Diversitätspolitiken prägen und verändern die gegenwärtige Gesellschaft, unsere gegenwärtige Welt und damit das ‚Soziale Imaginäre‘ (Vertovec 2012 in Anlehnung an Taylor). Sie bilden somit einen Orientierungsrahmen (Bohnsack 2012), der zunehmend auch Teil unseres Selbstbildes ist (Vertovec 2012:308).
Gegenstand der Seminare ist das Konzept der Diversität, das den Diversitätspolitiken zugrunde liegt; das heißt, Diversität als Ziel und als politisches Programm (Gerhards/Sawert 2018: 527). Auf welchen Konzepten, Theorien und Definitionen von Diversität beruhen Diversitätspolitiken und Diversitäts-Arbeit (Eggers 2011)? Welche historischen Auseinandersetzungen und welche Kontroversen werden von Diversitätsbegriffen und -konzepten repräsentiert?
Im Fokus steht damit Diversität „als praxisorientierter Analysebegriff“ (Eggers 2011: 258). Es geht um explizite und implizite Definitionen von Diversität, Diversitäts-Diskurse, Diskurse und Rahmungen verschiedener Arenen (Institutionen, Parteien, Unternehmen, öffentlichen Diskursen etc.) sowie um Entwicklungen und Einflüssen auf aktuelle Diversitäts-Diskurse und -Politiken in Deutschland. Weiter geht es um die Analyse der Dimensionen von Diversität, die in verschiedenen Versionen Grundlage von Diversitätspolitiken und Diversitätsmanagement sind.
Methodisch steht die Praxis – oder stehen die Praxen – der Diversitätspolitik im Fokus und die kritische Betrachtung methodischer und methodologischer Aspekte:
Der Begriff ›Diversität‹ oder ›Diversity‹ bezieht sich einerseits auf ein politisches Konzept von Vielfalt, andererseits auf konkrete Maßnahmen und Ziele. Welchen Herausforderungen stehen konkrete Maßnahmen und Methoden, mit denen Diversitäts-Ziele erreicht werden sollen, gegenüber? Auf Grundlage welcher Kategorien, Daten und Informationen werden Maßnahmen entwickelt, welche Quellen und Daten sind vorhanden oder aber erforderlich, wie sind sie einzuordnen und zu analysieren? Dies betriff auch methodische, methodologische und forschungsethische Fragen der Erzeugung und Qualität empirischer Daten sowie Fragen nach Konsequenzen und Folgen von Vorgehensweisen. So können beispielsweise statistische Daten realistischerweise nur auf der Grundlage von Kategorien erhoben werden. Die bisher üblichen Kategorien schreiben Eigenschaften und Zuordnungen fest. Zudem fehlen in vielen Bereichen Längsschnittdaten.
Wie wird Diversität in konkreten Projekten und Strategien gefasst? Welche Kategorien und Dimensionen fehlen? Welche Kategorien, Strategien und Maßnahmen werden genannt, welche umgesetzt? Wie sind sie zu beurteilen? Wie sind Methoden und Daten einzuordnen? Welches sind die Datengrundlagen von Strategien und Maßnahmen? Welches sind die Kriterien und Dimensionen? (Woran wird Diskriminierung – oder überhaupt Vielfalt – festgemacht?) Wie sollte prinzipiell erhoben bzw. gemessen werden? (Welche Methoden, welche Kriterien und Kategorien, z.B. messen wir Eigenschaften oder Handlungen?)
Die Wiki-Einträge, die im Sommersemester 2022 im Rahmen der Seminar „Theorien der Diversität“ und „Praxis der Diversität“ erstellt wurden, drehen sich um den Begriff der Diversität. Sie untersuchen die Bedeutung und Dimensionen des Begriffs, diskutieren die Rolle, die dem Begriff als erstrebenswertes Ziel bzw. politische Agenda von verschiedensten Unternehmen und Institutionen zukommt und kritisieren inbegriffene Praktiken. Ein Schwerpunkt liegt auf der Kategorisierung von Vielfalt und den sozialen Ungleichheiten bzw. der Diskriminierung, die in unserer Gesellschaft Hand in Hand geht mit den verschiedenen Dimensionen von Diversität. Um Diskriminierung begreifen zu können, wird auch der Begriff der Intersektionalität von Kimberlé Crenshaw im Kontext von Diversität thematisiert. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf dem Begriff der Identität, seinen verschiedenen Anwendungen und dem Handeln, welches als Identitätspolitik bezeichnet wird.
