Inhaltsverzeichnis
Identitätspolitiken (Susemichel/Kastner 2018) Kapitel 9-11
Die Autor*innen
Lea Susemichel
- Geboren 1976 in Worms
- Lebt in Wien
- studierte dort Philosophie und Gender Studies
- Deutsche Journalistin, Autorin, Feministin
- Redakteurin von an.schläge. Das feministische Magazin
- Arbeitet zu Themen feministischer Theorie und Bewegung und feministischer Medienpolitik
Jens Kastner
- Geboren 1970
- Lebt in Wien
- Soziologe und Kunsthistoriker, Dozent am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien
- Redakteur von Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst
- Schreibt über zeitgenössische Kunst, soziale Bewegungen und Kulturtheorien
2. Zusammenfassung der Kapitel 9-11
Susemichel, Lea/Kastner, Jens (2018): Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken. Münster, 97-140.
2.1 Kapitel 9: „Bin ich etwa keine Frau?!“ Das fragile feministische Wir
„Für wen kämpft der Feminismus eigentlich?“ (97) - Diese Frage fordert einen herausfordernden Umgang mit einem „politische[n] Subjekt Frau“ (97) und einer Proklamation von Gemeinsamkeiten. Die Identifizierung und die damit einhergehende Definition eines Kollektivs stelle von Anbeginn eine Herausforderung dar.
Ein Einblick in die geschichtlichen Taxonomien des Feminismus zeigte verschiedene Strömungen auf (bürgerliche und sozialistische Frauenbewegung), welche die Frage nach dem „ursprünglichsten“ Identitätsmerkmal und der Fragen worüber sich eine kollektive Identität herstellen lassen kann, aufzeigte. Damit einher ging die möglich pluralen Verortung entlang mehrerer Diskriminierungsmerkmale aufgrund intersektionaler Diskriminierungserfahrungen. Problematisch wurde dies dann, wenn diese gegeneinander ausgespielt wurden (vgl. 100).
Verschiedene sich herausgebildete feministische Szenen und ihre „subkulturelle[n] Identitätsangebote“ (118) ließen die Frage nach „identiätspolitische[r] Geschlossenheit“ (117) und die Frage „wem […] dann im Zweifelsfall die identitätspolitische Solidarität“ (119) gelte aufkommen. Befindet sich Identitätspolitiken in einer „Sackgasse“?
2.2 Kapitel 10: „Die Begierde, nicht dermaßen identifiziert zu werden“ Die Identitätskritik der Queer Theorie
Durch die Auseinandersetzung mit der Queer Theorie wurde das Paradoxon deutlich: Je größer die Sichtbarkeit, desto wahrscheinlicher komme es zu einer „Unsichtbarkeit der Minoritäten“ (123). Auch wenn die Ablehnung von „identitärer Eindeutigkeit“ zentral ist, sich gegen eine „gewaltsame Festschreibung“ (121) und der Annahme „Identitätskonstruktionen [seien] naturalisiert“ gewendet wird, würden „normative Identitätskategorien“ (123) reproduziert werden. Auch eine queere Politik komme nicht ohne Identifizierung aus und sei „auf Kollektivität angewiesen“ (124).
Zwar könne Identitätspolitik „nie vollständig suspendiert werden“ (123), aber es brauche eine „maximale Pluralität und Differenz“ und das Streben nach einer Destabilisierung von gesellschaftlichen Normen, wobei das „Kollektiv des politischen Handelns […] gar nicht einheitlich sein“ (130) müsse.
Neben dem Vorwurf reine Sprachpolitik zu betreiben und so neben einer produktiven Verwirrung unverständliche Diskurse und „neue Ausschlüsse und klassistische Diskriminierung“ anzustoßen, würde „Individuelle Identitätspolitik […] mit großer Leidenschaft betrieben“ und führe dazu, dass „Marginalisierungserfahrungen immer singulärer“ (129) werden würden.
