Aufstieg der Rechten. Der autoritäre Charakter und die Kritik der Identitätspolitik

Eine zentrale Frage in der Debatte um Identitätspolitik ist, wie sich der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte rund um den Globus erklären lässt. Die Kritiker_innen der Identitätspolitik behaupten, die Linke selbst mit ihrer sogenannten Identitätspolitik sei Schuld, da Klssenfragen nicht mehr im Zentrum ihrer Politik steht. In dieser Argumentationslinie wird oft eine Komplizenschaft mit dem Neoliberalismus unterstellt, da sich die Identitätspolitiker_innen mit ökonomischen Gleichstellungen für Frauen* und PoCs begnügen würden. Auch begründen die Kritiker_innen den rechten Aufstieg als nationale Gegenbewegung zur neoliberalen Globalisierung, von welcher sich viele abgehängt fühlen und keine Dividende mehr erwarten (Lila 2017/Fraser 2017). Die Frage, warum sich Menschen rassistischen beziehungsweise faschistischen Ideologien und Bewegungen anschließen, beschäftigte schon die frühe kritische Theorie am Institut für Sozialforschung. Zunächst entstehen die empirischen Forschungen Fromms über faschistische Einstellungen bei Arbeiter_innen und die von Horkheimer herausgegebenen "Studien über Autorität und Familie" (Benicke 2012:11-13). Später entwickelt Theodor W. Adorno im amerikanischen Exil gemeinsam mit Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford die Studien zum autoritären Charakter. Die Erkenntnisse dieser Studien werden nachfolgend vorgestellt. In einem zweiten Schritt wird geprüft, inwieweit aus Adornos Perspektive die Wahlmotive mit der Identitätspolitikkritik hinreichend erklärt werden können oder ob sich andere oder abweichende Begründungen ergeben. Falls möglich werden hierbei Adornos Erkenntnisse über Beweggründe, sich rechten Bewegungen anzuschließen, auf die heutige Zeit übertragen.

Studien zum autoritären Charakter

Die 1949/1950 in New York erschienen Studien zum autoritären Charakter versuchen auf empirischen Weg zu beantworten, warum sich Menschen rechten beziehungsweise antidemokratischen Ideologien und Bewegungen anschließen. Hierbei geht es um das „potentiell faschistische Individuum“ (Adorno 2018: 1), da der Faschismus in den USA im Gegensatz zu Europa nicht ausgebrochen ist und die meisten Menschen nicht in faschistischen Organisationen tätig waren. Als die Studie vor Ende des zweiten Weltkriegs begann, erschien die Frage noch dringlicher, inwieweit eine faschistische Machtübernahme auch in den USA möglich ist (Benicke 2012: 14). Vor diesem Hintergrund formuliert Adorno einleitend folgende Forschungsfragen: „Wenn es ein potentiell faschistisches Individuum gibt, wie sieht es ,genau betrachtet, aus? Wie kommt antidemokratisches Denken zustande? Welche Kräfte im Individuum sind es, die sein Denken strukturieren?“ (Adorno 2018: 2). Hier steht nicht die Frage im Vordergrund, wie rechte Propaganda und Ideologien entstehen, sondern wie zu erklären ist, warum manche diesen Ideologien folgen und andere nicht (ebd.: 3). Deswegen wird eine Betrachtung der einzelnen psychologischen Struktur des Individuums nötig, denn

„Je nach dem individuellen Bedürfnis und dem Ausmaß, in dem dieses befriedigt wird oder unbefriedigt bleibt, haben sie (Propaganda und Ideologien) für die einzelnen Individuen verschieden starke Anziehungskraft“ (ebd.)

Gleichwohl kann die Empfänglichkeit bei ähnlicher oder gleicher Bedürfnisbefriedigung variieren. Dennoch hält Adorno den Zusammenhang von Ideologie und erlebtem für zentral, da jedes Individuum auf seine Erfahrungen mit der Welt unterschiedlich reagiert (ebd.: 5/7f.). Um psychischen Strukturen analysieren und interpretieren zu können, bedient sich Adorno der Psychoanalyse Freuds (Benicke 2012: 3). Allerdings wird direkt zu Anfang die Relevanz gesellschaftlicher Strukturen betont, da das Individuum in diese eingebettet ist und Antisemitismus oder Faschismus als Teil eines gesellschaftlichen Systems funktionieren (Adorno 2018: 3/9f.).