Zwei Wikis aus dem Methodenseminar („Praxis der Diversität“) befassen sich mit der Sichtbarmachung von Diskriminierung über Befragungsinstrumente sowie mit der Tauglichkeit der sog. „Demografischen Standards“ für die Erhebung von Diskriminierung und Diversitätsmerkmalen.
Das Wiki „Diversität – eine kritische Einführung“ zeigt am Beispiel von Germany´s Next Topmodel wesentliche Problematiken in der Umsetzung von „Diversität“ auf. Hierbei ist vor allem die Praxisnähe zu einer im Allgemeinen bei den Teilnehmer:innen bekannten Fernsehserie hilfreich, Schwierigkeiten in der Diversifizierung von Teilnehmer:innen der Sendung diskutieren zu können.
Das Wiki greift die Diskussion um den Diversitätsbegriff, wie er unter anderem von Formaten wie Germany´s Next Topmodel verwendet wird, auf und unterzieht sie einer kritischen Perspektive. Im Wesentlichen basiert diese Kritik auf der Erkenntnis, dass der gesellschaftspolitische Anspruch des Diversitätsbegriffs verlorengeht, wenn akademische Begriffe wie Intersektionalität und Interdependenz durch einen zugänglichen und damit leicht zu vermarktenden Diversitätsbegriff ersetzt werden. Dadurch verliert der Diversitätsbegriff sein Potential zur strukturellen Transformation, was zur Folge hat, dass sich Phänomene nur an der Oberfläche ändern, was sich durch Wetterers Begriff der rhetorischen Modernisierung beschreiben lässt.
Darüber hinaus wird „Diversität“ häufig als Sammelbegriff verstanden, der verschiedene Formen von Diskriminierung vorschnell zusammenfasst und diese aneinander angleicht. Dieses Verständnis verschleiert die Tatsache, dass zwischen verschiedenen Ungleichheitskategorien Wechselwirkungen bestehen, die sich gegenseitig bedingen und verstärken. Ungleichheitskategorien können folglich nie isoliert stehen, sondern sind stets mit anderen Ungleichheitskategorien verbunden. Diese Überschneidung von Ungleichheitskategorien kann durch Crenshaws Begriff der Intersektionalität beschrieben werden. Damit nimmt dieses Wiki bereits Vorstellungen von „Diversität“ vorweg, die vor allem im Wiki „Intersektionalität und Interdependenz“ weiter ausgeführt werden. Ein solcher Vorgriff von Theorien wie der Intersektionalität und Interdependenz ist notwendig, um das gängige Verständnis von „Diversität“ einer Kritik zu unterziehen, bietet sich allerdings erst an, wenn entsprechende Vorkenntnisse vorhanden sind.
Die Verwendung von „Diversität“ als Sammelbegriff hat Strömungen einer kritischen Diversität hervorgebracht, die dafür plädieren, anstatt des Begriffs der „Diversität“ von „Intersektionalität“ zu sprechen, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse sichtbar zu machen und Privilegien zu hinterfragen. Einige Stimmen innerhalb der Strömung der kritischen Diversität fordern einen gänzlichen Verzicht auf den Diversitätsbegriff, da „Diversität“, wie erwähnt, häufig mit einem unternehmerischem Anspruch verwendet wird.
Der anschließende Teil des Wikis befasst sich mit Antidiskriminierung, wobei wesentliche Problematiken in der Umsetzung von Diversität thematisiert werden. Hierbei steht vor allem die Gefahr des Gruppismus und des Essentialismus im Mittelpunkt. Positive Maßnahmen, die zu mehr Gerechtigkeit führen sollen, haben häufig zur Folge, dass Gruppen homogenisiert werden, was sich als Gruppismus verstehen lässt. Essentialismus meint die Reduktion von einzelnen Personen auf ein einziges Merkmal ihrer Identität. Damit werden wesentliche Aspekte aufgegriffen, die in der Diskussion um und der Kritik an Germany´s Next Topmodel prägnant sind.
