Ethnosexismus, Intersektionalität und Feministische Theorie(n)

Einführung: Feminismus in der Postmoderne

Was ist sie, die Feministische Theorie in der Postmoderne? Schon die Überschrift verdeutlicht: Eine klare Antwort gibt es nicht. Doch dies ist bereits eine hilfreiche Erkenntnis bei dem Versuch, feministische postmoderne Theorie(n) zu definieren. Denn ein wichtiges Merkmal der Postmoderne ist, dass sie nicht den Anspruch besitzt, ein übergeordnetes Metanarrativ zu schreiben, sondern viel mehr Kritik an eben jenen übt. Die Autorin Christina Thürmer-Rohr (1995:78) postuliert sogar, dass die Postmoderne aktiv an der Zersplitterung gängiger Theoriegebilde und Aktionsformen arbeite. Dies führe zu einer absoluten Differenz, welche keinen gemeinsamen Nenner mehr zulasse.

Daher können die Begriffe der Differenz und Pluralität auch als Schlüsselbegriffe der postmodernen feministischen Theorie identifiziert werden. Darüber hinaus stellt sie den Anspruch an die soziologische Theorie, Herrschaftsansprüche und -prozesse, Ungleichheits- und Machtverhältnisse aufzudecken und theoretische Konzepte von diesen zu befreien. Die Theoretiker*Innen müssten hierzu eine eurozentrische Perspektive ablegen und Deutungshoheiten auch auf epistemischer Ebene verhindern.

Folglich wird auch die Kategorie der 'Frau*' nicht mehr als universale Größe gekennzeichnet, sondern als Produkt sozialer Konstruktionen. Dementsprechend liegt der Fokus eines konstruktivistischen postmodernen Feminismus (welcher in dieser Arbeit als Grundlage theoretischer Annahmen dient) nicht mehr auf dem Gegensatz zwischen Mann* und Frau*, sondern auf der Unterschiedlichkeit der einzelnen Subjekte innerhalb dieser künstlich konstruierten Entität 'Frau*'. Jegliches Individuum werde [falls nicht Teil der weißen, männlichen hegemonialen Gruppe 1)] durch mehrere spezifische Mechanismen benachteiligt. Die Art der Diskriminierung konstituiert sich aufgrund verschiedener Zuordnungen eben jenes Subjektes zu bestimmten sozialen Gruppen. Natürlich beruht die Schaffung solcher Einheiten oder wie sie später auch genannt werden sollen – Kategorien – notwendigerweise auf einem reduktionistischen Verständnis, in dem jedoch die diversen Kategorien, die einem Individuum zugeordnet werden können, spezifiziert werden, lassen sich die Diskriminierungserfahrung der jeweiligen Person genauer beschreiben.

Intersektionalität

Das Konzept der Intersektionalität bezeichnet eine Analysestrategie in der Ungleichheits- und Geschlechterforschung. Bekannt ist es seit den späten 1980er Jahren und gewann in den letzten Jahren bis heute zunehmend an Popularität. Es entstand aus dem us-amerikanischem Kontext spezifischer Diskriminierungserfahrungen farbiger Frauen*.
Dabei sollen die Wechselwirkungen zwischen Analysekategorien untersucht und so erklärt werden, wie spezifische Diskriminierung entstehen kann. Ursprünglich beschränkten sich die Kategorien sozialer Positionierung auf die Trias ‘Race, Class und Gender‘, inzwischen wird diese Vorgehensweise jedoch als ungenügend beurteilt. Weitere Kategorien könnten zum Beispiel Sexualität, Alter, Religion, Nationalität, Milieu oder geopolitische Position sein, die Auswahl der Kategorien ist hierbei abhängig von dem zu untersuchenden Gegenstand.

