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+ | ====== Theorie und Theoretisieren in der Grounded Theory ====== | ||
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+ | Ein Schlüsselelement der Grounded Theory-Forschungen stellt für Kathy Charmaz das zugrundeliegende von **Theorie und Theoretisieren** dar. Dies begründet sie vor allem damit, dass im Rahmen der konzeptionellen Ausformung des Theoriebegriffes zentrale epistemologische und forschungspraktische Grundlagen definiert werden. Nach Einschätzung der Autorin mangelt es in der qualitativen Forschungen allgemein, wie auch in Grounded Theory-Forschungen im Besonderen, an einer intensiven Auseinandersetzung mit der theoretischen und epistemologischen Fundierung. Dies führt laut Charmaz dazu, dass den meisten Forschungen ein unreflektiertes und positivistisches Theoriekonzept zugrunde liegt. Von dieser Beurteilung ausgehend plädiert sie in ihren Explikationen deshalb für eine intensivere Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen und wirbt für die (Wieder-)Belebung eines konstruktivistischen Verständnisses von Theorie in die Grounded Theory-Forschung. | ||
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+ | Vor diesem Hintergrund betont Charmaz zudem die Bedeutung des Theoretisierens als Praxis. Dabei wendet sie sich von der Zielvorstellung einer (all-)umfassenden formalen Theorie ab, welche der Autorin zufolge in sozialwissenschaftlichen Forschungsvorhaben ohnehin nicht zu erreichen ist. Vielmehr geht es laut Charmaz beim Theoretisieren darum, die Daten aufzubrechen und durch Reflexionsprozesse die eigene Positionalität in die Forschung zu integrieren, | ||
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+ | Im Fortgang ihrer Ausführungen zu Theorie und zum Theoretisieren geht Charmaz des Weiteren auch auf die Bedeutung der Postmoderne und einer globalen Forschungsperspektive für die Grounded Theory-Forschungen ein. Dabei befasst sie sich unter anderem mit den Gütekriterien für Grounded Theory-Forschungen, | ||
+ | ===== Konzeptionen von Theorie zwischen Positivismus und interpretativem Paradigma ===== | ||
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+ | Der theoretischen Verankerung wird in den Ausführungen von Charmaz große Bedeutung beigemessen. Ihrem Verständnis nach bildet die Konzeption von Theorie einen zentralen Ankerpunkt für jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der Grounded Theory. Dies gilt insbesondere auch für alle empirischen Studien, welche auf der Grounded Theory als methodologischem Konzept fußen. Ihr Theorieverständnis fasst sie dabei wie folgt zusammen: | ||
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+ | >//„A theory states relationships between abstract concepts and may aim for either explanation or understanding' | ||
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+ | Wie Charmaz betont, zielt die Grounded Theory mit ihrem Theoriebegriff nicht allein auf die Wie- und die Was-Fragen. Vielmehr geht es laut der Autorin auch darum, zu erklären, warum etwas passiert. Die Warum-Fragen können in der Grounded Theory auf unterschiedlichsten Abstraktionsniveaus bearbeitet werden, sodass ihre Beantwortung von erklärenden Generalisierungen bis hin zu abstrakten Konzepten von Beziehungen reichen kann. (Vgl. Charmaz 2014, S. 228) | ||
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+ | Charmaz betont bezüglich des Theoriebegriffs allerdings ebenfalls, dass dieser im Diskurs um die Grounded Theory meist äußerst vage formuliert wird. Dies führt sie auf den Umstand zurück, dass viele Grounded Theory-Theoretiker*innen die Auseinandersetzung mit dem Theoriebegriff scheuen und diesen deshalb oftmals nicht explizit definieren. (Vgl. Charmaz 2014, S. 228) | ||