Forschungsvorgehen

Die Studie stellt den Versuch einer „Quantifizierung antidemokratischer Trends auf der Ebene der Charakterstruktur“ (Adorno 2018:38) da. Um dieses Vorhaben umzusetzen, wird ein dreigliedriger Fragebogen erstellt, welcher die potentiell faschistischen Individuen identifizieren soll. Der erste Teil bezog sich auf Fragen zur Person, während der zweite anhand von Skalen die Einstellungen erfasste. Die Einstellungsskala besteht aus verschiedenen Aussagen, die von der Versuchsperson abgelehnt oder befürwortet werden können. Um als antidemokratisch eingestuft zu werden, muss die Versuchsperson der Mehrzahl der Aussagen zustimmen (ebd.: 18/21). Deswegen werden potentiell faschistische Versuchspersonen als H (da hohe Punktwerte auf der Skala) und potentiell nicht-faschistische als N (niedrige Punktwerte) bezeichnet. Im dritten Teil des Fragebogens sollten offene Fragen Wertvorstellungen und Konflikte offenlegen (ebd.: 22). Als Versuchsgruppe wurden zunächst College Student_innen ausgewählt, später verschiedene Erwachsene mit möglichst unterschiedlichem gesellschaftlichen Hintergrund. Insgesamt gab es 2099 Fragebögen. Allerdings wurden die Fragebögen lediglich als Erhebung der öffentlichen Meinung bezeichnet, dass genaue Forschungsvorhaben erfuhren die Versuchspersonen nicht (ebd.: 20/25ff./32f.).

In einem zweiten Schritt wurden dann die 25 Prozent mit den höchsten und 25 Prozent mit den niedrigsten Punktwerten auf den Skalen für Leitfadeninterviews ausgewählt. Ihr Hintergrund wurde dabei nicht berücksichtigt. Es wurde ihnen allerdings nur gesagt, dass die Forscher_innen mit ihnen genauer über ihre Überzeugungen sprechen würden (ebd..: 34f.). Im Interview sollen die vergangene und derzeitige Situation und ihre diesbezüglichen Gefühle, Wünsche, Abwehrmechanismen und Ängste ermittelt werden. Fragen bezogen sich auf soziale Beziehungen, die Kindheit und gesellschaftliche Themen (ebd.: 16f./23). Eine weitere angewandte Methode, mit welcher versucht wurde um Wünsche und Ängste aufzudecken, ist der sogenannte Thematic Apperception Test(ebd.: 23f.). Die Interviews sollten den Beweis für die Einordnung im Fragebogen bereitstellen, obwohl natürlich nicht bei jeder Versuchsperson die Einordnung im Fragebogen der des Interviews entspricht (ebd.: 21/47ff.).

F-Skala

Allerdings entwickelte sich das Forschungsdesign innerhalb des Forschungsprozesses. So wurde der Fragebogen immer wieder an die Ergebnisse aus den Interviews angepasst und die Interviewfragen auf den Fragebogen abgestimmt (Adorno 2018: 22ff.). Durch dieses Vorgehen ensteht auf Grundlage der bisherigen Ergebnisse die für die Studien zum autoritären Charakter so ausschlaggebende F-Skala (Faschismus-Skala). Sie wurde vor allem aus dem Material entwickelt, wenn Versuchspersonen im Interview über mit den Vorurteilen in Verbindung stehenden persönlichen Aspekten sprachen, wie etwa persönliche Werte, Familie zwischenmenschliche Beziehungen oder Sexualität. Dadurch sollten auf psychologischer Ebene faschistische Züge gemessen werden (ebd.: 18/37ff./41). Zudem wurde auch die F-Skala selbst nach empirischer Erprobung verändert und verbessert (ebd.: 71ff.). Eine Besonderheit der F-Skala besteht darin, dass sie Vorurteile misst, ohne diese den Befragten zu offenbaren. Minderheiten werden weder expliziet genannt, noch lässt sich eine direkte Verbindung zu ihnen herstellen (ebd.:37/39). Verdeckte Aussagen und Fragen zielen darauf nicht nur die oberflächlichen, sondern die Verborgenen und latenten, gewissermaßen die „wirklichen“ Einstellungen der Individuen zu ergründen (ebd.:38/46). Außerdem werden verdeckte Aussagen benutzt, weil aus psychoanalytischer Sicht die Einstellungen der Individuen tatsächlich im Unbewussten liegen und dadurch zu wage sind, um bewusst artikuliert werden zu können. Außerdem können aufgrund des gesellschaftlichen Klimas offen faschistische Haltungen nicht immer zugegeben werden (ebd.: 5/20). Mit der F-Skala wird ein „Schablonendenken“ (ebd.: 39) sichtbar, auch bei Versuchspersonen, die keine Feindseligkeit gegenüber Minderheiten äußern. Die F-Skala besteht aus neun Variablen, die Adorno kurz wie folgt beschreibt:

  • a) Konventionalismus. Starre Bindung an die konventionellen Werte des Mittelstands.
  • b) Autoritäre Unterwürfigkeit. Unkritische Unterwerfung unter idealisierte Autoritäten der Eigengruppe.
  • c) Autoritäre Aggression. Tendenz nach Menschen Ausschau zu halten, die konventionelle Werte mißachten, um sie verurteilen, ablehnen und bestrafen zu können.
  • d) Anti-Intrazeption. Abwehr des Subjektiven, des Phantasievollen, Sensiblen.
  • e) Aberglaube und Stereotypie. Glaube an die mystische Bestimmung des eigenen Schicksals; die Disposition, in rigiden Kategorien zu denken.
  • f) Machtdenken und „Kraftmeierei“. Denken in Dimensionen wie Herrschaft – Unterwerfung, stark – schwach, Führer – Gefolgschaft; Identifizierung mit Machtgestalten; Überbetonung der konventionalisierten Attribute des Ich; übertriebene Zurschaustellung von Stärke und Robustheit.
  • e) Destruktivität und Zynismus. Allgemeine Feindseligkeit, Diffamierung des Menschlichen.
  • h) Projektivität. Disposition, an wüste und gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben; die Projektion unbewusster Triebimpulse auf die Außenwelt.
  • i) Sexualität. Übertriebene Beschäftigung mit sexuellen „Vorgängen“. (ebd.: 45)