Die Geschlechterforscherinnen* Gabriele Winker und Nina Degele (2009) stellen in ihrer Monographie zu Intersektionalität eine Analysestrategie dar, welche nicht nur die verschiedenen Ungleichheitskategorien untersuchen soll, sondern auch ihre Wechselwirkungen in Bezug auf drei gesellschaftliche Ebenen: Zunächst eine Makro- bzw. Mesoebene, auf der soziale Strukturen, Institutionen und Organisationen zu verorten sind. Hierzu könnte zum Beispiel die Zuordnung zu einem Geschlecht, einer Ethnie oder Staatsangehörigkeit zählen. Die zweite Ebene stellt eine Repräsentationsebene dar. Dies sind alltägliche soziale Handlungen, kulturelle Codes, durch welche gängige Normen, Narrative und Vorstellungen reproduziert werden. Auf einer Mikroebene werden schließlich Aspekte der Identitätsbildung untersucht. Dabei soll betont werden, dass die Kategorien nicht lediglich als ‚Add-on‘ (Bsp.: Frau*, aus sozial schwachem Milieu, Migrationshintergrund) zu verstehen sind, sondern dass Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Kategorien über die unterschiedlichen Ebenen hinaus bestehen (Winker/Degele:10).
Ein interessantes Beispiel dieser Verflechtung ist dasjenige eines homosexuellen (Sexualität), weißen, europäischen (Ethnie), beruflich erfolgreichen (soz. Milieu/Klasse) Mannes* (Geschlecht). Obwohl dieser* eigentlich zur gesellschaftlich hegemonialen Gruppe zuzuordnen wäre, wird er* aufgrund seiner Zugehörigkeit zu benachteiligten Kategorien der anderen sozialen Ebenen Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sein.

Sexismus und Ethnosexismus

Wie im Vorhergehenden bereits erläutert, besteht die Problematik von Diskriminierung unter anderem darin, dass sie intersektional, folglich multidimensional stattfindet. Der Terminus des Ethnosexismus wurde durch die Forscherin* Gabriele Dietze (2016b:178) in ihrem gleichnamigen Artikel geprägt. Beim Betrachten dieses Begriffs wird bereits deutlich, dass es sich hierbei um eine kompositorische Form der Diskriminierung auf der Basis von Ethnie [Race2)] und Geschlecht handelt und somit aus zwei der oben beschriebenen Ungleichheitskategorien besteht. Des Weiteren erinnert der Ausdruck an den herrschaftskritischen Begriff des Eurozentrismus.

Sexismus bezeichnet allgemein die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht. Daher kann dieser sich sowohl gegen Männer* wie auch Frauen* richten. In der spezifischen Form des Ethnosexismus benachteiligt dieser Frauen* und Männer*, welche durch ihre Ethnizität als 'anders' markiert wurden. Daher stammen die Betroffenen meistens aus einer gesellschaftlich und sozial marginalisierten Gruppe(Dietze 2016b:178).

Diskurse

Diskurse über die 'Anderen' oder die Andersartigkeit einer bestimmten Gruppe innerhalb der Gesellschaft folgen bestimmten Logiken und laufen in der Regel innerhalb eines bereits existierenden Interpretationsrahmens (Dispositiv) ab. Daher basieren sie auf vermeintlich bereits 'gesichertem Wissen' oder zumindest den Vorstellungen eines solchen über eben jene spezifische Gruppe, welche als ,anders' konstruiert wird. Tendenziell konstituiert sich die eigene Identität dabei durch die, meist negativ besetzte, Abgrenzung zu diesem ,Anderen'. Diese Art von kollektivem Gedächtnis bedient sich somit vielfach rassistischer Stereotype, wodurch eine Kulturalisierung von Rassismus stattfindet. Deswegen kann die „'interpretierende Gemeinschaft'“ (Dietze 2016b:181) wiederkehrende Themen, Motive und Ausdrücke wie zum Beispiel Familienverhältnisse, Sexuelle Gewalt und Ausländerkriminalität in bekannte Deutungsschemata einordnen, woraufhin sich negative Assoziationen reproduzieren und verfestigen. Auffällig ist hierbei, dass aufgrund der stetigen Präsenz dieser Themen ebenfalls eine Sexualisierung des Diskurses stattfindet, weshalb auch von „sexualisierte[n] Rassismen“ (Dietze 2016b:178) gesprochen werden kann.

