Examine Power - Data Feminism und die Matrix of Domination

In ihrem 2020 erschienen Buch Data Feminism präsentieren Catherine D’ignazio und Lauren F. Klein einen intersektionalen1) wissenschaftstheoretischen Zugang zu Daten (D'Ignazio, Klein 2020). D’Ignazio und Klein hinterfragen aus feministischer Perspektive und anhand umfassender Recherchen und Beispiele den Umgang mit Daten im Alltag, in Unternehmen, im akademischen und wissenschaftlichen Kontext, als „Big Data“2) oder als Grundlage gegenwärtiger Technologien3). Ihre Diagnose lautet: Daten sind weder neutral noch objektiv. Sie sind immer schon in ein Geflecht aus historisch gewachsenen Machtverhältnissen verstrickt. Daten sind weder universale Heilsbringer noch sind sie per se ein hegemoniales Übel. Die in ihnen eingeschriebenen und durch sie reproduzierten Unterdrückungsmechanismen müssen erkannt, reflektiert und kritisiert werden. Auch Daten können bei richtiger Anwendung neue Formen des Wissens erschließen, Quellen für Empowerment sein oder Leiden sichtbar machen. Als erstes Prinzip von Data Feminism formulieren D’Ignazio und Klein deshalb die Analyse von Macht. Sie greifen dafür auf ein Machtkonzept der US-amerikanischen Soziologi*n und Aktivist*in Patricia Hill Collins (2000) zurück.

Black Feminist Thought, Intersektionalität und die Matrix of Domination

Patricia Hill Collins beschreibt in ihrem Klassiker Black Feminist Thought das Konzept der Matrix of Domination als intersektionale Heuristik für das Verständnis und die Analyse sich überlappender und kreuzender („intersecting“) Machtachsen und Diskriminierungsformen (Hill Collins 2000: 273–290). Sie betrachtet dabei insbesondere die Diskriminierung entlang der Kategorisierungen und Machtachsen race und gender. Wie auch Kimberlé Crenshaw (1991), möchte sie eine intersektionale Perspektive auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse die jeweils spezifischen Unterdrückungs-, Gewalt-, und Diskriminierungserfahrungen von minorisierten Personen oder Gruppen aufgrund zugeschriebener Konstrukte wie race, gender, Alter, Religion, sexueller Orientierung, Nation etc. in den Blick bekommen4). Minorisierungen erfolgen ausgehend von Kategorisierungen und durch das Erzeugen von Differenz (zum Beispiel in Form von kulturell und diskursiv konstruierten Dichotomisierungen wie männlich/weiblich, Schwarz/weiß5) jung/alt, etc.) sowie der Markierung von Subjekten als Andere (zum Beispiel das „Weibliche“ als das Andere des universellen „Männlichen“) und/oder als von der universellen Norm (zum Beispiel der heterosexuellen Norm) abweichend (dazu auch Butler 1991). Mithilfe der heuristischen Konstruktion der Matrix of Domination können die Ebenen und sozialen Sphären fokussiert werden, in denen bestimmte Formen der Unterdrückung (oder auch des Widerstands) wirken.

Die vier Domänen der Matrix of Domination

Formen der Unterdrückung und des Widerstandes können Hill Collins (2000) zufolge auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden, die sich analytisch voneinander abgrenzen lassen, praktisch jedoch eng verwoben sind. In ihrem Konzept der Matrix of Domination unterscheidet Hill Collins vier Domänen der Macht beziehungsweise der Herrschaft (Überblick):

1. Structural Domain Unterdrückung auf struktureller Ebene, „Organisation“ der Unterdrückung durch Gesetze und Politiken
2. Disciplinary Domain “Verwaltung” und “Management” von Unterdrückung; praktische Umsetzung und Implementierung von Gesetzen/Politiken
3. Hegemonic Domain Legitimation von Unterdrückung und hegemonialen Formen des Wissens durch Ideologie, Bilder, Ideen, Kultur, Medien usw.
4. Interpersonal domain Individuelle und alltägliche Erfahrungen von Gewalt/Unterdrückung/Diskriminierung in zwischenmenschlichen Interaktionen