Die verschiedenen Aussagen des Fragebogens beziehen sich auf mindestens eine dieser Variablen. Allerdings werden die Variablen in den Sätzen für die Versuchsperson nicht sichtbar, noch sind die Sätze nach Variable geordnet (ebd.: 20/41/46). Zudem gilt als Maßgabe für die Sätze, dass sie weder zu abstrakt noch zu evident in Bezug auf gesellschaftliche Bedingungen formuliert sein dürfen (ebd.: 62/76).

Des Weiteren wird an der F-Skala ein zentrales Konzept der Studie deutlich. Zwar steht jede einzelne Variable in Zusammenhang mit faschistischen Einstellungen, die Denkstruktur des potentiell antidemokratischen Individuums lässt sich allerdings nur erkennen, wenn die Sätze und Variablen miteinander in Verbindung gesetzt werden (ebd.: 48). So können Versuchspersonen erst einer Variable zugeordnet werden, wenn sie mehreren Sätzen dieser Variable zustimmen. Potentiell faschistische Gefolgschaft kann dann erst angenommen werden, wenn bei vielen Variablen ein hoher Punktwert erreicht wird (ebd.: 48/62f.). Folglich wird auch immer „eine bestimmte Meinung auf ihre Relation zu anderen Meinungen“ (ebd.: 18f.) untersucht.

Dieses Forschungsvorgehen deckt sich mit der Konzeption eines autoritären Charakters. Für Adorno entstehen Ansichten und Überzeugungen einer Person aus einem bestimmten übergeordneten Denkmuster, bilden ein „organisiertes Ganzes“ (ebd.: 4). Deshalb verdichten sich die Variablen zu einem Syndrom als mehr oder minder feste Struktur im Individuum, welche als Charakter oder Persönlichkeit bezeichnet wird, der es für Faschismus anfällig macht (Schwandt 2010: 77). Insofern wird auch angenommen, dass autoritäre Charakter sehr viel Gemeinsam haben (Adorno 2018: 1f./312).

Im Anschluss an die F-Skala wurden mit leicht abgeänderten und aktualisierten Fragen ein Selbsttest entwickelt.

Der autoritäre Charakter

Durch die Fragestellung bedingt, steht der potentielle H im Vordergrund der Studie. (Adorno 2018: 159f.). Somit beschreibt Adorno immer wieder anhand des erhobenen Materials verschiedene Anschauungen, Einstellungen und Handlungen des potentiell faschistischen Charakters. Ein zentraler Aspekt ist das gleichzeitige Bedürfnis nach Unterwerfung und Herrschaftswille. Die Bereitschaft sich zu Unterwerfen entsteht, wenn Individuen mit gesellschaftlichen Realitäten konfrontiert werden. Hier müssen rebellische Impulse unterdrückt und verdrängt werden, weswegen sie zu einem Übermaß an Dankbarkeit und Gehorsam umschlagen (ebd: 50). Die Feindschaft gegenüber den herrschenden Autoritäten löst sich allerdings nicht auf, sondern wird auf eine Gruppe projiziert, die dem Individuum als Schwächer erscheint (ebd.: 323). Die eigenen versagten Bedürfnisse werden einer Fremdgruppe zugeschrieben und scharf verurteilt (ebd.: 60). Wer sich immer einschränken und unterwerfen musste, hasst es um so mehr, wenn andere es nicht tun und sich auflehnen. Die Missachtung wird aktiv gesucht, da so Fehler bei anderen ausgemacht werden können. Herrschende gesellschaftliche Ideologien – wie etwa Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus – bieten hier den idealen Nährboden für Projektionen und liefern gleichzeitig moralische Rechtfertigung (ebd.: 50ff.). Sie stellen das psychische Gleichgewicht durch Übertragung auf Schwächere wieder her und rationalisieren parallel die Triebe, indem sie an die Gesellschaft anpassen werden (ebd.: 205f./Schwandt 2010: 79). Beispielsweise schlägt die Unterdrückung eigener sexueller Triebe in ein Strafbedürfnis bei Überschreitungen sexueller Normen um. Oder die Aggression, die das Individuum selbst hegt, wird einer Fremdgruppe vorgeworfen (ebd.: 61). Für Adorno kommen dadurch Masochismus und Sadismus zusammen. Es entsteht eine „Gleichzeitigkeit von blindem Glauben an die Autorität und der Bereitschaft anzugreifen, was Schwach erscheint und gesellschaftlich als „Opfer“ akzeptabel ist. (ebd.: 323). Zudem wird am Material deutlich, dass die Ablehnung einer bestimmen Gruppe meist mit der Ablehnung anderer Gruppen einhergeht (ebd.: 12).