Die vermeintlich 'Anderen', werden nicht nur aufgrund ihres anderen Aussehens (zum Beispiel dunklere Hautfarbe) als anders stigmatisiert, sondern auch kulturell abgewertet. Dies folgt logischerweise dem Prinzip der Aufwertung der ‘eigenen‘ Kultur. Dadurch werden künstliche kulturelle Einheiten konstruiert. In einer Denklehre, die das Ideal des Nationalstaates (eine Nation/Einheit auf dem Territorium eben jenes Staates) anstrebt, stellt offensichtliche Differenz eine Bedrohung dar (Messerschmidt 2017:25-29). Das Denken im Gegensatz 'Wir' und die 'Anderen' war Strategie und ist gleichzeitig Produkt des kolonialen Herrschaftdiskurses, infolgedessen die Gruppe der 'Anderen' als minderwertig stigmatisiert wurde (Dietze 2014:10; Messerschmidt 2017:24).

Prominente Diskurse um das Thema Immigration

Anhand zweier prominenter Beispiele sollen nun die Problematiken des Ethnosexismus verdeutlicht werden: Dasjenige des/der muslimischen Immigranten*/Immigrantin*. Bedrohlich erscheint prinzipiell, was als offensichtlich 'anders' gesehen wird. In diesem spezifischen Beispiel soll die Verschleierung vieler muslimischer Frauen* betrachtet werden. Die Verhüllung wird in gängigen Diskursen als Zeichen patriarchaler Unterdrückung durch zum Beispiel männliche* Familienmitglieder gewertet, was der Gruppe muslimischer Frauen* Attribute wie Selbstbestimmung, Emanzipation und sexuelle Freiheit abspricht. Erfolgt nun die Forderung nach einem Verschleierungsverbot, also einer zwanghaften Entschleierung, wird dies mit westlichen weiblichen Schönheitsidealen gerechtfertigt. Bei genauerer Betrachtung geschieht jedoch sowohl bei der zwanghaften Verschleierung sowie bei der zwanghaften Entschleierung eine Sexualisierung des weiblichen Körpers, verbunden mit spezifischen Assoziationen.
Im Umkehrschluss wird so der männliche Muslim* zum patriarchalen Unterdrücker. Beiden Geschlechtern wird die Emanzipation abgesprochen, welche als spezifische europäische Errungenschaft gekennzeichnet wird (Messerschmidt 2017:25-31).

„Dem Selbstbild einer geschlechtergerechten und sexuell emanzipierten Gesellschaft wird ein kulturalisiertes und rassifiziertes Gegenbild frauenverachtender und patriarchal erzogener Fremder gegenübergesellt“ (Messerschmidt 2017:30).

So werden gesamtgesellschaftliche Problematiken, wie sexuelle Gewalt und Strukturen, die solche begünstigen, ausgeklammert und den vermeintlich „unzivilisierten“ Fremden angehaftet. Dies führt infolge zu einer Ausgrenzung bestimmter ethnischer oder sozialer Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Hiermit verbunden ist der häufig an sie vorgebrachte Vorwurf, nicht integrationswillig zu sein, in diesem Zusammenhang wird auch von Parallelgesellschaften gesprochen. Paradox erscheint ebenso die Tatsache, dass gleichzeitig von einer rückständigen, unterdrückten und verheimlichten Sexualität gesprochen wird, der Mann* einer anderen Ethnie jedoch aufgrund seiner vermeintlichen „Hypersexualität“ (Dietze 2016b:178) als Bedrohung für die westeuropäische, weiße Frau* wahrgenommen wird.
Als gelungene Integration wird dagegen oftmals das verstanden, was treffender mit dem Begriff der Assimilation bezeichnet würde, folglich also das Verschwinden aller sichtbaren Unterschiede impliziert (Messerschmidt 2017:23-30). Ein weiteres Element dieses Diskurses ist die vermeintlich konsequente Forderung nach einer Migrationsbeschränkung.

