Einen Ansatz im deutschen Sprachraum der Kritischen Diskursanalyse (KDA) hat der Sprachwissenschaftler Siegfried Jäger in Zusammenarbeit mit dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) entwickelt. Es handelt sich um ein Konzept qualitativer Sozial- und Kulturforschung. Mit seinem Werk ‚Kritische Diskursanalyse - Eine Einführung‘ möchte Jäger Grundlagen für ein praktikables Verfahren der Diskursanalyse schaffen. Ziel ist es, eine Werkzeugkiste für empirische Analysen bereitzustellen.
Jägers Ansatz der KDA basiert im Wesentlichen auf den Arbeiten von Michel Foucault sowie deren Weiterführung durch den Literaturwissenschaftler Jürgen Link. 1) Die KDA ist interdisziplinär, das heißt, sie lässt sich auf Inhalte aller Art ein.2) Außerdem muss sie theoretisch begründet sein, vor allem die Analyse der empirisch gewonnen Daten ist auf theoretische Rückkopplung angewiesen. Es handelt sich insofern um eine kritische Diskursanalyse, weil es darum geht zu zeigen, was in einer Gesellschaft gesagt oder gedacht werden kann und gleichzeitig was nicht gesagt werden kann oder nicht gesagt wird (‚Sagbarkeitsfelder‘).3) Des Weiteren versucht die 6. Auflage des Einführungswerks von Jäger die Diskursanalyse und die Dispositivanalyse zu verbinden.4) Außerdem ist für die Methode der KDA eine Unterscheidung von Äußerung und Aussage von Bedeutung.
In Bezug auf das Konzept des Dispositivs möchte ich hier außerdem noch auf das Wikilexikon verweisen, wo weiterführend auf den Begriff eingegangen wird.
Wie schon erwähnt, orientiert sich die KDA an den Ansätzen von Foucault und deren Weiterführung durch Link. Ebenso wie Link geht es auch Jäger darum, die Macht-Wirkung aktueller Diskurse zu analysieren. Die Analyse soll vor allem dazu dienen, die herrschenden Diskurse zu kritisieren und die Grenzen, welche durch die ‚Sagbarkeitsfelder‘ der Diskurse geschaffen werden, in Frage zu stellen.5) Um diese Analyse zu ermöglichen, möchte ich im Folgenden genauer auf die Macht-Wirkung von Diskursen, das Verhältnis von Diskurs und Wirklichkeit und die Wirkung von Diskursen auf das Subjekt eingehen.
Jäger, der sich hier auf Link bezieht, versteht - stark vereinfacht gesagt - unter Diskurs eine institutionell verfestigte Redeweise, die Handlungen bestimmt, verfestigt und dadurch Macht ausübt.6) Des Weiteren können Diskurse im Rahmen der KDA als transsubjektive Produzenten gesellschaftlicher Wirklichkeit und sozio-kultureller Deutungsmuster aufgefasst werden. Außerdem machen Diskurse nicht an künstlichen oder (vermeintlich) natürlichen geographischen Grenzen halt, sondern überwinden diese ständig.7) Somit versteht Jäger unter dem Diskurs einen Fluss von Wissen und sozialen Wissensvorräten durch die Zeit, „der individuelles und kollektives Handeln und Gestalten bestimmt, wodurch er Macht ausübt.“ 8)
Zudem kann von einer diskursiven Herstellung der Räume und der Zeit gesprochen werden.