Des Weiteren nutzt der autoritäre Charakter Projektionen um sich seine Umwelt begreiflich zu machen. Die Schwierigkeiten der Individuen komplexe ökonomische Prozesse einzuschätzen und in Einklang mit persönlichen Erfahrungen zu bringen, lassen sie nach Orientierungsmöglichkeiten suchen. Projektionen als Orientierung helfen dem Individuum in einer „kalten, entfremdeten und weiterhin unverständlichen Welt“ (ebd.: 109) einen Standpunkt zu beziehen und eigene Ängste abzuschwächen. Allerdings betont Adorno ausdrücklich, dass eine solche Wahrnehmung der Gesellschaft keineswegs selbst imaginierte Projektion ist, sondern die Realität im Spätkapitalismus widerspiegelt. Es ist vielmehr die Schlussfolgerung aus dieser Realität, welche den autoritären Charakter zur_zum potentiellen Faschist_in werden lässt. Er_Sie zieht einfache Erklärungen vor, da aufgrund seiner psychischen Struktur die Interpretation einer widersprüchlichen Welt mit Angst besetzt ist (Adorno 2018: 55f.). Das führt auf der Suche nach Orientierung zum sogenannten Ticket-Denken. Im Ticket-Denken eint sich erneut das oben schon angedeutete Denkschema von Stereotypie und Personalisierung. Bei der Stereotypie wird als Erklärung für komplexe Gemengelagen oder Probleme auf gesellschaftlich angebotene Tickets zurückgegriffen: „Man löst eine (geistige) Fahrkarte für ein von anderen bereitgestelltes Erklärungsmuster und spring sozusagen als Passagier auf einen Fahrenden Zug auf“ (Schwandt 2010: 80). Die Personalisierung bietet die Möglichkeit eigene Wünsche und politische Ideen einer Autorität anzuvertrauen (Adorno 2018: 196f.). So ist Personalisierung der genaue Gegensatz zur gesellschaftlichen Entfremdung. Sie „bietet Ersatz für die Entmenschlichung der gesellschaftlichen Sphäre“ (ebd.: 199). Die auf eine Person projizierte Allmacht kompensiert hier die eigene Ohnmacht (ebd.). Jedoch bleibt die Welt durch Stereotypie und Personalisierung ebenso abstrakt wie zuvor, ist für ihre Realität unzureichend und geht dem konkreten aus dem Weg. Die wirkliche Welt – welche durch Eigentumsverhältnisse bestimmt ist – wird zur „“nichterlebten“ Welt“ (ebd.: 191). An Stereotype und Personen geklammert, wird jede wirkliche Erfahrung verhindert (ebd.: 190).

Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass wirtschaftliche Motive nicht die entscheidende Rolle bei der Anfälligkeit spielen, da Menschen mit gleichen ökonomischen Ressourcen nicht immer als H oder N eingeordnet wurden. Vielmehr wurde deutlich, dass sich Menschen oft nicht nach ihren wirtschaftlichen Interessen verhalten, obwohl manchmal klar ist, wo die Interessen liegen (ebd.: 10f./309). Die H sprachen sich unabhängig ihres ökonomischen Hintergrundes in großer Mehrzahl gegen wirtschaftliche Interventionen des Staates und für freie Konkurrenz aus (ebd.: 210f./252/257).

Ein gutes Beispiel für den Prototyp des autoritären Charakters findet sich im Lied „Schrei nach Liebe“ von der Band „die Ärzte“ (Schwandt 2010: 79)

Darüber hinaus ist es für Adornos Konzeption der autoritären Persönlichkeit zentral, gesellschaftliche Strukturen in den Blick zu nehmen. Diese Strukturen schaffen ein „allgemeines kulturelles Klima“ (Adorno 2018: 176), welches sozusagen Tickets bereitstellt, die dann von den Individuen aufgegriffen und genutzt werden (ebd.: 307). Das die Einstellung der Individuen auf gesellschaftliche Bedingungen zurückzuführen ist, beweist nach Adorno auch seine Studie. Die im Material geäußerten Stereotype sind eben keine individuell konstruierten, sondern entsprechen immer den gesellschaftlich präsenten (ebd.: 176). Außerdem spiegelt sich die totale Struktur der Gesellschaft auch im psychischen Schema des autoritären Charakters, denn es

„ist dabei kein individuell zufälliges, sondern Produkt der zunehmenden Vergesellschaftung und Endindividualisierung des Einzelnen durch direkte ökonomische Zwänge und seine zunehmende Abhängigkeit von Märkten, staatlichen Verwaltungsapparaten und den Einflüssen der Kulturindustrie“ (Schwandt 2010: 79)

Somit wird standardisiertes Denken Ausdruck einer standardisierenden Welt (Adorno 2018: 176). Diese Standardisierung begünstigt wiederum den Hang zu Stereotypie:

„Je mehr das Leben selbst stereotypisiert wird, desto mehr fühlt sich der Stereopath im Recht, sieht er seine Denkmuster durch die Realität bestätigt“ (ebd: 190)