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+ | Besonders problematisch erscheint für Charmaz das Fehlen einer Definition von Theorie in Bezug auf den Fachdiskurs um die Gestaltung und Anwendung der Grounded Theory, in welchem sie eine Vielzahl von Kontroversen identifiziert. Diese Dispute führt sie vor allem auf die ideologischen Grabenkämpfe der Sozialwissenschaften zurück, welche im Diskurs um die Grounded Theory aufgrund einer mangelnden Reflexion des epistemologischen Standpunkts und der unzureichenden Auseinandersetzung mit dem Theoriebegriff unreflektiert und verdeckt ausgetragen werden. Konkret setzt Charmaz die Konflikte in der Grounded Theory insbesondere mit den Differenzen zwischen dem interpretativen und dem positivistischen Theorieverständnis in Verbindung. Eine explizite Auseinandersetzung mit dem Theoriekonzept des Positivismus, | ||
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+ | ==== Das Verständnis von Theorie im Positivismus ==== | ||
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+ | Charmaz stellt heraus, dass die meisten Definitionen von Theorie aus dem Spektrum des Positivismus stammen. Diese positivistische Auffassung von Theorie beeinflusst für sie eine Vielzahl von sozialwissenschaftliche Studien explizit oder implizit. Ihr Verständnis des positivistischen Theoriekonzepts fasst sie in der folgenden Textstelle prägnant zusammen: | ||
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+ | >//„In general, positivist definitions of theory treat it as a statement of relationships between abstract concepts that cover a wide range of empirical observations. This definition of theory coincides with Abend’s [2008] first of six definitions of theory. In this case, theory means 'a general proposition, | ||
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+ | Für Charmaz besteht das Ziel einer positivistischen Theorie somit darin, eine möglichst generelle, abstrakte und universelle Theorie zu generieren. Der Autorin folgend wird Theorie im Verständnis von Positivist*innen nicht konstruiert, | ||
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+ | Wie Charmaz im Anschluss an Turner (2006) präzisiert, | ||
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+ | Charmaz kritisiert hinsichtlich des positivistischen Theoriekonzepts ebenfalls vehement, dass der Positivismus mit seinem Theorieverständnis häufig noch als die einzige wissenschaftliche Methode verstanden wird. Dabei bemängelt sie im Anschluss an Karen Henwood und Nick Pidgeon auch, dass in der qualitativen Forschung generell noch keine intensive Auseinandersetzung mit dem positivistischen Einfluss stattgefunden hat. Mit erneutem Bezug auf Henwood und Pidgeon (2003) spricht sie der Grounded Theory in diesem Zusammenhang ein großes Potenzial zu, eine Diskussion über den positivistischen Einfluss auf die Sozialwissenschaften anzustoßen und so die mit diesem Einfluss verbundenen Probleme zu adressieren. (Vgl. Charmaz 2014, S. 230) | ||
+ | ==== Das Verständnis von Theorie in den Ansätzen des interpretativen Paradigmas ==== | ||
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+ | Charmaz zufolge unterscheidet sich das interpretative Theorieverständnis deutlich von dem positivistischen Konzept. Die Grundlage des interpretativen Ansatzes bildet für die Autorin der Sozialkonstruktivismus, | ||
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+ | Laut Charmaz liegt dem interpretativen Theorieverständnis die Annahme zugrunde, dass es nicht eine empirisch ergründbare externe Realität gibt, sondern eine Vielzahl durch Menschen konstruierte Wirklichkeiten. Wie sie weiter ausführt, kann es als Konsequenz dieser epistemologischen Annahme im Verständnis der Theoretiker*innen des Interpretativen Paradigmas keine Trennung zwischen Fakten und Werten geben. Vielmehr sind Theorien in dieser Tradition ebenfalls als Konstrukte zu verstehen, in welche die Werte der jeweiligen Wissenschaftler*innen eingeflossen sind. (Vgl. Charmaz 2014, S. 231) | ||
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+ | Vor diesem erkenntnistheoretischen Hintergrund können Theorien in der interpretativen sozialwissenschaftlichen Tradition nach Charmaz wie folgt gefasst werden: | ||
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+ | >//„An alternative definition of theory emphasizes interpretation and gives abstract understanding greater priority than explanation. Proponents of this definition view theoretical understanding as gained through the theorist' | ||