Begriffliche Abgrenzung

Der für das Machtkonzept von Hill Collins zentrale Begriff der domination besitzt keine eindeutige Entsprechung in der deutschen Sprache6). Während domination im Gegensatz zu dem allgemeinen Begriff power (Macht) stärker den Aspekt aktiver Unterdrückung einer Gruppe oder Person durch eine andere betont, verwendet Collins bezüglich der Domänen, die die Matrix of domination konstituieren, den Begriff power. Sie schreibt beispielsweise:

Black women’s experience and ideas illustrate how these four domains of power shape domination” (ebd.: 277)

Der Begriff der domination ließe sich also vielleicht mit Vorherrschaft oder Beherrschung übersetzen, wenngleich eine Abgrenzung zum Begriff der Hegemonie diesbezüglich schwierig ist. Gleichzeitig ist die Konnotation des Begriffs nicht weit von der Bedeutung des Begriffs der Unterdrückung entfernt. Im Folgenden wird auf eine eindeutige Übersetzung des Begriffs verzichtet.

1. Structural domain

Die structural domain bezieht sich auf institutionalisierte Formen der Unterdrückung, der Diskriminierung und den sozialen, politischen oder ökonomischen Ausschluss von minorisierten Subjekten (ebd.: 277-280). Hill Collins beschreibt die structural domain als eine Ebene der Matrix of Domination, die auf eine langfristige Unterdrückung abzielt und systematisch Unterdrückung organisiert (ebd.: 277). Dies geschieht vor allem über Gesetze, Politiken und politische Programme. Eine Veränderung in der structural domain zu erzielen ist laut Hill Collins ein langwieriger Prozess, denn ein wichtiger Bestandteil zur Aufrechterhaltung struktureller Unterdrückung sind zwischengeschaltete (staatliche und soziale) Institutionen, die als ausführende Organe jener diskriminierenden Gesetze und Politiken fungieren. Politiken des Ausschlusses oder der Diskriminierung werden über diese Institutionen forciert und realisiert (ebd.: 277). Deswegen betont Hill Collins:

“[…] segregation of this magnitude cannot be changed overnight. […] For U.S. Black women, social change has more often been gradual and reformist, punctuated by episodes of systemwide upheaval.” (ebd.: 277 f.)

2. Disciplinary domain

Laws may change, but the organizations that they regulate rarely change as rapidly. […] If you can no longer keep Black women outside, then how can they best be regulated once they are inside?” (ebd.: 280)

Die disciplinary domain nimmt Unterdrückungspraktiken in den Blick, die nicht auf „direkter“ oder „rechtlicher“ Diskriminierung beruhen, sondern indirekten und eher gouvernementalen Charakter haben. Oder in den Worten Michel Foucaults: Macht operiert hier über den Modus „Führung zu lenken“ (Foucault 2005: 286). In der disciplinary domain wird Unterdrückung, die in der structural domain organisiert und institutionalisiert wird, „verwaltet“ oder „gemanaged“. Sie zielt darauf ab, sichtbar zu machen, wie bestimmte Teile der Bevölkerung gezielt kontrolliert und diszipliniert werden (Hill Collins 2000: 280–283). Unterdrückung erfolgt hier über Machttechniken der Überwachung, der Hierarchisierung, aber beispielsweise auch in Form bürokratischer Hürden für Personen, die es ohnehin schwer haben, weil sie minorisiert werden. Dies betrifft zum Beispiel People of Color oder Menschen mit geringem Einkommen (D'Ignazio, Klein 2020: 25; Hill Collins 2000: 281). D’Ignazio und Klein beschreiben Techniken der Machtausübung innerhalb der disciplinary domain für den US-Amerikanischen Kontext:

Even still, many state voting laws continued to include literacy tests, residency requirements, and other ways to indirectly exclude people who were not property-owning white men. These restrictions persist today, in the form of practices like dropping names from voter rolls, requiring photo IDs, and limits to early voting” (D'Ignazio, Klein 2020: 25)

