Sitzung 7 - Donna Harraway

Donna Jeanne Haraway:

Donna Jeanne Haraway ist 1944 in Denver, Colorado, USA geboren. Sie ist eine emeritierte Ehrenprofessorin der Universität von California, Santa Cruz, im Departement Geschichte des Bewusstseins und im Departement von feministischen Studien 1).

In ihrem akademischen Werdegang vereint Haraway zwei Disziplinen: Die Biologie und die Philosophie. Sie studierte zuerst Zoologie und Philosophie am Colorado College und hat ihre Promotion in Yale im Jahr 1972 am biologischen Departement abgeschlossen. In ihrer Dissertationsschrift beschäftigte sie sich mit der Funktion der Metapher in Bezug auf die Forschungsprägung der Entwicklungsbiologie im zwanzigsten Jahrhundert. 2)

Im Verlauf ihrer Karriere kennzeichnet sich durch drei große thematische Perioden (vgl. Hoquet, 2010). Die erste Periode zeichnet sich durch den Fokus auf die Primatologie aus. Als Hominidensspezialistin schrieb sie über Primaten und wie die Beschreibungen der Verhältnisse (besonders die Genderverhältnisse) von Rassismus, Sexismus und Kolonialismus geprägt sind (vgl. Haraway, 1989; Haraway, 1991). Außerdem beschäftigte sie sich mit der Verflechtung von Wissenschaft und Gesellschaft, wie sie schon vorher angefangen hatte, als sie ihre Promotion geschrieben hat.

Die zweite Schreib- oder Denkperiode des harawayschen Werkes lobt die Figur des Cyborgs. Das Hauptwerk dieser Periode ist Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften 3), erstmals 1990 herausgegeben, eine bearbeitete Version erschien dann im Jahr 1991 in ihrem eigenen Werk Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature. Während dieser Periode stellte Haraway ihren Begriff des Cyborg Feminism 4) auf und sprach sich als Mitglieder dieser Bewegung aus (vgl. Haraway, 1991).

Einige Jahre später (2003) schrieb sie The Companion Species Manifesto: Dogs, People, and Significant Otherness. Darin verließ sie langsam die Figur des Cyborgs, um mit der der Companion Species die erste zu ersetzen.

Haraway bezeichnet sich durch ihre persönliche Schreibweise und ihre wiederkehrenden behandelten Themen: Eine Schreibweise der Doppelsinnigkeit, des Spiels und der Hybridisierung (vgl. Hoquet, 2010: 145). Sie gilt als oft bestrittene Autorin, weil ihre Annahmen sehr provozierend sind und oft gegen die geteilte wissenschaftliche Logik (vgl. Cartmill, 1991:67). In allen diesen drei Perioden richtete sich Haraway immer nach derselben Logik. Diese Logik enthält verschiedene Aspekte, welche hier skizziert werden sollen, denn sie zu verstehen, wird bei der tiefen Auseinandersetzung mit dem harawayschen Werkhelfen.

Einflüsse, durch die Haraway geprägt wurde:

  • Marxismus
  • Sozialkonstruktivismus
  • Scientizismus
  • Post-Strukturalismus (unter anderem Foucault 7), Latour 8), Derrida 9), Deleuze 10) )…

Haupthemen, die Haraway behandelt:

  • Hybridisierung und Hybriden
    • Primaten
    • Cyborg
    • Companion Species
  • Tropen
  • Dualismen
  • Doppelsinnigkeit, Mehrdeutigkeit

Einführung in Haraways Welt – Zwischen Dualität und Widerspruch

Dualität - Hybridisierung und Dichotomien

Das Thema der Dualität taucht immer wieder im Werk von Haraway auf. Der erste Schritt, den sie macht, ist diese Dualität im Form von Dichotomien zu entlarven: Die Dichotomien werden erstens ans Licht gebracht. Zum Beispiel solche Entgegensetzungen wie Kultur/Natur; Mann/Frau; Mensch/Tier usw. Haraway verzichtet darauf, mit irgendeiner dialektischen Herangehensweise diese Dualität innerhalb der Dichotomien abzugleichen. Die Dialektik würde alle anwesende Heterogenität zur Seite stellen: Diese anerkannte Heterogenität will aber Haraway nicht einfach zum Schweigen bringen. Weder will Haraway diese Dualität vernichten oder ignorieren. Vielmehr will sie damit spielen.

Nämlich behält sie die zwei Komponenten dieser Dualität und baut daraus einen Hybrid, ein Mischungswesen auf. Ihre Hauptwerkzeuge sind dabei Neologismen: Damit kann sie die zwei widersprüchlichen Komponenten in einem einzigen vereinigen, ohne dass eine der beiden verschwindet oder zum Schweigen gebracht wird. Die zwei Seiten der Dualität treffen sich und die Grenzen, die diese Dualität vorher klar definierte, verschmelzen. Dies wird zum Beispiel am Begriff „Cyborg“ oder den Neologismen „natureculture“ sowie „FemaleMan©“ deutlich (vgl. Wajcman, 2004: 86). Aus diesen Neologismen entsteht nämlich ein Hybrid, das heißt ein Objekt aus den zwei Reichen, das wegen seines Daseins die Schwäche dieser Trennung zeigt.. Haraway tritt damit in die Fußstapfen der Dekonstruktion 12), da sie die zwei duale Begriffe miteinander kontaminiert. Durch die Konstruktion eines Neologismus, das heißt auch eines Hybrides, dekonstruiert sie die zwei Begriffe, die zur Schöpfung des Hybrides benutzt wurden. Haraway umarmt die diese Verschmutzung bzw. Unreinheit: Die reine Heterogenität existiert in der Welt von Haraway nicht, genauso wie die reine Homogenität (vgl. Hoquet, 2010).