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+ | Für Charmaz stehen in den Ansätzen des Interpretativen Paradigmas somit vor allem das Verstehen von Handlungen sowie die (Re-)Konstruktion von Bedeutungen im Vordergrund. Charmaz zufolge ist das Ziel dabei weniger eine allgemeine, universelle und abgeschlossene Theorie, sondern vielmehr eine begrenzte theoretische Konzeption. Diese theoretischen Konstrukte sind für sie in ihrer Reichweite begrenzt und müssen stets mit Blick auf die in ihnen gebundenen subjektiven Standpunkte betrachtet werden. Charmaz fasst diese Ziele des Theoretisierens im Rahmen des Interpretativen Paradigmas in der folgenden Aufzählung prägnant zusammen: | ||
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+ | >//„In brief, interpretive theory aims to:// | ||
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+ | > * // | ||
+ | > * //Offer an imaginative theoretical interpretation that makes sense of the studied phenomenon“// | ||
+ | > (Charmaz 2014, S. 231) | ||
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+ | ===== Objektivistische und Konstruktivistische Grounded Theory ===== | ||
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+ | ==== Die Objektivistische Grounded Theory und ihr Theorieverständnis==== | ||
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+ | Für Charmaz ist es essenziell, dass nicht alle Wissenschafler*innen, | ||
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+ | >//„In this approach, grounded theorists make conceptual sense of data from rigorous analysis of these data. They understand meaning as inhering in the data and the grounded theorist as discovering it.“// (Charmaz 2014, S. 237) | ||
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+ | Wissenschaftler*innen der Objektivistischen Grounded Theory sind somit für Charmaz dem Wertneutralitätspostulat verbunden, weshalb sie versuchen ihre eigene Positionalität klar von ihrer Forschung zu trennen. Dabei wahren sie eine analytische Distanz zu den Untersuchungssubjekten bzw. -objekten und versuchen durch Reflexionsprozesse ihren eigenen Einfluss auf die Daten zu reduzieren, sodass diese unverfälscht und „objektiv“ erfasst werden können. (Vgl. Charmaz 2014, S. 237) | ||
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+ | Ziel der Objektivistischen Grounded Theory ist es dabei, über die rein deskriptive Ebene hinauszugehen. Vielmehr beabsichtigen diese Ansätze laut Charmaz, abstrakte Konzepte und Theorien zu erzeugen, was die Autorin vor allem mit Bezug auf Barney Glaser verdeutlicht. Dieser hebt hervor, dass Beschreibungen immer als wertgebunden zu verstehen sind und nur von Zeit, Ort und Situation unbeeinflusste theoretische Generalisierungen einen objektiven Blick auf die Daten und die Welt ermöglichen. (Vgl. Charmaz 2014, S. 238) | ||
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+ | ==== Die Konstruktivistische Grounded Theory und ihr Theorieverständnis ==== | ||
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+ | Die Konstruktivistische Grounded Theory entstand als Alternative zur Objektivistischen Grounded Theory, wie Charmaz erläutert. Sie umreißt das Konzept Konstruktivistischer Grounded Theories in aller Kürze wie folgt: | ||
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+ | In diesem Zitat sowie in den weiterführenden Erörterungen Charmaz’ wird deutlich, dass die Konstruktivistische Grounded Theory im Gegensatz zur Objektivistischen Grounded Theory alternative Blickwinkel auf empirische Phänomene eröffnet und auf abweichenden Grundannahmen fußt. Geht die Objektivistische Grounded Theory von einer externen Realität aus, welche empirisch ergründbar ist, so liegt der Konstruktivistischen Grounded Theory ein Konzept von multiplen Realitäten zugrunde. Somit bleibt jegliche Theorie selbst standortgebunden und wird als ein soziales Konstrukt verstanden, welches unumgänglich zeit-, orts- und situationsgebunden ist. Die folgenden Textstellen verdeutlichen dieses Verständnis von Charmaz besonders anschaulich: | ||
