Einleitung

Steffen Mau stellt in seinem Buch ,,Lütten Klein – Das Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft.‘‘ verstärkt die Perspektive der Männer aus dem Osten dar. Er spricht von einem ,,Männerüberschuss‘‘ (S.194), der sich nach der Wende in Ostdeutschland ergab. Die Perspektive einer ostdeutschen Frau lässt er eher außen vor. Dieses Wiki wird sich mit einer Annäherung an das Thema befassen. Dabei wird vor Allem Bezug auf den ,,Gleichstellungsvorsprung‘‘ genommen, den der Osten (angeblich) gegenüber dem Westen hatte. (Geißler S.461) Zudem wird die ostdeutsche Frau im Kontext der Erwerbstätigkeit dargestellt.

von der SED propagiertes Frauenbild

Rainer Geißler bezeichnet das von der SED propagierte Frauenbild, als kompatibles Drei-Rollen-Modell. Die Frau sollte als Mutter und Hausfrau agieren, sondern auch die Rolle einer Erwerbstätigen mit guten Qualifikationen übernehmen sowie aktiv in Politik und Gesellschaft mitwirken. (Geißler 403)

erwerbstätige Mütter in der DDR

Für erwerbstätige Mütter gab es in der DDR einige sozialpolitische Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Mutter sein sicherten. Unteranderem wurde eine Ganztagsbetreuung der Kinder eingeführt. Zudem gab es einen ,,Hausarbeitstag‘‘ nur für Frauen einmal monatlich, um ihren Pflichten als Mutter sowie Hausfrau nachzukommen. (Ab 1977 wurde dieser auch für Männer eingeführt, allerdings mit Attestpflicht.) Das führte zu einer starken -,,Doppel- oder gar Dreifachbelastung‘‘ (Nickel: 182) durch Haushalt, Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit. Zudem verfestigten die Maßnahmen die traditionellen Rollenbilder der Frau als Mutter und die diesem Bild folgende Arbeitsteilung innerhalb einer Familie. (182f.)

,,Gleichstellungsvorsprung‘‘ in der DDR gegenüber dem Westen?

Die Gleichstellungspraxis der DDR wurde vor Allem durch vier Elemente im Vergleich zum Westen gekennzeichnet: 1. Institutionen in Politik und Gesellschaft, die extra für Frauen eingerichtet wurden - ,,Abteilungen bzw. Kommissionen für Frauenfragen‘‘ in der SED (Geißler 403) - Frauenausschüsse in Gewerkschaften 2. Hilfen für Mütter - Gesetze, die erwerbstätige Mütter entlasteten 3. Steuerung und Verpflichtungen der Gesellschaft: - Frauen waren gesetzlich zu Arbeit verpflichtet - Beruf- und Studienwahl sowie höhere Bildungszugänge wurden reglementiert - Druck, politisch und gesellschaftlich aktiv zu sein - Besetzung von Leitungspositionen gelenkt 4. finanzielle Mittel - für Finanzierung von politische Kommissionen und Hilfen für Mütter (GE 404f.)