3. Hegemonic domain

Die hegemonic domain der Matrix of Domination umfasst die ideologischen Aspekte von Unterdrückung. Konkret spricht Hill Collins hier von der Produktion von Kultur im weitesten Sinne und der Produktion von Bildern 7), Ideen und Vorstellungen, die hegemoniale Formen des Wissens und Unterdrückung legitimieren sollen (Hill Collins 2000: 283–287). Darüber hinaus hat die hegemonic domain eine Vermittlungsfunktion zwischen den anderen drei Domänen, in die sie ausstrahlt und auch dort die jeweiligen Unterdrückungspraktiken legitimiert (ebd.: 284). Orte der Ideologieproduktion sind nach Hill Collins neben der besonderen Bedeutung der Massenmedien unter anderem: „School curricula, religious teachings, community cultures, and family histories” (ebd.: 284). Die Bedeutung der hegemonic domain beruht also darauf, dass Bewusstsein geformt und manipuliert wird (ebd.: 285). Hill Collins betont gerade für diese Domäne die Bedeutung, aber auch die Schwierigkeiten von Empowerment, Kritik und der Hervorbringung alternativen Wissens:

Empowerment in this context is twofold. Gaining the critical consciousness to unpack hegemonic ideologies is empowering. Coming to recognize that one need not believe everything one is told and taught is freeing for many Black women. But while criticizing hegemonic ideologies remains necessary, such critiques are basically reactive. Thus, the second dimension of empowerment within the hegemonic domain of power consists of constructing new knowledge.” (ebd.: 286)

4. Interpersonal domain

Die interpersonal domain versucht denjenigen Gewalt- und Unterdrückungserfahrungen Rechnung zu tragen, die minorisierte Subjekte in alltäglichen und zwischenmenschlichen Interaktionen machen (ebd.: 287 f.). Collins bemerkt dazu:

“[…] the interpersonal domain functions through routinized, day-to-day practices of how people treat one another […]. Such practices are systematic, recurrent, and so familiar that they often go unnoticed. Because the interpersonal domain stresses the everyday, resistance strategies within this domain can take as many forms as there are individuals.” (ebd.: 288)

Wenngleich Collins den Fokus auf subtile Formen der Unterdrückung legt, können diese alltäglichen Erfahrungen und Ereignisse von verbalen Attacken bis hin zu Mord reichen, wie D’Ignazio und Klein betonen (2020: 35). Die interpersonal domain unterstreicht, dass Machtfragen für minorisierte Subjekte existenzielle Fragen des Überlebens sind. Sie unterstreicht auch, wie Hill Collins betont, dass diese Erfahrungen Quellpunkte für widerständiges Wissen sein können:

When it comes to knowledge, Black women’s empowerment involves rejecting the dimensions of knowledge that perpetuate objectification, commodification, and exploitation.” (Hill Collins 2000: 289)

Machteffekte innerhalb der Matrix of Domination

Innerhalb der Matrix of Domination gibt es Hill Collins zufolge weder Machteffekte, die auf eine dichotome oder manichäische Unterteilung in „reine“ Opfer und „reine“ Täter*innen zurückzuführen sind, noch ein übergeordnetes Machtprinzip, auf das sich die verschiedenen Machtachsen einengen und unter welches sie sich subsumieren ließen (Hill Collins 2000: 274). Vielmehr wirkt Unterdrückung entlang historisch gewachsener Machtachsen, die gleichwertig nebeneinander existieren und sich im Falle einer Überlappung wechselseitig verstärken können. So erfahren Subjekte je nach Position innerhalb der Matrix stärkere oder weniger starke, jedoch vor allem spezifische Formen der Diskriminierung und/oder Gewalt (Crenshaw 1991; Hill Collins 2000). Hill Collins und Crenshaw zeigen beispielsweise, dass Diskriminierungserfahrungen von als Schwarz und weiblich gelesenen Personen in den USA erheblich von denen als Schwarz und männlich gelesenen Personen abweichen, wenngleich beide in einer von weißen Personen dominierten Welt entlang der Machtachse von race diskriminiert werden (ebd.). So wurden beispielswiese Liebesbeziehungen zwischen als Schwarz und männlich gelesenen Personen und Personen, die als weiß und weiblich gelesen werden lange Zeit eher gebilligt, als Liebesbeziehungen zwischen als weiß und männlich gelesenen Personen und Personen, die als Schwarz und weiblich gelesen werden (Hill Collins 2000: 151–166).

