Eine Epistemologie bestimmt, welche Fragen gestellt werden, welche Paradigmen benutzt werden und wofür das erworbene Wissen genutzt wird. Sie erklärt, warum wir das, was wir glauben, für die Wahrheit halten.
Im Fall der feministischen Epistemologie wird die moderne Wissenschaft weitgehender in Frage gestellt als bei feministischen Theorien (Beispiel: Hardings Standpunkttheorie). Hier verlangt akkurate wissenschaftliche Arbeit nicht nur nach einem Wechsel des Forschungssubjekts, sondern nach einem strukturellen Umschwung, in dem auch Methodologien und Paradigmen hinterfragt werden müssen.
(Die Seitenzahlen beziehen sich auf den Haupttext)
In der Wissenschaft kontrollieren westliche Strukturen, und damit meist weiße Männer, was als valides Wissen zählt. Experten, die Wissensansprüche mit Validität versehen, verlieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie von Normalwissen abweichendes Wissen bestätigen. Genau in diesem Normalwissen ist allerdings die Unterordnung schwarzer Frauen verankert, was auch zu ihrem Ausschluss aus der Wissenschaft beiträgt. Aufgrund dessen ist es schwer für schwarze Frauen diese Strukturen zu bekämpfen. Ihre Forschung wird als „unwissenschaftlich“ abgetan, sobald sie von anerkannten Methoden und Paradigmen abweicht.
Auch in scheinbar neutraler Forschung, wie beispielsweise einer quantitativen Datenerhebung zu schwarzen alleinerziehenden Müttern, wird deren Erfahrung ignoriert. Somit wird ein verzerrtes Bild erschaffen, das sie als „lazy welfare queens“ (S.255) darstellt. (Passend dazu ist Waters, Billye Sankofa 2016: We Can Speak for Ourselves zu empfehlen)
⇒Es wird notwendig für schwarze Frauen alternative Wege zu finden, um „Black feminist consciousness“ (S.252) zu schaffen und Wissen zu produzieren. Es entsteht die Black Feminist Epistemology, in der persönliche Erfahrung zum Kern der Wissensproduktion wird.
Obwohl wissenschaftliche und soziale Einrichtungen die Interessen weißer Männer vertreten, müssen sie nicht unbedingt direkt von ihnen geleitet oder verwaltet werden. Ein Instrument zur Stärkung westlicher, androzentrischer Strukturen ist der „safe outsider“. Man besetzt einige wenige Autoritätspositionen in Institutionen, welche diese Strukturen festigen, mit schwarzen Frauen und zwingt diese so dazu mit Wissen zu arbeiten, das sie eigentlich unterdrückt und das sie bekämpfen wollen.
⇒ In der Wissenschaft tut sich ein Dilemma auf: Die schwarze Frau muss mit positivistischen Methoden forschen, um ernst genommen zu werden, und
diese gleichzeitig in Frage stellen, damit sie ein akkurates Bild schwarzer Frauen erschaffen kann. Dafür entwickelt sie ein neues Verfahren zur Wissensvalidierung.
Ziel der Black Feminist Epistemology ist es also nicht, ein universell geltendes Wissen zu finden, sondern den Standpunkt schwarzer Frauen neu zu artikulieren.
⇒ „in order to create the universal, you must pay great attention to the specific“ (S.269)
⇒ „all people can learn to center in another experience, validate it and judge it by its own standards without need of comparison“ (S. 270)
Die „objektivste“ Wahrheit entsteht durch Theorien, die von vielen Gruppen und deren persönlichen Standards beurteilt und bewertet werden. Wissen ist nie beendet. Diese Meinung vertritt auch Helen Longino.
(Die Seitenzahlen beziehen sich auf den Vertiefungstext)
Auch für Longino ist eine alternative Art des Wissens notwendig. Ihr zufolge müssen adäquate Theorien und Epistemologien sowohl den Selektionsprozess, der entscheidet, welche Hypothesen entwickelt werden, als auch die Rechtfertigung eines Wissensanspruch miteinbeziehen und kritisch analysieren. Die Rechtfertigung muss normativen Charakters sein, damit sie durch Kriterien auf konkrete Probleme und Fragestellungen angewandt werden kann, während der Selektionsprozess rein deskriptiv ist.
Die Spannung zwischen Deskriptivismus und Normativismus wird nicht ausreichend beleuchtet, da feministische Arbeit hauptsächlich darauf abzielt zu beschreiben, inwiefern Wissenschaft, wie wir sie kennen, problematisch ist.
Um die Unzulänglichkeit feministischer Theorien zu verdeutlichen, stellt Longino zwei Strategien vor.
