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Forschungsethik

Zu Beginn des Studienprojekts stellte sich die Frage nach den ethischen Problemen, die bei Internetforschung auftreten können. Wenn zur Untersuchung von Internetphänomenen Aussagen, Posts, Kommentare von Akteuren ausgewertet werden müssen, ist es nicht nötig auf diese als Primärquellen zu verweisen? Und kann dieser Verweis nicht die Akteure gefährden, wenn etwa Arbeitgeber oder Verwandte auf ihre Aussagen stoßen? Die Verbreitung von Doxing-Praktiken dürfte beweisen, dass ein Nutzername ausreichen kann, um Nutzerinnen, die sich online anonym wähnen, mit realen Existenzen zu verknüpfen.

Im Folgenden sollen also einige Überlegungen zusammengefasst werden, wie bei Internetstudien zu anonymisieren ist und ethische Richtlinien eingehalten werden können, und wie dies praktisch von den betrachteten Untersuchungen gehandhabt wurde.

Grundlegende Richtlinien

Robert Kozinets fasst in seinem Werk zur Internetforschunsmethode der Netnographie einige ethische Richtlinien, und die Diskussionen um sie, zusammen. Nach Kozinets (vgl. 2010: 144) sind die in der Forschungspraxis dominierenden Ansätze hierzu konsequentialistisch-utilitaristischer Natur, während deontologische Ansätze eher zurückträten. Forschungsethische Ansätze richten sich also eher nach den Folgen potentiell unethischen Handelns und vergleichen dies mit dem erzielten Mehrgewinn, statt zu versuchen bestimmte Ansätze a priori als unethisch zu definieren. Einige grundsätzliche Richtlinien ergeben sich laut Kozinets dennoch:

Vor der Nennung von Pseudonymen oder Namen solle zwar grundsätzlich nachgefragt werden, allerdings gelte, dass bei Risikogruppen die Nennung von Namen oder Pseudonymen unter keinen Umständen angebracht sei. Hier sei es notwendig, dass diese Entscheidung von der Forscherin getroffen wird, und nicht den jeweiligen Risikogruppenmitgliedern überlassen werde. Namen und Pseudonyme müssen bei Risikogruppen anonymisiert werden, ebenso wie jegliche weiteren eine Identifikation ermöglichende Angaben. Als solche Gruppen versteht Kozinets alle Gruppen, die gesellschaftlich marginalisiert, stigmatisiert oder illegalisiert seien, als Beispiel nennt er unter anderem Online-Gemeinschaften von Pädosexuellen (vgl. ebd.: 153f.). Da bei Rechtsextremistinnen justiziable Aussagen und Inhalte (verfassungsfeindliche Symbolik, Volksverhetzung usw.) gang und gäbe sind, auch wenn manche Bewegungen sich um ein legalistisches Image bemühen, gelten sie meines Erachtens als Risikogruppe in diesem Sinn.

Mangelnde Umsetzung ethischer Richtlinien

In der gesichteten Forschung finden sich jedoch vemehrt Stellen, an denen Nutzerinnen freigiebig zitiert werden, ohne dass besondere Maßnahmen zur Anonymisierung getroffen worden zu sein scheinen. In ihrer Inhaltsanalyse von Kommentaren auf Facebookseiten bilden Christian Schwarzenegger und Anna Wagner (vgl. 2018: 486) etwa einige Kommentare ab, von denen lediglich die Nachnamen unkenntlich gemacht wurden, während Vornamen erkennbar sind, ebenso wie die Seite und der genaue Post unter dem die Kommentare verfasst wurden.

Bei anderen Autorinnen finden sich Hinweise auf die ethischen Richtlinien, die bei der Forschungsarbeit befolgt wurden, allerdings sind diese manchmal vage gehalten. Julia Ebner et al. zitieren etwa in ihrer Arbeit Kommentare von Facebook- und Discord-Nutzerinnen und zeigen außerdem Screenshots anderer Kommentare. Sie geben zu Beginn an, dass Namen ausgeblendet wurden und sichergestellt wurde, „dass die erfassten Daten in aggregierter Form […] keine Rückschlüsse auf individuelles Verhalten zulassen“ (Ebner et al. 2018: 7). Wie dies sicher gestellt wurde bleibt jedoch unklar, ebenso ist fraglich wieso die Autorinnen hier auf „aggregierter Form“ sowie auf „individuelles Verhalten“ als Begriffe bestehen. Das eigentliche ethische Problem wäre, dass einzelne – also gerade nicht aggregierte – Kommentare wieder auffindbar wären, und dadurch individuelle Identitäten, nicht individuelles Verhalten, offengelegt werden.

Eigentumsrechtliche Probleme

Kozinets (vgl. 2010: 150f.) hält weiterhin fest, dass eine Forschung auf Plattformen, die einem Unternehmen gehören - also eigentlich alle sozialen Netzwerke - vor dem Problem stehe, dass diese Unternehmen sich selbst oft das Recht auf Verbreitung ihrer Inhalte vorbehalten. Kozinets überlegt jedoch, dass Fair-Use-Gesetze, wie sie in den Vereinigten Staaten inkraft seien, diese Regelungen umgehen könnten. In keiner der betrachteten Studien wurde dies jedoch weiter problematisiert, auch wenn darin Screenshots von Plattformen wie Facebook verbreitet wurden.

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