Die Dialektik von Unterdrückung und Widerstand

Keine gesellschaftliche Praxis, keine Äußerung, kein Ereignis findet unabhängig von der jeweiligen Situierung innerhalb historisch gewachsener Machtbeziehungen statt (dazu Butler 1991; Haraway 1995). Hill Collins nimmt folglich an, dass Unterdrückung und Widerstand in der Matrix of Domination in einem dialektischen Wechselspiel verflochten sind (Hill Collins 2000: 274). Bestimmte Formen der Unterdrückung bringen bestimmte Formen des Widerstands hervor und bleiben stets wechselseitig und in einem ambivalenten Verhältnis aufeinander bezogen8). Denn wie Hill Collins ausführt, bleibt die Reflektion auf die Wirkungsweisen und Mechanismen der Unterdrückung sowie auf den Kontext innerhalb der Matrix of domination entscheidend, um zu vermeiden, dass scheinbar „fortschrittliche“ Ideen, Äußerungen oder Praktiken in ihr Gegenteil umschlagen. Die Frage nach Widerstand und neuen Wissensformen wird für Hill Collins immer schon in einem bestimmten und historisch variablen Kontext der Macht gestellt, der insbesondere durch die weiße und patriarchale Vorherrschaft geprägt ist (ebd.: 269). Sie schreibt bezüglich des Aufkommens einer Rhetorik der „Farbenblindheit“ in den USA:

Under this […] rhetoric of color-blindness, equality meant treating all individuals the same, regardless of differences they brought with them due to the effects of past discrimination or even discrimination in other venues. […] Within this logic, the path to equality lies in ignoring race, gender, and other markers of historical discrimination that might account for any differences that individuals bring to schools and the workplace.” (ebd.: 279)

Die von Hill Collins durch die Dialektik von Unterdrückung und Reaktion angedeutete Möglichkeit Widerstand zu leisten, verweist auf die „Agency“ (Handlungsfähigkeit) minorisierter Subjekte und/oder Gruppen sowie auf die Notwendigkeit der eigenen Verantwortung in einer Geschichte der Unterdrückung bewusst zu werden und gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen (ebd.: 274). Aktiver Widerstand ist nach Collins gerade für minorisierte Gruppen ein zweischneidiger Prozess, der zum einen die Reaktion auf die Unterdrückungserfahrung beinhaltet, sowie in einem umfassenderen Horizont eines universellen Kampfes für soziale Gerechtigkeit und Empowerment angesiedelt ist und die Hervorbringung neuen Wissens und nichts weniger als die Veränderung des Bewusstseins von Subjekten erfordert (ebd.). Die in Black Feminist Thought verhandelten Möglichkeiten Widerstand zu leisten stehen damit auch in einer dekolonialen Tradition9), die die Überwindung hegemonialer und (neo-)kolonialer Formen von Wissen, „Objektivität“ oder „Neutralität“ zum Ziel hat, durch welche globale Machtasymmetrien verfestigt werden (dazu zum Beispiel Quijano, 1992). Denn wie bereits Frantz Fanon (1981: 65) beklagt:

Für den Kolonisierten ist Objektivität immer etwas, das sich gegen ihn richtet.“

Data Feminism und die Analyse von Macht mithilfe der Matrix of domination

Data Feminism übernimmt zentrale Annahmen aus Hill Collins Machtverständnis und wendet sie auf die Betrachtung von Daten an. Die Analyse der Machtbeziehungen, in denen Daten als Daten auftreten wird für D’Ignazio und Klein (2020: 21) zum ersten Prinzip von Data Feminism. Die Autor*innen berufen sich maßgeblich auf das Konzept der Intersektionalität und betonen die Bedeutung von Prozessen der Minorisierung für den wissenschaftstheoretischen Zugang zu Daten:

“[…] we use the term minoritized to describe groups of people who are positioned in opposition to a more powerful social group. While the term minority describes a social group that is comprised of fewer people, minoritized indicates that a social group is actively devalued and oppressed by a dominant group, one that holds more economic, social, and political power.” (ebd.: 26)