2.3 Kapitel 11: „...und die Absagen an Dominanz“ Gegen Individualisierung, für Solidarität
„Den VerfechterInnen stehen die scharfen KritikerInnen der Identitätspolitik gegenüber“ (132). Aber auch „szeneintern tobt ein Kampf zwischen den Lagern“ (132). Der Identitätspolitik wird unter anderem eine „Gleichsetzung gänzlich unterschiedlicher Formen von Diskriminierungserfahrungen“ (132) vorgeworfen, womit eine „Nivellierung struktureller Gewalt“, die „Individualisierung von Diskriminierung“ (132) einhergehe und in eine „Bagatellisierung konkreter Gewalterfahrungen“ (133) münde.
Dies führt zu der Frage: „bei welcher Identitätspolitik soll denn nun ganz praktisch der Schlussstrich gezogen werden?“ (133). Eine Lösung sei es „Unterschiede weder zu negieren noch sie notwendigerweise als trennend und sprengend zu bewerten“. Es sei anzuerkennen, dass eine „eigene Homogenität lediglich eine Hilfsfiktion“ (136) darstellt. Differenz müsse „als konstituierendes und sogar konstruktives Merkmal“ (136) und „als eine wesentliche Stärke“ (137) gesehen werden. „Es ist also wichtig, auf Differenzen zu beharren, um von der Dominanzkultur nicht überrollt zu werden.“ (139)
Eine „Solidarität […] muss sich überhaupt nicht auf gemeinsame Erfahrungen beziehen“ (139). „[M]ächtige und privilegierte Menschen“ könnten sich „von Dominanzkulturen distanzieren“ (140), was ein „normatives“ und „praktisches politisches Ideal“ darstellen würde.
Radikale Solidarität sei möglich und Identitätspolitik „eben erst ein Anfang“ (140).
3. Zusatz: "... Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen"
Berendsen, Eva/Saba-Nur, Cheema/Mendel, Meron (2019): Finger auf die Wunden oder: der direkte Weg ins Fettnäpfchen. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen. In: Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen. Berlin, 7-15.
Triggerwarnung, eingerichtete Safe Spaces sind vermehrt wahrnehmbar. Sei es in öffentlichen Diskursen oder in akademischen oder zivilgesellschaftlichen Kontexten. Ein Ziel sei es „für den Schutz von Minderheiten im Alltag“ (7) zu sorgen und empowernde Wirkung auf Minderheiten zu haben, denn Mikroaggressionen sind ubiquitär in unserem Alltag.
Hier schließt sich allerdings die Frage an, in welchem Maße dies legitimierbar ist. Einerseits seien hohe Ansprüche in Ordnung und es brauche sie, denn natürlich könne dies nicht einfach ignoriert werden, aber es brauche selbstkritische/kritische Haltungen. Auch „Akteur*innen in progressiven Zusammenhängen den eigenen hohen Ansprüchen zum Trotz [seien] nicht frei von unreflektierten problematischen Positionen“ (9).
Dass dadurch „unbequeme Positionen“ durch eine vereinfachte Unterteilung „der Welt in Gut und Böse“ (10) verschwinden, halten die Autor*innen für „grundfalsch“. Es würde zur Befeuerung der Opferkonkurrenz beitragen, politischen Allianzbildungen im Wege stehen und einer Idee von hybriden Identitäten entgegenwirken. Eine reine Sprachpolitik führe zu einer identitätspolitischen Zensur. Kommunikation würde versperrt werden, Minderheitserfahrungen seien elitär. (11f.)
Da bleibt nach aller Kritik an der Identitätspolitik neben der Frage, ob sie ihren eigentlichen Zielen noch gerecht wird auch noch die Frage: „Was kann die Identitätspolitik der Mehrheit der Gesellschaft anbieten?“ (11) Hat sich „Identitätspolitik […] in Symbolpolitik erschöpft“ (14)?