„Die Bedeutung der Räume (und der Zeiten) sind ja immer auch zugeschriebene Bedeutungen nach Maßgabe der Deutungsschemata/-muster,
in die die Menschen hineingeboren sind und die den jeweiligen Subjekten und Gesellschaften zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten
zur Verfügung stehen.“9)
→ Man kann den Diskurs als Fluss durch Raum und Zeit sehen.10)
In Bezug auf eine diachrone Fragestellung nimmt Jäger noch Bezug auf Foucaults Begriffe Heterotopien und Heterochronien. Unter Heterotopien versteht Foucault „Orte, die sich allen anderen widersetzen und sie in gewisser Weise sogar auslöschen, ersetzen, neutralisieren oder reinigen sollen. Es sind gleichsam Gegenräume“.11)
Für Heterochronien gilt ähnliches, gemeint ist der Bruch mit dem Raum und der Zeit. (Bsp. Friedhof, Bibliothek)12)
Wie im vorherigen Kapitel zum Diskursbegriff schon erwähnt, werden durch Diskurse Wissen und Wissensvorräte vermittelt, anhand derer die Subjekte innerhalb einer Gesellschaft die Wirklichkeit deuten. Jäger geht von der Annahme aus, „daß sich in den Diskursen gesellschaftliche Wirklichkeit nicht einfach widerspiegelt, sondern daß die Diskurse gegenüber der Wirklichkeit ein ‚Eigenleben‘ führen, obwohl sie Wirklichkeit prägen und gestalten, ja, gesellschaftliche Wirklichkeit zuerst ermöglichen.“13) Wir deuten eine gesellschaftliche Wirklichkeit nur vermeintlich objektiv, da jede Form der Deutung wiederum auf diskursiv erzeugtem und vermitteltem Wissen basiert. So sind beispielsweise auch naturwissenschaftliche Disziplinen diskursiv erzeugt, tradiert und müssen dies, gerade hinsichtlich ihres Objektivitätsanspruchs, reflektieren.14)
„Das alles kann selbstverständlich nicht bedeuten, dass sich die Wirklichkeit auf die Existenz von Diskursen reduzieren ließe, sondern nur, dass Wirklichkeit nach Maßgabe der Diskurse von den über Wissen verfügenden Menschen gedeutet wird.“15)
Da Diskurse Wissen produzieren, wodurch die Subjekte einer Gesellschaft die Wirklichkeit deuten, gibt es selbstverständlich Versuche von Einzelnen oder sozialen Gruppen, Diskurse strategisch zu beeinflussen: Gewisse Subjekte versuchen ihre Deutungen der Wirklichkeit in den Diskurs einfließen zu lassen.16)„Was dabei herauskommt, ist etwas, das so keiner gewollt hat, an dem aber alle in den verschiedensten Formen und Lebensbereichen (mit unterschiedlichem Gewicht) mitgestrickt haben.“17)
„Es geht bei der Diskursanalyse folglich auch nicht (nur) um Deutungen von etwas bereits Vorhandenem, also nicht (nur) um die Analyse einer Bedeutungszuweisung post festum, sondern um die Analyse der Produktion von Wirklichkeit, die durch die Diskurse - vermittelt über die tätigen Menschen - geleistet wird.“18)
Diskurse produzieren also Wissen und lassen dieses zirkulieren. Durch das Wissen und die Wissensvorräte, die die Menschen den Diskursen entnehmen, deuten sie die gesellschaftliche Wirklichkeit. Wie schon angesprochen, geht von Diskursen Macht aus, da durch die erzeugten Wissensvorräte individuelles und kollektives Handeln bestimmt wird, worauf ich im nächsten Kapitel eingehen werde.
In Bezug auf die Wirklichkeit und deren Deutung möchte ich hier auf einen interessanten Vortrag von Jäger verweisen: Die Wirklichkeit ist diskursiv.
Einen ähnlichen Ansatz bezüglich der Wissensvorräte und die daraus resultierende Konstruktionen von Wirklichkeit in unserer Gesellschaft und wie diese zustande kommen, verfolgt die Wissenssoziologische Diskursanalyse von Reiner Keller, welche auf den Grundannahmen von Peter Berger und Thomas Luckmann beruht. Allerdings zielt die KDA nicht nur darauf ab zu analysieren, wie bestimmtes Wissen in unserer Gesellschaft zustande kommt, sondern hat die Absicht, die daraus resultierenden ‚Sagbarkeitsfelder‘ zu verschieben, darin begründet sie ihre Kritik.
