Inhaltsverzeichnis
Allgemeines zur Debatte um Klassen- & Identitätspolitik
Ausgangspunkt der Debatte
a) Internationaler politischer Rechtsruck Im letzten Jahrzehnt, konnte ein internationaler Rechtsruck beobachtet werden. Dieser findet auf verschiedenen Ebenen statt:
- auf der parlamentarischen Ebene, durch die Etablierung rechter Parteien und Funktionär*innen (zunehmend rechte Regierungen)
- auf gesamtgesellschaftlicher Ebene spitzt sich eine politische Polarisierung von Gesellschaften zu (gesellschaftliche Diskurse; offene Gewalt ggü. Minderheiten vs. Solidaritätsbewegungen)
- in der Form der Lösung und Bearbeitung transnationaler Krisen (imperialistische Kriege, Flucht, Verschärfung nationaler Grenzen)
b) Zunehmende Schwächung linker Bewegungen
- Linke Parteien, Bewegungen und Gewerkschaften verlieren an Zulauf und Mitgliedern
- Linke Ideen, wie soziale Gerechtigkeit werden zunehmend von rechten Parteien und Konservativen aufgegriffen und beantwortet
Analyse der Debatte
- Debatte ist innerlinke Debatte, keine gesamtgesellschaftliche
- Sie ist Ausdruck von Ursachenanalyse der Ausgangspunkte a) und b)
- Die beteiligten Akteur*innen bilden verschiedene in sich differenzierte Lager
- Bewegungen/Organistionen/Einzelpersonen mit marxistischem Hintergrund
- Bewegungen/Organistionen/Einzelpersonen mit identitätspolitischem Hintergrund
- Bewegungen/Organistionen/Einzelpersonen, die versuchen Lebensweisen und -bedingungen durch materialistische Theorie zu analysieren
Theoretischer Hintergrund zum Klassenbegriff
Klassenanalyse
„Analyse der vertikalen und horizontalen sozialstrukturellen Gliederung der Gesamtbevölkerung nach sozialökonomischen und, darauf aufbauend, macht- und herrschafts-politischen sowie kulturell-habituellen Unterscheidungskriterien in ihrem wechselseitigen Bedingungsgefüge, sowie diesbezügliche theoretische Voraussetzungen, Methodologie und heuristische Verfahren.“
Quelle: Steiner, Helmut (2004): Klassenanalyse. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Mar-xismus. S. 776. Berliner Institut für kritische Theorie
Klassenbegriffe
Karl Marx
- Klassen haben ökonomischen Ursprung, sozialökonomisches Profil und politischen Charakter
- bilden sich aus der Stellung im Produktions- und Reproduktionsprozess
- Primäres Strukturelement für Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse
- Eigenheiten / Differenzierungen sind Resultat der gesellschaftlichen Verhältnisse
- Stärkster Widerspruch zwischen Proletariat (Besitz der Arbeitskraft) und Bourgeoisie (Besitz der Produktionsmittel)
- Klassenwiderspruch ist instabile aber beständige immer wieder erneuernde sozialstrukturelle Gliederung im Reproduktionsprozess des Kapitalismus
Quelle: Steiner, Helmut (2004): Klassenanalyse. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Mar-xismus. S. 776 – 786. Berliner Institut für kritische Theorie
Klasse an sich / Klasse für sich
„Klasse an sich“ → ergibt sich über objektive Bedingungen im Produktionsverhältnis, gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen → Klasse gegenüber dem Kapital, aber nicht für sich selbst
3 Dimensionen: Stellung als Lohnarbeitende, gemeinsame Lage unter Herrschaft des Kapitals, gemeinsame objektive Interessen
„Klasse für sich“ → Klasse erzeugt sich aus eigenen Kämpfen und Zusammenschlüssen; Masse fügt sich zusammen, und verteidigt aktiv ihre Interessen (Klasseninteressen) → konstituiert sich als Klasse, die für sich kämpft → Überwindung der Zersplitterung durch Konkurrenz