Adorno geht soweit festzuhalten, dass er Aufgrund der totalen gesellschaftlichen Struktur stereotypes denken für beinahe unvermeidlich hält (ebd.). Dem Zwang der Gesellschaft kann sich das Individuum nur unterordnen, wenn es daran gefallen findet, wodurch der Masochismus auch auf gesellschaftlicher Ebene relevant wird. Dieser sei „Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung“ (ebd.: 323). Masochismus als auch Sadismus können in der gegenwärtigen Gesellschaft gleichsam gut ausgelebt werden. Letztlich steht der betont gesellschaftliche Ansatz aber in keinem Widerspruch zum Forschungsanliegen, da es darum geht zu ergründen, warum sich manche einer faschistischen Bewegung anschließen würden, andere aber nicht (Adorno 2018: 313).

Verbindungen zur Identitätspolitikkritik

Wie lassen sich Adornos Erkenntnisse für die aktuelle Diskussion um Identitätspolitik fruchtbar machen? Oder genauer: In welchem Verhältnis stehen die Positionen Adornos und die der Gegner_innen, wenn der rechte Aufstieg erklärt werden soll? Um diese Frage zu Beantworten werden drei zentrale Motive näher betrachtet.

Rassismus, Sexismus und Antisemitismus als Motiv

Die Kritiker_innen werfen der Linken vor, dass aufgrund ihrer Identitätspolitik gegenwärtig viele ehemalige oder potentielle Wähler_innen nach rechts wechseln würden. Diese Vorwürfe beinhalten ein nostalgisches Moment, dass so etwas „früher“ oder „vor“ der Identitätspolitik nicht passiert wäre, da „damals“ noch Klasse die zentrale Kategorie der Linken gewesen sei. Deshalb wird auch geschlussfolgert, dass die Wähler_innen wieder Links wählen würden, sobald wieder „richtige“ Klassenpolitik betrieben wird. Gemeint sind damit vor allem (weiße) Wähler_innen aus ökonomisch nicht privilegieren Schichten und Regionen, wie etwa Teilen Ostdeutschlands oder dem sogenannten Rust Belt in den USA (Dowling/van Dyk/Greafe 2017/Lila 2017/Fraser 2017). Mit Adornos Perspektive drängen sich gleich mehrere Einwände gegen solche Behauptungen auf. Hier tut die Kritik der Identitätspolitik so, als sein rein wirtschaftliche, nicht aber rassistische, antisemitische und sexistische Motive für die Wahl rechtspopulistischer Parteien ausschlaggebend (Dowling/van Dyk/Greafe 2017: 412/414f.). Für Adorno hat das Individuum, dass sich rechten Bewegungen anschließt auch das Bedürfnis „nach unten zu treten“. Hierfür bietet die rassistische und sexistische Hetze gegen Minderheiten, „Ausländer_innen“, Frauen* und LGTBQI* der Rechten eine ideale Möglichkeit. Es wird dem potentiell faschistischen Individuum eine Möglichkeit gegeben, Tickets „zu lösen“, um so seine Vorurteile zu artikulieren. Die Ideologien der Rechtspopulist_innen werden zum Sprachrohr wie auch zur Legitimation um gegen Schwächere vorzugehen. Es wird folglich nicht nur gegen Politiken für gender und race gewählt, weil diese angeblich das wahre Interesse eines kollektiven Klassenkampfs verfehlen, sondern auch, weil diese Politiken selbst abgelehnt werden. Identitätspolitik wird abgewiesen, weil sie Benachteiligte ermächtigen will und somit Projektionen auf schwache Fremdgruppen erschwert.

Außerdem wird die Behauptung, wirtschaftliche Gründe seien ausschlaggebend, speziell auf Arbeiter_innen übertragen. Dadurch wird angenommen, dass gerade für die unteren ökonomischen Schichten Rassismus und Sexismus kein zentrales Wahlmotiv darstellen. Diese Behauptung erinnert an die marxsche Formel, dass das Proletariat als revolutionäre Klasse eigentlich gegen Faschismus und Ausbeutung kämpft. Folglich muss dem Proletariat nur die politische Plattform für Klasseninteressen zurückgegeben werden, damit es sich gegen Rechts wendet. Denn laut Fraser und Lila wollen viele Unterstützer_innen Trumps eigentlich sogar soziale Gerechtigkeit (ebd.: 414f.) Schon die frühe kritische Theorie deutet das Verhalten der Arbeiter_innen während des faschistischen Aufstiegs in Deutschland als Beweis, dass die Theorie der revolutionären Klasse geschichtlich gescheitert ist (Schwandt 2010: 62/72). Auch Adorno versucht mit den Ergebnissen seiner Studie zu zeigen, dass sich mit der ökonomischen Herkunft keinesfalls die Anfälligkeit beziehungsweise Immunität für stereotypes Denken begründen lässt. So argumentiert auch Decker im Anschluss an Adorno, dass Stereotypie keine Klassengrenzen kennt, sondern in allen gesellschaftlichen Schichten – sprich in der sogenannten Mitte der Gesellschaft - Zuhause ist (Decker 2018: 24). Wenn die Kritiker_innen der Identitätspolitik behaupten, dass das revolutionäre Subjekt lediglich verloren gegangen sei und nur wiederbelebt werden müsse, übersehen sie, dass keine Klasse vor der ideologischen oder materiellen Integration geweiht ist (Schwandt 2010: 47). In dieser Integration klingt die von Adorno immer wieder betonte strukturelle Ebene von Stereotypen schon an. Somit resultiert das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte eben nicht nur aus dem wirtschaftlichen Protest des „kleinen Mannes“, sondern ist Ausdruck einer nach wie vor durch Rassismus und Sexismus strukturierten Gesellschaft (Gordon 2018: 71).

