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lv-wikis-oeffentlich:pda19:aerzt_innen [2021/07/27 11:59] – [Analyse und Auswertung] ag512 | lv-wikis-oeffentlich:pda19:aerzt_innen [2021/07/27 12:00] (aktuell) – [Fazit] ag512 |
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== 4. Reproduktive Rechte von potentiell Gebärenden, eine lange Geschichte == | == 4. Reproduktive Rechte von potentiell Gebärenden, eine lange Geschichte == |
In der Frage um die reproduktiven Rechte von Gebärenden ((Mit der Bezeichnung sollen alle Menschen, unabhängig ihrer Geschlechtsidentität gemeint sein, die aufgrund eines vorhandenen Uterus in der Lage sind Kinder zu gebären. Potentiell deshalb, weil gesellschaftliche Normen, rechtliche Einschränkungen und Rollenzuschreibungen alle weiblich gelesenen Menschen betreffen, diese jedoch nicht zwangsläufig auch den gesellschaftlichen Erwartungen nachkommen wollen oder können.)) sind sich die befragten Ärzt_innen einig und positionieren sich auch öffentlich dazu: Die betroffene schwangere Person, sollte die volle Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper haben. Die durchführenden Ärzt_innen argumentieren insbesondere auf politischer Ebene, um die langwierige feministische Forderung nach der gesetzlichen Selbstbestimmung über den Schwangerschaftsabbruch zu unterstützen. Dabei wird sich sowohl auf den historischen Verlauf der gesetzlichen Regelungen, insbesondere innerhalb des deutschen Faschismus, als auch auf eine dahinter stehende patriarchale Ideologie bezogen, welche die Grundlage für die staatliche "Bevormundung" und Einschränkung von reproduktiven Rechten ist. Hierbei werden die Regelungen in Deutschland und Österreich als besonders restriktiv eingeschätzt und positive Gegenbeispiele wie Regelungen in Frankreich oder Kanada benannt. Eine zentrale Frage innerhalb des Diskurses ist dabei, in wie weit sich der Staat mit seinen gesetzlichen Regelungen in die reproduktive Selbstbestimmung von potentiell Gebärenden einmischen sollte, da dies als Form der bevölkerungspolitischen Kontrolle unmittelbar am Individuum gesehen werden kann. In wie weit, dies als kritisches Unterfangen eingeschätzt werden kann, zeigt sich historisch immer dann, wenn über gesetzliche Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen versucht wurde bevölkerungspolitische Maßnahmen ((Als Beispiel lässt sich hier die Zeit des deutschen Faschismus nennen, wo einerseits durch das strikte Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und propaghandistischer Maßnahmen "arische Frauen" zur Geburt von Kindern gezwunden werden sollten und gleichzeitig durch Zwangssterilisationen und Zwangsabbrüche inhaftierte und Zwangsarbeiter_innen einer gesellschaftlichen Vielfalt entgegengewirkt werden sollte)) durchzusetzen. | In der Frage um die reproduktiven Rechte von Gebärenden ((Mit der Bezeichnung sollen alle Menschen, unabhängig ihrer Geschlechtsidentität gemeint sein, die aufgrund eines vorhandenen Uterus in der Lage sind Kinder zu gebären. Potentiell deshalb, weil gesellschaftliche Normen, rechtliche Einschränkungen und Rollenzuschreibungen alle weiblich gelesenen Menschen betreffen, diese jedoch nicht zwangsläufig auch den gesellschaftlichen Erwartungen nachkommen wollen oder können.)) sind sich die befragten Ärzt_innen einig und positionieren sich auch öffentlich dazu: Die betroffene schwangere Person, sollte die volle Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper haben. Die durchführenden Ärzt_innen argumentieren insbesondere auf politischer Ebene, um die langwierige feministische Forderung nach der gesetzlichen Selbstbestimmung über den Schwangerschaftsabbruch zu unterstützen. Dabei wird sich sowohl auf den historischen Verlauf der gesetzlichen Regelungen, insbesondere innerhalb des deutschen Faschismus, als auch auf eine dahinter stehende patriarchale Ideologie bezogen, welche die Grundlage für die staatliche "Bevormundung" und Einschränkung von reproduktiven Rechten ist. Hierbei werden die Regelungen in Deutschland und Österreich als besonders restriktiv eingeschätzt und positive Gegenbeispiele wie Regelungen in Frankreich oder Kanada benannt. Eine zentrale Frage innerhalb des Diskurses ist dabei, in wie weit sich der Staat mit seinen gesetzlichen Regelungen in die reproduktive Selbstbestimmung von potentiell Gebärenden einmischen sollte, da dies als Form der bevölkerungspolitischen Kontrolle unmittelbar am Individuum gesehen werden kann. In wie weit, dies als kritisches Unterfangen eingeschätzt werden kann, zeigt sich historisch immer dann, wenn über gesetzliche Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen versucht wurde bevölkerungspolitische Maßnahmen ((Als Beispiel lässt sich hier die Zeit des deutschen Faschismus nennen, wo einerseits durch das strikte Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und propaghandistischer Maßnahmen "arische Frauen" zur Geburt von Kindern gezwunden werden sollten und gleichzeitig durch Zwangssterilisationen und Zwangsabbrüche inhaftierte und Zwangsarbeiter_innen einer gesellschaftlichen Vielfalt entgegengewirkt werden sollte.)) durchzusetzen. |