7 Dimensionen: Dimensionen der „Klasse an sich“, Konstitution & Organisation als Klasse (erst Gewerkschaft, dann politisch), Eroberung politischer Macht, Gestaltung neuer Gesellschaft
Quelle: Vester, Michael (2004): Klasse an sich/für sich. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus. S. 736 – 775. Berliner Institut für kritische Theorie
Marx und Engels plädieren 1872 (24 Jahre nach der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifest) für:
- das Festhalten an Grundsätzen des Kommunistischen Manifests
- Analyse der Klassenverhältnisse nicht als Doktrin zu sehen, sondern als heuristische Methode um geschichtliche Bewegungen zu entdecken
Antonio Gramsci
- Klasse bildet sich aus der Funktion im Produktionsverhältnis
- Klassenverhältnis ist abhängig vom ökonomischen Kapital & Hegemonie
- Hegemonie = Herrschaft & geistige und moralische Führung (bspw. Kontrolle der Institutionen und Verankerung der Weltanschauung)
- Hegemonie ist wirkmächtigstes Element, Gewalt und Zwang nur notwendig in politischen Krisen, wenn die Verhältnisse auf der Kippe stehen
- Hegemonie und Konsensus notwendig um Verhältnisse aufrecht zu erhalten
- Klassenkampf ergibt sich aus Bündnissen subalterner Klassen auf der Grundlage zu bildenden gemeinsamen kritischen Weltauffassung, der Einheit von Selbstveränderung und kollektivem Willen zur radikalen Transformation der gesellschaftlichen Arbeitsteilung (Becker)
Quelle: Haug, Wolfgang Fritz (2004): Hegemonie. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus. S. 1 – 25. Berliner Institut für kritische Theorie
Pierre Bourdieu
- Gesellschaft bringt objektive Lebensbedingungen hervor
- Klassenlage bestimmt über spezifischen Habitus und Lebensstil
- Je nach Klasse verfügen Menschen über unterschiedlich (viel) Kapital
- Ökonomisches Kapital (Produktionsgüter)
- Kulturelles Kapital (Güter, Titel, Körper)
- Soziales Kapital (Netzwerk)
- Symbolisches Kapital (Prestige)
→ 3 Klassen: Bourgeoisie, Kleinbürger_innentum, Arbeiter_innenklasse
Quelle: Bourdieu, Pierre (2002) Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteils-kraft. Suhrkamp
Edward Palmer Thompson
- Gesellschaft ist in bestimmter Art und Weise strukturiert (Produktionsverhältnisse und mehr)
- Menschen machen die Erfahrung von Ausbeutung
- Erkennen widersprüchliche Interessen und beginnen diese zu bekämpfen
- Verlauf des Kampfes lässt sie zur Klasse werden und Klassenbewusstsein entwickeln
- Klassenkampf steht vor Klasse & Klassenbewusstsein
Quelle: Thompson, Edward Palmer (1980): Das Elend der Theorie. Campus Verlag
Zusammenfassung der Texte
Die Linke hat sich selbst zerstört
Lilla, Mark (2017); in Neue Zürcher Zeitung
Mark Lilla beschreibt in seinem Kommentar die Krise der amerikanischen Linken, deren Ursache er in der Entwicklung und Ausbreitung der Identitätspolitik sieht.
Krise Der Linksliberalismus stecke in einer Krise progressive Ideen von Gesellschaft zu entwickeln und politisch an Einfluss zu gewinnen, sowie die breite Öffentlichkeit auf seine Seite zu bewegen.
Idealbild linksliberaler Politik nach Lilla Geprägt durch Solidarität, Chancen und Engagement Gesellschaftliche Vision, die Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und allen Landesteilen als Bürger*innen einer Nation zusammenführt
Solidarität vs. Differenz Die Erklärung des Persönlichen zum Politischen definiert er als Ausgangspunkt der Krise. Politisches Handeln wird zur persönlichen Aktivität erklärt und drückt aus, wie sich das politische Individuum definiert. Die Trennung zwischen der Gesellschaft als „äußere Welt“ und dem persönlichen Empfinden wurde aufgehoben.