Lösungsansätze sehen sie in „mehr Fehlertoleranz“, dem „Aushalten von Widersprüchen“, der „Öffnung und [der] Irritation des elitären Jargons“
4. Diskussion
4.1 Taxonomien des Feminismus
Der Feminismus lässt sich auf unterschiedliche Weise sortieren. Hauptsächlich finden sich immer wieder folgende Taxonomien: Geschichtliche, Zweipolig und Strömungstaxonomien. Die Geschichtliche Einteilung findet entweder durch eine Einteilung in einen Alten und Neuen Feminismus statt oder markiert drei Wellen mit unterschiedlich festzumachender Wendepunkte. Zu den zweipoligen Taxonomien gehören zum einen die Gegenüberstellung von Differenz- und Gleichheitsfeminismus oder moderner und postmoderner Feminismus. Aber auch Essentialismus und Konstruktivismus oder Materialismus und Idealismus werden sich gegenübergestellt. Die Unterscheidungen der Strömungstaxomien beziehen sich bpsw. auf eine Zuteilung in einen sog. gemäßigten oder radikalen Flügel. Außerdem werden bürgerliche von proletarischen Frauenbewegungen unterschieden oder es erfolgt entlang der Politischen Theorie eine allgemeine Kategorisierung wie z.B. Sozialismus, Marxismus, Liberalismus usw. (vgl. bpb 2018)
Zur Vertiefung der Kapitel 9 bis 11 (Susemichel/Kastner 2018) und einer besseren Kontextualisierung der Seminarinhalte, wurde im Rahmen einer Gruppenarbeit mit Hilfe eines Arbeitsblattes eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Feminismus angeregt. Hierbei wurde sich an den „Wellen des Feminismus“ orientiert entlang welcher 13 Fragen bearbeitet und zusammengetragen wurden, welche unten stehend zu finden sind und dementsprechend keinem Anspruch auf Vollständigkeit folgen.
1. Welcher Zeitraum wird von der 1./2./3. Welle umfasst?
- 1. Welle: Ende 18. bis Anfang 20. Jahrhundert
- 2. Welle: 60er bis 80er Jahre
- 3. Welle: ab den 90er Jahren
- 4. Welle: kommt
2. Welche Personen/Theorien sind zentral?
- 1. Welle: Otto-Peters, Olympe-de Gouge, Zetkin, Luxemburg, Goldman, Johanna Loewenherz
- 2. Welle: Irigaray, Cixous, Firestone (Differenz), dalla Costa, James (Radikal); De Beauvoir Friedan, Davis (Gleichheitsfeminismus)
- 3. Welle: Butler, Sedgwick, Adamczak, Munoz
3. Über welche kollektiven Identitäten wurde sich solidarisiert? Welche Bewegungen waren zentral?
- 1. Welle: Bürgerlicher Feminismus, Suffragetten; sozialistischer Feminismus
- 2. Welle: Differenzfeminismus, Radikalfeminismus; Gleichheitsfeminismus
- 3. Welle: Queer, Queerfeminismus
4. Haben sich (entlang intersektionaler Diskriminierungserfahrungen) Allianzen formiert?
- 1. Welle: Internationaler Frauenrat (ICW), Allgemeiner Deutscher Frauenverein; Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein, Proletarische Frauen → keine gegenseitige Ablehnung
- 2. Welle: Kampagne zu Löhnen für Hausarbeit → Einzelne Aktionsformen: Rote Zora (Aktionen gegen Adler als Solidarität mit Näherinnen in Vietnam)
- 3. Welle: Minenarbeiterstreik in Wales mit Queer-Bewegung, Stonewall, Dyke-Marches
5. Welche Themen waren zentral?
- 1. Welle: Wahlrecht, Bürgerrechte; Kapitalismus, Situation von Arbeiterinnen, Klassenkampf
- 2. Welle: Reproduktionsarbeit, Körper, Sexualität; Berufstätigkeit von Frauen
- 3. Welle: Sprache, Sexualität, Identität
6. Welche Ziele/Forderungen waren zentral?
- 1. Welle:Frauenwahlrecht, Bildungs- und Berufsfreiheiten; Wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau, Befreiung
- 2. Welle:Lohn für Hausarbeit (Radikalfeminismus), Recht auf Abtreibung; Radikale Freiheit des Menschen, sich selbst zu entwerfen (Beauvoir) Quoten
- 3. Welle: Nicht-Zuweisung von Identitäten, Begreifen von sex, gender und Sexualität als Spektren
7.. Welche Erfolge wurden erzielt?
