Europa als Zentrum in Frage zu stellen. Das Ziel ist es, Europa als geschlossene kohärente Entität zu dekonstruieren (S. 177-181).
Die Kritik an der eurozentrischen Wissensproduktion kann in vier Momente aufgeteilt werden:
Haraway stellte fest, dass eine Herrschaft über die „anderen“ konstituiert ist. Ihrer Meinung nach gehen Dualismen immer mit Hierachisierungen einher. Aus der postkolonialen Perspektive wurde „Europa“ oder „der Westen“ gewaltvoll zu einem als „rückständig“ definierten „Anderen“ abgegrenzt. Eine Ausbeutung wurde damit gerechtfertigt.
Ziel der Kritik ist es, die hegemoniale Sozialwissenschaften zu hemmen. Dies schlagen sie durch eine Verknüpfung von Globalem und Lokalem vor, um ein Machtzentrum zu vermeiden.
Die Sozialwissenschaften spielen eine zentrale Rolle bei der Konzeption der Moderne. Die koloniale Herrschaft beinhaltet nicht nur politische Gewalt, sondern auch moralische und rationale Rechtfertigung. Dazu kam, dass Differenz als historisch und transitorisch behandelt wurde.
In den Sozialwissenschaften gibt es zwei Prägungen der Forschungsperspektiven: Verzeitlichung der Differenz und die Verräumlichungen von Zeit als "anachronisitic space". Europa hat dabei eine bestimmte Erkenntnisposition. Europa ist hierbei das Erkenntnissubjekt und die „Anderen“ das Erkenntnisobjekt.
Dabei dient die Standpunkttheorie als einziger Ort der Theorieproduktion. Deswegen dachte man, dass die anderen Länder den Mustern von Europa folgen würden. Europa ist aber nicht nur das Subjekt, sondern auch der Ausgangspunkt der Theorieproduktion. Andere Orte sind nur Variationen im Übergang oder sind eine Abweichung.
Das problematische Verhältnis zwischen der Theorie und der Empirie wird in diesem Kritikpunkt erläutert. Beim methodologischen Nationalismus existieren drei Formen: die Ignoranz, die Naturalisierung und die Territorialisierung. (S.189). Diese Begriffe und die Diskussion mit konservativen Positionen zur Nation und dem Nationalismus zeigen, welche Rolle Sozialwissenschaften in der Absicherung des „europäischen“ Modells als Norm spielen (S. 190). Die empirischen Rahmenbedingungen zu diesem universellen Konzept sind der Normaltypus, der für die europäischen Tradition der Aufklärung steht, und der Spezialtypus, der als unreine Abweichung gilt.
Die Frau wird in diesem Konzept oft als Symbolträgerin der Nation instrumentalisiert und zur passiven Teilnehmerin gemacht. Sie hat dabei zwei Funktionen: Die Untermauerung der Nation als organische Einheit von Interessen und die Lieferung einer Figur für die Vorstellung der nationalen Zeit.
Mit der Zeit wurde sichtbar, dass Frauen in antikolonialen Nationalismen instrumentalisiert werden, um einen grundsätzlichen Gegensatz auszulösen. „Selective Labelling“ wird als ein Mittel verwendet, um Frauen nach ihren Vorstellungen zu positionieren. Es existiert eine Vorstellung von kultureller Homogenität und eine Trennung von Kulturellem und Sozialem. Jede Kultur bekam ihren quasi „natürlichen“, spezifischen Ort, sowie Zeit zugeordnet und es wurde klar von anderen unterschieden. Dies gilt nicht nur transnational, sondern auch innerhalb einer Gemeinschaft.
In der transnationalen feministischen Wissenschaftskritik versucht man das Soziale mit dem Kulturellem zu verknüpfen. Somit möchte man den Standpunkt vom Alltag aus betrachten.
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Das Ziel der transnationalen Wissenschaftskritik ist es, die feministische Theorie inklusiver zu machen und mit neuem empirischem Material die theoretischen Kategorien zu rekonstruieren. Da es eine Trennung zwischen westlichen/weißen Feministen und „dem Rest“ gibt, wird die Idee einer „polictics of location“ (S. 195) vorgeschlagen. Eine universalistische Konzeption von Geschlecht soll hier problematisiert werden. Dabei beginnt die Verortung zu Hause, aber durch die Verflechtungen von Lokalem und Globalem seht vor allem die Selbstreflexion bei den westlichen/weißen Feministen im Zentrum. Zudem muss auch erkannt werden, dass feministische Kämpfe nicht gleichzeitig stattfinden können. „Temporatity of struggle“ (S. 196) beschreibt dieses Szenario. Es herrschen unterschiedliche Zeitlichkeiten und es wird immer zu Widersprüchen in der Zeit geben. Deswegen wird vorgeschlagen, ein Feminismus im Singular aufzugeben. Der Feminismus ist auch nicht frei von asymmetrischen Machtverhältnissen. Die transnationalen Feministen wollen politische und epistomologische Koalitionen in diesen Ungleichverhältnissen bilden, um diese zu kritisieren.
Man soll von den Grenzen, die bestehen, ausgehen, aber diese in Frage stellen und ihre Brüchigkeit zeigen (S. 195-197).
