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Wer oder was ist kritisch?
Boltanski
Boltanski betrachtet spezifisch das Verhältnis von deskriptiver Soziologie und Sozialkritik und versucht Kompromisse zwischen dieser der Soziologie inhärenten Spannung auszuarbeiten. Während deskriptive Soziologie eher auf eine objektive Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse ausgelegt ist und der gesellschaftlichen Legitimation, sowie der Verwirklichung des soziologischen Wahrheitsanspruches dient, deckt Sozialkritik (konkret) soziale Herrschaftsverhältnisse auf und kritisiert diese.
Macht & Herrschaft:
Kritische Soziologien befassen sich daher mit Macht- und Herrschaftsverhältnissen, um gesellschaftliche Asymmetrien zu erkennen und zu problematisieren. Während Macht jedoch beobachtbar ist, da sie sich selbst konstant artikulieren und rechtfertigen muss, um sich zu legitimieren, ist Herrschaft hingegen in die beherrschten Subjekte selbst eingeschrieben, sowie in gesellschaftlichen Dispositiven versteckt und somit unsichtbar – die beobachtbaren Machtverhältnisse bestehen lediglich als oberflächlich erkennbarer Ausdruck des verdeckten Herrschaftssystems.
Kritische Herrschaftstheorien verfolgen nun das Ziel diese (den subalternen Subjekten verborgene) Herrschaft in all ihren gesellschaftlichen Dimensionen als ein übergreifendes System zu enthüllen und mithilfe eines (deskriptiv) konstruierten Subjektes, der „sozialen Ordnung“, die darin inhärenten Widersprüche zu identifizieren und problematisieren. Sie verpflichten sich nicht dem Neutralitätsgebot, da ihre soziologischen Beschreibungen bereits kritische Urteile über die thematisierte soziale Ordnung enthalten.
Akteur:innenbezug, einfache & komplexe Außenposition:
Kritische Theorien unterliegen nach Boltanski einem doppelten Zwang: Einerseits bestehen für sie die Notwendigkeit, sich in ihren normativen Annahmen von religiösen oder politischen Moralvorstellungen abzugrenzen, um sich als objektiv zu legitimieren, andererseits müssen sie auch die kritischen Alltagstheorien der Akteur:innen miteinbeziehen, die ihnen Sinn und Anschluss an die Subjekte selbst verleihen, sowie die Möglichkeit der Veränderung von deren Realität im emanzipativen Sinne schaffen (was sie von Utopien unterscheidet).
Der Zugang zur Kritik kann daher über die Alltagstheorien der gesellschaftlichen Objekte erfolgen oder innerhalb einer künstlich geschaffenen Außenposition. Sowohl die soziologische Beschreibung der Gesellschaft, als auch die Kritik einer sozialen Ordnung versuchen eine solche externe Position einzunehmen, um den gesellschaftlichen Rahmen erfassen zu können, der einer internen Betrachtung verborgen bleibt. Die deskriptive Soziologie versetzt sich dabei in eine sog. einfache Außenposition, da sie eine generelle Beobachter:innenposition einnimmt, während die kritische Soziologie auf zwei unterschiedlichen Ebenen angesiedelt ist: Die soziale Ordnung muss sowohl deskriptiv erfasst, als auch sich mit verschiedenen Mitteln ein Werturteil über diese bilden – ihre Außenposition ist somit komplex. Auch bei einer Orientierung an den Akteur:innen bleibt daher die Unterscheidung zwischen den Alltagstheorien und einer systematischen Kritisch der bestehenden sozialen Ordnung in jedem Fall essenziell. Um den Bezug auf die Alltagsakteur:innen zu wahren, kann sie sich jedoch sowohl in ihrer Beschreibung, als auch in der Bildung der Werturteile an den Akteur:innen orientieren.
Kritik & Metakritik:
-» Kritiken = punktuell, Alltagskritik, sozial verwurzelt und kontextabhängig
-» Metakritik = enthält eine Perspektive mit umfassendem Anspruch, als Bezeichnung jener theoretischen Konstruktionen, die auf Enthüllung von Unterdrückung, Ausbeutung und Herrschaft in ihren allgemeinsten Dimensionen und unterschiedlichen Realisierungsweisen abzielen
Kompromiss:
Boltanski versucht nun mögliche Kompromisse zwischen dem Erfordernis einer deskriptiven Neutralität (einfache Außenposition) und der Suche nach Ansatzpunkten für Kritik (komplexe Außenposition) auszuarbeiten:
Beispiele für Kompromisse:
1. Fokus auf philosophische Anthropologie:
Nachdem eine grundlegende Darstellung der für das (gute) Menschsein konstitutiven Eigenschaften erfolgt ist, kann die Kritik nun darin bestehen, darzustellen, inwiefern die bestehende soziale Ordnung die Verwirklichung dieser notwendigen konstitutiven Potenzialitäten nicht ermöglicht.