Wirtschaftliche Motive

Darüber hinaus drängt sich die Frage auf, warum Wähler_innen die angeblich nur nicht mehr Links wählen, weil ihre ökonomischen Interessen nicht mehr vertreten werden, ausgerechnet Parteien folgen, deren Wirtschaftsprogramm im genauen Gegensatz zu sozialdemokratischen Forderungen stehen. Von der AfD (siehe auch Grundsatzprogramm, vor allen S.9/72ff./132) über Trump bis hin zu Bolsonaro wird ein ökonomischer Kurs vertreten, welcher sich gegen staatliche Hilfspakete, Steuererhebungen wie auch Interventionen in die Wirtschaft ausspricht und denen, die mehr Klassenpolitik wollen, sicher nicht helfen wird.

Decker argumentiert mit Adorno, dass die Wähler_innen keinesfalls mehr Klassenpolitik fordern, sondern rechtspopulistischen Parteien sogar wegen ihrer Wirtschaftspolitik wählen. Sie befürworten das marktradikale Programm, da es kapitalistische Rechtfertigungsordnungen wieder aufleben lässt. Es wird die Restauration des Wirtschaftswunders versprochen und ein freier Markt, der alle hart arbeitenden (weißen Männer) am Wohlstand teilhaben lässt (Decker 2018: 44ff.). Dieses Versprechen zeigt sich auch in Trumps „make Amerika great again“. Natürlich appeliert Trump hiermit auch an den „weißen Patriot“, welcher durch die Rückkehr beziehungsweise den Erhalt nationaler und rassistischer Strukturen die verlorengeglaubten ökonomischen Priviliegien wiedergewinnen möchte. Mit Rekurs auf die Vergangenheit wird eine große wirtschaftliche Zukunft vorausgesagt. Interessant ist hieran außerdem, dass die Kritik der Identitätspolitik sich ebenfalls auf eine glorreiche Vergangenheit wie auf eine – sofern die „richtigen“ Maßnahmen getroffen werden – vielversprechende Zukunft bezieht. Natürlich unterscheiden Argumentationsstile, Forderungen und Ziele sich fundamental. Bei Adorno selbst finden sich auch Anzeichen, warum Wähler_innen rechter Parteien die kapitalistische Erzählung befürworten. Die Vorstellung, es müsse für den eigenen ökonomischen Aufstieg auch gelitten werden, passt zum Masochismus des H (Adorno 2018: 81). Außerdem zieht dieser narzistische Befriedigung aus der Unterwerfung unter diejenigen, die es im kapitalistischen Wettbewerb aus vermeintlich eigener Kraft „geschafft haben“. (ebd.: 218ff.).

Allerdings lassen Adornos Ergebnisse auch andere Schlussfolgerungen zu. Die Wähler_innen haben die Hoffnung längst aufgegeben, ihnen ist bewusst das sie von neoliberalen Kapitalismus keine ökonomische Dividende mehr erwarten können. Sie entscheiden sich ganz in der Logik des autoritären Charakters für rechtspopulistische Parteien, da sie ein Ventil bieten, den Frust über diese Einsicht zu entladen. Die Schuld für die Situation wird auf sexistische, antisemitische und rassistische Weise Fremdgruppen zugeschrieben, gegen die im Kanon der rechten Parteien gehetzt werden kann. Gleichzeitig kann sich einer Autorität unterworfen werden die „mit mir“ und „für mich“ die Schwachen bestrafen.

Jedoch kann das Strafbedürfnis des autoritären Charakters nicht nur durch Antisemitismus, Rassismus oder Sexismus ausgelebt werden, sondern auch im Kapitalismus selbst. Der autoritäre Charakter denkt infolge von Projektionen in Kategorien wie stark-schwach, Eigen - Fremdgruppe oder Gewinner_innen – Verlierer_innen. Das Schema deckt sich mit den Erzählungen eines ungezügelten Kapitalismus auch dahingehend, dass immer gilt, sich gegen Schwächere durchzusetzen. Wer es nicht schafft, trägt selbst Schuld daran(Grundsatzprogramm, S. 132).