Nicht mehr die Gemeinsamkeiten und gemeinsame politische Interessen, sondern die Unterschiedene und gesellschaftliche Differenz stehen im Forderung. Identitätspolitik wird verstanden als Politik der Abgrenzung, statt des Aufeinanderbeziehens. Es findet eine Veränderung der Feindbilder statt – vom System und den strukturellen Verhältnissen, hinzu anderen politischen Subjekten. Dies werde nach Lilla unteranderem an der Bewegung „Black Lives Matter“ deutlich, deren politischen Gegner er in der amerikanischen Gesellschaft ausmache. Er vertritt den Ansatz, dass Empörung und Solidarität durch ein gemeinsames Moment und der Möglichkeit sich mit anderen und ihren Anliegen zu identifizieren, entstehe. Ihm fehle die Möglichkeit, sich mit der Bewegung, bzw. den Individuuen, die hinter der Bewegung stehen zu identifizieren und Gemeinsamkeiten zu sehen,
Demokratie vs. Identitätspolitik Demokratie wird hier mit dem Anliegen beschrieben, Menschen unabhängig ihrer Herkunft zu verbinden. Identitätspolitik steht hier als Gegensatz gegenüber, der sich in subjektiven Prozessen erschöpft.
Linksliberalismus vs. Konservatismus Lilla sieht eine Veränderung der verschiedenen politischen Strategien, bzw. der Art und Weise politischen Handelns. Während Konservative die politische Krise erkannten und durch Bottom-Up-Strategien versucht haben Wähler*innen der Arbeiter*innenklasse zu gewinnen, habe sich die politische Linke darauf konzentriert, die eigenen Organisationen und Strukturen durch eine Top-Down-Strategie zu verändern. Anstatt sich auf politische Agitation und Realpolitik zu fokussieren, stehe die eigene akademische Ausbildung und somit auch Identitätsbildung im Vordergrund.
Politisches Handeln als Selbstdefinition Lilla sieht einen Verlust von Werten und Ideen wie Solidarität, Gemeinwohl und Bürgersinn, da sich insbesondere junge Linksliberale vorwiegend für Themen, die ihre eigene Identität berühren interessieren würden. Durch die eigene Identität werden Grenzen im Bezug auf politische Themen gesetzt und Grenzverletzungen als Bedrohung wahrgenommen.
New Queens on the block. Transfeminismus und neue Klassenpolitik
Becker, Lia (2018); in Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis
Lia Becker plädiert für eine Theorie, die in ihrer Analyse „Klasse mit Differenz“ denkt und die Zusammenhänge von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Klassenverhältnissen ausdifferenziert.
Transitioning im Kontext von Non-Binärer Geschlechtsidentität Den Begriff Transitioning beschreibt die Autor*in mit der Schaffung von Sichtbarkeit der eigenen Geschlechtsidentität, sowie die Emanzipation von der Scham für die eigene Non-Konformität. Körperteile, insbesondere solche, die geschlechtlichen Zuschreibungen unterliegen, sind symbolisch aufgeladen, weshalb Transitioning im Kontext Non-Binärer-Geschlechtsidentität auch bedeutet, durch die Veränderung des eigenen Körpers Schutz vor Gendernormen zu erlangen.
