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Soziologische Perspektiven & doing diversity
In der heutigen Sitzung befassen wir uns mit verschiedenen soziologischen Perspektiven zum Thema Diversität und Diskriminierung. Im ersten Teil der Sitzung betrachten wir den Text von Albert Scherr und vergleichen sozioökonomische Unterschiede mit Diskriminierung. Im zweiten Teil dann beschäftigen wir uns mit dem Text von Vertovec und nehmen „diversity“ genauer unter die Lupe.
Diskriminierung und soziale Ungleichheiten - Scherr
Scherr stellt sozioökonomische Ungleichheiten und diskriminierende Unterscheidungen gegenüber und untersucht Merkmale und Charakteristika beider Ungleichheitsformen.
- Sozioökonomische Ungleichheiten und diskriminierende Unterscheidungen sind vielfach miteinander verknüpft, stellen jedoch keine aufeinander reduzierbare Formen sozialer Privilegierung und Benachteiligung dar.
- Beide Formen der Ungleichheit sind bedeutsam für Zugang zu materiellen Ressourcen, Macht, sozialer Wertschätzung sowie Bildung und beruflichen Karrieren.
1. Diskriminierung als Kategorie der Ungleichheitsforschung
- Gegenstand sozialwissenschaftlicher Ungleichheitsforschung sind Ursachen, Ausprägungen und Folgen der Ungleichverteilung von materiellem Wohlstand, Macht, Prestige und Bildung.
- Soziale Privilegierung und Benachteiligung treten sozioökonomisch bedingt auf und werden durch politische Machtverhältnisse abgesichert.
- Diskriminierungen sind Formen der Benachteiligung, die sich nicht zureichend als Bestandteil von Klassenlage, Schicht- und Milieuzugehörigkeit bestimmen lassen, sondern eher als Benachteiligungen aufgrund von (von außen) zugeschriebenen Merkmalen.
- Diskriminierung wird nicht nur als nachrangige Dimension sozialer Ungleichheit aufgefasst, sondern konkret von klassen- und schichtenspezifischer Benachteiligung unterschieden.
2. Konturen eines ungleichheits- und differenzierungstheoretisch fundierten Diskriminierungsbegriffs
- Selbstverständnis moderner Gesellschaften: alle Gesellschaftsangehörigen können als Gleichberechtigte um Positionen im sozialen Gefüge konkurrieren.
- Konkurrenz herrscht jedoch nicht nur zwischen Verlierer*innen und Gewinner*innen, sondern auch zwischen denjenigen, die als „Nicht-Kompetente“ oder „Nicht-Teilnahmeberechtigte“ gelten.
- Strukturelle Benachteiligung ergibt sich durch Generalisierung von diskriminierenden Unterscheidungen
- „Normale“ werden mit denen verglichen, die auf negative und unerwünschte Art und Weise anders sind und so den Status des gleichberechtigten und gleichwertigen Teilnehmers nicht wahrnehmen können.
- Differenzierung zwischen Diskriminierungen aufgrund von Personenkategorien und aufgrund von Gruppenkonstruktionen (Personenkategorien: in einer Person verankerte Merkmale (Bsp. Behinderung, Alter, …), Gruppenkonstruktionen: Zugehörigkeit einer sozialen Gruppe (Bsp. Religion, …))
- Diskriminierungen können als auf sozialen Klassifizierungen basierende Eigenschaftszuschreibungen charakterisiert werden, die zugleich die Zuweisung eines sozialen Sonderstatus begründen und rechtfertigen.
- „sense of social position“
- Vorstellungen über die soziale Position sind nicht nur empirisch sondern auch normativ zu verstehen: „what ought to be“ / „what it is“
Kategoriale Ungleichheiten bedeuten ungleiche Lebenschancen zwischen den Angehörigen verschiedener binärer Personenkategorien. Kategoriale Ungleichheiten sind von zentraler Bedeutung für die Hervorbringung und Verfestigung dauerhafter Ungleichheiten. Der zentrale Effekt kategorialer Ungleichheit stellt eine ungleiche Anhäufung von Erträgen, sowie ungleiche Anhäufung von Fähigkeiten dar.
3. Welche sozialen Merkmale gelten als Anknüpfungspunkt für unzulässige Diskriminierung?
- Bielefeldt und Follmar beziehen sich auch auf den Zugang zu „sämtlichen weiteren menschenrechtlichen Gewährleistungen“: politische Mitwirkung, soziale Sicherheit, angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen, Lebensstandard für die Gesundheit und das Wohlergehen angemessen, Bildung. All diese Beispiele sind von Merkmalen der sozialen Lage abhängig bzw. mit diesen verknüpft.
- Das Verständnis von Diskriminierung ist ein Ausdruck gesellschaftlicher Lernprozesse, die durch soziale Bewegungen vorangetrieben wurden.
4. Staatsbürgerschaft als Schnittstelle von sozioökonomischer Ungleichheit und menschenrechtlich folgenreicher Diskriminierung
- Die Staatsbürgerschaft stellt einen zentralen Faktor für sozioökonomische Lebensbedingungen dar.
- Staatsbürgerschaft ist durch eine ungleiche wirtschaftliche Entwicklung zwischen den Regionen der Weltgesellschaft folgenreich für die Wahrscheinlichkeit, gravierenden sozioökonomischen Benachteiligungen zu erliegen.
