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Winter, Rainer 1992. Filmsoziologie: eine Einführung in das Verhältnis von Film, Kultur und Gesellschaft. München. Quintessenz

Winter legt in seinem Werk zunächst eine Geschichte des Films und der Filmrezeption dar. Er beginnt mit der Darstellung der ersten Rezeptionsstränge.

Der Realismus, der Formalismus, die Montage

Mit der Einführung des Tonfilms (und später des Farbfilms) begannen Filme immer mehr, an die Alltagswelt zu erinnern. Im Realismus ist genau dies das Ziel: „Der Flim sollte zum Spiegel der alltäglichen Wirklichkeit und auch der sozialen Verfassung der Gesellschaft werden” (S. 16). Beeinflussungen des Zuschauers, etwa durch Schnittechniken, werden abgelehnt (vgl. S. 18).

Demgegenüber traten sowohl die Expressionistische Filmkunst als auch die sowjetische Filmbewegung. Sergei Eisenstein ist bekannt dafür, die Montage einzusetzen, um „die Zuschauer durch Schocks zu politischem Bewußtsein bringen” (S. 13). Die Montage ist, im dialektischen Sinn, das Aufeinanderprallen zweier entgegengesetzer Einstellungen, die im Kopf des Zuschauers etwas Neues hervorbringen. Eisenstein kombiniert so etwa Bilder von Arbeitermassakern der Zarenzeit mit Einstellungen von abgestochenen Tieren. Die voneinander unabhängigen Szenen sollen als Gesamtheit wahrgenommen werden und so eine Synthese hervorbringen, die das Klassenbewusstsein intensiviert. Die Expressionisten in Deutschland arbeiteten derweil mit höchst imaginären Bildern, in denen hoher Kontrast herrscht. Der Film hat hier eine eigene Wirklichkeit, die von der Realität verschieden ist (vgl. S. 13f.).

Die Montage kann alle möglichen „Seelenzustände” darstellen: Die Kombination verschiedener Einstellungen ist viel wesentlicher als der Inhalt einer einzelnen Einstellung. Der frühe Filmemacher Lew Kuleschow hat dies in einem Experiment illustriert: Er kombinierte ein Aufnahme eines Schauspielers mit Bildern einer Toten im Sarg, eines spielenden Mädchens und einem Teller Suppe. Je nachdem, welche Montage Zuschauer ansahen, interpretierten sie den Blick des Schauspielers als traurig, gerührt oder hungrig (vgl. S. 33).

Der Film zwischen Kulturindustrie und Postmodernismus

Winter unterscheidet in seinem Werk eine Reihe von Kritiker_innen, die den Film als in der Regel repressive und homogenisierende Massenkultur betrachten von solchen Theoretiker_innen, die ich für die Zuschauer_innen und deren aktive Verarbeitung von Filmen interessieren (vgl. S. 87). Vereinfachend gilt, dass Winter die eine Rezeptionsgeschichte als der Psychoanalyse und der Frankfurter Schule nahestehend versteht, wobei die Zuschauer_innen hier ungerechtfertigt in eine passive Rolle gedrängt würden, während die „postmoderne” Rezeption das Publikum gebührend beachtet und weniger normativ an Filme herangeht.

Die der Frankfurter Schule nahen „kritschen Kritiker” greifen auf Adornos Theorie der Kulturindustire zurück, wonach Filme standardisiert und zu Waren gemacht würden, und ihren kulturellen Gehalt verlieren. Der Film ist damit Instrument zur Kontrolle passiver Rezipient_innen (vgl. S. 90f.).

Neuere Hollywoodproduktionen widerlegen diese Ansicht laut Winter, da sie sich durchaus verändern und auch Gesellschaftskritik thematisieren können (vgl. S. 93). Im Zuge des „postmodernen Wandels” lösen sich die bisherigen Grenzen von Filmen und von Filmkritik auf: Die Filme sind nicht mehr getrennt von philosophischen oder soziologischen Diskursen, sondern nehmen aktiv daran Teil; die Autor_in verschwindet, ein Film ist oftmals nicht ohne Referenzen zu anderen Filmen denkbar; Produktion und Konsumtion verschwimmen, die Rezipienten müssen Filme dekodieren können und sich so seinen eigenen Film im Kinosaal fabrizieren (vgl. S. 97f.).