„Geschlechterpolitische Fragen von Gleichberechtigung und Eindämmung sexueller Gewalt sind als allgemeine gesellschaftliche Fragen zu verdeutlichen. Durch eine Kulturisierung werden sie zu Sonderproblemen einer Gruppe gemacht und gegen diese Gruppe eingesetzt“ (Messerschmidt 2017:26). Doch wie Gabriele Dietze (2016b:177f.) richtig konstatiert: „[…] Sexismus [ist] weder ein Phänomen einer überwundenen Vergangenheit noch von ‚rückständigen‘ Sexualordnungen wie etwa dem Islam, sondern er finde[t] hier und jetzt und überall statt […].“

Zusammenfassung – Folgen aus diesen Praktiken:

  • Konstruktionen von Identitäten: Wir (weiß, europäisch und überlegen) und die Anderen
    →Legitimation von geopolitischen Herrschaftsansprüchen
  • Kulturalisierung von Geschlecht (Diskriminierung aufgrund einer Position als Frau*/Mann* in einer anderen Kultur
  • Sexualpolitsch argumentierende Migrationsfeindlichkeit
  • Zusammenspiel biologischer und kultureller Rassismen
  • Mehrfachdiskriminierungen aufgrund von Intersektionalität der Kategorien Geschlecht/Ethnie/Sexualität/ Religion/Milieu/Klasse
  • Instrumentalisierung feministischer Argumente zur Demonstration kultureller Überlegenheit und Etablierung eines gesellschaftsfähigen Rassismus

Silvesternacht Köln 2015/2016

Diskurs um die Silvesternacht

Die Silvesternacht 2015/16 in Köln ist für die meisten Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland wie im internationalen Ausland ein Begriff. Ein Ereignis, über welches zwar viel in lokalen und internationalen Medien berichtet wurde, welches jedoch bis zum heutigen Tag eine gewisse diffuse Bedrohlichkeit aufweist. Die Stichworte Flüchtling*, sexuelle Übergriffe und weiße Frauen* werden mit dieser Nacht assoziiert. Um den eigentlichen Geschehnissen besser auf den Grund gehen zu können, wurde vom nordrhein-westfälischen Landtag ein gesonderter Untersuchungsausschuss einberufen, dessen Abschlussbericht erst über ein Jahr später am 23.03.2017 fertiggestellt wurde.

untersuchungsausschussiv_landtag_nrw_abschlussbericht_zu_silvesternacht_koeln_15_16.pdf online (zuletzt abgerufen 29.09.2017)

Als gesichert gilt demnach, dass sich in der Silvesternacht 2015 über 1000 Menschen auf der Kölner Domplatte versammelten, um in das neue Jahr zu feiern, viele dieser Besucher seien „männliche Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene“ gewesen, die dem „äußeren Erscheinungsbild nach […] überwiegend dem nordafrikanischen/ arabischen Raum zuzuordnen [waren]“. Weiter im Text heißt es: „Aus dieser Gruppe heraus kam es im Verlauf der Nacht zu einer Vielzahl von Sexual-, Raub- und Diebstahlsdelikten, in der großen Mehrzahl zum Nachteil von weiblichen Passanten“ (Abschlussbericht 2017:15). Bis zum 18. Januar lagen 821 Anzeigen vor, von welchen 359 als Sexualdelikte einzustufen seien.

Leseempfehlung zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses IV des nordrhein-westfälischen Landtages, welcher zur Untersuchung der Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/16 einberufen wurde:

Besonders aufschlussreiche Kapitel stellt Punkt 4.4. zum Thema sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen dar, in welchem sich allgemeine Informationen und Zahlen zu sexueller Gewalt finden. Außerdem wird die Rolle des öffentlichen Raumes thematisiert sowie die Infrastruktur der Frauenhilfe (Seite 697-744). Darüber hinaus ist der Punkt 4.6.1.2.2 informativ, welcher sich mit dem Täterklientel befasst (Seite 842-857).


Die eigentliche Brisanz des Themas entfaltete sich jedoch erst im Diskurs der nachfolgenden Tage, da die Vorfälle nicht direkt am nächsten Tag durch die Polizei publiziert wurden, sondern nach und nach durch die Medien schrittweise Informationen weitergegeben wurden. Dies heizte die bereits vorhandenen Debatten um „Geschlechterverhältnisse im Islam“, „Lügenpresse“ und „Flüchtlingszuzug“ weiter an. So berichtete das öffentlich-rechtliche Fernsehen das erste Mal am 4. Januar 2017 von den Ereignissen.
TV-20160104-2056-5901.websm.h264.mp4

Relevanter Zeitraum: Minute 07.21-09.04,onlineunter, zuletzt abgerufen am 29.09.2017.