Dadurch, dass wir durch Diskurse Wissen vermittelt bekommen, anhand dessen wir die Wirklichkeit deuten, üben Diskurse auf spezifische Weise Macht aus. Jäger bezieht sich hier auf Foucault, der der Meinung ist, „dass Macht immer mit Wissen verbunden ist.“19)
„Diskurse üben als »Träger« von (historisch und räumlich jeweils gültigem) »Wissen« Macht aus; sie sind selbst ein Machtfaktor, indem sie geeignet sind, Verhalten und (andere) Diskurse zu induzieren. Sie tragen damit zur Strukturierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen bei.“20)
Die Macht-Wissens-Beziehungen sind Gegenstand der KDA:
„Ihre Funktion besteht gerade darin, die dem Wissen impliziten Machteffekte und ihre jeweilige Akzeptabilität offenzulegen,
um Veränderungen zu ermöglichen.“21)
Durch die Induktion von Wissen beeinflussen Diskurse das Verhalten gesellschaftlicher Akteure und Subjekte.22) „[…] [D]ie gelernten Normen, die geglaubten »Wahrheiten«, die stereotypen Arten von Bedeutungszuschreibungen sind also zu analysieren, wenn es darum geht die Machtverhältnisse zu begreifen:[..]“23)
„Um zu sehen, was sie akzeptabel gemacht hat und macht und wann und wodurch sie aufhören, akzeptabel zu sein, ist die Genealogie dieser Macht- Wissens-Wirkungen zu untersuchen.“24)
Die Macht-Wissens-Beziehungen, welche sich mithilfe der KDA analysieren lassen, wirken also auf das Subjekt. Dennoch geht es der KDA nicht darum, das individuelle Subjekt zu erfassen, sondern, wie aufgezeigt, um die Genealogie der Konstitution des Subjekts.25) Dadurch ermöglicht es die KDA, akzeptierte ‚Sagbarkeitsfelder‘ und deren Grenzen in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu verschieben. Außerdem wichtig zu erwähnen ist, dass Macht in diesem Kontext nicht von individuellen Subjekten ausgeht, sondern von den Macht-Wissens-Komplexen, die sich in Diskursen abspielen. Macht wird also diskursiv transportiert und durchgesetzt.26) Weder ein einzelnes Individuum noch eine Gruppe „haben das gesamte Macht- und damit Funktionsnetz einer Gesellschaft in der Hand.“27) Dennoch kann das Individuum auf die Macht-Wissens-Komplexe in Diskursen zumindest teilweise Einfluss nehmen:
„Das tätige Individuum ist also voll dabei, wenn es um die Realisierung von Machtbeziehungen (Praxis) geht. Es denkt, plant, konstruiert, interagiert und fabriziert. […]. Es tut dies aber im Rahmen eines wuchernden Netzes diskursiver Beziehungen und Auseinandersetzungen, im Rahmen ‚lebendiger Diskurse‘ insofern, als es diese zum Leben bringt und sie, in diese verstrickt, lebt und zu ihrer Veränderung beiträgt.“28)
In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll anzumerken, dass dort, wo Macht ausgeübt wird, sich Widerstand manifestiert. Widerstand liegt nie außerhalb von Macht. „Sie sind in den Machtbeziehungen die andere Seite, das nicht wegzudenkende Gegenüber.“29)
Außerdem geht Jäger noch auf die Unterscheidung Foucaults von Macht und Herrschaft ein.
Macht: überzieht Gesellschaft wie ein Netz, alle Menschen einer Gesellschaft verfügen über Macht, wenn auch nur gering.30)
Herrschaft: von Herrschaft ist die Rede, wenn aufgrund ungleicher Machtverteilung Menschen über Menschen bestimmen und sie z.B. ausgrenzen und ausbeuten können.31)
„KDA greift diese komplexen Zusammenhänge auf und begründet damit die Notwendigkeit von Kritik.“32)
An dieser Stelle möchte ich noch auf die Wikis Macht und Diskurs bei Foucault und Diskurs, Subjekt und Handlungsmacht verweisen.