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+ | >//„We construct research processes and products, but these constructions occur under pre-existing structural conditions, and are influenced by the researcher‘s perspectives, | ||
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+ | Folglich kommt auch dem Element der Reflexion der Forscher*innen in der Konstruktivistischen Grounded Theory eine andere Rolle zu. Für die Autorin sind die subjektiven Sinnsetzungen, | ||
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+ | ===== Die Bedeutung des Theoretisierens in der Konstruktivistischen Grounded Theory===== | ||
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+ | ==== Vom der abstrakten Theorie zum Theoretisieren ==== | ||
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+ | Wie das vorangehende Zitat verdeutlicht, | ||
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+ | Bedeutend an Charmaz’ Ausführungen zur Theoriebildung ist zudem, dass sie darin dem Theoretisieren eine größere Bedeutung beimisst als der finalen umfassenden Theorie (vgl. Charmaz 2014, S. 233). Unter Theoretisieren versteht die Autorin eine Praxis, welche nicht zwangsläufig auf eine allumfassende und abstrakte Theorie hinzielen muss. Für Charmaz sind im Besonderen auch theoretische Konzepte mit begrenzter Gültigkeit und Reichweite erstrebenswert, | ||
+ | ==== Die Praxis des Theoretisierens ==== | ||
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+ | Wie durch das vorstehende Zitat nochmals deutlich wird, erfüllt das Theoretisieren in der Grounded Theory für Charmaz eine Vielzahl an wichtigen Aufgaben. Ein zentraler Effekt des Theoretisierens besteht für sie im Aufbrechen der theoretischen Vorannahmen und Perspektiven der Wissenschaftler*innen durch die Zuwendung zum Feld. Darüber hinaus stellt sie die Entwicklung neuer Fragestellungen während des Theoretisierens als besonders wichtig heraus. (Vgl. Charmaz 2014, S. 245) | ||
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+ | Die konkrete Praxis des Theoretisierens variiert für Charmaz dabei ebenfalls in Abhängigkeit vom Feld und dessen Anforderungen. Sie betont in diesem Zusammenhang insbesondere die Bedeutung des Gerundiums beim Codieren und beim Memoschreiben, | ||
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+ | Darüber hinaus benennt Charmaz den Prozess des Kategorisierens als zentral für das Theoretisieren. Dabei geht sie allerdings nicht genauer auf die Konstruktion der Kategorien selbst ein, sondern fokussiert vornehmlich das Entwickeln von Leitkategorien und theoretischen Konzepten. Der Autorin folgend, sind vor allem die Kategorien zu theoretischen Konzepten weiterzuentwickeln, | ||
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+ | >//„We choose to raise certain categories to concepts because of their theoretical reach, theoretical centrality, incisiveness, | ||
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+ | Im Rahmen ihrer Konzeption vertritt Charmaz den dargelegten konstruktivistischen Standpunkt. Diesbezüglich hebt sie in ihren Ausführungen mehrfach hervor, dass die Daten und der analytische Forschungsprozess ungeachtet des Bottom-Up Ansatzes der Konstruktivistischen Grounded Theory stark durch die Entscheidungen sowie Handlungen der Forscher*innen geprägt sind. In ihren eigenen Worten beschreibt sie dies wie folgt: | ||
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+ | Dabei betrachtet sie den Forschungsprozess stets eingebettet in den historischen Kontext und in die Disziplingeschichte. (Vgl. Charmaz 2014, S. 247 ff.) | ||
+ | ===== Einordnung und Bewertung einer Grounded Theory ===== | ||
+ | ==== Kritik an der Grounded Theory ==== | ||
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+ | Der Diskurs um die Grounded Theory ist laut Charmaz durch eine Vielzahl von kritischen Stimmen geprägt. Im Zentrum dieser Auseinandersetzungen um die Grounded Theory befinden sich nicht zuletzt auch der Theoriebegriff bzw. die epistemologischen Grundannahmen der Theoretiker*innen. Des Weiteren stehen laut der Autorin die Logik der Grounded Theory-Forschung, | ||