In der Logik kann sich das Strafbedürfnis weitestgehend entfalten. Vor allem ein ungezügelter Kapitalismus produziert ökonomisch Schwächere, an welchen der Frust entladen werden kann. Hier entlädt sich die Selbstverachtung im Hass gegen andere. Erneut wird dasjenige, was dem Individuum versagt blieb, auf andere projiziert und ihnen vorgeworfen (Adorno 2018: 238). Wer sich nicht gegen kapitalistische Normen auflehnen kann, nutzt sie, um anderen Passivität, mangelnde Initiative und Faulheit vorzuwerfen. (Link) Die wirtschaftlich Schwachen werden zu schuldigen gemacht (ebd.: 253). Diesem Denkschema entsprechen immer wieder Positionierungen der Rechtspopulist_innen

Wenn solche Muster auch für Wähler_innen rechtpopulistische Parteien zutrifft, vermissen sie kein sozialdemokratischen Wirtschaftsprogramme, sondern lehnen sie grundsätzlich ab. Sozialdemokratische Programme könnte etwa auch die begünstigen, die nicht wirklich „hart genug“ arbeiten, wie es im Material den Gewerkschaften vorgeworfen wird (ebd.: 250f./258f.). Wenn zumindest formal allen geholfen werden soll, dann auch den Schwachen, der Fremdgruppe und den Verlierer_innen. Das ist für autoritäre Charakter unhaltbar. Wenn er schon nichts abbekommt, dann Schwächere erst recht nicht. Es dürfen genau nicht alle schaffen können, es bedarf einer Trennlinie, damit der autoritäre Charakter seine Projektionen aufrechterhalten kann. Deshalb werden linke Programme von den H oft als vermeintliche sozialistische Bedrohung wahrgenommen, analog zum Rechtspopulistischen Programm Trumps, Bolsonaro oder der AfD (ebd.: 237).

Entfremdung als Motiv

Was Adorno mit den Kritiker_innen der Identitätspolitik teilt, ist dass beide einen rechten Aufstieg mit kapitalistischen Ausschlussprozessen begründen. Auch die Kritik beschreibt durch Globalisierung und Neoliberalismus abgehängte Wähler_innen, die sich auf ihrer suche nach Orientierung nun nach Rechts wenden (Fraser 2017). Allerdings wird mit Adorno deutlich, dass es sich hierbei um kein neues Phänomen handelt, sondern um ein dem Spätkapitalismus prinzipiell innewohnendes. Somit war die Entfremdung schon in der von den Kritiker_innen glorifizierten Nachkriegszeit des sogenannten Klassenkompromisses ein Problem, welches sich nicht einfach durch eine Rückkehr auflösen lässt. Zudem veranlasst diese Diagnose Adorno wie gesehen nicht zu der Schlussfolgerung, dass deshalb nur bewusste wirtschaftliche Motive für die Gefogschaft verantwortlich sind.

Im Übrigen äußert sich die Entfremdung bei Adorno auch in der Befürwortung von bei rechtspopulistischen Parteien so beliebtem Establishment-Bashing. Dieses wird bei Fraser zwar auch erwähnt, erscheint aber als folgerichtige Reaktion gegen „die Verursacher_innen“ der neoliberalen Unterdrückung (Fraser 2017: 1f.). Adornos Material zeigt hingegen, dass die Logik des Establishment-Bashing nicht erst mit der Expansion des Neoliberalismus entstanden ist. Außerdem gestaltet sich das Verhältnis zur Elitenverurteilung bei Adorno wesentlich ambivalenter als bei Fraser. Für ihn fungieren Politiker_innen und Bürokrat_innen als Sinnbild einer unüberschaubaren und unverständlichen Welt. Deshalb wird auf sie das Lenken der Welt projiziert, die nur nicht beherrscht werden kann, weil es die vermeintlichen Eliten nicht zulassen (Adorno 2018: 231). Der Regierung beziehungsweise der Politik wird das vorgeworfen, was sich eigentlich zutiefst gewünscht wird: Ihnen wird zu viel Macht und Einfluss unterstellt, während gleichzeitig ein starker Anführer verlangt wird. Soziale Kontrolle wird angeprangert, aber gleichzeitig gefordert, solange es die „richtigen“ machen. Bei solchen Machtunterstellungen zeigt sich auch die Tendenz zu Verschwörungstheorien (ebd.: 222). Die Verbindung zu antisemitischen Stereotypen ist nahezu offensichtlich (Adorno 2018: 219). Diese tauchen mehr oder minder verschlüsselt auch im Rechtspopulismus der Gegenwart immer wieder auf. Zudem wird auch die Identitätspolitik von ihren Kritiker_innen ganz in populistischer Manier als Projekt der Eliten beschrieben, die eben nicht mehr den „einfachen Arbeiter“ erreichen können.

Darüber hinaus lässt sich mit Adorno - im Gegensatz zur Identitätspolitikkritik - aus der gesellschaftlichen Entfremdung noch ein weiteres Wahlmotiv ableiten. Der autoritäre Charakter hat das Bedürfnis an der Macht teilzuhaben, sowie sich ihr zu unterwerfen (Adorno 2018: 57). Populistische Führer_innen geben vor, beides befriedigen zu können. Einerseits inszenieren sie sich als Vertreter_innen der Eigengruppe, einer geschlossenen Gemeinschaft, denen sich zum eigenen Wohl unterworfen werden sollte. Andererseits erscheinen sie gewöhnlich, im Gegensatz zu „denen da oben“ als „einer von uns“ (Moffitt 2016: 55ff.). Dadurch wird das Gefühl suggeriert „näher“ an der Macht zu sein und zusammen die gleichen Bedürfnisse ausleben zu können. Wenn es die Antworten der Rechtspopulist_innen außerdem schaffen, die Welt erklärbarer zu machen, verspricht sich das Individuum mehr Partizipation am gesellschaftlichen Geschehen. Eine gleichzeitigen Befriedigung beider Bedürfnisse wird letztlich geschaffen, indem Gefolgschaft und Unterwürfigkeit mehr Ermächtigung verspricht.