Jäger fasst die bisherigen theoretischen Grundannahmen in einer These wie folgt zusammen:
„Diskurse üben Macht aus, da sie Wissen transportieren, das kollektives und individuelles Bewußtsein speist. Dieses zustandekommende Wissen ist die Grundlage für individuelles und kollektives Handeln sowie die Gestaltung von Wirklichkeit.“33)
Ebenso wie die Macht-Wissens-Beziehungen lassen sich auch die Konzepte des Normalismus im Rahmen der KDA analysieren.
„Unter Normalismus wird nach Jürgen Link die Gesamtheit aller diskursiven Verfahren, Dispositive, Instanzen und Institutionen verstanden, durch die in modernen Gesellschaften ‚Normalitäten‘ produziert und reproduziert werden.“34)
Die Grenzen der Normalitäten und Nicht-Normalitäten sind grundsätzlich verschiebbar, der Verlauf diskursiver Kämpfe bestimmt diese Grenzen. Diese prinzipielle Verschiebbarkeit von Normalitäten führt bei gesellschaftlichen Subjekten zu »Denormalisierungsangst«.35) Jäger geht hier auf zwei Normalisierungsstrategien ein, um der »Denormalisierung« entgegen zu wirken. Die protonormalistische Strategie und die flexibel-normalistische Strategie.
protonormalistische Strategie:
- enge und starre Toleranzgrenzen schützen vor Denormalisierung
- Risiko: enge Grenzen blockieren Wachstumsdynamiken, was wiederum zu Denormalisierung führen kann
- erfordert autoritär strukturiertes Subjekt
flexibel-normalistische Strategie:
- Normalitätsgrenzen werden durch breite Toleranzzonen festgelegt
- unvorhergesehene Dynamiken können berücksichtigt werden
- Risiko: Verschwimmen der Grenzen → Denormalisierung
- erfordert autonomes Subjekt, dass sich selbst reguliert
→ Die Konzepte des Normalismus sind als diskurstragende Kategorie anzusehen und somit Teil der Werkzeugkiste der KDA. Bei den Instrumenten der Durchsetzung handelt es sich um Kollektivsymbole, auf die ich im nächsten Kapitel eingehen werde.36)
Um die Grenzen des Normalismus in unserer Gesellschaft zu analysieren, ist es sinnvoll, die Kollektivsymbole, die wir in unserer Gesellschaft verwenden, näher zu betrachten. Bei Kollektivsymbolen handelt es sich um ein Repertoire an Bildern, die beispielsweise als Metaphern, Allegorien und Analogien in Erscheinung treten. Anhand dieser Bilder deuten wir die gesellschaftliche Wirklichkeit oder bekommen sie vor allem durch Medien gedeutet.37) Der gesamtgesellschaftliche Diskurs wird durch ein synchrones System kollektiver Symbole zusammengehalten; gleichzeitig resultieren die Kollektivsymbole aus den Diskursen und vermitteln unsere vermeintlich objektiven Wissensvorräte.38)
„[…] Vorrat an Kollektivsymbolen, die alle Mitglieder einer Gesellschaft kennen, das Repertoire an Bildern zur Verfügung steht, mit dem wir uns ein Gesamtbild von der gesellschaftlichen Wirklichkeit bzw. der politischen Landschaft der Gesellschaft machen, wie wir diese deuten und - insbesondere durch die Medien - gedeutet bekommen.“39)
Es handelt sich demnach um kulturelle Stereotypen, die kollektiv tradiert und benutzt werden. Außerdem sind die Systeme kollektiver Symbolik historisch veränderbar und interkulturell verschieden.40)
Jäger bezieht sich hier auf Link, der von Kollektivsymbolik spricht, „weil sie allen Menschen (eines kulturellen Zusammenhangs) unmittelbar einleuchten, da sie von allen Mitgliedern einer Gesellschaft, als Kollektiv gelernt sind, kollektiv benutzt und verstanden werden.“41)
→ „Das synchrone System von Kollektivsymbolen stellt ein Interpretations- und Deutungsraster für die gesellschaftliche Wirklichkeit bereit“.42)