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+ | Charmaz hebt in ihrer Auseinandersetzung mit diesen Kritikpunkten jedoch hervor, dass die Kritik sich meist nur auf einzelne Formen und Varianten der Grounded Theory rekurriere. Auch stellt sie heraus, dass die Kritik sich meist auf die ursprüngliche Grounded Theory beziehe und oftmals einzelne Aspekte der Grounded Theories aus dem Zusammenhang löse (vgl. Charmaz 2014, S. 241 ff.). Darauf aufbauend entkräftet Charmaz in ihrer Argumentation viele der kritischen Einwände. Ihre gegen die Kritiker*innen gewandten Argumente fasst sie dabei selbst wie folgt zusammen: | ||
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+ | >// | ||
+ | ==== Gütekriterien für Grounded Theory Forschungen ==== | ||
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+ | Charmaz erklärt bezüglich der Gütekriterien der Grounded Theory, dass es keine fixen Gütekriterien zur Bewertung einer Grounded Theory gibt. Vielmehr betont sie, dass die Kriterien zur Bewertung einer Grounded Theory abhängig von dem jeweiligen epistemologischen Verständnis der Wissenschaftler*innen, | ||
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+ | Ergänzend zu dieser Rahmung stellt Charmaz noch die folgenden Kriterien zusammen, welche ihr zufolge ebenfalls eine Anregung zur Bewertung einer Grounded Theory darstellen: | ||
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+ | ^ Credibility | ||
+ | | * Has your research achieved intimate familiarity with the setting or topic? | ||
+ | ^ Resonance | ||
+ | | * Do the categories portray the fullness of the studied experience? | ||
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+ | Tabelle in direkter Anlehnung an Kathy Charmaz (2014, S. 237 ff.) | ||
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+ | ===== Aktuelle Entwicklungen im Kontext der Grounded Theory ===== | ||
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+ | ==== Die Grounded Theory in Mixed Methods-Ansätzen ==== | ||
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+ | Die Verbindung der Grounded Theory mit Mixed-Methods-Forschungen betrachtet Charmaz insbesondere hinsichtlich deren Zielsetzung. Sie stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass diese Ansätze meist versuchen, durch die Kombination verschiedener Methoden aussagekräftigere Ergebnisse zu erzielen. Bei der Bewertung der Vorteile der Grounded Theory für ein Mixed-Methods- Projekt kommt Charmaz zu dem Schluss, dass diese sich vornehmlich durch die Induktivität der Methode ergeben. Ausführlicher erörtert sie: | ||
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+ | >// | ||
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+ | Ungeachtet der dargelegten Vorteile verdeutlicht Charmaz aber auch, dass sich bei der Integration der Grounded Theory in eine Mixed-Methods-Forschung eine Vielzahl von Problemen ergeben kann. Dies gilt für sie insbesondere dann, wenn in der Anwendungspraxis von Mixed-Methods-Verfahren die Spezifika der integrierten Forschungsmethoden nicht angemessen berücksichtigt werden (vgl. Charmaz 2014, S. 323). Zudem ist für Charmaz gerade die Konstruktivistische Grounded Theory durch ihre epistemologischen Grundlagen und ihre immanente Forschungslogik nur bedingt mit anderen Methoden kombinierbar. Auch weist sie in ihren Ausführungen darauf hin, dass gerade die Integration der Konstruktivistischen Grounded Theory in einen Mixed-Methods-Ansatz ethische Probleme mit sich bringe, welche durch Forscher*innen unbedingt reflektiert werden sollten. So bezeichnet sie es beispielsweise als problematisch, | ||
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+ | Die dargelegten Probleme schließen für Charmaz allerdings eine Integration der Konstruktivistischen Grounded Theory in verschiedene Mixed-Methods-Ansätze keinesfalls aus, sofern auf die Besonderheiten der Konstruktivistischen Grounded Theory eingegangen wird. Etwas ausführlicher expliziert sie dies in der folgenden Textstelle: | ||