Im Mittelpunkt ihres Wissenschaftsverständnisses steht dabei insbesondere die Annahme, dass Daten weder neutral noch per se objektiv sein können und immer schon in einem hegemonialen Wissenssystem verortet sind, in welchem privilegierte Personen die Macht haben jene epistemischen Bedingungen zu formen, in denen Wissen als Wissen auftritt. Begriffe wie „Objektivität“ oder „Neutralität“ sind aus der Perspektive von Data Feminism folglich Instrumente der Macht und der Herrschaft. Sie verschleiern, dass alle Daten zunächst von Personen mit bestimmten Standpunkten und Positionen innerhalb der Matrix of Domination erhoben, ausgewertet und schließlich interpretiert werden müssen (dazu auch boyd, Crawford 2012: 668).

Beispiel: Der Fall Joy Buolamwini – Wie Gesichtserkennung scheitern kann

Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit Gesichtserkennungssoftware am Massachusetts Insitute of Technology musste die ghanaisch-amerikanische Forscher*in Joy Buolamwini feststellen, dass ihr dunkelhäutiges Gesicht von der verwendeten Gesichtserkennungstechnologie nicht erkannt wurde (D'Ignazio, Klein 2020: 29). Es stellte sich heraus, dass das zugrundeliegende Datenset zu 78 Prozent aus männlichen und zu 84 Prozent aus weißen Gesichtern bestand (ebd.). Selbst eine weiße Plastikmaske wurde in der Folge von der Technologie besser erkannt als das Gesicht der Forscher*in (ebd.). Als Reaktion auf das Vorliegen einer rassistischen und sexistischen Verzerrung in den Basisdaten und den darauf aufbauenden Algorithmen, startete Buolamwini aktivistische Tätigkeiten, anhand derer sich die vier Domänen der Matrix of Domination erläutern lassen (ebd.: 32):

Disciplinary Domain

Im Rahmen einer Studie führten Buolamwini und Gebru 10) eine detaillierte technische Überprüfung der Software durch und quantifizierten das für die im Algorithmus wirkenden Verzerrungen verantwortliche Missverhältnis der eingespeisten Daten (ebd.: 32).

Structural domain

Buolamwini berät seitdem die Gesetzgebung bezüglich Computer-Standards und setzt sich für einen gesetzlichen Stopp des Gebrauchs von Gesichtserkennungssoftware für Zwecke der Überwachung ein11). Außerdem gründete sie die Algorithmic Justice League (ebd.: 32).

Hegemonic domain

Gleichzeitig hält Buolamwini Vorträge, TED Talks12) und organisiert Kunstprojekte13), um für das Thema auch medienwirksam zu sensibilisieren (ebd.: 32).

Interpersonal domain

Die Algorithmic Justice League arbeitet eng zusammen mit Forscher*innen und Studierenden, um deren alltägliche Arbeit mit Daten zu unterstützen und den Umgang mit Technologien, die auf Algorithmen beruhen, zu reflektieren (ebd.: 32).

Daten als Instrumente zur Reproduktion hegemonialer Wert- und Wissensordnungen

Die Analyse von Macht und deren konkreter Auswirkungen verweist für Data Feminism schließlich auf die Beantwortung von Fragen wie: Wer erhebt die Daten, wer wertet sie aus und wer nicht? Wessen Ziele oder Bedürfnisse werden priorisiert und wessen nicht? Wer profitiert von Data Science und wer wird übersehen und dadurch bedroht oder gar verletzt (D'Ignazio, Klein 2020: 26)? Außerdem stellt sich hinsichtlich der Werthierarchien die Frage zu welchen Zwecken und in wessen Interesse Daten erhoben werden. D’Ignazio und Klein fassen die Ziele und Zwecke von Data Science und den jeweils assoziierten Institutionen als drei „s“ zusammen (ebd.: 42): science (universities), surveillance (governments), selling (corporations). Das Problem, das unter Berücksichtigung der Matrix of Domination entsteht, wenn Daten im Rahmen von Forschung, Überwachung und Verkauf erhoben, ausgewertet und aufbereitet werden, beschreiben D’Ignazio und Klein (2020: 42) folgendermaßen:

Only powerful corporations like Facebook and Target, along with wealthy governments and elite universities, have the resources to collect, store, maintain, analyze, and mobilize the largest amounts of data. Next, who is in charge of these well-resourced institutions? Disproportionately men, even more disproportionately white men, and even more than that, disproportionately rich white men.”