Das Thema in der Wissenschaft

Die Geschlechterforscherin* Gabriele Dietze (2016a) widmet diesem Diskurs einen eigenen Artikel mit dem Titel „Das ‘Ereignis Köln‘“, in welchem sie Problematiken im Umgang mit der Nacht aufzeigt und erläutert.

„Manchmal passiert etwas, und alle wissen sofort, was es zu bedeuten hat. Das erzeugt dann den Eindruck, man wisse genau, was für Konsequenzen angesagt sind“ (Dietze 2016a:93).

Gabriele Dietze verdeutlicht, dass der Diskurs um die Ereignisse der Silvesternacht – obwohl diese ein einmaliges Geschehnis darstellt – kein gänzlich neuer ist, sondern dass hierin auf bereits vorhandene Informationen, Assoziationen und Motive zurückgegriffen wird (vgl. Abschnitt zu Diskursen). Bei der Konstruktion von Identitäten nehme die Trope des „(hetero-)sexuellen, übergriffigen, ungebundenen, jungen, muslimischen Mann[es]“ (Dietze 2016b:180) einen besonderen Stellenwert ein. Dieser Typus stelle eine Gefahr für die innere Sicherheit dar, und wird in Verbindung mit dem Flüchtlingszuzug des Herbsts 2015, der bei vielen Europäer*Innen Unsicherheit auslöste, als Legitimation für Migrationsbegrenzungsforderungen herangezogen.

Zentrale Ergebnisse der Untersuchung:

1. Das Entstehen eines solchen Diskurses, sowie die beinhalteten Rassismen bleiben oft im Verborgenen, bzw. werden in der Regel nicht deutlich genug angeprangert, da gemeinhin in der Gesellschaft die Annahme bestehe, dass durch die Aufarbeitung der historischen Erfahrungen des Faschismus eine Emanzipation von rassistischem Gedankengut stattgefunden habe.
2. Da Homosexuelle* ebenfalls durch die Faschisten diskriminiert wurden, werde der Aufarbeitungsprozess auch mit dem Eintreten sexueller Freiheit assoziiert(Dietze 2016a:94f.).
3. Alltäglicher gesellschaftlicher Sexismus bleibe unsichtbar, und werde in ‘kulturelle Charakteristika‘ einer als anders identifizierten Gruppe ausgelagert, sogar offensichtlich genutzt, um bestimmte marginalisierte Gruppen zu diskreditieren.

„Jede abendländische Geschlechterordnung basiert auf Sexismus. […] Es tut sich hier ein interessantes Paradox auf. Der einheimische Sexismus wird nicht ‚gesehen‘, obwohl er hypervisible ist, der ethnisierte Seximus dagegen wird auch dann ‚gesehen‘ obwohl er wegen schlechter Lichtverhältnisse und fehlender Videoüberwachung nicht gesehen werden konnte“ (Dietze 2016a:97).

Diskriminiert wird hier nicht nur die konstruierte Gruppe der nordafrikanisch/arabisch (Ethnie), männlichen (Geschlecht), heterosexuellen (Sexualität) Flüchtlinge* (Soziales Milieu/Klasse), sondern auch die Betroffenen der Straftaten. Hier wird eine Gruppe von Frauen* konstruiert, welche als Opfer und Schutzbedürftige dargestellt werden, denen die Errungenschaft der sexuellen Emanzipation so indirekt abgesprochen werden, weil sie nicht in der Lage waren, ihre sexuelle Selbstbestimmtheit durchzusetzen. Im Umkehrschluss konstituiert dieses Frauen*bild eine korrespondierende Vorstellung von Männern*, welche sowohl im Gegensatz zu den muslimischen Flüchtlingen* und den viktimisierten Frauen* steht und eine Beschützerfunktion zugeschrieben erhält. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass nicht nur weiße, europäische, (Mittelklasse), Zugehörige des weiblichen Geschlechts von sexueller Gewalt und Diskriminierung betroffen sind. Somit entfällt diesem Diskurs die nicht unbedeutende Gruppe der nicht-weißen, nicht-europäischen Frauen* gänzlich. Diskriminierung, sexuelle Gewalt und Ungleichheit entstehen jedoch, wie im Vorhergehenden erläutert, nicht durch einzelne Handlungen, sondern werden durch gesellschaftliche Strukturen initiiert und reproduziert.

