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"What Gets Counted Counts"
S. 97-123, Sitzung 6, 17.06.2021
Data feminism requires us to challenge the gender binary, along with other systems of counting and classification that perpetuate oppression.
Principle: Rethink Binaries and Hierarchies
Die Binarität von Geschlecht/ Zweigeschlechtlichkeit ist ein zentrales Beispiel für die Konstruktion von Kategorien und wie diese Werte und Vorurteile der Gesellschaft widerspiegeln, die sie geschaffen haben. Lauren Klein und Catherine D'Ignazio nutzen dieses Beispiel, um aufzuzeigen, dass wie und aus welchem Kontext wir Daten erheben ebenso wichtig ist, wie was wir erheben. Kategorisierung und Gruppierung ist dabei ein Mittel der Reduktion und Vereinfachung, doch was hat dieses Vorgehen zur Folge?
Überdenken von Begriffen:
- Counting
- Sorting
- Classifying
- Categorizing
- Detecting
- Grouping
Ansatz: ⇒ Use feminist thinking to hack binary logics in general
Zitate, Beispiele und Anmerkungen
Performative Acts nach Judith Butler
Konzept von Gender als „repeated performance“ in Form von „performative acts“ (108). Bestimmtes Verhalten und Handlungen werden so häufig wiederholt, dass sie zur Tatsache werden.
Bsp.: Wenn ich mich als Frau schminke, ist das ein Akt, der meine Geschlechtisidentität als Frau unterstreicht und dabei gleichzeitig dafür sorgt, dass die Kategorie Frau mit „Personen die sich schminken“ ausgestattet und diese These so gefestigt wird.
„It's just that once a system is in a place, it becomes naturalized as „the way things are““ (104)
Systeme werden, einmal angenommen, nicht mehr hinterfragt, sondern stetig reproduziert und dadurch weiter gefestigt. Wir hinterfragen sie solange nicht, bis sie Gegenstand von aktueller Kritik werden oder zusammenbrechen.
Bsp.: Sichtbarmachen von, auf Binaritäten zurückzuführende, Missstände und damit einhergehende Hierarchien am Beispiel Covid 19/ Lockdown; klassische Geschlechterrollen werden wieder aufgegriffen und ihre immer noch geltende Aktualität sichtbar.
Counting nach Joni Seager
Das Zitat der Autorin des Frauenatlas „What gets counted counts“, welches der Titel des Kapitels ist, meint, dass nur erfasst werden kann, was in eine bestimmte Kategorie passt. Was nicht den vorgegebenen Antworten und Kategorien entspricht, kann dementsprechend nicht verortet werden und wird somit auch nicht erfasst - es bleibt weiterhin unsichtbar.
Bsp.: Gender Data Gaps, Vielfalt von Geschlecht, Postpartale Müttersterblichkeit
„The absence of data becomes an important takeaway, as meaningful as the data themselves“ (113)
Classification has Consequences
Um Wissen zu generieren werden Daten erhoben und kategorisiert. Die entstehenden Kategoriesysteme sind grundlegend für die Nutzung von Daten. Mit der Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie gehen für diese weitere Folgen einher, die entstandenen Kategorien spiegeln gesellschaftliche Hierarchien wider. Dabei sind sie stets konstruiert und von Menschen gemacht, die zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort und durch die Welt um sie herum beeinflusst waren (vgl. 100).
Bsp.: Vielfalt von Körpern, (Geschlechts-(Identitäten und (Geschlechts-)Ausdruck: Jeder Körper kann mit jeder Geschlechtsidentität und jedem Ausdruck kombiniert sein, Kombinationen sind keine festgesetzten Entscheidungen, sondern können sich ändern. Wie sich Geschlecht individuell ausdrückt ist vielfältig und Ausdruck von Individualität. Allerdings gibt es einen Kohärenz Anspruch, es wird die Entsprechung biologisch-medizinischer Zuweisung des Körpers mit der Geschlechtsidentität erwartet (cis). Somit werden Menschen, auf die dies nicht zutrifft, verbesondert und pathologisiert. Gleichzeitig gibt es auf allen Ebenen (Körper, Identität, Ausdruck) Hierarchisierungen innerhalb dessen, was als männlich und weiblich gilt. Daher folgen auf Überschreitungen der Kategorien beziehungsweise nonkonformes Verhalten oder Aussehen gesellschaftliche Sanktionen.
[…] data must be classified in some way to be put to use (103)
Kategorisierungen gänzlich aufzulösen wäre keine Möglichkeit, da sie es ermöglichen, dass Daten verarbeitet werden können und Informationen zugänglich werden. (?)