Daten sind nicht wertneutral

Die Tatsache, dass bestimmte Daten gar nicht, unzureichend und fehlerhaft erhoben oder ausgewertet werden, zeigt, dass in Daten hegemoniale Machtungleichgewichte, Werthierarchien und Bedeutungsökonomien reproduziert werden (ebd.: 23). D’Ignazio und Klein fassen zusammen:

The phenomenon of missing data is a regular and expected outcome in all societies characterized by unequal power relations, in which a gendered, racialized order is maintained through willful disregard, deferral of responsibility, and organized neglect for data and statistics about those minoritized bodies who do not hold power.” (ebd.: 38 f.)

Im Zusammenhang mit eklatanten Lücken in der Erfassung von Schwangerschaftskomplikation in den USA zitieren D’Ignazio und Klein den Chef des CDC’s Maternal and Infant Health branch, William Callaghan, der knapp zusammenfasst:

What we choose to measure is a statement of what we value [… and] it's a measure of who we value […], too. (S.23).

Deutlich wird, wie durch Daten die Reproduktion hegemonialer Werthierarchien vorangetrieben wird und wie Daten sogar Einfluss darauf haben können, welche Leben als „wertvoll“ oder - mit Judith Butler gesprochen - als „betrauernswert“ gelten (Butler 2005). Auch die performativen Effekte der Sprechakte, die sich aus der Rede von „Objektivität“ oder „Neutralität“ für die Validität von Daten ergeben, reproduzieren Strukturen hegemonialer Wissensordnungen und Werthierarchien, da die Hervorbringung jenes hegemonialen Wissens nicht als Folge einer Geschichte der Macht und Unterdrückung angesehen wird, sondern meist und häufig unabsichtlich aus einer unreflektiert-privilegierten Perspektive heraus stattfindet. D’ignazio und Klein verwenden hierfür auch den Begriff des privilige hazard (D'Ignazio, Klein 2020: 29).

Data Feminism, Black Feminist Thought und die Konstruktion neuen Wissens

Die Frage, wo und wie Daten erhoben werden, ist dementsprechend eng verknüpft mit der Frage, für welchen Zweck sie erhoben werden und der Frage, welche Machtverhältnisse und Machtachsen bei der Datenerhebung wirken. Die Struktur von Institutionen wiederum bestimmt den Kontext, in welchem Data Science hegemoniale Formen des Wissens reproduzieren oder in welchem Data Science als widerständige Praxis neue Formen des Wissens hervorbringen kann. Denn wie D’Ignazio und Klein betonen, kann sowohl das Fehlen wie auch das Sammeln und Sichtbarmachen von Daten dazu führen, dass minorisierte Gruppen geschützt, oder im Gegenteil gefährdet werden, je nachdem in welchem Kontext der Macht und unter welchen Bedingungen diese Daten (nicht) erhoben werden (D'Ignazio, Klein 2020). Wie D'Ignazio und Klein (2020) nahelegen, muss Data Feminism auch die hegemonialen Formen der Datenerfassung und der Datendarstellung erweitern, um alternative Formen des Wissens zu erschließen und die Normen der Anerkennung jenes Wissens zu verschieben (dazu auch Hill Collins, 2000; Butler, 2007).