Im Zusammenhang mit Kollektivsymbolen fällt bei Jäger noch der Begriff der Katachresen, womit Bildbrüche gemeint sind. Dies bedeutet, dass die Symbole aus teilweise unterschiedlichen Bildspendebereichen entnommen werden (bspw. Verkehr und Natur). Durch Katarchesen lassen sich „Zusammenhänge zwischen Aussagen und Erfahrungsberichten stiften, Widersprüche überbrücken, Plausibilitäten und Akzeptanzen erzeugen etc. und die Macht der Diskurse verstärken.“43)
Beispiel: „Die Lokomotive des Fortschritts kann durch Fluten von Einwanderern gebremst werden, so daß unser Land ins Abseits gerät.“
Keller spricht im Zusammenhang mit seiner Wissenssoziologischen Diskursanalyse von Deutungsschemata und Deutungsmustern und ist ebenfalls der Meinung, dass diese in und durch Diskurse produziert werden und uns gleichzeitig ermöglichen, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu deuten und wir diese auch durch Deutungsmuster von den Medien gedeutet bekommen.44) Wie beim Verhältnis von Wirklichkeit und Wissen ist auch hier eine Ähnlichkeit beider diskurstheoretischer Ansätze zu erkennen.
Bei Kollektivsymbolen handelt es sich, wie bereits erklärt, um sprachliche Bilder. Nun möchte ich noch kurz auf die Analyse von nicht-sprachlichen Bildern eingehen. Der Begriff des ‚Sagbarkeitsfeldes‘, das durch die KDA erschlossen werden soll, kann zu Missverständnissen führen. Man könnte es so verstehen, dass sich die Analyse ausschließlich auf sprachliche Bilder bezieht, es gibt jedoch auch Konzepte, mit denen nicht-sprachliche Bilder analysiert werden können.45)
- »pictorial« turn: Beitrag der Bilder zur kulturellen Konstruktion
- »iconic« turn: betrachtet Produktion von Wissen durch Bilder
„Es geht darum zu erforschen, welches Wissen durch die Bilder reproduziert bzw. zur Produktion beim Betrachter oder der Betrachterin angeregt wird.“46)
→ Ebenso wie die Kollektivsymbole beteiligen sich Bilder an der Konstruktion von gesellschaftlicher Realität.47)
Allerdings bewertet Jäger die Erfassung der Wirkungen von Bildern eher kritisch.48)
An dieser Stelle möchte ich noch auf einen Beitrag vom DISS verweisen, der sich mit der Analyse von nicht-sprachlichen Bildern befasst.
Die bisherigen Kapitel haben sich mit den theoretischen Konzepten beschäftigt, welche die Grundlage der KDA bilden. Gleichzeitig fließen diese Konzepte mit ein in die Methode der KDA. Als erstes möchte ich hier noch einmal zentrale Fragen der KDA darstellen, die sich aus den theoretischen Konzepten in den vorherigen Kapiteln ableiten lassen.
Zentrale Fragen der KDA:
„Diskursanalyse, erweitert zur Dispositivanalyse, zielt darauf ab, das (jeweils gültige) Wissen der Diskurse bzw. der Dispositive zu ermitteln, den konkret jeweiligen Zusammenhang von Wissen/Macht zu erkunden und einer Kritik zu unterziehen.“49)
Die Analyse von Diskursen bezieht sich sowohl auf Alltagswissen, welches über Medien, alltägliche Kommunikation, Schule und Familie vermittelt wird (‚Interdiskurse‘) und auf das jeweils gültige Wissen, das durch die Wissenschaften produziert wird (‚Spezialdiskurse‘).50)
Jäger versucht, wie schon erwähnt, mit seinem Werk ‚Kritische Diskursanalyse - Eine Einführung‘ eine Werkzeugkiste für ein praktikables Verfahren der KDA bereitzustellen. Wichtig zu erwähnen, finde ich noch, dass die Methoden und die Vorgehensweise kein Rezept sind, welches man genau so befolgen muss. Vielmehr handelt es sich eben um eine Werkzeugkiste, an der man sich je nach Bedarf bedienen kann.