- 1. Welle: Wahlrecht, Verbot von Kinderarbeit; Erste Frau als Gewerkschaftssekretärin
- 2. welle: Frauenforschung, Frauenhäuser, feministische Wissenschaftskritik; Gleichstellungspolitik, Bewusstsein über Sozialisation
- 3. Welle: Durchbrechen der binären Mann-Frau Konstruktion in Wissenschaft und Alltagswissen, Einführung 3. Geschlecht, Nicht-Angabe von Geschlecht, Genderstudies
8. Welche fundamentalen Orientierungspunkte gibt es? (Menschenbilder, Geschlechterbilder etc.)?
- 1. Welle: Essentialistisch: Frau als mütterlich
- 2. Welle: Frau ist friedfertig, grundsätzliche Gleichheit und Sozialisation
- 3. Welle: Fluidität und Performativität von Identität
9. Führten bestimmte Konflikte zu Spaltungen? Zu welchen?
- 1. Welle: Bürgerlicher vs sozialistischer Feminismus; Themen Abtreibung, Lesben, Prostitution
- 2. Welle: Differenz- vs. Gleichheitsfeminismus, schwarze Frauen (Black Feminism), Lesben
- 3. Welle: Queer-feminist*innen vs. ‚Frauen‘- feminist*innen, Neoliberale Lean-In Feminist*innen
10. Spielten Paradigmenwechsel eine Rolle (z.B. linguistic turn)?
11. Welche Kritik wurde von wem geäußert?
- 1. Welle: Essentialismus
- 2. Welle: Essentialismus, Rassismus
- 3. Welle: 'Entkörperung', Verlust gemeinsames Subjekt 'Frau'
- 4. Welle: Neoliberalismus (vgl. Nancy Fraser)
12. Taten sich „identitätspolitische Sackgassen auf“? Wie und von wem wurde/wird darauf reagiert?
- 1. Welle: Nationalismus, Essentialismus
- 2. Welle: Patriarchat gedacht als Kolonialisierung
- 3. Welle: Individualisierung, reine Sprachpolitik
13. Welche antifeministischen Bewegungen gibt/gab es?
- 1. Welle: Arbeiter gegen Frauenarbeit
- 2. Welle: Backlash während bzw. nach dem zweiten Weltkrieg
- 3. Welle: Populistische und Rechte Bewegungen
4.2 Silent Discussion
„Was kann die Identitätspolitik der Mehrheit der Gesellschaft anbieten?“ Diese sowohl kritische als auch provokante Frage stellen Berendsen, Saba-Nur und Mendel und bringen auch die in den Kapiteln neun bis elf bei Susemichel und Kastner aufkommenden Fragen auf den Punkt. Deshalb wurde diese Frage als Leitfrage einer weiteren Gruppenarbeit gewählt, welche im Rahmen einer sog. „Silent Discussion“ im Seminar stattfand. Mithilfe von vier Themenschwerpunkten wurde sich dieser Frage genähert. Über Zitate, einzelne Schlagwörter, Fragen und visuelle Stimuli (Cartoons) wurde ein Austausch angeregt, welcher in Form von schriftlichen Kommentaren erfolgte, auf welche wiederum gegenseitig Bezug genommen werden konnte.
Im Folgenden finden sich die vier Themenschwerpunkte mit den dazu bereitgestellten Stimuli und den stichwortartigen aufgelisteten Kommentaren, die versucht wurden zu ordnen.
4.2.1 Identitätspolitische Zensur
Identitätspolitische Zensur
- nicht wertneutral – Interventionen?
- Ist es automatisch eine Zensur?
„Die sprachlichen Interventionen sorgen für einen sehr hermetischen und tendenziell unverständlichen Diskurs“ (Susemichel/Kastner 2019: 129)
- Ich frage mich wie identitätspolitische Sprachpolitiken von bspw. queeren „underclass“ Personen eingeordnet werden
- Dieser Satz ist dann aber selbst Teil dieses Diskurses
- Klassismus: wie auch zugänglich/nicht-akademisch an sprachliche Identitätsarbeiten?
