Wie im Kapitel zu Radikalisierung beschrieben, rechnen viele Akteure der Alt Right in ihren eigenen Radikalisierungsnarrativen humoristischen Elementen der Alt Right eine besondere Rolle zu. Ein Nutzer des Forums The Right Stuff gab laut dem Southern Poverty Law Center (SPLC) (2018) an, zunächst ‚ironisch‛ die Alt Right-Serie Murdoch Murdoch angesehen zu haben, „‚by the end I was full 1488‛“.
Kreativer Humor ist ein zentrales Element der Alt Right, deren Inhalte sich oft an der Grenze zur Ironie, die der oben zitierte Akteur benennt, befinden. Murdoch Murdoch ist dafür ein Paradebeispiel: Die mit einfachsten Mitteln produzierte Serie um drei junge Rechtsextreme, die um die Alltagshürden des 21. Jahrhunderts manövrieren, bedient sich eines scheinbar selbstkritischen Humors, „satirical and surreal“ (ebd.). Der Versuch der weiblichen Protagonistin, (weißen) Lebenspartner zu finden, ermöglicht in einer Folge etwa eine Reihe von Witzen über die Schwierigkeiten des Datens, die auch aus einer gewöhnlichen Sitcom entstammen könnten, verfehlt es jedoch nicht, einen Monolog über die Vorzüge von Rassismus und Nationalsozialismus zwischenzuschieben (vgl. Internet 1).
In der betrachteten Forschung wird dieses Phänomen zumeist als primär oder rein strategisches Moment eingeordnet. Humoristische Elemente werden als Immunisierungsmittel verstanden, die es rechtsextremen Agitatoren ermöglichen, zurückzurudern, sobald sie öffentlich für ihre Aussagen angefeindet werden, oder Kritiker auf den satirischen und damit notwendig überspitzten Gehalt ihrer Aussagen zu verweisen (Vgl.: Schwarzenegger / Wagner 2018: 488). Einige gehen weiter, Angela Nagle (2017: 26) spricht von einer „postmodern tonal distance“, die zwar ebenfalls den Effekt habe, Kritiker in die Irre zu führen, aber nicht durch bloße Distanzierung von klaren Inhalten, sondern durch die Verunmöglichung der Interpretation durch „tricks and layers of metatextual self-awareness and irony.“ (ebd.: 31).
Als weiterer strategischer Hintergrund kann Rekrutierung und Radikalisierung gelten, das obige Beispiel illustriert das. Zur genaueren Funktion dieser Rekrutierung durch Humor hat Sigmund Freud 1905 in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten einige Überlegungen angestellt:
„Wir haben die Neigung, dem Gedanken zugute zu schreiben, was uns an der witzigen Form gefallen hat, sind auch nicht mehr geneigt etwas unrichtig zu finden, was uns Vergnügen bereitet hat, um uns so die Quelle einer Lust zu verschütten. Hat der Witz uns zum Lachen gebracht, so ist übrigens die für die Kritik ungünstige Disposition in uns hergestellt, denn dann ist uns von einem Punkte aus jene Stimmung aufgezwungen worden, der bereits das Spiel genügt hat und die zu ersetzen der Witz mit allen Mitteln bemüht war. Wenngleich wir vorhin festgesetzt haben, daß solcher Witz als harmloser, noch nicht tendenziöser, zu bezeichnen sei, werden wir doch nicht verkennen dürfen, daß strenggenommen nur der Scherz tendenziös ist, d.h. allein der Absicht, Lust zu erzeugen, dient. Der Witz – mag der in ihm enthaltene Gedanke auch tendenziös sein, also bloß theoretischem Denkinteresse dienen – ist eigentlich nie tendenziös; er verfolgt die zweite Absicht, den Gedanken durch Vergrößerung zu fördern und ihn gegen die Kritik zu sichern.“ (Freud 2014 [1905]: 520).
Und weiter:
„Wo das Argument die Kritik des Hörers auf seine Seite zu ziehen sucht, ist der Witz bestrebt, diese Kritik zur Seite zu drängen. Es ist kein Zweifel, daß der Witz den psychologisch wirksameren Weg gewählt hat.“ (ebd.: 520f.).
Oder in Martin Sellners Worten: „Ein Gegner der lacht ist schon halb auf unserer Seite.“ (Internet 3). Humor ist demnach ein effektives Propagandamittel, weil er dem Gegenargument in mehrfacher Hinsicht den Stecker zieht: Im Individuum, welches von der witzigen Propaganda affiziert ist und diese als Lustquelle erkennt, wie auch im Sozialen, wo Kritik durch Verweis auf das, was nach Freud der vermeintlich tendenziöse Gehalt des Witzes wäre, delegitimiert wird. Es verwundert daher nicht, dass Memes zunehmende Bedeutung für staatliche Informationskriege erlangen (vgl. Ascott 2020).
Dies sei die Wirkung auf den Rezipienten des Witzes, sein Produzent wird laut Freud in ähnlicher Weise affiziert: Unterdrückt dieser einen Wortausbruch, etwa die Beschimpfung eines Gegenübers, so bietet die Umformung der unterdrückten Worte zu einem Witz ein Ventil, das den Lustgewinn gar vergrößert. Die unterdrückte Tendenz kann sich so gegen die Hemmung, möglicherweise eine kulturell gegebene, immunisieren (vgl. ebd.: 523).
Zusammengefasst heißt das: Humor ermöglicht es, gesellschaftliche Tabuierungen, wie sie etwa für volksverhetzende, misogyne oder geschichtsrelativierende Aussagen bestehen, zu einem gewissen Grad zu unterlaufen.
Freuds Überlegungen zur Wirkung des Witzes auf seine Produzentin legen jedoch auch den Hinweis, dass der Humor der extremen Rechten nicht rein als strategisches Kalkül verstanden werden kann. Der Provokateur gewinnt unmittelbar Lust aus seiner Handlung, das Meme schafft Gemeinschaftsgefühl (vgl. Nissenbaum / Shifman 2017: 483ff.; Schwarzenegger / Wagner 2018: 489f.), die humoristische Form ist nicht weniger wichtig als der politische Inhalt.
Dieser Rücktritt des Inhalts klingt schon bei Nagels Überlegungen zur postmodernen Tonalität und Uninterpretierbarkeit solcher Kulturerscheinungen an. Marc Tuters (2019: 41f.) führt dies am Beispiel des Kekistan-Memes aus:
„‚kek‛, often symbolized by Pepe, signifies the peculiarly postmodern idea that an empty symbol can itself be used as a tool to create belief in which its ‚adepts‛ bear witness to effects of that idea without necessarily believing in any sort of truth, […] we can think of the essential formlessness of the Kekistan meme as having created a kind of ‚equivalential chain‛ across an otherwise disaffected group of people, thereby uniting them.“
Während Memes wie Kekistan sich ungesteuert entwickelten und oftmals ohne strategische Intention verbreitet werden, gibt es auch Gegenbeispiele einer gezielten Meme-Produktion: In deutschsprachigen rechtsextremen Discord-Servern, die mit explizit politischen Zielen wie der Beeinflussung von Wahlen angelegt waren, folgte sie ausgesprochenen Regeln. So sollten Memes nicht schadbar für die eigene Bewegung sein, diese nicht gewalttätig oder illegalistisch erscheinen lassen, und den kleinsten gemeinsamen Nenner zu den intendierten Zielgruppen - „topics of mass migration, Islamisation, identity, freedom and tradition“ (Davey / Ebner 2017: 22) - ansprechen (vgl. ebd.: 19ff.).