Vorgehensweise der KDA:51)
Wie zu Beginn schon erwähnt, orientiert sich die Datenanalyse an der offenen Forschungslogik der qualitativen Sozialforschung. Keller, der sich auf Dreyfus und Rabinow bezieht, spricht von einer interpretativen Analytik.52)
„Diese umfasst, bezogen auf ein einzelnes Aussageereignis, die Analyse seiner Situiertheit und materialen Gestalt, die Analyse der formalen und sprachlich-rhetorischen Struktur und die interpretativ-analytische Rekonstruktion der Aussageinhalte.“53)
„Die Analyse einzelner Daten beginnt mit einem einfachen oder wiederholten Lesen, an das Paraphrasierungen der Inhalte anschließen können. Für die Einzelanalyse sind erneut Vorschläge aus dem Forschungsprogramm der grounded theory (Strauss/Corbin 1996) hilfreich.“54)
Bestandteile des Forschungsprogramms der ‚grounded theory‘ sind das ‚theoretical sampling‘ und die Konzepte des Kodierens, der Kommentare und der Memos.55)
„Die verschiedenen Strategien der (qualitativen) Kodierung zielen auf die begriffliche Verdichtung einzelner Textpassagen innerhalb von
Dokumenten sowohl in analytisch-gliedernder wie auch in interpretierender Hinsicht.“56)
„Eine Feinanalyse wird meist in mehreren Schritten erfolgen, die sich in Pendelbewegungen hin zum Text und davon weg bewegen:
Beginnend mit dem Lesen einzelner Dokumente schreitet man zu Paraphrasierungen, zur Kontextanalyse und analytischen Zergliederung, zur
detailgenauen Interpretation und schließlich zur Zusammenfassung.“57)
Die Analyse ist beendet, sobald eine theoretische Sättigung erreicht ist. Dies kann auch schon der Fall sein, bevor das gesamte ausgewählte Analysematerial bearbeitet wurde.58)
Analyse des Dispositivs:
Bei der Analyse des Dispositivs handelt es sich um ein Zusammenspiel „sprachlich performierter Diskurse (= Sprechen und Denken auf der Grundlage von Wissen), nicht-sprachlich performierter Diskurse (= Handeln auf der Grundlage von Wissen und Sichtbarkeiten bzw. Vergegenständlichungen (als Resultate von Handeln auf der Grundlage von Wissen)).“59)
Da auch nicht-sprachliche Diskurse auf Wissen basieren, beruht die Dispositivanalyse auf denselben theoretischen Konzepten wie die Diskursanalyse.
„Eine Dispositivanalyse, die den prozessierenden Zusammenhang von Wissen, Handeln und Sichtbarkeiten zum Gegenstand hat, hätte demnach grundsätzlich die folgenden Schritte zu absolvieren:“60)
Jäger hat mir der KDA eine Methode entwickelt, mit der sich Diskurse kritisieren und problematisieren lassen. Durch die Analyse der KDA lassen sich ‚Sagbarkeitsfelder‘ und aktuelle Wissensbestände (bspw. durch Kollektivsymbole) einer Gesellschaft aufzeigen. Durch ihre Kritik bietet die KDA die Möglichkeit, die Grenzen der ‚Sagbarkeitsfelder‘ zu verschieben. Allerdings muss man sich als Wissenschaftler*in darüber im Klaren sein, dass man sich selbst nie außerhalb der Diskurse befindet. Auch die Sichtweisen, Werte und Normen, mit denen man versucht sich einem Diskurs kritisch anzunähern, sind ebenfalls diskursiv-historisch begründet und die eigene Position ist gleichzeitig immer das Resultat eines diskursiven Prozesses. Auf dieser Grundlage kann man sich in diskursive Kämpfe hineinbegeben und seine Position verteidigen oder modifizieren.61)