2. Fokus auf normative Position:
Diese Kritik fokussiert sich darauf, dazulegen, inwiefern die bestehende soziale Ordnung nicht mit den Sitten und Werten konform ist, die sie sich selbst zugrunde legt.
3. Fokus auf Alltagskritik:
Ausgehend von einer Beobachtung der moralischen Erwartungen der Alltagsakteuer:innen und deren Kritiken wird eine generelle moralische Position abstrahiert, die aufzeigt, inwiefern die bestehende Soziale Ordnung nicht den Bedürfnissen der Akteur:innen entspricht.
4. Immanente Kritik:
Während die ersten drei Kritiken auf moralische Aspekte abzielen, so deckt die funktionale Kritik mithilfe eines historischen Bezugs immanente Widersprüche der bestehenden sozialen Ordnung auf, indem sie darstellt, inwiefern diese nicht über die notwendigen Mittel verfügt, ihren inhärenten Spannungen zu begegnen.
Boltanski plädiert dafür, die der Kritik innewohnende pessimistische Beschreibung (Zerstörung der sozialen Ordnung) mit einer darauf aufbauenden optimistischen zu verbinden, um Raum für die aktive Auflehnung gegen bestehende Herrschaftsverhältnisse zu schaffen und emanzipative Ansatzpunkte für die Entstehung neuer Möglichkeiten, sowie der Aufhebung der dialektischen Widersprüche zu schaffen.
Soziologie & Sozialkritik:
Eine metakritische Theorie bedarf notwendig der deskriptiven Soziologie als Stütze: Es muss erst ein möglichst konkretes Bild von der sozialen Ordnung geschaffen werden, die daraufhin der Kritik unterzogen werden kann und auch soziologische Beschreibungen sind bereits konzeptionell auf jenen Gebrauch ausgerichtet, den die metakritischen Theorien von ihnen machen können.
Foucault
„Schliesslich existiert Kritik nur im Verhältniss zu etwas anderem als Sie selbst: Sie ist Instrument,
Mittel zu einer Zukunft oder zu einer Wahrheit, den sie weder kennen noch sein wird, sie ist ein
Blick auf den Bereich, indeem sie als Polizei autreten will, nicht aber Ihr Gesetz durchsetzen will.
–> Kritik als ein negatives Verfahren (S.238)
„Christliche Pastoral –> „Idee entwickelt, dass jedes Individum unabhängig von seinem Alter, von
seiner Stellung sein ganzen Leben hindurch und bis ins Detail seiner Aktionen hinein r
Daraufwird die Kunst möglich, sich nicht oder „nicht dermassen regiert zu werden“ (240) oder
Kritik als Funktion der Entwerfung (242)
Es bilden sich die:
–> Biblich-alternative-hermeneutische Deutung von heiligen Texten
–> Entgegegsetzung juridisch-universellen (Natur)Recht gegen juristisches Recht
–>Einklagen von guten Gründen als Problem der Gewissheit gegnüber Autoritäten (241)
(Foucaults) Kritik (diskursive produzierte): „Wahrheit auf ihren Machteffekt hin, Macht auf ihren
Wahrheitseffekt befragen“
Kritik als das Bündel: Macht, Wahrheit, Subjekt (242)
Foucault Knüpft an Kants frage der Aufklärung an, charakterisiert diese als eine Art der Frage nach
der Erentniss der Erkentniss und postuliert ähnliche Geschichtsphilosophische Auffassung wie
Horkheimer/Adorno: Die Aufklärung hat sich Verwirklicht als:
-positivistischen Wissenschaft
-Staat der sich als Vernünftig, rational ausgibt
-Einer Staatstechnik, von Foucault auch Etaismus genannt
–> Aufklärerische Kritik ist nun Kritik von der Aufklärung, an der positiv Verwirklichten
Aufklärung
Foucault charaktersiert diese Methode als eine historisch-philosophische Paktik sich „fiktional eine
eigene Geschicht [zu] machen, nach Beziehungen zwischen der Rationalitätsstrukturen des wahren
Diskurses un der daran angeknüpften Uterwerfungsmechanismen […]“zu fragen. Horkheimer: Es
könnte auch anders Sein. (S.241-251)
Foucault charakterisiert seine Kritikart als Frage nach der epistemischen Normalisierung von
Objekten, nicht nach deren legitimität oder Illigitimität.