Zentral für diese Kritik ist das Label „Diversität“ der 17. Staffel, mit der das Format auf Kritik auf das einseitige und homogene Schönheitsideal der Sendung reagiert. „Diversität“ verliert allerdings in diesem Kontext ihren gesellschaftspolitischen Rahmen und dient lediglich der Rechtfertigung der Existenz des Formats. Bei der Diversifizierung der Teilnehmer:innen der Sendung geht es zudem vorwiegend um „Vielfalt“ in der Zusammensetzung und nicht primär um Heterogenität und Verschiedenheit. Kandidat:innen begegnen hierbei dem zunehmenden Druck, ihre Persönlichkeit und Identität vermarkten zu müssen, was als „unternehmerisches Selbst“ (Bröckling) verstanden wird. Diese Vermarktung ist mit einer stetigen Selbstoptimierung verbunden, die auch einen Einfluss auf Zuschauer*innen der Sendung haben kann.
Wie eingangs erwähnt, hat es sich als Einstiegssitzung geeignet, praxis- und beispielnah zu arbeiten. Dabei hat sich an der Diskussion um Germany´s Next Topmodel ablesen lassen, welche Standpunkte mit Blick auf „Diversität“ vertreten werden. So wurde die Diversifizierung der Teilnehmer*innen im Seminar nicht ausschließ negativ bewertet, sondern hat in Bezug auf die Relevanz von Repräsentativität und der Identifikation von Zuschauer*innen mit Kanditat:innen auch positive Seiten. Das Wiki vertieft hierbei Grundlagen bezüglich unterschiedlicher Perspektiven auf Diversität. Dieses Wiki ist somit eine kritische Einführung in den Diversitätsdiskurs.
Das Wiki „Definitionen von Diversität“ befasst sich mit den unterschiedlichen Definitionen bzw. Verwendungsformen des Diversitätsbegriffs. In den Bereichen Biologie, Recht, Soziologie und Wirtschaft variiert der Begriff in seiner Bedeutung, seiner Anwendung und seinen Implikationen. In der Biologie meint Biodiversität die Grundlage des Lebens. Diese setzt sich zusammen aus der Vielfalt von Ökosystemen, der Vielfalt von Arten und der genetischen Vielfalt innerhalb einer Art. In der Soziologie ist Diversität ein Forschungsansatz. Dieser begreift Diversität als ‚Normalzustand‘ und analysiert Macht- und Dominanzverhältnisse anhand von Vielfaltsdimensionen. Fehlende Vielfalt soll das Ergebnis von gesellschaftlichen Entwicklungen sein. In der Wirtschaft wird Diversität als verwertbare erfolgsversprechende Ressource verwendet. Die Versprechen, die mit der Förderung von Diversität im Personalmanagement einhergehen sollen, fasst die Charta der Vielfalt zusammen, welche im Wiki „Diversität im Personalmanagement“ vorgestellt wird. Eine diverse Belegschaft verschiedener Posten in einem Unternehmen kann einerseits als Herausforderung und andererseits als Wettbewerbsvorteil verstanden werden. Mit den Gefahren, die sich aus dieser Auffassung ergeben, befassen sich das Wiki „Diversity-Praxis“ unter dem Schlagwort „Diversifikation“ und das Wiki „Eine kritische Einführung in den Diversitätsdiskurs am Beispiel von Germany’s Next Topmodel“.
Im Bereich des Rechts ist Diversität als etwas Schützenswertes im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 verankert. Diversität wird hier im Individuum verortet und lässt sich anhand von verschiedenen Kategorien beschreiben. Diese Kategorien und deren Kritikpunkte stellen eines von zwei zentralen Themen des Wikis „Die Kategorisierung von Vielfalt: Versprechen, Defizite und inbegriffene Probleme“ dar.
Das Wiki „Die Kategorisierung von Vielfalt: Versprechen, Defizite und Probleme“ befasst sich im ersten Teil mit der Kategorisierung von Vielfalt, wie sie im AGG vorgesehen ist. Das Gesetz möchte Benachteiligungen verhindern bzw. beseitigen, die aufgrund verschiedener individueller Merkmale, welche in ihrer Gesamtheit unter den Begriff der Diversität fallen, erfahren werden. Es differenziert zwischen Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse“ oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.