Gabriele Dietze

  • Forschungsschwerpunkte : Kulturwissenschaft, Geschlechterstudien, Migrations- und Okzidentalismuskritik, Postcolonial- und Critical Race Studies.
  • Studium 1970-1977 : Germanistik, Philosophie, Politologie, Amerikanistik und Cultural Studies in Frankfurt und Berlin.
  • Promotion und Habilitation :
    1996 Promotion: FU Berlin, Institut für Nordamerikastudien, Thema: „Hard-Boiled Women. Sex-Wars in American Mystery Novels“
    2004 Habilitation: HU Berlin, Thema:„Gerechtigkeit Verhandeln. Konkurrenz von Race- und Gender in US amerikanischem Emanzipationsdiskurs“
  • Lehrtätigkeiten an zahlreichen renommierten ausländischen Universitäten u.a. in Harvard, der NYU, Columbia und in Dartmouth, sowie in der Schweiz und an der HU Berlin.
  • Forschergruppe : Kulturen des Wahnsinn (seit 2009); Projekt: „Affektive Maskulinitäten“ (seit 2012)
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Die TV-Berichterstattung in ARD und ZDF über die Silvesternacht 2015/16 in Köln - Studie im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus

‘Wir kennen diese Form von Gewalt nicht‘ (Polizeisprecher in Studie 2016:27).

Die Studie „Die TV-Berichterstattung in ARD und ZDF über die Silvesternacht 2015/16 in Köln, welche von Ricarda Drüeke (2016) im Auftrag des Gunda-Werner Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung verfasst wurde, untersucht, welchen Anteil Medien bei der Entstehung und Verbreitung solcher oben beschriebener Diskurse einnehmen. Sie sind „Orte und Akteurinnen zur Herstellung von Öffentlichkeit […]. Dies geht mit der Art der Darstellung einher, wie über bestimmte Themen, Personen und Ereignisse berichtet wird“ (Studie 2016:10).

„Medien entscheiden was, wie, wodurch und mit welchen Rahmungen über Ereignisse berichet wird“ (Studie 2016:6).

Medien allgemein, doch besonders die öffentlich-rechtlichen Sender sollten eine Kritik- und Kontrollfunktion bereits bestehender Diskurse aufweisen, bzw. Ereignisse wie Köln gerade nicht in vorhandene rassistische und stereotypische Narrative einbetten. Dies zählt zu ihren Anti-Diskriminierungsverpflichtungen und zum Schutz von Minderheiten.

Die Autorin Drüeke schlussfolgert jedoch, dass die einzelnen Texte und Bilder, sowie ihre Kombination und die mehrfache Nennung bestimmter Begriffe und Themen im Zusammenhang mit dem Ereignis eine bestimmte Gruppe konstruiert, von welcher Gewalt ausgegangen sein soll.
So werden bestimmte Narrative des ‚anderen/fremden‘ Mannes hervorgerufen. Diese passen in den bereits laufenden Diskurs um Sexualität im Islam oder den der Flüchtlingskrise. Tatverdächtige bzw. Betroffene der Taten kommen selbst nicht zu Wort, der Berichterstattungsprozess wird über sie hinweg ausgetragen. Dies verdeutlicht strukturelle Machtungleichheiten, die hier am wirken sind. Denn wer sind Tatverdächtige und Opfer? Mitglieder marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen und Frauen*.

Ferner impliziert die Vorgehensweise einen höheren Bedarf an Sicherheit und schafft einen Raum, welcher für Frauen* als potenziell gefährlich dargestellt wird: der öffentliche. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass ein Großteil sexueller Gewalt im Nahraum der Opfer geschieht. Wie Gabriele Dietze (2016a:98) ebenfalls konstatiert, sind Expert*Innen für Sicherheit in den meisten Fällen weiße Männer*. Als Konsequenz bedeutete dies, dass 1. Frauen* sich aus dem öffentlichen Raum fernhalten sollten und 2. weiße Männer* als deren Schutzbeauftrage fungieren. Auch hier stellt sich wieder die Frage: wie sollten sich dieser Logik nach Frauen* verhalten, welche nicht-weiß, nicht-europäisch und somit einer marginalisierten Gruppe angehören? Wird ihnen kein höheres Schutzbedürfnis zuteil, da der emanzipierte weiße Mann* diese Art von sexueller Gewalt ‘nicht kennt‘ und sie laut Medien nicht zu den Opfern der durch Migranten* verübten sexuellen Gewalt im öffentlichen Raum wurden? Dies erscheint als blanker Hohn im Angesicht Betroffener.