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==== Fazit ==== | ==== Fazit ==== |
Es lässt sich feststellen, dass die Entscheidung von Ärzt_innen für oder gegen die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs enorm davon abhängig ist, durch welche gesellschaftlichen Diskurse sie politisch und beruflich geprägt werden. Die Bilder und Normen, die insbesondere auf den Fötus / Embryo produziert werden und die persönliche Annahme durch die Ärzt_innen sind ausschlaggebend für deren individuelle Entscheidung. Unabhängig davon wie der Komplex des Schwangerschaftsabbruchs politisch eingeschätzt wird, basieren die Argumente der nicht-durchführenden Ärzt_innen in der Öffentlichkeit auf den eigenen Emotionen und der moralischen Vorstellung davon zur Täter_in zu werden, in dem ein "menschliches Leben" beendet wird. Die Argumentation der durchführenden Ärzt_innen basieren wiederum ausschließlich auf politischer Ebene. Der Diskurs über Schwangerschaftsabbrüche durch in der Gynäkologie tätige Ärzt_innen erscheint nicht als politisches Kampffeld, sondern als grundlegende Auseinandersetzung mit den individuellen Grenzen in der medizinischen Tätigkeit, die durch gesellschaftliche Normierungen und die individuelle und berufliche Sozialisation geprägt ist. Aufgrund der moralischen, philosophischen und politischen Diskurse, die sich im Hintergrund des gesamten Themenkomplexes bewegen, kommt es auch zu massiven Widersprüchen innerhalb der öffentlichen Positionierungen der nicht-durchführenden Ärzt_innen. Die massive Verantwortung und Idealisierung des Berufes, die gesellschaftlich an Ärzt_innen übertragen wird, sowie der Kampf um die Deutungshoheit im Diskurs zu Schwangerschaftsabbrüchen zeigt sich auch an der breiten Anonymisierung der Sprecher_innen. Deutlich wird, dass die Diskurse und deren reale Konsequenzen für Ärzt_innen, die Basis für die individuelle Entscheidung zur Durchführung bilden. Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, dass unabhängig der verschiedensten beteiligten Akteur_innen, die Durchsetzung des momentan eingeschränkten Rechts ((Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nicht legal, aber strafffrei, wenn die Bedingungen des [[https://dejure.org/gesetze/StGB/218a.html|§ 218 StGB]] erfüllt sind)) auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung von potentiell Gebärenden mit der Entscheidung von Ärzt_innen steht und fällt. | Es lässt sich feststellen, dass die Entscheidung von Ärzt_innen für oder gegen die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs enorm davon abhängig ist, durch welche gesellschaftlichen Diskurse sie politisch und beruflich geprägt werden. Die Bilder und Normen, die insbesondere auf den Fötus / Embryo produziert werden und die persönliche Annahme durch die Ärzt_innen sind ausschlaggebend für deren individuelle Entscheidung. Unabhängig davon wie der Komplex des Schwangerschaftsabbruchs politisch eingeschätzt wird, basieren die Argumente der nicht-durchführenden Ärzt_innen in der Öffentlichkeit auf den eigenen Emotionen und der moralischen Vorstellung davon zur Täter_in zu werden, in dem ein "menschliches Leben" beendet wird. Die Argumentation der durchführenden Ärzt_innen basieren wiederum ausschließlich auf politischer Ebene. Der Diskurs über Schwangerschaftsabbrüche durch in der Gynäkologie tätige Ärzt_innen erscheint nicht als politisches Kampffeld, sondern als grundlegende Auseinandersetzung mit den individuellen Grenzen in der medizinischen Tätigkeit, die durch gesellschaftliche Normierungen und die individuelle und berufliche Sozialisation geprägt ist. Aufgrund der moralischen, philosophischen und politischen Diskurse, die sich im Hintergrund des gesamten Themenkomplexes bewegen, kommt es auch zu massiven Widersprüchen innerhalb der öffentlichen Positionierungen der nicht-durchführenden Ärzt_innen. Die massive Verantwortung und Idealisierung des Berufes, die gesellschaftlich an Ärzt_innen übertragen wird, sowie der Kampf um die Deutungshoheit im Diskurs zu Schwangerschaftsabbrüchen zeigt sich auch an der breiten Anonymisierung der Sprecher_innen. Deutlich wird, dass die Diskurse und deren reale Konsequenzen für Ärzt_innen, die Basis für die individuelle Entscheidung zur Durchführung bilden. Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, dass unabhängig der verschiedensten beteiligten Akteur_innen, die Durchsetzung des momentan eingeschränkten Rechts ((Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nicht legal, aber strafffrei, wenn die Bedingungen des [[https://dejure.org/gesetze/StGB/218a.html|§ 218 StGB]] erfüllt sind.)) auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung von potentiell Gebärenden mit der Entscheidung von Ärzt_innen steht und fällt. |