Feministische Wissenschaft lehnt Descartes´ Ideal des „körperlosen Verstandes“, der als einziger allgemeingültige Prinzipien entwickeln kann, ab. Stattdessen soll ein Individuum, das sich seiner Positionierung bewusst ist und diese auch für eine „bessere“ Wissensproduktion nutzt, das Forschungssubjekts sein.
Diese Theorie ist der Ausgangspunkt für Hardings Standpunkttheorie, in der manche Positionen eine objektivere und damit akkuratere Sicht auf die Welt ermöglichen.
Evelyn Fox Kellers Lösungsansatz der „dynamic objectivity“(S.108) plädiert für eine(n) Wissende(n), die/der die Beziehungen zwischen sich und den Phänomenen erkennt, statt Macht über sie zu suchen.
Kritik an Strategie „Changing the Subject“
-Wie ist „Standpunkt“ zu definieren?
-Es ist nicht klar, welcher Standpunkt erkenntnistheoretisch gesehen am privilegiertesten ist, da Unterdrückung nicht messbar ist
-Die Theorien sind nicht ausreichend, da auch die Methodologie hinterfragt werden muss
⇒Die Theorien müssen abgelehnt oder ergänzt werden
⇒Die Strategie ist zwar genügend deskriptiv, der Normativismus fehlt allerdings
⇒Aufgabe ist es nicht, herauszufinden, welche Position erkenntnistheoretisch gesehen die beste ist, sondern wie sich unterschiedliche Subjektivitäten ausdrücken
Eine Epistemologie wird normativ, wenn Wissensansprüche widersprüchlich sind.
Wissenschaftliches Wissen wird möglich durch Interaktion. Durch fortlaufenden kritischen Diskurs können Theorien und Hypothesen immer weiterentwickelt und modifiziert werden.
Kriterien
-Öffentlich anerkannte Foren für Kritik von Methoden und Begründungen
-Andere Meinungen tolerieren und eigene Meinungen dem Diskurs entsprechend verändern
-Öffentlich anerkannte Standards, die bestimmen, welche Theorien in den Diskurs aufgenommen werden
-„equality of intellectual authority“(S.112-113) (jeder kann etwas zur Wissensproduktion beitragen) ⇒ durch kritischen Dialog entsteht Konsens, der alle Perspektiven beleuchtet
Die genannten Standards gelten nur innerhalb einer Community, was dazu führt, dass manche Systeme unvereinbar werden. Sie können trotzdem kohärent sein. Es entsteht kognitive Diversität durch unterschiedliche kognitive Bedürfnisse.
⇒ Ziel ist Intersubjektivität (view from everywhere/many wheres)
Kritik an Strategie „Multiplying Subjects“
- wenn Konsens notwendig ist, besteht die Möglichkeit, dass gegensätzliche Positionen nicht zu Wort kommen können
⇒ wissenschaftliches Wissen von Konzept des „Konsens“ lösen und akzeptieren, dass es kein wahrheitsgemäßes Wissen gibt, dem jede wissenschaftliche Community folgt.
Das kann aus einer semantischen Sicht auf Forschung erfolgen: Theorien gewinnen an Adäquanz, wenn Strukturen aus der Theorie in der erfahrenen Welt erkannt werden können.
Wissenschaft ist dann erfolgreich, wenn viele, auch unvereinbare, Theorien die Standards ihrer jeweiligen Community erfüllen.
Forschung ist ein nie endender Prozess, wofür Pluralismus notwendig ist. Aufgabe es ist also, viele unterschiedliche Modelle aus verschiedenen Theorien und Positionen auszuarbeiten und zu artikulieren.
Für eine „bessere“ Wissenschaft muss nicht nur das Forschungssubjekt geändert werden, sondern auch die Strukturen, in dem es sich bewegt. Keine Position garantiert die Entwicklung einer universell anwendbaren Epistemologie. Es soll demokratische Wissenschaft angestrebt werden.
Meine Präsentation
Bild 1 des Tafelbilds
Bild 2 des Tafelbilds
Waters, Billye Sankofa 2016: We Can Speak for Ourselves. Parent Involvement and Ideologies of Black Mothers in Chicago. Rotterdam: SensePublishers
Besonders passend ist Kapitel 3: „Methods“
Haupttext: Hill Collins, Patricia 1990. Black feminist thought. Knowledge, consciousness, and the politics of empowerment, New York. Revised Version: 251-271
Vertiefungstext: Longino, Helen 1993. Subjects, Power, and Knowledge: Description and Prescription on Feminist Philosophies of Science. In: Alcoff, Linda/Potter, Elizabeth (Hg.) 1993. Feminist Epistemologies, New York, London. Routledge: 101-120