Mau beschreibt die Gleichstellungspolitik der DDR als arbeitsmarktmotiviert. Weil es einen Mangel an Arbeitskräften gab, wollte man Frauen zu Arbeitnehmerinnen machen und unterstützte sie dabei. In diesem Zusammenhang wird auch von einer ,,Emanzipation von oben‘‘ gesprochen. Allerdings kann trotzdem nicht von ,,wirklicher Gleichstellung bei Einkommen und Status‘‘ gesprochen werden. (Mau: 74) Zwar wurden Frauen durch die sozialpolitischen Maßnahmen leichter finanziell unabhängig. Aber der in der DDR geltende Spruch ,,Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘‘ galt nicht für alle. Frauen erhielten durchschnittlich 25 – 30 Prozent weniger Einkommen als die Männer. (Nickel: 183) Zudem blieben die traditionell männlich und weiblich aufgeteilte Berufsdomänen weiterhin gleich. Die meisten Frauen arbeiteten weiter in typischen ,,Frauenberufen‘‘. (Nickel: 182) Der Zugang zu Leitungspositionen stellte sich für Frauen auch erschwert dar. (182f.) Die Politik wurde vor Allem durch Männer dominiert. Keine einzige Frau wurde im Politbüro der DDR stimmberechtigt. Die paternalistische-patriarchalische Führung der DDR machte Politik ,,von Männern für Frauen‘‘. (183) Trotzdem zeigt sich auf der Positionsbesetzung gegenüber des Westens ein Vorsprung. In der DDR waren kurz vor der Wende fast ein Drittel der Volkskammerabgeordneten Frauen. Im Bundestag lag der Anteil nur bei 15 Prozent. Die Hälfte aller Richter*innen waren Frauen, während in der BRD nur knapp 20 Prozent weiblich waren. (Mau: 74) Zudem wurde in der DDR 1972 ein Gesetz veranlasst, was Frauen den Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 12 Wochen ermöglichte. Dieses Gesetz war ein wichtiger Schritt zur Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper. (Nickel: 183) Weiterhin war auch die Scheidungsrate in der DDR höher als in der BRD. Frauen waren durch ihre finanzielle Unabhängigkeit nicht an einen männlichen Partner als Alleinverdiener gebunden. Die Norm war die der Doppelverdiener-Familien. Uneheliche Partnerschaften sowie uneheliche Kinder waren im Gegensatz zur BRD gesellschaftlich stärker akzeptiert. (Mau: 72f.) Die Frage nach einem ,,Gleichstellungsvorsprung‘‘ gegenüber der alten Bundesländer lässt sich zu DDR-Zeiten also bejahen. Trotzdem wurden durch die gleichstellungspolitischen Maßnahmen, Frauen weiterhin in die traditionelle Rolle der Mutter in einer heterosexuellen Kleinfamilie gedrängt. (NI: 183)

,,Gleichstellungsvorsprung‘‘ auch nach der Wende?

Ostdeutsche Frauen streben laut Nickel stärker nach hoch qualifizierten Erwerbsberufen und finanzieller Unabhängigkeit als Westdeutsche. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen aus dem Osten ist gegenüber der im Westen höher. Zudem neigen junge ostdeutsche Frauen zum Wechseln ihres Standortes, um Ausbildung sowie Arbeit zu finden und sind dadurch sogar die mobilste Gruppe diesen Jahrhunderts. (Nickel: 187f.) Trotzdem darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass diese ,,Wanderungen [meist] wider Willen‘‘ stattfinden auf Grund der durch den Transformationsprozess hervorgerufenen schlechten Arbeitsmarktlage in der DDR. (Mau: 193) Vor Allem ostdeutsche Frauen hatten auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen. Gründe dafür waren der ,,Abbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und staatlichen Hilfen für erwerbstätige Frauen‘‘. (Geißler: 469) Dennoch ist auf die Geschlechterverhältnisse zwischen Frauen und Männern bezogen das Einkommen im Osten fast gleichhoch. Das Gender Pay Gap lag 2015 bei nur 5 Prozent, im Westen wiederum bei 23 Prozent. Zudem ist die prozentuale Verteilung von Führungspositionen an Ostdeutsche aufgeteilt nach Mann und Frau recht ähnlich. Im Vergleich zu den Westdeutschen haben allerdings viel weniger Ostdeutsche einen Platz in den Führungsetagen. (Nickel: 188f.) Die Unterstützung von erwerbstätigen Müttern verläuft im Osten auch weiterhin stärker als im Westen. Trotz Abbau besteht hier immer noch eine leicht besser ausgebaute Kinderbetreuungsinfrastruktur. Zudem ist der Rechtfertigungsdruck für Mütter, die ihre Kinder schon in jüngeren Jahren in Betreuung abgeben, viel geringer. Im Westen belaufen sich die Zahlen auf fast 70 Prozent, während im Osten nur ein Viertel der Mütter den Druck nach Rechtfertigung sieht (BMFSFJ: 12). Die Selbstverständlichkeit einer gleichgestellten Aufgabenverteilung zwischen Einkommenssicherung, Haushalt und Kinderbetreuung im Osten höher. (Nickel: 190) Nickel meint, dass das ,,Lebensmodell der Gleichstellung von Frauen und Männern […] in Ostdeutschland insgesamt anscheinend noch immer deutlich weiterverbreitet‘‘ ist (Nickel: 190). Es lässt sich also auch nach der Wende von einem Gleichstellungsvorsprung sprechen. (Vgl. Geißler: 464f.)