- Hat vielleicht weniger mit Klasse, als mit Offenheit zu tun
- Jein – ich würde die These aufstellen, dass allein der Fokus auf das eigene politische Wirken von Klasse abhängig ist
versperrte Kommunikation (vgl. Berendsen et al. 2019: 11)
- weniger auf Verbote setzen, mehr auf offene Auseinandersetzungen (aber nicht mit Nazis und Antifeministinnen)
- Fehlertoleranz?
- „Betroffene“ sprechen lassen
- Sprache ist Repräsentation – wie soll man sich verständlich machen, ohne sich selbst in Worte zu fassen?
- Ich finde es kommt darauf an, wie man → trigger warnt und wie man damit umgeht, wenn man was für ausschließend hält
4.2.2 Reine Sprachpolitik
- reine Sprachpolitik wäre immer noch besser als gar keine feministische Politik, würde natürlich aber viele Punkte unbearbeitet lassen
- Politik über Sprache verlegt den politischen Akt in die Psyche des Individuums
- jein. Sprache ist ja auch etwas Soziales
- ja ich meine ja (und das ist jetzt auch das Beispiel) so ständiges reflektieren über eigene Wortwahl
- Sprache schafft Realität und verschärft Machtverhältnisse
- es gibt immer auch eine materielle Realität, die die Sprache (und Sprachverbote) beeinflussen
- Bsp? oder Realität/Herrschaft schafft sich auch ihre Sprache → an beidem ansetzen
„Aus dieser Zwickmühle gibt es keinen Ausweg“ (Susemichel/Kastner 2018: 128) „neue Ausschlüsse und klassische Diskriminierung“ (Susemichel/Kastner 2018: 129)
- Die Frage ist: Bleiben wir im Gespräch oder etablieren sich eine „no discussion“ Politik?
- Ja, aber auch in anderem Fall werden Menschen ausgschlossen, Abwägungssache
- Diese Sprache muss erlernt werden. Personen, die keinen Zugang haben zu dieser Bildung, werden ausgegrenzt.
- Dann ist der Ausschluss wahrscheinlich über andere Kategorien; bei Sprache ist es akademisch vs. Nicht-akademisch
- bestimmte Sprache ist eine Möglichkeit für alle einfach Politik zu machen
- Warum sind Triggerwarnungen ein Problem? Stören sie? Elitäre Diskurse?
- Über manches kann/darf nicht mehr gesprochen werden
- doch, es wird bloß davor darüber Bescheid gesagt
- Frage von Betroffenheit wird vermischt: brauchen wir Schutz vor struktureller Diskriminierung und Gewalt oder Schutz vor individueller Betroffenheit?
- Gibt es für individuelle Betroffenheit andere Prozesse, um dies aufzufangen?
- nicht ob, sondern wie spricht man über etwas, ist relevant
- Fehlverständnis von „save space“
4.2.3 Brauchen wir einen neuen Feminismus?
- Nö, nur weiterhin kritische Anstöße und Selbstreflexion.
- Vieles ist immer noch aktuell: Schwarze Frauenbewegung; Verantwortung weißer Gruppen
„Koschka Linkerhand definiert Queerfeminismus gar als neuen Differenzfeminismus, der mit seinem Identitätsfetisch solidarische feministische Politik gänzlich unmöglich machen würde“ (Susemichel/Kastner 2018: 126)
- übertrieben?
- Differenz(en) sind nicht der einzige Fokus das Große und Ganze darf nicht aus den Augen verloren weren
„Es ist also wichtig auf Differenzen zu beharren, um von der Dominanzkultur nicht überrollt zu werden“ (Susemichel/Kastner 2018: 139).
- kreiiert Ablehnung(en) und gleichzeitig Ausgrenzung
- gleichzeitig gibt es eine vermehrte Affirmation von Identität steht das im Widerspruch?
„mehr Fehlertoleranz“, „Aushalten von Widersprüchen“ (vgl. Berendsen et al. 2019: 9)
- nur an den richtigen Stellen
4.2.4 Identitätspolitik = "Pseudopolitik"
„Es wird Schluss gemacht mit Politik“ (Berendsen et. al. 2019: 11)
- „Nein“
„Identitätspolitik ist das hauptsächliche Schlachtfeld queerer Politik, ihr Anfang und leider auch ihr Ende“ (Linkerhand 2018: 25)
- macht euch das wütend?