Questioning Classification Systems
Die Matrix der Macht (Kapitel 1) wird durch die Grenzen des Kategoriesystems sichtbar. Durch einen intersektionellen, feministischen Ansatz wird es möglich, teilweise versteckte und nicht der Wahrheit entsprechende Annahmen zu hinterfragen. Mittels einer Bewusstmachung davon, wer die Daten erhebt und in wessen Interesse sie erhoben werden, kann sich Datenerhebung davon lösen, ein Mittel der Unterdrückung zu sein (vgl.123).
Bsp.: Intersexualität; alle Geschlechter, die sich nicht den binären Möglichkeiten zuordnen lassen, werden in eine gemeinsame Sammelkategorie gepackt (Bsp. Intersexualität). Diese Sammelkategorie bedeutet eine Homogenisierung ganz unterschiedlicher Körper und Geschlechtsidentitäten unter dem Begriff des „Anderer“, abseits der Norm.
Diskussion
Was können wir tun, um sicherzustellen, dass das Infragestellen gegebener Kategorien diese nicht nur reproduziert und festigt?
Was bedeutet es für verschiedene Gruppen, wenn gefestigte Kategorien und damit verbunden Binaritäten in Frage gestellt werden? Welche (negativen) Auswirkungen können folgen?
Bsp.: Elternschaft und Personenstandsänderung in Deutschland, Selbstbestimmunggesetz vs Transsexuellengesetz. „transgendered people are banned from serving in the military and, once identifies as such, denied access to certain forms of healthcare“ (110)
Es sind bereits viel Wissen und viele Daten vorhanden (vgl. Beyond XX and XY), aber wie können wir sie zugänglicher und öffentlicher machen?
Wie würde ein „ethisches“ Datensammeln aussehen?
Welche Daten müssen erhoben werden, um die Lücke zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Öffentlichkeit zu schließen?
Bsp. Spektren in Anamnesebögen für Schwangerenvorsorge, keine genaue Zuordnung und dahingehend Handlungsempfehlung mehr möglich.
„Visualization is often used thought of as a way to reduce complexity, but here it operates as the reverse - to push simple, oppressive ideas to be more complex, nuanced, and just“ (120)
Ansatz, dass bestimmte Gruppen für sich selbst Daten erheben und dadurch ein stärkendes, inhärentes Potential hervorbringen.
Wie wäre das realisierbar?
Wie könnten wir marginalisierte beziehungsweise unsichtbare Gruppen in den Fokus der Datenerhebung bringen, ohne einen „Outing“ Effekt zu erzwingen?
Wie könnten wir kategorisierte Gruppen eher als Gemeinschaft lesen und so ermöglichen, dass aus dieser Gemeinschaft heraus selbständig Wissen und Erfahrung nach „außen“ getragen wird?
Inwiefern spielen Privilegien (männlich, weiß, heterosexuell etc.) hier eine Rolle?
„who is doing the counting and who is being counted?“ (120)
„When we count within our own communities, with consideration and care, we can work to rebalance unequal distributions of power“ (123) Frage: wie machen sich diese Gemeinschaften aus? Wie begrenzen sich die Gruppen, in denen Personen sich zusammengehörig fühlen? Wer wird mit „own community“ gemeint?
Frage:: Ich frage mich, wie man praktischer Weise mit der Frage nach medizinischer Versorgung und gesellschaftlichen Kategorisierungen umgehen kann. Wenn man einerseits davon ausgeht, dass viele Klassifizierungen stark gesellschaftlich geprägt sind und es in der Praxis meist ein viel größeres Kontinuum Ausprägungen gibt, als allgemein benannt/bekannt wird, wie kann man dann beispielsweise entsprechend medizinisch auf Individuen und deren Bedürfnisse reagieren? Es gibt ja nicht die Kapazitäten für jede einzelne Person zu ermitteln, was diese eine Person jetzt benötigt. Zumindest nicht im aktuellen Gesundheitssystem. (Beispiel: Medikamentengaben, Blut-Normwerte etc.). Wie kann man dann in der medizinischen Forschung vorhegen, ohne binäre Kategorien zu reproduzieren? Nach welchen Kriterien könnte man sich richten, um allen Individuen gerecht zu werden und nicht nur jenen, deren Körper beispielsweise zufälligerweise in die „Männernorm“ (und wenn es sie gibt: „Frauennorm“) bzw. Schema X passen?
Empfehlung
LesMigraS, Hrsg. 2012. Nicht so greifbar und doch real. Eine quantitative und qualitative Studie zu Gewalt- und (Mehrfach-) Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, bisexuellen Frauen und Trans* in Deutschland. Berlin.