Dieser kategoriale Ansatz, der Rechtstheorie und Rechtspraxis beherrscht, ist aber strittig. Das Wiki erläutert die Probleme des Kategoriendilemmas. So beinhaltet eine rechtliche Kategorisierung immer den Zwang für Menschen, die Rechtsschutz beanspruchen können und wollen, sich in die vorgegebenen Kategorien einzuordnen. Wenn es Menschen nicht gelingt, sich in die Kategorien einzuordnen und auch, wenn Ausgrenzungen mehrdimensional funktionieren, kann Schutzbedürftigkeit juristisch teilweise gar nicht oder nur unzureichend erfasst werden. Mit der Frage, welche Rolle mehrdimensionale Diskriminierung im Diversitätskontext erfährt, beschäftigt sich das Wiki „Intersektionalität und Interdependenz“. Ein Ansatz, der zur Überwindung des Kategoriendilemmas beitragen soll, ist das „Postkategoriale Denken“.
Im zweiten Teil wird die Repräsentanz der Vielfaltsdimensionen im akademischen Diskurs diskutiert. Basis hierfür ist der Text „Deconstructing Diversity. Soziale Herkunft als die vergessene Seite des Diversitätsdiskurses“ von Jürgen Gerhards und Tim Sawert aus dem Jahr 2018. Kernaussage des Textes ist, dass soziale Herkunft die zentrale Vielfaltsdimension von Benachteiligung im Zugang zu deutschen Universitäten darstellt, die nichtsdestotrotz im akademischen Diversitätsdiskurs im Vergleich zu den anderen Kategorien am wenigsten Aufmerksamkeit erhält. Ein Blick auf die Agenda der Universität Freiburg, welcher im Wiki vorgenommen wird, verrät eine ähnliche Tendenz. Zudem beinhaltet das Wiki eine Datenerhebung auf der Mikro-Ebene des Seminars, welche analog zu Gerhards und Sawert den Repräsentanzen verschiedener Merkmalsausprägungen der Vielfaltsdimensionen unter den Studierenden auf den Grund geht.
Auch weil die Interdependenzen zwischen den einzelnen Ausprägungen von Diversitätsmerkmalen im Laufe des Seminars immer wieder aufkamen, war eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den Kategorien, den Implikationen und den rechtlichen Folgen sinnvoll. Gerade deswegen, weil es sich bei den Teilnehmer:innen des Seminars um Studierende handelt, war ein Blick auf den Diskurs an Universitäten spannend. Darüber zu sprechen, dass Diskriminierung vielseitig stattfinden kann und dass es durchaus Gruppen gibt, deren Benachteiligung viel zu wenig diskutiert und angegangen wird, hat einigen Studierenden im Seminar einmal mehr die Augen geöffnet. Dazu trug eine kleine Datenerhebung auf Mikro-Ebene des Seminars bei.
Das Wiki „Intersektionalität und Interdependenz“ von beschäftigt sich mit der Grundidee der Intersektionalität und den verschiedenen Arten der Intersektionalität, bzw. den verwandten Konzepten und ihren heutigen Bedeutungen. Der Begriff der Intersektionalität geht auf Kimberlé Crenshaw zurück, die ausgehend von der Analyse verschiedener Gerichtsverfahren und deren Ausgängen, folgende Forderung aufstellt: Diskriminierung muss als ein Zusammenspiel betrachtet werden. Das bedeutet, dass eine Person aufgrund verschiedener Merkmale gleichzeitig diskriminiert werden kann. Diese Gleichzeitigkeit muss im Alltagsverständnis und in der Rechtstheorie und -praxis anerkannt und entsprechend anders gehandhabt werden. Das Wiki präsentiert auch das Konzept der „Achsen der Ungleichheit“ (2007) von Klinger und Knapp und das Konzept der Mehrfachdiskriminierung (2002) des Rechtswissenschaftlers Makkonen. Ersteres setzt den Fokus in Sachen Diskriminierung nicht auf die Merkmalsträger:innen (Subjekte), sondern auf diejenigen Organisationsstrukturen (bspw. Ausbildungssystem oder Arbeitsmarkt), die Teilhabe-Chancen ungleich verteilen. Letzteres unterscheidet zwischen Mehrfach-, verstärkter und intersektionaler Diskriminierung.
„Mehrfach“ meint die Diskrimierung aufgrund mehrerer Merkmale, allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten. „Verstärkt“ beschreibt das Zusammenkommen verschiedener Diskriminierungspunkte und „intersektional“ das tatsächliche, gleichzeitige Zusammenwirken. Das Wiki erläutert außerdem den Begriff der Interdependenzen, der vermehrt Zuspruch im öffentlichen Diskus findet. Im Diskurs beinhaltet der Begriff die Forderung, die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Diskriminierungsgründe anzuerkennen. Das bedeutet, dass beispielsweise Hautfarbe und Geschlecht nicht getrennt voneinander betrachtet werden sollten.
Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Intersektionalität im Kontext von Diversität war, angesichts der Parallelen zu den anderen Wikis und aufgrund des Schwerpunkts des Seminars auf Diskriminierung und Diskriminierungsformen, unabdinglich.
Das Einführungs-Wiki hat am Beispiel der Sendung von Germany’s Next Topmodel und den Versuchen der Diversifizierung des Casts der Show, dargestellt, inwiefern verschiedene Unternehmen unter dem Deckmantel der Vielfaltsförderung ihr eigenes Geschäft, bzw. ihr Ansehen in der Gesellschaft fördern wollen. Das Wiki „Diversity-Praxis“ greift diese Kritik auf und analysiert das Programm „Diversity-Training“, welches an Popularität in der Arbeitswelt und in verschiedenen Institutionen gewinnt. Besonders in den USA ist Diversity-Training bereits weit verbreitet.
Hintergrund sind unter anderem die sogenannten „Heritage months“. Es handelt sich um ausgewählte Monate, in denen jährlich die Geschichten und Beiträge bestimmter marginalisierter Identitäten gefeiert werden sollen. Die jeweiligen Gruppen werden darin bestärkt, sich stolz zu zeigen, während der Rest der Gesellschaft Solidarität zeigt. In diesen Monaten soll besonders viel Aufklärungsarbeit betrieben werden, mit einem Fokus auf der Diskriminierung, die die Gruppen in der Vergangenheit und im Alltag erfahren (haben). Besonders der Pride-Month ist im Kontext der „Heritage months“ ein kontroverses Thema in den Medien und im Alltagsdiskurs. Trotz des optimistischen Ansatzes in der Theorie, gibt es in der Praxis viele Unternehmen, die ihre Teilnahme und die inbegriffene Förderung von Diversität als Marketing-Strategie verwenden. Häufig steht das Zufriedenstellen der Kund:innen und nicht die Verbündung mit den von Diskriminierung Betroffenen im Vordergrund. So ist der Pride-Month zwar bekannt und präsent, allerdings hat seine Verbreitung bisher wenige Veränderungen in der Gesellschaft bewirkt, die der Diskriminierung der LGBTQI+ Community tatsächlich entgegenwirken würden. Auch beim Diversity-Training geht es darum, das Bewusstsein zu schärfen für die angesprochene Benachteiligung, die Menschen aufgrund bestimmter individueller Merkmale erfahren. Viele Firmen und Organisationen verpflichten ihre Angestellten dazu, an solch einem Training teilzunehmen. Doch auch dieses Vorgehen wird teilweise kritisiert. So wird manchen Unternehmen unterstellt, dieses Programm nur aus Marketing-Zwecken, als Antwort auf die mediale Kritik an vorherigen Versuchen der Image-Aufbesserung unter dem Deckmantel der Diversitätsförderung, auf die Agenda zu setzen. Außerdem haben Studien gezeigt, dass die Effektivität begrenzt sein kann, zumindest dann, wenn die Teilnahme verpflichtend ist. Um darüber urteilen zu können, mit welcher Intention eine Firma Diversität propagiert, hat die Autor:in des Wikis drei Fragen formuliert, welche Konsument:innen und Zuschauer:innen berücksichtigen sollten, wenn sie sich Videos anschauen, in denen Unternehmen für Diversität werben: Für wen wurden die Videos produziert? Wer ist die Zielgruppe? Was sind die Intentionen?
Das Wiki nennt wesentliche Probleme der Diversitätspraxis und vertieft Themen, die auch in vorherigen Wikis bereits angeschnitten wurden. Diversity-Training als konkrete Maßnahme, um Diversität in der Berufswelt zu steigern, ist in Deutschland noch nicht sehr bekannt. Die Kritik ermöglicht es, zu diskutieren, inwieweit es sinnvoll ist, solch ein Programm in Deutschland zu fördern.
Nachdem im vorangegangenen Verlauf des Seminars der Fokus auf die begriffliche Auslegung, Aushandlungsprozesse und Problematiken von „Diversität“ gelegt wurde, fungiert das Wiki „Konzeptualisierung von Diskriminierung“ als eine Art Schnittstelle zwischen Diversität und Identitätspolitik.