- „Wer mit dem falschen Pass geboren wird, unterliegt vielfach politischen, rechtlichen und ökonomischen Bedingungen, die gravierende Einschränkungen umfassen.“
5. Folgerungen
- Wechselseitiger Bedingungszusammenhang zwischen Diskriminierungen und Personenkategorisierungen
- Diskriminierende Personenkategorien und Gruppenkonstruktionen gehen mit Identitätszuschreibungen einher, die auch unabhängig von ihrer potenziellen Verknüpfung mit sozialen Benachteiligungen erlebt werden können.
Fragestellung zum Text von Albert Scherr
1. Welche Beispiele gibt es für Personen, die in bestimmten Situationen „Nicht-Teilnahmeberechtigt“ sind?
2. Gruppenarbeit: Wie könnte man dies ändern? Gibt es bestimmte inkludierende Methoden, die in solchen Fällen angewendet werden können? Sucht euch in der Gruppe einen spezifischen Fall aus und überlegt euch Lösungsstrategien.
"Diversity" and the social imaginary - Vertovec
Vertovecs concept of diversity encompasses an aggregation of discourses, structures, policies and practices. He attributes them to consist of multiple converging factors with their own definitions of fleeting ever-changing subjects. They possess differing goals and ambitions and „[…] have become institutionally mainstreamed to the point of banality, predictability and cliche.“
The origin story of "diversity"
It started in the US in the 1960s under the name of „Affirmative Action„— the initial goal was to create equal opportunities in terms of employment/education for Black Americans while fighting discrimination. The primary motivation behind it was to rectify “[…] historical harms of racist discrimination.“ Statistical proportionality was used to compare different groups in all fields of life. In the coming years the so called „equivalence of differences“ further tied an analogy of minority between Blacks, Latinos, Natives, Asians, women and the disabled. The 80s saw a shift of perspectives occurring. A focus on the past was traded for a focus on the future and AA got rebranded as diversity management: growing awareness of opportunities caused by a demographic shift in society. Diversity mainstreaming promoted this newfound outlook in the public sector. This soon to be prevalent view turned into a must-have for companies because of societal pressure and the possible benefits of a diverse work place involved. Overall a trend, from ascribed group-based attributes towards self-attributed individual characteristics, was taking place.
Facets of diversity
aimed at minorities
- redistribution: access to goods and services once denied
- recognition: support of social and political participation
- representation: politics of presence, mostly focused around quotas
aimed at majority
- provision: catering to the needs of citizens/customers
- competition: company marketing and public image, gaining monetary benefits
- organization: maximizing performance of teams and workforce
Ambiguity, multivalency, banality
Semantic bleaching refers to the varying definitions of diversity that contain an appealing, aspirational but diffuse and abstract quality. The majority of citizens in the USA, UK and Germany are confused about the actual meaning behind the term. Even though its meaning is unclear to a vast majority, diversity spreads out into every aspect of daily life and thereby turns into a norm for institutions/companies to adhere to. Social expectations are built and a requirement of predictable phrases is constructed, regardless of the fact that the words being thrown around are devoid of substance.
Diversification and Diversity
Migration-driven diversification and diversity are linked. A conflict arises between the need of classification by self-identification (diversity policy) and minority rights classification (e.g. race-sensitive policies).
Additionally, one has to consider the aspect of intersectionality and its impact on policy-making as a whole.
Transforming the social imaginary
The social imaginary represents a set of presumptions that people have about their collective social life: „[…]a moral order, a sense of how we ought to live together.“ Vertovec suggests that diversity is a refinement of the already existing concept of equality in its context of the social imaginary. Its „interpretive elasticity“ allows for big coverage and a sense of natural belonging.
Diversity raises awareness of individual differences and enables access to social complexity. By constantly repeating the same phrases, diversity paves the way towards „[…]gradually making people aware, affording comprehension, providing a moral grounding, and shaping people’s views on individuals and the increasing complexity of society“. In other words: „diversity increasingly aids us in imagining ourselves“
Conclusion
The process of diversification will continue and diversity will become more and more prominent in future everyday life.
Vertovec mentions different possible scenarios ranging from cosmopolitanization (sympathetic openness) to negative recognition (indifference and detachment) to anti-cosmopolitanization/diversity backlash.
Fragestellungen zum Text von Steven Vertovec
- Was haltet Ihr von den beiden Aussichten, die Prewitt im obigen Zitat vorhersagt? Wie könnten die Kritikpunkte auf S.300 Einfluss auf diese zukünftige Entwicklung nehmen?
- Wie könnten die oben genannten Facetten der Diversität angewandt werden? Inspiration findet sich auf S.299
- Was ist mit dem Ausdruck einer „[…]quiet revolution in everyday life“ auf S.307 genau gemeint?
Literatur und Quellen
Scherr 2010. Diskriminierung und soziale Ungleichheiten. Wiesbaden.
Vertovec 2012. »›Diversity‹ and the social imaginary«. European Journal of Sociology / Archives Européennes de Sociologie / Europäisches Archiv Für Soziologie, 53(3), 287–312.
„Jane Elliott “Blue Eyes - Brown Eyes” Experiment Anti-Racism“: https://www.youtube.com/watch?v=dLAi78hluFc