Historische Kontinuität von Trans*-Lebensweisen Lia Becker unterscheidet zwischen Trans*-Lebensweisen und den modernen Begriffen zur politischen Bezeichnung von Trans* und non-binären Personen. Trans* haben sich historisch betrachtet immer am Rande der Gesellschaft bewegt, oder waren gezwungen ihre Geschlechtsidentität zu ihrer eigenen Sicherheit zu verstecken. Sie beschreibt in wie weit, die historische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und Kleinfamilie die heterosexuelle Norm manifestiert haben und Trans* zur medizinischen Frage wurde. Transsexualismus wurde durch die Sexualwissenschaften zur medizinischen Abweichung der Norm erklärt und Ausgangspunkt für „gesundheitliche“ Behandlungen. Trans* scheint nach Becker, als eine solche Gefahr für die heteronormative Ordnung wahrgenommen zu werden, dass verschiedenste Maßnahmen zur Anpassung an die Norm gesetzlich vorgeschrieben wurden.
Queeres Prekariat Becker sieht einen Zusammenhang zwischen der alltäglichen Diskriminierung von Trans* und ökonomischer Prekarität. Durch die psychischen Belastungen, die Konsequenz der Diskriminierungserfahrungen sind, ist eine Vollerwerbstätigkeit in vielen Fällen nicht möglich, was sich wiederum auf weitere Bereiche der ökonomischen und sozialen Absicherung auswirkt. Hier nennt Lia Becker bspw. Mangelhafte Gesundheitsversorgung, sowie Absicherung durch Rente, Wohnen etc. Weiterhin sei ein wesentlicher Faktor die negative Stereotypisierung, insbesondere von transfemininen Menschen.
Problematik der Sichtbarkeit Lia Becker beschreibt in den Ausführungen, dass Trans*-Lebensweisen in vielen Sozialen Bewegungen, sowie in der Analyse von gesellschaftlichen Verhältnissen nicht anerkannt und untersucht werden. Dies gilt auch in der Analyse von Gewalterfahrungen und der Etablierung von Präventionsmaßnahmen. Auch hier gelte es eine intersektionale Betrachtung vorzunehmen, um bspw. Zusammenhänge zwischen Gewalterfahrungen, prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen und Migration erkennen zu können.
Definition von Klasse In der Definition des Klassenbriffs orientiert sich Lia Becker am Konzept von Antonio Gramsci. Klassenverhältnisse bestimmen sich demnach nicht ausschließlich durch die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus, sondern über die Verhandlung von Produktions- und Lebensweisen in der Verknüpfung mit Machtverhältnissen. Über die Aufrechterhaltung der Klassenverhältnisse, sowie die Überwindung von Hegemonie, liessen sich Klassen und deren Angehörige ermitteln.
Eine Theorie und Praxis der Klasse mit Differenz entwickeln Becker argumentiert mit Gramscis Modell, welches die Bildung eines Bündnisses „subalterner Klassen“ vorsieht. Eine notwendige Herangehensweise besteht darin, sich von der Vorstellung ausschließlich „ökonomisch bedingter Klassenfraktionen“ zu lösen, sondern nach Gemeinsamkeiten in Sozialen Kämpfen zu fragen. Um soziale Gerechtigkeit zu erstreiten, die sich auf alle Gesellschaftsmitglieder bezieht, schlägt Becker verschiedene Felder sozialer Konflikte vor, die sich bspw. auf die ökonomische Absicherung in Jugend und Alter beziehen, die Gewährleistung einer guten Gesundheitsversorgung und Pflege, die Umverteilung von Arbeit, Arbeitszeitverkürzung und die Abschaffung prekärer Arbeitsbedingungen, das Recht auf Wohnen, Bürger*innenrechte im Kontext von Flucht und Migration, sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung usw.
Für eine neue Linke oder: Das Ende des progressiven Neoliberalismus
Fraser, Nancy (2017) in: Blätter fur deutsche und internationale Politik
Nancy Fraser analysiert in ihrem Artikel die Präsidentschaftswahl der USA und versucht einen Zusammenhang zwischen der Neoliberalisierung progressiver Bewegungen, sowie der Wahl des rechten Kandidaten Donald Trumps herzustellen.