Hierbei basiert die Konzeptualisierung von Diskriminierung auf den Kapiteln drei und vier von Coopers Buch „Challenging Diversity“. Cooper manifestiert anhand einiger bereits beschriebener Problematiken in der Umsetzung von Diversität, Schwierigkeiten einer Diversitätspolitik, die Benachteiligung bekämpfen soll. Sie plädiert für eine theoretischere Herangehensweise, um über verschiedene soziale Gruppen nachzudenken und stellt auf dieser Basis ihr „Konzept der Organisationsprinzipien“ und die „Gleichheit der Macht“ vor.
Dabei grenzt sie ihre Konzeptualisierung von Ansätzen ab, die wesentliche Elemente beinhalten, die in der vorherigen Diskussion um Diversität zum Ausdruck gekommen sind. Dabei handelt es sich um Konzepte, die Unterdrückung zum einen als ineinandergreifende Systeme oder Achsen und zum anderen als Unterdrückung mit Fokus auf Erfahrungen von Gruppen mit unterschiedlichen Standorten begreifen. In der Vorstellung von Unterdrückung als Achsen wird Crenshaws Konzept der Intersektionalität sichtbar und dessen Notwendigkeit verdeutlicht. Das Achsenmodell dient als Basis für Crenshaws Konzept der Intersektionalität und zeigt die Komplexität, die Crenshaws Begriff zugrundeliegt. Ein gruppenfokussierter Ansatz deckt die bereits erwähnten Problematiken des Gruppismus und Essentialismus auf, indem deutlich wird, welchen konstitutiven Charakter die Betrachtung von Gruppenstandorten auf die Identität von Personen haben kann.
Coopers Konzept der Organisationsprinzipien soll diesen Problematiken Rechnung tragen. Organisationsprinzipien der Ungleichheit strukturieren, formen und ziehen verschiedene Aspekte des sozialen Lebens zusammen. Geschlecht, Klasse, Sexualität, Alter, körperliche Fähigkeiten und „Rasse“ bezeichnen nach Cooper nicht nur Unterordnungsverhältnisse, in denen ein Akteur den Entscheidungen eines anderen unterworfen ist. Sie prägen darüber die Zuteilung, den Einsatz, die Auswirkungen und die Geschichte von Machttechnologien und können an ihnen abgelesen werden. Dadurch wird die organisierende Qualität der Organisationsprinzipien der Ungleichheit hervorgehoben. Damit unternimmt Cooper den Versuch, Unterdrückung weder als Achsen noch als gruppenzentriert zu denken und entwickelt in ihrer Konzeption der Organisationsprinzipien ein fluideres Konzept, das die Komplexität von Unterdrückung greifbar machen soll. Dabei spielen die sozialen Dynamiken eine wesentliche Rolle. Die sozialen Dynamiken beschreiben in Coopers Konzeption Prozesse wie den Kapitalismus, die sich mit den Organisationsprinzipien verschränken und jeweils eine andere Wirkung auf die soziale Praxis haben. Dadurch wird es möglich, Unterdrückung in Verschränkung mit weiteren Prozessen zu begreifen.
Die „Gleichheit der Macht“ umfasst die liberale und pluralistische Betonung des Rechts des Einzelnen auf die gleiche Möglichkeit, gewünschte Ziele zu erreichen oder auf bestimmte Weise zu handeln. Sie beinhaltet auch eine radikale Betonung der gleichberechtigten Teilhabe am Zustandekommen und der Umsetzung kollektiver Entscheidungen in Politik, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Cooper nimmt vorweg, dass es sich bei der Gleichheit der Macht mehr um einen ethischen oder politischen Leitfaden handelt als um ein realisierbares Ziel. Ein solcher Leitfaden soll die normative Prämisse zum Ausdruck bringen, dass niemand ein Recht hat, mehr Einfluss auf das soziale und physische Umfeld zu haben, als jeder/jede andere. Durch die Fokussierung auf die Fähigkeiten geht die Gleichheit der Macht nicht davon aus, dass die tatsächlichen produktiven Auswirkungen, die jede Person erzeugt oder erzeugen möchte, gleich sind. Gleichheit ist nicht gleichbedeutend mit Gleichheit auf der Ebene der Identität oder der Praxis. Im Verständnis von Gleichheit der Macht als Leitfaden wird Coopers Anspruch deutlich, einer Diversitätspolitik mit ihrem Enthusiasmus, Benachteiligung zu bekämpfen und die Vielfalt zu feiern, eine theoretischere Auslegung an die Hand zu geben.
