Misogyne Bewegungen

„Der Reaktionär jeder Prägung verurteilt die sexuelle Lust (nicht ohne ihr dennoch selbst krankhaft zu verfallen), weil sie ihn provoziert und abstößt zugleich. Er kann sich selbst den Widerspruch zwischen sexuellen Anforderungen und moralistischen Hemmungen nicht lösen.“ (Reich 2011 [1933]: 138).

Wilhelm Reich warf 1933 in Die Massenpsychologie des Faschismus die Frage nach dem Verhältnis der politischen Reaktion zur Sexualität auf. Nach Reich ist ein ambivalentes Verhältnis zur Sexualität wesentlich für den Faschismus, der in kultureller Hinsicht darauf abziele, Frauen und Kinder in ökonomischer Abhängigkeit vom Mann und Vater zu halten und ihnen gleichzeitig ihre Sexualität abzuerkennen (vgl. ebd.: 109).

In den letzten Jahren haben sich online diverse Subkulturen gebildet und sind in die Alt Right-Melange eingeflossen, die sich nicht nur gegen die Aufhebung dieser Abhängigkeitsverhältnisse und die zunehmende Anerkennung weiblicher Sexualität in den letzten Jahrzehnten richten, wie es viele sozialkonservative Bewegungen taten und tun, sondern dabei auch Ressentiments gegen die Frau explizit machen, welches sie von anderen rechten Antifeministinnen - die es bevorzugen paternalistisch statt hasserfüllt zu argumentieren - unterscheidet. Für Julia Ebner und Jacob Davey (vgl. 2017: 25ff.) gelten manche Neonazi-Bewegungen als tendenziell weniger misogyn als Alt Right-Gruppen. Auch die Proud Boys, die einem Masturbations- und Pornographieverbot unterliegen, sind nach Angela Nagle (vgl. 2017: 83) zwar antifeministisch in ihrem Versuch der Wiedererrichtung einer traditionellen Sexualökonomie, Frauenverachtung ist für sie jedoch nicht derart konstitutiv wie für folgende Gruppen, die Nagle (vgl. ebd.: 75ff.) unterscheidet:

Die meisten dieser Bewegungen teilen eine sexualökonomische Klassentheorie, die Männer in (genetisch bedingt) Erfolgreiche (oft ‚Alphas‛ oder ‚Chads‛ genannt) und Erfolglose (‚Betas‛, ‚Cucks‛, ‚Simps‛, ‚Virgins‛ oder Incels) unterteilt, wobei sich die Alphas das Monopol an den als oberflächlich, dümmlich und egoistisch verstandenen Frauen sicher seien, solange diese noch jung sind. Erst nach Ende ihrer vermeintlichen Blütezeit würden sich diese den Betas zuwenden (vgl. ebd.: 77). Sophistiziertere Analytiker der koitalen Hierarchien nehmen eine zusätzliche Unterscheidung der Virgins und Incels von den anderen Beta-Klassenfraktionen vor: Die Betas nehmen dann die Rolle von Stützen des Sexsystems ein – in etwa analog zum Kleinbürgertum in der marxistischen Klassentheorie – die sich an den Brotkrumen gütlich tun, die die Alphas fallen lassen, statt sich mit den Virgins, die hier wohl dem Lumpenproletariat entsprechen, zu verbünden. Auf diese Verräterrolle deuten schon die Begriffe ‚Cuck‛ und ‚Simp‛ hin.

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