Bewältigungs- und Anpassungstrategien auf den Transformationsprozess

Nach der Wende reagierten ostdeutsche Frauen je nach ihrer vorherigen Lebenslage sehr unterschiedlich auf die damit einhergehenden Veränderungen. Irene Dölling bezieht sich hier auf die Dissertationsergebnisse von Frank Thielecke. Nach ihm gebe es drei Typen unterschiedlicher ,,Bewältigungs- und Anpassungstrategien‘‘, mit denen ostdeutsche Frauen auf die Transformationsprozesse in Ostdeutschland reagieren.

1. Individualität als Chance: - meist kinderlose und junge Frauen mit hohen beruflichen Qualifikationen - sehen sich als ,,Gewinnerinnen‘‘ der Einheit auf Grund guter Chancen auf Arbeitsmarkt auch gegenüber Männern - Mobilität ermöglicht besseres Einsteigen in Arbeitsmarkt

2. grundlegende Stabilitätsorientierung - Frauen jeder Generation mit Kind (alleinerziehend oder mit Partner*in), die der ,,Doppelbelastung‘‘ von Arbeit und Kindern ausgesetzt waren - angestrebte Stabilität durch berufliche (Teil-)Weiterbildung, um gesellschaftliche Position zu sichern - Annahme der traditionellen patriarchalen Geschlechterordnung

3. berufliche Orientierungslosigkeit ohne Ausweg - Frauen mit niedrigen beruflichen Qualifikationen, die schon in der DDR benachteiligt waren - Ablehnung von Weiterbildung - Annahme der traditionellen patriarchalen Geschlechterordnung - hingenommene Abhängigkeit von institutionellen Finanzierungen (S.101f.)

Dass diese Einteilung nicht alle Differenzierungsprozesse ostdeutscher Frauen umfasst und die Typisierungen nur einen groben Überblick auf die Anpassungen an die gesellschaftliche Transformation geben, soll hier noch einmal gesagt werden.

europäische feministische Sichtweise auf ostdeutsche Frauen

Irene Dölling spricht von einer ,,Ambivalenz‘‘ mit der die ostdeutsche Frau oft im europäischen feministischen Diskurs dargestellt werde (oft ohne die eigene Perspektive der ostdeutschen Frau zu beachten). Zum einen wird sie oft mit Emanzipation und Selbstbewusstsein verbunden. Das sei auf Grund von Erfahrungen mit Erwerbstätigkeit und dadurch einhergehende finanzielle Unabhängigkeit sowie durch ein Gefühl der Leistung durch die doppelte Belastung so. Zeitgleich wird ihr allerdings auch eine unreflektierte Seite zugesprochen, die ostdeutsche Frauen das einfache Hinnehmen traditioneller patriarchaler Geschlechterordnungen zwischen Männern und Frauen zuschreibt. (vgl. Dölling: 96f.; vgl. siehe oben) – Identitäten von Ost-Frauen im Transformationsprozeß: Probleme ostdeutscher Frauenforschung 1994) Die ,,unreflektierte Ost-Frau‘‘ wurde auch oft als ,,Ost-Mutti‘‘ abwertend bezeichnet. Ihr wurden neben der internalisierten patriarchalen Geschlechterordnung auch Unselbstständigkeit und Anpassungswilligkeit zugeordnet. (Fahran: 66; zit. n. vgl. Berg-Peer/Lieber 1994: 152-165) Die ,,Ost-Mutti‘‘ würde ihre Pflichten als Frau und Mutter sowie Erwerbstätige einfach akzeptieren und erfüllen. (Fahran: S.66f.)

Narration der starken Ostfrauen

Die mediale Aufmerksamkeit der Repräsentanz der Ostdeutschen bündelt sich vor Allem darauf, dass viele Frauen aus der ehemaligen DDR in hohen politischen Positionen stehen. Als Beispiele bekannter Politikerinnen lassen sich hier Angela Merkel und Sarah Wagenknecht nennen. Zudem sind mehr Ost- als West-Frauen Versorgerinnen der Familie - mit und ohne Partner*in. (Nickel: 189f.) Unter Anderem diese beiden Zustände lassen auf das im Diskurs verbreitete Bild der emanzipierten und selbstbewussten Ost-Frau schließen. Christine Farhan analysiert in ihrem Artikel ,,Die Rhetorik der starken Ostfrau‘‘ 61 Interviews an Hand der Positionierung von ostdeutschen Frauen entgegen des Bildes der ,,Ost-Mutti‘‘. (Farhan: 65f.)

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