Daten und ihre Verstrickung in die Geschichte hegemonialer Wissensformen

Die durch Daten produzierten Werthierarchien sind also keineswegs „neutral“, sondern eingebettet in eine Geschichte, die von denjenigen geschrieben wird, die aus einer machtvolleren Position innerhalb der Matrix of Domination sprechen können. Die Annahme, ohne Berücksichtigung der eigenen Position innerhalb der Matrix Daten „neutral“ behandeln zu können, ist demnach zum einen Folge einer Verblendung privilegierter Subjekte. Außerdem könnte sich darin auch ein mystifizierender Effekt eines Wissensverständnis erkennen lassen, das historisch bis in die europäische Aufklärung und den europäischen Kolonialismus zurückreicht und insbesondere auf der Grundlage maskulinisierter Begriffe und Konzepte wie Rationalität, Objektivität, Modernität und Technik hervorgebracht wurde, und das einst Teil eines umfassenden Programms kapitalistischer Rationalisierung war (Federici 2020; Quijano 1992, 1999; Quijano 2000). Anibal Quijano spricht diesbezüglich zudem von einem Eurozentrischen Wissen, welches als universelle und hegemoniale Perspektive der Erkenntnis etabliert wurde und noch immer neo-koloniale Machtasymmetrien aufrechterhält (zum Beispiel 2000). Zusammengefasst sind in der Struktur der Daten also Machteffekte zu erkennen, die auf das Vorhandensein und das Wirken historisch weit zurückreichender Machtachsen in der Matrix of domination verweisen. Gleichzeitig wird durch das Auftreten jener Daten als Daten Wissen fortgeschrieben, durch das Unterdrückungsmechanismen reproduziert werden, welche vor allem durch die Produktion von Ideen, diskursiven Setzungen und Narrativen Legitimation erfahren. Dass Daten als Daten bezeichnet und als solche behandelt werden, hängt wiederum davon ab, wer in der Matrix of Domination in der Position ist (historisch in der Position war und in der Position sein wird), Deutungs- und Sprechhoheit in Anspruch zu nehmen. Ein wichtiger Teil dieses Wissens- und Wissenschaftsverständnisses ist, wie auch Hill Collins (2000) und D’Ignazio und Klein (2020) erläutern, die Forderung Distanz zum Untersuchungsobjekt zu wahren, die Abwertung von Emotionen beziehungsweise emotionaler Betroffenheit im Erkenntnisprozess, sowie die Forderung dabei ethische Überlegungen und moralische Werte zu unterdrücken. Wie Hill Collins (2000: 266) schreibt, hat dies bedeutsame Konsequenzen für die Hervorbringung alternativer Wissensformen:

[…] emotions, ethics, and reason are used as interconnected, essential components in assessing knowledge claims. In this alternative epistemology, values lie at the heart of the knowledge validation process such that inquiry always has an ethical claim. Moreover, when these four dimensions become politicized and attached to a social justice project, they can form a framework for Black feminist thought and practice.”

Data Feminism und die Schwierigkeit, alternatives Wissen zu rechtfertigen

In Anlehnung an das dialektische Machtverständnis von Hill Collins in Black Feminist Thought (2000), gehen D’Ignazio und Klein (2020) davon aus, dass auch mithilfe von Daten neues, alternatives oder subversives Wissen generiert werden kann. Doch sind die Möglichkeiten der Hervorbringung dieses Wissens gebunden an die in den jeweiligen Kontexten geltenden hegemonialen Regeln und Normen zur Anerkennung eben jenes Wissens (aus poststrukturalistischer und diskursorientierter Perspektive dazu auch Butler 2007). Hill Collins (2000: 253) beschreibt dieses Dilemma und den Ausweg, vor allem für People of Color, folgendermaßen:

“[…] each community of experts must maintain its credibility as defined by the larger population in which it is situated and from which it draws its basic, taken-for-granted knowledge.”
Black women have long produced knowledge claims that contested those advanced by elite White men. But because Black women have been denied positions of authority, they often relied on alternative knowledge validation processes to generate competing knowledge claims.” (ebd.: 254)

Die aktivistische Arbeit von Data Feminism, die eine Affinität zu den Kämpfen für soziale Gerechtigkeit der Black feministischen Bewegung für sich behauptet, kann dazu beitragen, Verschiebungen derjenigen Kraftlinien und Machtachsen anzustoßen, die wiederum neue Möglichkeiten der Datensammlung, Datenauswertung, Datenvisualisierung etc. eröffnen (zum Verständnis von Affinität im Zusammenhang mit Identitätspolitiken Haraway 1995). Je nach Ort und Kontext muss Data Science als widerständige Praxis unterschiedliche Formen annehmen. Die Produktion neuen und widerständigen Wissens ist dabei keine ausschließlich intellektuelle Tätigkeit in einem akademischen Rahmen. Sowohl Hill Collins (2000), als auch D’Ignazio und Klein (2020) betonen die Bedeutung subversiver Praktiken von Musiker*innen, Aktivist*innen, Arbeiter*innen etc. Für Data Feminism besteht die aktivistische Praxis vor allem darin, etablierte Formen hegemonialen Wissens und die vorherrschenden Prozesse und Normen der Validierung und Anerkennung jenes Wissens herauszufordern, aufzulösen oder zu erweitern (D'Ignazio, Klein 2020).