Die transnationale feministische Wissenschaftskritik muss selbstreflexiv sein und konkrete, lokale, kulturelle und historische Kontexte rekonstruieren. Der Standpunkt des Alltags ist transnational ein möglicher Weg, um die Gesellschaft besser zu begreifen. Es ist eine Möglichkeit alltägliche Erfahrungen mit diskursiven Standpunkten zu verknüpfen. Der Alltag muss hierbei mit gegenwärtigen gesellschaftlichen, ökonomischen-technischen Bedingtheiten transnational ins Verhältnis gesetzt werden (S. 197-198).
Durch die intensivierende Globalisierung wurden die Geschlechterverhältnisse verändert und es entstanden konfliktuelle und widersprüchliche „transkulturelle Kontaktzonen“ zwischen Frauen über die soziale Ungleichheit (S.198). Diese Herrschaftsverhältnisse werden durch spezifische räumliche Trennung und extrem räumlicher Nähe bedingt (S.198-199).
Die Krise der Reproduktionsökonomien ist das Spannungsfeld zwischen den Regierungsverhältnissen und den alltäglichen persönlichen Interaktionen und die aus denen kommende Widersprüche. Die Globalisierung der Reproduktionsarbeit ist damit: eine neoliberale Rekonstrukturierung; muss in Verknüpfung mit aktuellen Migrationspolitiken gesehen werden, das durch nationalstaatliche Migrationspolitiken funktioniert und eine alltägliche Interaktion (S.199-201)
Zusammenfassend steckt in der transnationalen Mutterschaft ein feministisches Moment der Dekonstruktion naturalisierter Mutterschaft, jedoch gibt es auch im Kontext eine tiefgreifende soziale Ungleichheit (S.201).
„Unter kultureller Reproduktion versteht man die Verwendung und Vermittlung von Sinngehalten und Artefakten wie bestimmte Normen, Werten, Wissen und Kompetenzen“ (S.202). Die Frauen dienen dabei als symbolischer Grenzposten (oder „transkulturelle Kontaktzone“) bei den Wandlungsprozessen der ethnischen und nationalen definierten Gruppen. Die Frau nimmt die Person der Migrantin oder die Trägerin der anachronische Kultur oder das Opfer der Kultur ein und wird instrumentalisiert. Besonders die Migrantin wird als unvereinbar mit der westlichen Absicht verstanden. Es wird deutlich, dass Differenzen sozial konstruiert sind. Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis zwischen den britischen Männern und den indischen Frauen und die dadurch entstehende Konzeption des Brauches „sati“ (S.202-205).
(Die Seitenzahlen beziehen sich auf den Vertiefungstext)
Weltweit bildet sich ein Anliegen bei den Frauen, dass man nicht nach Einheit und Homogenität sucht, sondern eine eher kreative Überwindung der Unterschiede strebt. Sie wollen damit der Diversität Ausdruck verleihen und auf die Verhältnisse zwischen dem Globalem Süden und Norden aufmerksam machen. Dieses System, das von uns erbaut wurde, basiert auf der Unterdrückung der Frauen, der Ausländer und ihrer Länder beziehungsweise ihre Gebiete.
Dabei zeigt sich, dass die Auswirkungen wie zum Beispiel der Klima Krise härter für die Frauen waren als für die Männer. Deswegen waren die Frauen die ersten, die zum Beispiel bei der Whyl-Bewegung und bei dem „Love Canal“-Drama, dagegen protestiert haben. Diese Bewegungen ließ sie erkennen, dass ein anderer Weg eingeschlagen werden muss. Die „Subsistence Perspective“ ist die Vision einer anderen Gesellschaft, die nicht auf der Industrialisierung und dem Konsum basiert (S.333-335)
Das Konzept „Freiheit“ wird anders aufgegriffen als zur Zeit der Aufklärung. Die Freiheit und die Fröhlichkeit des Mannes ist hierbei von einem ständigem Prozess der Emanzipation von der Natur abhängig. Laut des wissenschaftlichen Sozialismus werden die Grenzen der Natur und der Gesellschaft im Prozess überschritten. Viele Feministen teilten diese Ansicht bis zur ökologischen Bewegung. Sie stellten fest, dass die moderne Wissenschaft und Technologien, die als große Befreier der Menschheit dargestellt wurden, die ökologische Degradation anstiegen ließen.
Die Hauptaussagen dieser Perspektive betonen, dass auf einem limitierten Planten nichts der Notwendigkeit übersteigen sollte. Man sollte sich auf ein „gutes Leben“ fokussieren. Das Übersteigen der Natur ist nicht mehr gegeben. Das Existenzpotential der Natur soll in allen Dimensionen gepflegt und konserviert werden (S. 335-338).
Ruppert, U., Scheiterbauer, T., Dhawan, N., Franke, E., Khaled, R., & Wichterich, C. (2020). Transformationen entstehen im Prozess: Transnationale Feminismen zwischen Dekolonisierung, imperialen Verwobenheiten und der Suche nach neuen Solidaritäten. Feministische Studien, 38(1), 21-38.
Haupttext: Mendel, I. (2015). Politiken der Verortung: Auf dem Weg zu einer transnationalen feministischen Wissenschaftskritik. In: WiderStandPunkte: umkämpftes Wissen, feministische Wisenschaftskritik und kritische Sozialwissenschaften. Westfälisches Dampfboot. 174-210.
Vertiefungstext: Harding, S. G. (Ed.). (2004). The Subsistence Perspective. In: The The feminist standpoint theory reader: Intellectual and political controversies. Psychology Press. 333-338.