Der Umgang mit dem Thema führte zu Kritik von vielen Seiten, besonders präsent war hier das feministische Aktionsbündnis #Ausnahmlos, welches in seinem Gründungstext fordert:

„Alle Menschen sollen sich von klein auf, unabhängig von ihrer Ethnie, sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität, Religion oder Lebensweise, sicher fühlen und vor verbalen und körperlichen Übergriffen geschützt sein: egal ob auf der Straße, zu Hause, bei der Arbeit oder im Internet. Ausnahmslos. Das sind die Grundlagen einer freien Gesellschaft“ (#Ausnahmslos Gründungstext)

Themenverwandte Wikis

Intersektionalität, Feministische Stimmen zu den Silvester-Ereignissen und Informationen zum Sexualstrafrecht:

Zeitungsartikel zu Köln:

Weiterführende Literatur:

  • Dorer Johanna / Marschik, Matthias (2006): Medien und Migration. Repräsentationen und Rezeption des «Fremden» im europäischen Kotext. In: Medienimpulse, H. 55, 24-28.
  • Leiprecht, Rudolf / Lutz, Helma (2009): Rassismus - Sexismus - Intersektionalität. In: C. Melter /P. Mecheril (Hg.): Rassismuskritik, Schwalbach, 179-198.
  • Spies, Tina (2010): Migration und Männlichkeit. Biographien junger Straffälliger im Diskurs, Bielefeld.

Bibliographie

Postmoderne

  • Thürmer-Rohr, Christina (1995): Denken der Differenz. Feminisumus und Postmoderne. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 18.39, 87-98.

Intersektionalität, Ethnosexismus

  • Dietze, Gabriele (2014):'Race, Gender und Whiteness'. Einige Überlegungen zu Intersektionalität. In: Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 56, 9-19.
  • Dietze, Gabriele (2016a): Das 'Ereignis Köln'. In: Femina politica 25.1, 93-102.
  • Dietze, Gabriele (2016b): Ethnosexismus. Sex-Mob-Narrative um die Kölner Silvesternacht. In: movements 2.1, 177-185.
  • Messerschmidt, Astrid (2014): Komplexität annehmen. Verflechtungen von Sexismus und Rassismus reflektieren gegen einen migrationsfeindlichen Konsens, in: J. Bröse ua. (Hg.): Flucht. Herausforderungen für soziale Arbeit, Wiesbaden, 21-35.
  • Spindler, Susanne (2006): Corpus delicti. Männlichkeit, Rassismus und Kriminalisierung im Alltag jugendlicher Migranten, Münster.
  • Winker, Gabriele / Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld.

Sonstiges

  • Abschlussbericht (23.03.2017), Untersuchungsausschuss IV, Landtag NRW, [ online, zuletzt abgerufen 29.09.2017].
  • Drüeke, Ricarda(22.11.2016): Die TV-Berichterstattung in ARD und ZDF über die Silvesternacht 2015/16 in Köln, Studie im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung, [ online, zuletzt abgerufen 29.09.2017].
1)
Das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“, wonach der weiße, heterosexuelle, mächtige und beruflich erfolgreiche Mann die Norm von Männlichkeit darstelle stammt von Robert W. Conell ua. (1985) und wird in Susanne Spindlers „Corpus Delicti“ (2006:45) aufgegriffen.
2)
Im Deutschen wird häufig auf die Kategorie Race verzichtet, diese wird stattdessen durch den Begriff der Ethnizität ersetzt.
3)
CV_Gabriele Dietze, online unter: http://www.kulturen-des-wahnsinns.de/forschergruppe/beteiligte/gabriele-dietze ,[zuletzt abgerufen, 20.09.2017]
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