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+ | >//„In my view, whatever the mix or combination – be it qualitatively driven with a quantitative component, quantitatively driven with qualitative additions, and all permutations within and amongst these components – the criteria for effective mixed methods research rest on the analytic coherence of the research product, integrated findings, and illumination of the research problem“ // (Charmaz 2014, S. 325) | ||
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+ | ==== Die Grounded Theory und die Gerechtigkeitsforschung ==== | ||
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+ | Charmaz setzt sich in ihrer Arbeit zudem auch mit der Beobachtung auseinander, | ||
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+ | Darüber hinaus beleuchteet Charmaz die Gerechtigkeitsforschung | ||
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+ | >//„By asking such questions, I aim to stimulate thinking and to suggest diverse ways that critical inquiry and grounded theory research may join. The potential of advancing such endeavors has been undertaken by symbolic interactionists who point the way to demonstrating micro consequences of structural inequalities. s [Anderson & Snow, 2000; Marvasti 81 McKinney, 2011; Morris, 2012; Schwalbe et al., 2000; Wolkomir, 2001, 2006]. Bringing critical inquiry and grounded theory together furthers these efforts“ (Charmaz 2014, S. 328)// | ||
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+ | Für Charmaz steht hinter ihren Überlegungen der Gedanke, Themen, wie „Fairness, | ||
+ | ==== Die Grounded Theory in der globalen Perspektive ==== | ||
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+ | Wie aus dem vorangestellten Zitat ersichtlich wird, befasst sich Charmaz im Rahmen ihrer Ausarbeitungen zur Grounded Theory auch mit dem soziohistorischen Standpunkt der Methodologie. Sie begreift die Grounded Theory selbst als kulturelles Produkt und betrachtet ihren weltweiten Einfluss unter Rückgriff auf Positionen anderer Wissenschaftler*innen kritisch. Charmaz verweist in diesem Zusammenhang auch auf die kolonialistischen Implikationen der Grounded Theory. In ihren kurzen Erörterungen zu dieser Thematik stellt sie mit Bezug auf Keane jedoch heraus, dass ein Zuschnitt der Grounded Theory auf die kulturellen Traditionen der Anwendungsregion nicht zwangsläufig nötig sei, da generell bereits eine kontinuierliche Anpassung der Grounded Theory-Methodologie an das untersuchte Feld erfolge. Dabei sei jedoch nicht auszuschließen, | ||
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+ | Bezüglich der internationalen Anwendung der Grounded Theory weist Charmaz des Weiteren den verwendeten Sprachen eine besondere Rolle zu, da diese die Forschung durch ihre spezifischen Charakteristika prägen. Sie bezieht sich allerdings nicht ausschließlich auf die durch Sprache transportierten Strukturbedingungen und -vorgaben. Darüber hinaus stellt sie auch einige Problematiken und Chancen heraus, welche sich bei der Nutzung von unterschiedlichen Sprachen im Forschungsprozess ergeben können. So kann für Charmaz beispielsweise das Codieren in einer anderen Sprache als der Muttersprache die Ergebnisse einer Forschung entscheidend (positiv wie auch negativ) beeinflussen. (Vgl. Charmaz 2014, S. 331 ff.) | ||
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+ | Charmaz problematisiert hinsichtlich des globalen Anwendungskontextes der Grounded Theory zudem, dass die Forschungskultur im Umgang mit der Grounded Theory von Land zu Land starken Variationen unterliegt. Sie beklagt diesbezüglich insbesondere, | ||
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+ | ===== Reaktionen auf an Charmaz‘ Konstruktivistische Grounded Theory ===== | ||
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+ | Die dargelegte Konzeption einer Konstruktivistischen Grounded Theory von Kathy Charmaz wird in verschiedenen Rezensionen zu ihrem Buch intensiv diskutiert und besprochen. Die in diesen Publikationen dargelegten Kritiken und Anmerkungen beziehen sich dabei auch auf zentrale Aspekte des vorgehend explizierten Theoriekonzepts von Charmaz. | ||
+ | ==== Kommentar von Barney Glaser ==== | ||