Das Wiki greift kulturelle Aneignung als Beispiel für den analytischen Gehalt von Coopers Konzept der Organisationsprinzipien auf, da in der Diskussion im Seminar zu Coopers Konzeption deutlich wurde, dass ihr Konzept zwar theoretisch kohärent ist, sich aber nur schwer auf die Praxis anwenden lässt. So wird nicht verständlich, wie Coopers Konzept in eine Diversitätspolitik integriert werden kann beziehungsweise welche Anreize sie für eine Transformationen in der Praxis einer Diversitätspolitik sie liefern.
Das Wiki „Identitätskonstruktionen in modernen Gesellschaften“ behandelt verschiedene Anwendungen und Verständnisse des Begriffs der Identität. An dieser Stelle kann es in Bezug auf das Seminarthema „Theorien der Diversität“ relevant sein, Identität als integralen Bestandteil von Diversität zu verstehen, um sich die Verbindung von Identität und Diversität vor Augen zu führen. Dabei bezieht sich Diversität auf verschiedene Identitäten und lässt sich nicht ohne ein fundiertes Verständnis von Identität denken.
Identität bedeutet zunächst eine erlebte innere Einheit im Selbstverständnis, wobei bezeichnend ist, welche Eigenschaften oder Merkmale als wesentlich oder charakterisierend wahrgenommen werden. Identitätskonstruktionen können sozialwissenschaftlich unterschiedlich konzeptualisiert werden, wobei das Wiki drei unterschiedliche Konzepte zur Identitätskonstruktion vorstellt. Der Fokus des Wikis wird auf den Diskurs um den Begriff der „Identitätspolitik“ gelegt und ist der Versuch, einen Überblick über soziologische Begriffe zu geben, die Prozesse der Identitätsbildung beschreiben. Zudem soll dargelegt werden, welche Verständnisse von Identität im Diskurs um Identitätspolitik kursieren und welche politischen Ziele damit verfolgt werden.
Soziologisch sind vor allen Dingen die Begriffe des „Othering“ und der „Alterität“ prägend für ein Verständnis von Identitätsprozessen. Hierbei beschreibt „Alterität“ die „Identität stiftende Verschiedenheit zweier aufeinander bezogener, sich bedingender Identitäten”. Damit wird ausgedrückt, dass das Verständnis des Selbst und damit die eigene Identität ohne Abgrenzung von anderen Subjekten nicht möglich ist. „Othering“ beschreibt den aktiven, gewaltvollen Prozess, bei dem eine Gruppe auf struktureller Ebene ein „Anderes” konstruiert und gezielt abwertet, um die eigene Identität zu sichern. An dieser Stelle ist besonders relevant, was dies für die Konstruktion von Identitäten bedeutet, wobei Identitätskonstruktionen folglich die Auswirkung von Macht und Gewalt und nicht deren Ursache sind.
In dieses Verständnis der Konstruktion von Identitäten wird die Definition von Identitätspolitik eingebettet. Demnach ist Identitätspolitik nach Silke van Dyk „eine Politik der Antidiskriminierung und Herrschaftskritik, die Partei ergreift für alle, denen eine Existenz als Subjekt unter Gleichen verwehrt wird“. Neben einer rechten Rhetorik gegen linke Identitätspolitik, die sich auf das Narrativ des „Eigenen” in der Abgrenzung zum „Anderen” bezieht, um die Privilegien weißer cis-Männer zu verteidigen, gibt es auch bei linker Identitätspolitik die Gefahr einer Naturalisierung und Essentialisierung von Identitätskategorien. Stereotype und damit zusammenhängende Diskriminierung kann demnach auch als Bewunderung getarnt sein. Beispiele hierfür sind Komplimente an weiblich gelesene Personen für ihre Schönheit, die Bestandteil des Objektifizierungsprozesses sind oder die Exotisierung von Women of Colour als Mechanismus von kulturellem Othering.
Ein weiterer Ansatz, Identität zu denken, ist Identität als Position zu betrachten. Basis hierfür bildet nicht der essentialisierende Bezug zu Gruppen oder einer gemeinsamen Erfahrung, sondern das Verständnis für Diskriminierungsstrukturen und die Anerkennung von multiplen, intersektional beziehungsweise interdependent verflochtenen Erfahrungen und Interessen. Identität als Position zu verstehen, soll sich gegen jegliche Form der Essentialisierung von Identität richten, womit einhergeht, dass sich davon distanziert wird, Menschen aufgrund ihrer Identität politische Verantwortung aufzuerlegen.
