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Anderes Denken. Michel Foucaults »performativer« Diskurs
Anderes Denken. Michel Foucaults »performativer« Diskurs ist ein Artikel des deutschen Philosophen Dieter Mersch. Veröffentlicht wurde der Artikel 1999 im Sammelband Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults. Die Besonderheit des Artikels liegt darin, dass Mersch im heterogenen Gesamtwerk Foucaults „das Projekt eines performativen Diskurses“ 1) erkennt.
Foucaults historische Analyse als performativer Diskurs
„Weder gibt es Tätigkeiten, die nicht in einem Denken gründen, noch umgekehrt Weisen des Wissens oder der Interpretation, die nicht zugleich praktisch wirksam wären.“ 2)
Indem Foucault in seinen Werken Wahnsinn und Gesellschaft, Überwachen und Strafen und Der Wille zum Wissen u. a. nicht nach dem Ursprung oder der Konstanz eines Gegenstands, hier des Wahnsinns, der Macht, der Sexualität, sucht, sondern nach seinen Brüchen und Ersetzungen, weist er auf die Ereignishaftigkeit und Veränderbarkeit dieser Gegenstände in der Gegenwart hin.
„Überall spricht Foucault von einer Geschichte und meint die Situation der Gegenwart; überall erforscht er die Formen der Übergänge und Brüche, um der Zeit den Schleier der Notwendigkeit zu entreißen und die Fülle ihrer Möglichkeiten freizulegen.“ 3)
Mersch beschreibt Foucaults Denken als ein „anderes Denken“. Durch das „Andersdenken“ kann die Möglichkeit eines „Anderssein“ 4) erschlossen werden.
Pluralisierung der Geschichte als Pluralisierung der Gegenwart
Foucaults Projekt des performativen Diskurses basiert auf seinen historischen Analysen, die er mithilfe von zwei Methoden durchführt: der Archäologie und der Genealogie.
„Die Archäologie untersucht die immanenten Regeln des Diskurses im Rahmen der Sprache und der Zeichen. Der Genealoge sucht nach den äußeren Bedingungen, den sozialen Praktiken, die den Diskurs unter Beteiligung der Macht bestimmen.“ 5)
Ein/e Historiker/in, der/die sich auf diese beiden Methoden stützt, kann sich nicht an der „Objektivität der Fakten“ 6) orientieren, „sondern muss diese ständig neu lesen […] und ihre Verständnisse multiplizieren, um mit der Pluralisierung der Geschichte ebenso die Gegenwart […] zu pluralisieren.“ 7)
Foucaults historische Analyse als „genuin kritische Aktivität“
„Foucault stellt jegliche historische Formation unter Kontingenzverdacht. Insbesondere verwirft er jede Möglichkeit, irgendein Diskurssystem oder eine Gegenwart auszuzeichnen. Vielmehr erinnert er an ihren wesentlichen Ereignischarakter, daran dass es nichts gibt, was ihre Anwesenheit legitimiert oder unausweichlich machen würde. Das bedeutet auch: Diskurse bilden keine rationalen Strukturen, sondern sie gründen in selbst grundlosen Ermächtigungen, die ihre Gültigkeit in den Körper der Zeit einschreiben.“ 8)
Foucaults historische Analyse erlaubt es, „die Gegenwart zu entmystifizieren, ihr die Würde und Berechtigung in der Ordnung der Zeit abzusprechen und den Schein einer Unabänderlichkeit zu entreißen.“ 9) Die Erkenntnis, dass Geschichte kontingent ist (Rortry) „gestattet [] eine Kritik, die sich allein an der Alternierung des Bestehenden bemisst.“ 10) Foucault greift mit seiner historischen Analyse, die auf den Methoden der Archäologie und der Genealogie basiert, in den Prozess der Gegenwart ein. 11)
Parrhesia als Form des Widerstands
Foucaults historische Analysen dienen dem „Vollzug einer Praxis“. 12) Sein performativer Diskurs basiert auf Rhetorik, d. h. auf die Eröffnung eines Standpunkts. 13) Die Kraft des/der Sprechenden liegt in der „‚Ereignishaftmachung‘ des Anderen“. 14)
„In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnten, hätte die Kritik die Funktion der Entunterwerfung.“ 15)
„Foucault [geht es] um die ‚innovative Praktik‘ einer ‚Erfindung des Anderen‘, die sich selbst als Grund austrägt, indem sie die konkrete Freiheit, die sie evoziert, höher schätzt als ihre abstrakte ‚Rechtmäßigkeit‘.“ 16)
Zusammenhang von Diskurs und Praxis
Laut Mersch lässt die „unmittelbar gelebte[] Haltung“ 17) einen Zusammenhang von Diskurs und Praxis entstehen. Behandelt man die Foucault'sche Diskursanalyse ausschließlich als Theorie, bedeutet das, „die spezifische Produktivität des Performativen zu tilgen“. 18)