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+ | Barney Glaser setzt sich in seinem Artikel „Constructivist Grounded Theory?“ intensiv mit den Thesen von Kathy Charmaz auseinander. Hierbei betrachtet er vor allem Charmaz‘Ausführungen zum Konstruktivismus der Groudned Theory. Glaser kritisiert dabei unter anderem, dass Charmaz die Bedeutung des Konstruktivismus für die Grounded Theory überbewerte. Glaser ist das Konstruieren im Rahmen des Theoretisierens zwar auch unumgänglich, | ||
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+ | Eine durch den Konstruktivismus geprägte Grounded Theory, wie sie Charmaz vertritt, führt für Glaser somit weg von objektiven Daten, da sie diese immer mit den Interessen der Forscher*innen vermischt. Glaser zufolge wendet sich Kathy Charmaz durch diese Prämissen von den Grundsätzen der Grounded Theory ab und wandelt sie zu einem einfachen Instrument der Qualitativen Datenanalyse (QDA) um, welches nicht mehr fähig ist, Forschungen über die deskriptive Ebene hinaus zu heben. Des Weiteren unterstellt er der Konstruktivistischen Grounded Theory in diesem Zusammenhang, | ||
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+ | >// | ||
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+ | Laut Glaser müssen Grounded Theories demnach auch zukünftig auf die Produktion von abstrakten Theorien zielen und dürfen nicht, wie von Charmaz gefordert, auf der Ebene der theoretischen Konzepte verweilen. Anders als Charmaz sieht er darin gerade nicht die Gefahr des Verschleierns von subjektiven Standpunkten, | ||
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+ | ==== Kommentar von Paula Krüger und Imke K. Meyer ==== | ||
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+ | Die Publikation Constructivising Grounded Theory wird auch von Paula Kürger und Imke K. Meyer in ihrem Buchkommentar intensiv besprochen. Die Autorinnen gehen dabei ebenfalls auf die Schwächen und Stärken des Werkes ein. Hervorgehoben werden insbesondere die Anwendungsmöglichkeiten des Ansatzes, welche sich durch die von Charmaz entwickelten praktischen Handlungsempfehlungen und Richtlinien ergeben. Als besonders positiv würdigen Krüger und Meyer in diesem Zusammenhang zudem, dass Charmaz keine festen Kriterien vorgibt, sondern „die Lesenden an einer langen Leine“ lässt (Meyer und Krüger 2007, A. 44), sodass diese die Methodologie je nach Anwendung variieren können. Die Gegenüberstellung von Objektivistischer und Konstruktivistischer Grounded Theory beurteilen die Autorinnen am Werk von Charmaz als positiv, wie die folgenden Ausführungen von Krüger und Meyer zeigen: | ||
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+ | >//" | ||
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+ | Kritik an dem von Charmaz verfassten Werk üben Krüger und Meyer lediglich bezüglich einiger formaler und didaktischer Aspekte. | ||
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+ | ===== Quellen ===== | ||
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+ | Allen, L. M. (2010). A critique of four grounded theory texts. The Qualitative Report, 15(6), 1606. | ||
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+ | Charmaz, K. (2014). Constructing grounded theory (2nd edition.). London ; Thousand Oaks, Calif: Sage. | ||
+ | |||
+ | Charmaz, K., & Keller, R. (2016). A Personal Journey with Grounded Theory Methodology. Kathy Charmaz in Conversation With Reiner Keller. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research. doi: | ||
+ | |||
+ | Clarke, A. E., & Keller, R. (2012). Situationsanalyse: | ||
+ | |||
+ | Clarke, A. E., & Keller, R. (2014). Engaging Complexities: | ||
+ | |||
+ | Gibbs, G. R. (2015). A Discussion with Prof Kathy Charmaz on Grounded Theory. https:// | ||
+ | |||
+ | Glaser, B. G. (2002). Constructivist Grounded Theory? Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research. doi: | ||
+ | |||
+ | Krüger, P., & Meyer, I. K. (2007). Eine Reise durch die Grounded Theory. Review Essay: Kathy Charmaz (2006). Constructing Grounded Theory. A Practical Guide Through Qualitative Analysis [48 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(1). http:// |