Sitzung 6, Feministische Bewegung(en), 28.11.19

Fraser, Nancy 2013. Neoliberalismus und Feminismus: Eine gefährliche Liaison, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2.2013: 29-31.
Berendsen, Eva 2019: Alles richtig gemacht, und mit Sternchen. Der Bilderbuchfeminismus von #MeToo zwischen Populismus, aktivistischen Reflexen und neurechtem Punk. In: Berendsen et al. (Hrsg.). Trigger-Warnung: 90–101.
s.a.
Fraser, Nancy: Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8.2009: 43-57.
2017: Für eine neue Linke oder: Das Ende des progressiven Neoliberalismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2.2017: 71-76.
2013: Neoliberalismus und Feminismus: Eine gefährliche Liaison, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2.2013: 29-31.
2017: Vom Regen des progressiven Neoliberalismus in die Traufe des reaktionären Populismus. In: Geiselberger (Hg.). Die grosse Regression: eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, 2. Auflage, Originalausgabe. Berlin: 77–91.

Wir diskutieren vor allem über die Thesen Frasers und die drei Punkte, an denen sich das Zusammenspiel von Feminismus und Neoliberalismus ihrer Ansicht nach zeigt.



Zur Vertiefung historischer und theoretischer Perspektiven, setzen wir uns zudem, wenn Zeit ist, noch einmal mit einigen Thesen Linkerhands und Thürmer-Rohrs auseinander:


Linkerhand

„Es scheint mir sinnvoll zu sein, den Streit zwischen Gleichheit und Differenz als dialektischen roten Faden zu sehen, der die Geschichte des feministischen Wir durchzieht.[Fn]“ 23

„Der Queerfeminismus; der seit Anfang der 1990er die Zweite Frauenbewegung in fast allen ihren Schattierungen abgelöst hat, ist ein extremer Differenzfeminismus: Er lehnt das Subjekt Frau grundsätzlich ab und verharrt in der geschlechtlichen und sexuellen Differenz, die zu unhinterfragbaren Identitäten verfestigt wird.“ 24

„Ein Feminismus, der nur noch Identitäten verhandelt, kann nicht mehr reflektieren, dass Frausein im kapitalistischen Patriarchat ein wesentliches Strukturelement ist, das immer Zwangscharakter hat und alle Frauen in ihren Entwicklungs- und Glücksmöglichkeiten entscheidend gleichmacht. Lesben und Transfrauen stehen in einem jeweils spezifischen Widerspruch zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und der Kategorie Frau - aber auch Cisfrauen und Heteras haben eine gewaltvolle weibliche Sozialisation hinter sich, mit der sie ihre individuellen Triebkompromisse schließen mussten. Dass sich das Frausein nicht nur auf der Ebene sexistischer Fremdzuschreibungen abspielt, sondern subjektkonstituierend ist, also tief in den Bedürfnissen, Neigungen, Träumen der Individuen wurzelt“ 27

„Dass in der Aufzählung des Fem-Ref Sexismus gegen Cisfrauen gar nicht aufgezählt wird, ist kein Zufall; Cisfrauen, zumal weiße und heterosexuelle, gelten im Queerfeminismus kaum noch als Benachteiligte des Patriarchats.“ 29

„Die Frage nach der Dialektik von weiblicher Gleichheit und Differenz führt also zum Verhältnis von Utopie und Realpolitik.“ 42

Thürmer-Rohr

„Die Risse zwischen den verschiedenen Frauen würden damit zur Möglichkeit, das Konstruierte der Kategorie „Frauen“ zu erkennen, statt sie retten zu wollen. (…) Die ständige Spaltung sollte also als Grund feministischer Theorie bejaht werden. „Das Subjekt des Feminismus dekonstruieren heißt also nicht, den Gebrauch des Begriffs ,Frauen' zensieren, sondern ihn in eine Zukunft vielfältiger Bedeutungen entlassen, ihn von den matemalen oder rassischen Ontologien befreien und ihm freies Spiel geben“ (ebd., S. 50).“ 89

Die Kategorie „Frauen“ oder „Weiblichkeit“ kann aber allenfalls als provokativer Hinweis auf einen willkürlichen Geschlechterentwurf und eine diesem Entwurf entsprechende gemeinsame Unterdrückungsgeschichte gelten. Wenn sie aber zur Akzeptanz einer tatsächlichen Einheit „Frauen“ wird, die sich von einer Einheit „Männer“ wirklich und essentiell unterscheiden soll, dann wird das Konstrukt mit feministischer Hilfe immer wieder neu erzeugt, dramatisiert, belebt. Die heterosexuelle Matrix wird ununterbrochen reproduziert, das Gefängnis des Geschlechts ständig neu geschaffen. Geschlecht ist aber nicht etwas, was wir haben und sind, sondern etwas, was wir tun (Hagemann-White/Rerrich 1989).“ 90

„Im Denken der Differenz verbindet sich die neuere postmoderne Kritik an den Herrschafts- und Universalitätsansprüchen der westlichen Moderne mit der alten feministischen Kritik an den Herrschafts- und Universalitätsansprüchen des weißen männlichen Subjekts. In beiden Fällen wird die Anmaßung zurückgewiesen, mehr zu repräsentieren als sich selbst, nämlich alle, den Menschen, in beiden Fällen geht es um die Kritik an den Ausschließungen des Anderen/der Anderen, die mit jedem universalisierendem Denken verbunden sind, um die Auflösung aller Dominanzansprüche.“ 91, kiO

„Es heißt, Einheiten und Identitäten auflösen, die immer ausschließenden und keineswegs nur beschreibenden Charakter haben“ 91

„Diese Praxis ist für eine feministische Reflexion überhaupt nur dann zugänglich zu machen, wenn wir, Frauen der westlichen Welt, uns nicht nur als Beschädigte patriarchaler Gewalt und als Benachteiligte patriarchaler Dominanz begreifen, sondern als Mitglieder einer Kultur, an deren Herrschaftspraktiken auch wir mitagieren. Die grundlegende Herrschaftskritik trifft somit auch uns.“ 91 → ›Mittäterschaft‹

„Ich gehe davon aus, daß feministische Kritik Herrschaftskritik sein soll.“ 93, kiO „Damit stellt sich die Eindeutigkeit feministischer Unrechtsordnung in Frage, die Eindeutigkeit der Gegner, die Eindeutigkeit von Opfern und Tätern, von Unterdrückern und Unterdrückten.“ 94, kiO „Feminismus heißt damit Gesellschaftskritik.“ 95

„Denn wer Selbstverständliches in Frage stellt, muß fremd sein und fremd sein wollen, außenstehend im Inneren, fragebedürftig und uneingebunden, störrisch gegenüber allen Vereinnahmungen - das ist kein Denken aus der Position von Herrschaft und Herrschaftssicherheit, sondern ein Versuch der praktizierten Herrschaftsabsage, der Nichtpraktizierung von Herrschaft.“ 96

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