- Nicht unbedingt, da ein Transfer von Identitätspolitik zu „allgemeiner“ Politik möglich ist was ist allgemeine Politik?
„An solch einer weiten Öffnung dieses pluralistischen Queer-Begriffs gibt es jeoch die Kritik, dass der Terminus dadurch sowohl an analystischer Schärfe als auch an politischer Schlagkraft einbüßen und letztendlich gänzlich beliebig werden könnte.“ (Susemichel/Kastner 2018: 130)
- ist dann nicht das Ziel erreicht?
- Welches Ziel?
- Auflösung der Geschlechterkategorien (wobei damit ja noch keine Politik gemacht werden muss)
5. Chancen und Grenzen von Identitätspolitik
Wo liegen also Chancen und Grenzen einer Identitätspolitik?
Zentrale Fragen der Auseinandersetzung mit Identitätspolitik in Bezug auf Feminismus waren im Rahmen der Seminarsitzung, so wie Berendsen, Saba-Nur und Mendel formulierten „Was kann die Identitätspolitik der Mehrheit der Gesellschaft anbieten?“ (Berendsen/Saba-Nur/Mendel 2019: 11) und: Steht Diversität einer Solidarität im Weg? Wo liegen also Chancen und Grenzen einer Identitätspolitik? Immer wieder taucht der Widerspruch der Kategorisierung auf: Braucht es Kategorien, um Aufmerksamkeit zu generieren und so erst Möglichkeit zur Solidarisierung bietet und wenn ja, wie viele Kategorien sind tragbar? Oder bräuchte es für eine angestrebte „Normalisierung“ die Abschaffung von Kategorien? Wie wird sprachlich damit umgegangen und es ermöglicht Gruppen zu benennen, durch Sprache Aufmerksamkeit zu generieren und so Ungleichheit analytisch betrachten zu können? Werden politische Auseinandersetzung für Menschen möglich und zugänglich, wenn aus Identitätspolitik (reine) Sprachpolitik wird? Welche handlungspraktischen Konsequenzen bringen diese Fragen mit sich? Wie ist mit Betroffenheit/der Betroffenenperspektive umzugehen?
Steht Diversität einer Solidarität im Weg? „Wie können wir daran vorbeisehen?“ - „Sei du selbst und tu es und dann suchen wir eine Form darüber zu reflektieren“
Armin Nassehi stellt fest, dass heutzutage nur noch ein Denken in partikulären Identitäten möglich sei. Die zentrale Frage sei wer man ist, welche eine eindeutige Zugehörigkeit erwartet. Es müsse dorthin gekommen werden, dass es nicht mehr notwendig ist darüber zu sprechen. In Hinblick auf Diversität sei aber eher von einem „wir ohne uns“ die Rede. Er wirft die Frage auf, ob Diversität Solidarität im Wege steht und ob es die Erfindung einer neuen Identität braucht. Bürgerlichkeit habe einen positiven Aspekt: Es würde eine Distanz zwischen die Menschen bringen, was eine „zivilisierte Form von Nähe“ ermögliche. https://www.deutschlandfunk.de/soziologe-armin-nassehi-wenn-diversitaet-sich-gegen-den.911.de.html?dram:article_id=458139
6. Quellen
Berendsen, Eva/Saba-Nur, Cheema/Mendel, Meron (2019): Finger auf die Wunden oder: der direkte Weg ins Fettnäpfchen. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen. In: Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen. Berlin, 7-15.
bpb/Holland-Kunz, Barbara (April 2018): Was ihr zusteht. Kurze Geschichte des Feminismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Anti-)Feminismus: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/267949/anti-feminismus.
Deutschlandfunk (September 2019): Wenn sich Diversität gegen Menschen kehrt. Armin Nassehi im Gespräch mit Michael Köhler: https://www.deutschlandfunk.de/soziologe-armin-nassehi-wenn-diversitaet-sich-gegen-den.911.de.html?dram:article_id=458139.
Susemichel, L. & Kastner, J. (2018). Identitätspolitiken: Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken. Münster: Unrast.