Der Film als Text

Ende der sechziger bildet sich die Filmsemiotik, die den Film als Text betrachtet, welcher „mittels Zeichen Bedeutungen […] produziert” (S. 24). Die Semiotik im Sinne Saussures unterteil Zeichen in Signifikant und Signifikat. Das Signifikat ist das Bezeichnete, die Bedeutung oder geistige Vorstellung, die mit einem Signifikant, dem Laut- und Schriftbild eines Zeichens, verbunden wird. Diese Verbindung ist nicht natürlich in den beiden Teilen des Zeichens angelegt. Die Bedeutung eines Zeichens ist bestimmt durch sein Verhältnis zu anderen Zeichen im selben System (vgl. S. 24f.). Interessant ist, dass, im Vergleich zum geschriebenen Text, bei einem Filmbild das Zeichen sehr viel ähnlicher dem Bezeichneten ist. So ist etwa das Bild einer Katze der Katze selbst näher als das geschriebene Wort „Katze”.

Im Unterschied zu einer „natürlichen” Sprache ist beim Film auch die gegenseitige Kommunikation eingeschränkt. Außerdem lässt sich beim Film kein Äquivalent zum Wort finden. Weder ein Bild noch eine Einstellung können als kleinste Einheit des Films verstanden werden (vgl. S. 26).

Monsters and Mad Scientists. Die Studie von Andrew Tudor

Horror and moral terror are your friends. If they are not, then they are enemies to be feared.” Col. Kurtz, Apocalypse Now

Winter stellt in seinem Buch zwei soziologische Studien vor, die die Entwicklung eines Genres (des Western und des Horrorfilms) analysieren. Exemplarisch will ich die von ihm besser bewertete Studie Andrew Tudors nachzeichnen.

Tudor will die potentiellen Lesarten der Filme erarbeiten, weshalb er das psychoanalytische Verständnis von Horrorfilmen als „kollektive[] Traumwelt oder als Wiederkehr des Verdrängten” (S. 52) zurückweist. Der aktive Beitrag der Zuschauer_innen soll aufgezeigt werden.

Betrachten wir die Horrorfilme: „Ein Monster verwandelt eine stabile Situation ihr Gegenteil” (S. 53), in einem heftigen Konflikt wird es zerstört und die Situation kehrt in ihre ursprüngliche Stabilität zurück. Dieses Muster macht Tudor bei allen Horrorfilmen aus. Ab den 60ern macht er einen entscheidenden Wandel aus: Die Bedrohung wird nicht zerstört, die Situation bleibt instabil. Der Horror ist nicht mehr beherrschbar.

Im Idealtyp vor den 60ern, dem „secure horror” sind „Leben und Tod, das Weltliche und das Übernatürliche, das Normale und das Pathologische, das Menschliche und das Fremde” (S. 54) deutlich getrennt voneinander. Der „paranoid horror” ab den 60ern verlagert diese Grenzen in die Psyche, die Opposition besteht jetzt „zwischen dem bewußten und dem unbewußten Selbst, zwischen normaler und perverser Sexualität, zwischen Gesundheit und Wahnsinn” (ebd.). Jeder kann vorwanungslos zum Monster werden.

Tudor erklärt den Übergang so, dass die Alltagswelt, in der der „secure horror” Sinn ergibt, eine ist, in der man sich der eigenen Stärke bewusst ist und Bedrohungen überwinden kann. Traditionelle Werte sind in ihr noch intakt. Der „paranoid horror” entspricht einer Welt, in der ein gesellschaftlicher Wandel bestimmend ist, wobei Tudor Parallelen zur Postmoderne zieht.

Eine ähnliche Studie findet sich zum Wandel von James Bond im Verlauf der Jahre, S. 82f.. Der Diskurs um die Bond-Filme versteht ihn in den 60ern noch als Helden des Kalten Krieges, Waffen und Spionagewerkzeuge dominieren die Werbung. Zehn Jahre darauf ist Bond der Repräsentant männlicher Sexualität. Die Bond-Girls bewegt sich in den Fokus und die Frage, wie der Geheimagent die Frauen rumkriegt. Mitte der 80er wird Bond zum Saubermann, da Sex nun mit AIDS assoziiert wird verschwinden die Bettszenen.