Strukturkrise des Kapitalismus Fraser beschreibt die Gemeinsamkeiten der internationalen Wählerschaft rechter Regierungen in der „Absage[n] an wirtschafts- und finanzgesteuerte Globalisierung, den Neoliberalismus und die politischen Establishments“. Die Lösungsversuche der kapitalistischen Finanzkrisen in den letzten Jahrzehnten haben international Konsequenzen für die Arbeiterschaft und die bürgerlichen Mittelschichten hervorgebracht: uunehmende Prekarität auf dem Arbeitsmarkt und der Abbau der Sozialsysteme,
Progressiver Neoliberalismus Den progressiven Neoliberalismus definiert Fraser als eine Allianz aus dem „kognitiven Kapital“ und den „neuen sozialen Bewegungen“. Das kognitive Kapital verwertet Ideen wie „Vielfalt“ und „Empowerment“, die von identitätspolitischen Bewegungen hervorgebracht wurden. Ihm wohnt eine Mentalität inne, der sich an einer individualistischen Perspektive auf den sozialen Aufstieg orientiert und Emanzipation mit einer diversifizierten Aufstiegspraxis gleichstelle („pinkwashing“).
Sie sieht eine Verschiebung der Zusammensetzung der linken Opposition von der „Labour-Bewegung“, welche aus Weißen und Schwarzen Arbeiter*innen, sowie der urbanen Mittelschicht bestand, hinzu einer Allianz aus Unternehmen, jungen Intellektuellen und sozialen Bewegungen. Die Etablierung des progressiven Neoliberalismus, hat ebenfalls den Abbau sozialer Sicherheit, verstärkte Prekarisierung des Arbeitsmarktes und die Schwächung des Zusammenhalts der Arbeiter*innenschaft hervorgebracht.
Nancy Fraser formuliert eine starke Kritik am bürgerlichen Feminismus, der sich insbesondere für den sozialen Aufstieg von Frauen am Arbeitsmarkt, im Sinne eines Karrierismus abarbeitet.
These Die Etablierung des Doppelverdiener-Haushalts ist keine Errungenschaft feministischer Kämpfe, sondern Konsequenz kapitalistischer Krisen, die den Abbau sozialer Sicherheiten und die Prekarisierung von Arbeit zur Kostensenkung hervorgebracht haben.
Aufstieg von Rechts, welche Schuld trägt links?
Haruna-Oelker, Hadija (2019). Aufstieg von rechts. Welche Schuld trägt links? In: Trigger-Warnung.
Zunächst diagnostiziert Haruna-Oelker, dass durch die gegenwärtige Demokratiekrise rechte Auffassungen und Politiken erstarken. In Deutschland zeigt sich das vor allem in den Wahlerfolgen der AfD, welche eine rassistisch aufgeladene „kulturelle Gegenhegemonie“ (Haruna-Oelker 2019: 52) zur (neo-) liberalen Globalisierung propagiert. Allerdings wird gezeigt, dass auch Linke Strömungen (wie etwa die Linkspartei) für nationalistische Forderungen eintreten. Anschließend fragt sie, inwieweit linke Identitätspolitik eine Mitschuld an diesen Erfolgen trägt. Ihrer Auffassung nach sind Klassen- und Identitätspolitik jedoch keine Gegensätze, sondern sind immer zusammen zu denken. Deklassierte sind oft PoC, LGBTQI* oder Frauen*. Deshalb fordert Haruna-Oelker beide Politiken zu verbinden, um gemeinsam gegen Kapitalismus, Sexismus und Klassismus zu kämpfen.