Tropen, Doppelsinnigkeit, Widersprüchlichkeit und Ironie

Die Hybridisierung ist eines der besten Beispiele dafür, wie die Widersprüchlichkeit bei Haraway verarbeitet wird. Haraway sucht stets nach Widersprüchlichkeit und lobt sie als intellektuelles Aufputschmittel und als fruchtbaren theoretischen Mutterboden (vgl. Cartmill, 1991).

Da Haraway gleichfalls immer nach Widersprüchlichkeit strebt, taucht diese in allen ihren Gewohnheiten auf. Haraways Schreibstil ist so gedacht, dass jeder Satz oder jede Schrift mehrdeutig zu verstehen ist. Klar und deutlich will sie nicht und wird sie nicht schreiben: Dies ist aber eine offenbare und gewollte Entscheidung. Das heißt, wenn man Haraway verstehen will, muss man bereit sein, die verschiedenen Wege auszuprobieren, die sie anbietet. Diese Mehrdeutigkeit ist zum Beispiel durch die Benutzung von Tropen 13) ermöglicht. Auch die Ironie, welche alle ihre Schriften begleitet, soll betont werden: Das verbirgt sie hier auch nicht; denn es ist direkt am Anfang des „Cyborg Manifesto“ 14) geschrieben:

„Dieses Essay versucht, einen ironischen, politischen Mythos zu entwickeln, der Feminismus, Sozialismus und Materialismus die Treue hält.“ (Haraway, 1995: 33)

Wie soll man dann Haraway verstehen und lesen? Mehr Hinweise können wir Ihnen in diesem Wiki leider nicht leisten: Es würde die Logikdes gesamten Werkes von Haraway widersprechen, weil ihre Schriften nie zu einem einzigen Sinn reduziert werden können. Aber da sie nach Widersprüchlichkeit immer strebt, werden wir trotzdem einige Hinweise auf unserem Verständnis vorschlagen.

Verantwortung

Alle ihre Werke rufen zur Verantwortung auf. Diese Verantwortung soll in verschiedene Bereiche übernommen werden: Hauptsächlich handelt es sich um eine Verantwortung bezüglich des Wissens. Die Forschende sollen die Auswirkungen der Anwendung ihres Wissens betrachten, und die Macht des Wissens in der Gesellschaft soll anerkannt werden. Haraway bezeichnet das Wissen als nicht unschuldig 15) (vgl. Haraway, 1995: 84). Einer der Hauptbereiche, in dem Verantwortung notwendig ist, ist derjenige der Wissensproduktion und alle Auswirkungen, die daraus entstehen. Alle Dichotomien, Definitionen oder Wissen, das wir produzieren, sollen hinterfragt werden, damit alle Auswirkungen gedacht werden. Haraway zielt darauf ab, dass die Forschenden die Verantwortung bezüglich dieses Wissens übernehmen. Hauptsächlich geht es darum, anzuerkennen, dass unser Wissen nicht neutral ist und somit einen Einfluss auf die soziale Welt hat. Die Forschenden sollen also auch diesen Teil der Forschung nicht vergessen und untersuchen: Wer profitiert davon? Von welchem Standpunkt aus wurde dieses Wissen erschaffen? 16)

Einige ihre zentralen Werke:

- Haraway, D. (1976). Crystals, Fabrics, and Fields: Metaphors of Organicism in Twentieth-Century Developmental Biology. Yale: Yale University Press.
- Haraway, D. (1988). Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspectives. In Feminist Studies 14.3, 1988. S.575-599.
- Haraway, D. (1989). Primate Visions: Gender, Race, and Nature in the World of Modern Science. London: Psychology Press.
- Haraway, D. (1990). A Manifesto for Cyborgs. Science, Technology and Socialist Feminism in the 1980s. In: Linda Nicholson (Hrsg.): Feminism, Postmodernism. New York: Routledge. S.190–233.
- Haraway, D. (1991). Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature. New York: Routledge, and London: Free Association Books.
- Haraway, D. (1997). Modest Witness@Second Millenium. FemaleMan Meets OncoMouse: Feminism and Technoscience. London: Routledge.
- Haraway, D. (2003). The Companion Species Manifesto: Dogs, People, and Significant Otherness. Chicago: Prickly Paradigm Press.
- Haraway, D. (2008). When Species Meet. Mineapolis, London: University of Minnesota Press. 17)
- Haraway, D. (2016). Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene. Durham: Duke University Press. 18) 19)

Literatur

Cartmill, M. (1991). „Primate Visions: Gender, Race, and Nature in the world of Modern Science (book review)“. In International Journal of Primatology. Springer. 12 (1). S.67–75. doi:10.1007/BF02547559. Verfügbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2FBF02547559.pdf . Am 24.09.2017 letztens angesehen.
Haraway, D. (1988). ‚Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective’. In: Feminist Studies. 14, Nr. 3, Herbst 1988, S. 575–599.
Haraway, D. (1991). A Cyborg Manifesto. Science, technology and socialist-feminism in the late twentieth century. In: Haraway, D. (1991). Simians, Cyborg and Women: The Reinvention of Nature. London, Free Association Books.
Haraway, D. (1995). Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. Übersetzt von Wolf, F. In: Haraway, D. (1995). Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt am Main, Campus. S.33-72.
Haraway, D. (1995). Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive. Übersetzt von Kelle, H. In: Haraway, D. (1995). Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt am Main, Campus. S.73-97.
Thierry Hoquet, T. (2010). ‘Insaisissable Haraway'. In: Sociologie et Sociétés, vol. 421, 2010.
Wajcman, J. (2004). The Cyborg Solution. In: Technofeminism. Cambridge, Polity Press. S.78-101.

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