Ebenfalls übersieht die Identitätspolitikkritik antidemokratische Einstellungen als Wahlmotiv. Adorno spricht immer wieder auch vom potentiell antidemokratischen Individuum, welches bereit ist für die Befriedigung ihrer_seiner Bedürfnisse demokratische Werte über Bord zu werfen. Dabei entsteht oft eine Kluft zwischen vorgegebenem und wirklichem Denken (Adorno 2018: 199). Das Vorgegebene passt sich oft an gesellschaftlich als opportun angesehene Auffassungen an. Diese Abweichungen des autoritären Charakters zwischen oberflächlicher und wirklicher Meinung – die auch der F-Skala zu Grunde liegen - bezeichnet Adorno als pseudokonservativ, wobei pseudokonservativ hier im Sinne von pseudodemokratisch zu verstehen ist (ebd.: 204f.). Die Machtlosigkeit gegen die durch den Kapitalismus auferlegten Verzichte in der jetzigen Demokratie wandelt sich in gewaltbereite Ablehnung gegen die Demokratie selbst (ebd.: 209/221). Liberale oder konservative Forderungen werden nur als Schleier für aggressive Bedürfnisse genutzt (ebd.: 206). Genau diese Strategie finden sich bei rechtspopulistischen Akteur_innen. Im Namen demokratischer Werte und um sie gegen vermeintliche Gefahren zu schützen wird danach gestrebt, diese zu untergraben (ebd.: 206). Deutlich wird das an der geforderten Politik mit Geflüchteten. Rechtpopulistische Kräfte geben den Wähler_innen die Möglichkeit Demokratietreue vorzugeben und gleichzeitig antidemokratische Tendenzen auszuleben.

Fazit

Wie gezeigt, geraten die Begründungen für einen rechten Aufstieg der Identitätspolitikkritik schnell an ihre Grenze. Adornos Studie scheint gerade wegen ihres Alters in der Lage zu sein, die für die Kritik so typische Glorifizierung der Vergangenheit zu widerlegen. Ebenfalls wird das Argument, dass rechte Kräfte Orientierung in einer entfremdeten Welt bieten, verzerrt, indem die Konsequenz aus der Orientierungssuche auf eigentlich sozialdemokratische wirtschaftliche Motive reduziert wird. Das würde zu dem Paradox führen, dass sich Wähler_innen nur als Protest gegen den Neoliberalismus einem zwar nationalen, aber dennoch neoliberalem Programm der Rechtspopulist_innen anschließen.

Außerdem ist für Adorno ein Ganzheitlicher Ansatz zentral. Viele der für den autoritären Charakter typischen Denkweisen werden durch rechtspopulistische Programme angesprochen: Konventionalismus, autoritäre Unterwürfigkeit und Aggression, Machtdenken, Projektivität sowie Sexualität finden sich im Rassismus, Sexismus und Antisemitismus als auch in ökonomischen Forderungen, im Demokratieverständnis oder dem Verhältnis zu politischen Autoritäten wieder. Deswegen können einzelne Wahlmotive nicht isoliert betrachtet werden, sondern werden erst in ihrem Zusammenhang verständlich. Das viele Wähler_innen nur rechts wählen, weil die Linke keinen wirtschaftlichen Gegenentwurf präsentieren kann, ist somit mit Adorno nicht mehr haltbar. Vielmehr ist die Abneigung gegen die Sozialdemokratie, welche er in Bezug auf Gewerkschaften zeigt,

„ist nicht mehr der Ausdruck von Unzufriedenheit mit konkreten Verhältnissen, unter denen sie vielleicht zu leiden hatten, sondern ein Grundsatz in ihrem reaktionären Programm, das auch automatisch den Antisemitismus, Haß gegen andere Länder, gegen den New Deal (…) umfasst“ (Adorno 2018: 256)

Links wird nicht gewählt, weil hier weniger eine Plattform gegeben wird „nach oben zu buckeln“ und nach „unten zu treten“. Es wurde deutlich, dass viele Diagnosen Adornos keinesfalls an Aktualität eingebüßt haben. Letztlich kann der gegenwärtige Aufstieg des Rechtspopulismus als Bestätigung der Studie Adornos gelesen werden. Eine kapitalistisch, sexistisch und rassistisch Strukturierten Gesellschaft produziert potentiell rechte Charakter, welche durch das rechtspopulistische Angebot nun ihre Einstellungen in Handlungen umsetzten können (Decker 2018: 26) .

Literatur

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