Literatur

boyd, danah / Crawford, Kate 2012: CRITICAL QUESTIONS FOR BIG DATA. Information, Communication & Society, 15. Jg., Heft 5, 662–679.

Butler, Judith 1991: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Butler, Judith 2005: Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Butler, Judith 2007: Kritik der ethischen Gewalt. Adorno-Vorlesungen 2002, Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Crenshaw, Kimberle 1991: Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence against Women of Color. Stanford Law Review, 43. Jg., Heft 6, 1241.

D'Ignazio, Catherine / Klein, Lauren F. 2020: Data feminism. Cambridge Massachusetts, London England: The MIT Press.

Fanon, Frantz 1981: Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Federici, Silvia 2020: Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. Wien: Mandelbaum.

Foucault, Michel 2005. [1982]: Subjekt und Macht. In Dits e. E. ders. (Hg.), Schriften. Band 4. Frankfurt a. M., 269-294.

Haraway, Donna J. 1995: Die Neuerfindung der Natur: Campus-Verlag Frankfurt aM.

Hill Collins, Patricia 2000: Black feminist thought. Knowledge, consciousness, and the politics of empowerment. New York, NY: Routledge.

Quijano, Anibal 2000: Coloniality of power and Eurocentrism in Latin America. International Sociology, 15. Jg., Heft 2, 215–232.

Quijano, Aníbal 1992: Colonialidad y modernidad/racionalidad. Perú indígena, 13. Jg., Heft 29, 11–20.

Quijano, Aníbal 1999: Colonialidad del poder, cultura y conocimiento en América Latina. Dispositio, 24. Jg., Heft 51, 137–148.

1)
Zum Konzept der Intersektionalität folgender wichtiger Standardtext von Kimberlé Crenshaw: https://www.jstor.org/stable/1229039
2)
Zur Einordnung von Big Data im Kontext von Data Feminism, Intersektionalität und Fragen sozialer Gerechtigkeit/Ethik folgende zwei Artikel: https://dl.acm.org/doi/10.1145/3442188.3445922 und https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/1369118X.2012.678878
3)
Auf folgenden Artikel von Buolamwini und Gebru wird im Wiki eingegangen, um die Verflechtungen der vier Domänen der Matrix of Domination zu erläutern: http://proceedings.mlr.press/v81/buolamwini18a/buolamwini18a.pdf
4)
TED Talk von Kimberlé Crenshaw zu Intersektionalität: https://www.youtube.com/watch?v=akOe5-UsQ2o
5)
Um die Bedeutung des Begriffes Schwarz als politische und rassifizierende Markierung/Kategorisierung zu betonen, sowie als Selbstbezeichung von People of Color aufzugreifen, wird Schwarz im Folgenden groß geschrieben. Um die privilegierte Position von Weißen in Bezug auf Rassismus zu unterstreichen wird weiß im Folgenden klein und kursiv geschrieben
6)
Folgende Übersetzungen des Begriffs domination bietet das Wörterbuch Pons an: https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/domination
7)
Patricia Hill collins erklärt die Macht von Bildern („Images“): https://www.youtube.com/watch?v=XVdbyhuAJEs
8)
Zur Ambivalenz von widerständigen Praktiken und zum Umgang mit Diskriminierungserfahrungen in Anlehnung an die Erkenntnisse von Hill Collins folgender Artikel von Michelle D. Byng: https://www.jstor.org/stable/3097208
9)
Eine kurze Einführung bietet folgender Vortrag von Walter Mignolo: https://www.youtube.com/watch?v=pIURo8B_YdE
11)
Hierzu die Links auf folgender Seite: https://www.media.mit.edu/people/joyab/overview/
12)
TED Talk von Buolamwini zur Bekämpfung von Verzerrungen in Algorithmen: https://www.ted.com/talks/joy_buolamwini_how_i_m_fighting_bias_in_algorithms
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