Einer Identitätspolitik liegen Überlegungen zu Diversität zugrunde. Die Frage nach unterdrückten Identitäten, die es zu betrachten gilt, ist damit unweigerlich mit Diversität verknüpft. Deshalb ist es notwendig, zunächst unterschiedliche Definitionen und Verständnisse von Diversität zu betrachten. Diese Betrachtung erfolgte im Seminar jeweils in Bezug auf unterschiedliche Problematiken, die aus der Umsetzung von Diversität resultieren. Dabei hat sich der Verlauf an einer zunächst diffuseren eher praxisorientierten Betrachtung hin zu Definitionen, daran anschließenden Theorien und Konzeptionen und schlussendlich einer politischen Dimension von Diversität, orientiert. Spezielle Betrachtungen haben sich dabei ergänzt, aufeinander aufgebaut oder überschnitten. Dadurch wurde deutlich, welche Komplexität einer Umsetzung von Diversität zugrunde liegt und was dies für die politische Praxis von Diversität, auch im Rahmen von Identitätspolitik, bedeutet. Rückblickend zeigt das Seminar(wiki) eher einen Komplex von Sichtweisen, als einen linearen, stufenweisen Aufbau, der sich erst nachträglich vollends zusammenfügen lässt. Die Wikis machen unterschiedliche Theorien zu Diversität und besonders deren Grundlagen zugänglich. Daraus ergibt sich ein breites Spektrum an Vorstellungen, Theorien, Konzeptionen und Problemen in Bezug auf Diversität.
Die beiden Wikis aus dem Methodenseminar („Praxis der Diversität“) zur „Sichtbarmachung von Diskriminierung„ und zu den sog. „Demografischen Standards“ untersuchen statistische Befragungsinstrumente zur Erhebung von Diversität und somit auch zur Datenlage. Das beginnt mit der Frage, wie Diskriminierung und Diversität überhaupt zu definieren ist und welche Methoden der Datenerhebung genutzt werden. Weiter diskutieren sie den Umgang mit Kriterien und Kategorien, der Tauglichkeit von Instrumenten und blinden Flecken.
Ahyoud, Nasiha; Aikins, Joshua Kwesi; Bartsch, Samera; Bechert, Naomi; Gyamerah, Daniel; Wagner, Lucienne (2018): Wer nicht gezählt wird, zählt nicht. Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten in der Einwanderungsgesellschaft – eine anwendungsorientierte Einführung. Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership, Citizens For Europe (Hrsg.), Berlin. Online verfügbar: www.vielfaltentscheidet.de/publikationen / https://cloud.citizensforeurope.org/index.php/s/7gkZjZfSHDpZTRp/download/Antidiskriminierungs%20-%26%20Gleichstellungsdaten%20-%20Einf%C3%BChrung.pdf
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Artikel 8 SEPA-Begleitgesetz vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610). https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/AGG/agg_gleichbehandlungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile
Bohnsack, Ralf 2012. Orientierungsschemata, Orientierungsrahmen und Habitus. Elementare Kategorien der Dokumentarischen Methode mit Beispielen aus der Bildungsmilieuforschung In: Schittenhelm, Karin (Hg.). Qualitative Bildungs- und Arbeitsmarktforschung, Wiesbaden: 119–153.
Eggers, Maureen Maisha 2011. »Diversity/Diversität«, in: Susan Arndt/Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.), Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster: Unrast, S. 256-263.
Gerhards, Jürgen/Sawert, Tim 2018. „Deconstructing Diversity“: Soziale Herkunft als die vergessene Seite des Diversitätsdiskurses. In: Leviathan, 46. Jg, 4/2018, S. 527–550.
Liebscher, Doris/Naguib, Tarek/Plümecke, Tino/Remus, Juana 2012. »Wege aus der Essentialismusfalle: Überlegungen zu einem postkategorialen Antidiskriminierungsrecht«, in: Kritische Justiz 45, S. 204-218.
Vertovec, Steven 2012. »›Diversity‹ and the social imaginary«, in European Journal of Sociology 53, 3, S. 287–312.
Die Literaturliste der Seminare bedindet sich hier.