Feminism and Class Power
hooks, bell (2000). In: Where we stand: class matters
In diesem Betrag diskutiert die Autorin welche Rolle Klassenverhältnisse in feministischen Bewegungen gespielt haben. Hooks argumentiert, dass feministische Forderungen je nach Klassenverhältnis variieren. So fordern ökonomisch privilegiertere Frauen die gleiche Teilhabe am Arbeitsmarkt wie ihre Männer, während die Arbeit im Niedriglohnsektor (zusätzlich zur Hausarbeit) für viele Frauen unterer Klassen unvermeidlich ist. Feministische Errungenschaften hätten bisher vor allem reichen Frauen genützt. Zudem bedeute die Teilhabe am Arbeitsmarkt nicht Zwangsläufig eine Umverteilung der Hausarbeit. Nur reiche Frauen können diese an deklassierte Frauen weiterreichen. Auch würde mit der bloßen Forderung nach Angleichung die patriarchalen und ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft nicht hinterfragt werden. Deshalb fordert sie einen radikalen Feminismus, welche aus intersektionaler Perspektive Klassenverhältnisse berücksichtigt und alle gesellschaftlichen Akteur*innen mit einschließt.
Rückkehr des Hauptwiderspruchs?
Dowling, Emma; van Dyk, Silke; Graefe, Stefanie (2017) In: PROKLA Heft 188
Rechte Wähler*innenschaften Die Autor*innen befassen sich unter anderem mit der Frage, wie der Aufstieg rechter Parteien international erklärt wird. Die Neuformierung rechter Wähler*innenschaften werden auf „Sozial-Deklassierte“, insbesondere auf eine Weiße Arbeiter*innenschaft projeziert. Deren Anliegen, die sich auf eine universelle soziale Gerechtigkeit bezögen wurden in den letzten Jahrzehnten, sowohl vom politischen Establishment, als auch der progressiven sozialen Bewegungen vernachlässigt. Zwei Konzepte mit denen in der Argumentation der Analytiker*innen gearbeitet wird sind die „Notwehr Diagnose“ und das der „Mehrheiten und Minderheiten“.
Einwand gegen die Analyse eines homogenen Klassensubjektes In der Analyse des Klassensubjektes wurden insbesondere aus marxistischer Perspektive bisher, Ausbeutungsverhältnisse die auf Geschlecht oder rassistischer Teilung basieren als kulturelle Auseinandersetzungen verhandelt. Die Autor*innen gehen jedoch beschreiben, dass diese tiefgehend mit den herrschenden Klassenverhältnissen verschränkt sind.
Privilegienverlust der Weißen männlichen Arbeiterschaft Eine Überlegung, die die Autor*innen verfolgen ist, ob ein Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der neuen Rechten und dem Verlust der Weißen männlichen Vorherrschaft auf dem Arbeitsmarkt besteht. Durch die vereinzelten Aufstiege von Frauen und Migrant*innen entsteht die Angst vor dem Verlust patriarchaler Dividende (Connell). → Bsp. Brexit, USA: Gegner*innen sind Menschen, die nie vom Klassenkompromiss des Fordismus profitiert haben
Klasse vs. Klassismus Die Autor*innen kritisieren die Gleichstellung von „Klasse“ als Strukturgebende Kategorie und „Klassismus“ als Diskriminierungspraxis und plädieren dafür Macht- und Herrschaftsverhältnisse analytisch zu differenzieren. Klasse = analytischer Begriff um Gesellschaft zu erfassen Klassismus = Herrschaftsverhältnis, dass auf binären Kategorien basiert
Intersektionale Analyse
- Kein homogenes Klassensubjekt
- Kein Hauptwiderspruch vorhanden
- Soziale Frage verschränkt (nicht identisch) mit Geschlecht, Rassismus, Nationalismus usw.
Weitere Literaturempfehlungen
Arruzza, Cinzia; Bhattacharya, Tithi; Fraser, Nancy (2019): Feminismus für die 99%, ein Manifest. Matthes und Seitz: Berlin
Candeias, Mario (2017): Eine Frage der Klasse. Neue Klassenpolitik als verbindender Antagonismus
Fried, Barbara (2017): Feminism is for everyone« – Perspektiven einer feministischen Klassenpolitik
Friedrich, Sebastian (Hrsg.)(2019): Neue Klassenpolitik: Linke Strategien gegen Rechtsruck und Neoliberalismus. Bertz & Fischer (Rezension)