Die Wende

Literatur

Primärliteratur:

Mau, Steffen 2020 Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, 3. Auflage, Berlin, Suhrkamp, II. Transformationen: Kapitel 1.

Sekundärliteratur:

Aus Lierke, Lydia et al. (Hg.) 2020: Erinnern stören: Nguyen, Dan Thy: Eine geteilte Community. Kalter Krieg, Mauerfall und die vietnamesische Migrationsgeschichte. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Erinnern_stoeren/15_eine_geteilte_Comunity.pdf

Kapitel 1: Zusammenbruch und Übergang

Kernthesen

Implosion

  • Materielle Knappheit, verstopfte Aufstiegskanäle sowie ein ideologisch abgewirtschaftetes System, ließen das „Stillhalteabkommen“ zerfallen und viele waren überwältigt bzw. überfordert, mit welcher Dynamik sich alles änderte. Nur wenige ahnten einen solch drastischen Systemwechsel. (vgl. Mau: 113+114)

Kippen der Verhältnisse

  • Die DDR war eine erschöpfte Gesellschaft ohne Eigenstabilität, die von außen am Leben gehalten wurde. Aus Anpassung und Gehorsamkeit entwickelte sich offener Widerspruch und Widerstand. Die Bevölkerung hatte sich emanzipiert und war getrieben von Hoffnung und Veränderung. (vgl. Mau: 118-121)

Subjektverlust

  • Eine eigenständige politische Entfaltung und die Mitgestaltung der eigenen Zukunft waren für die DDR-Bürger kaum möglich, da der Westen enormen Eingriff auf den Wandel in der DDR nahm. Diese Einmischung beruhte auf der politischen Hilfsbedürftigkeit der Ostdeutschen und dem Interesse nach Einflussnahme seitens der Parteien aus der BRD (gegenseitige Interessen). (vgl. Mau: 124+125)

Blühende Landschaften

  • Falsche Versprechen von westdeutschen Politikern und Industriellen sowie die materiellen Lebensstandards aus dem Westen weckten in den Bürgern aus dem Osten hohe Erwartungen und ein Bestreben nach Anpassung. Diese Hoffnung wurde aber bald enttäuscht. (vgl. Mau: 124)

Zermürbende Ungewissheit

  • In der Phase des Übergangs herrschte Destabilisierung und Unvorhersehbarkeit. Diese „Gleichzeitigkeit der Unsicherheit“ bedrückte die Gesellschaft und verursachte Desorientierung. Nüchtern dargestellt spricht man vom „Zusammentreffen eines grundlegenden Strukturwandels mit gesellschaftsweiten prekären biografischen Passagen“ (Mau 2019: 126) für jeden einzelnen Bürger. (vgl. Mau:125+126)

Massenkonsum statt Mangelwirtschaft

  • Wirtschaftliche Reformen werteten die Kaufkraft im Osten auf und das Konsumverhalten „verwestlichte“ sich. Davon profitierten vor allem Unternehmen aus den alten Bundesländern, welche teilweise das naive Kaufverhalten der Ostdeutschen auch ausnutzten. (vgl. Mau: 127+128)

Diskussionsfragen

Mau spricht von einem „eklatanten Fall der Einmischung“ (Mau 2019: 123) der BRD-Politik in die letzte Volkskammerwahl und auch von einer „Abwicklung der DDR wie ein Insolvenzverwalter“. (Mau 2019: 125) Hat sich die BRD die DDR einverleibt?

Wie hätte die Wiedervereinigung rückblickend bessert gestaltet werden können?

Welche Möglichkeiten gibt es heute, die Unzulänglichkeiten der Wiedervereinigung zu verbessern?

„Die heilsbringerischen Versprechen der Politik taten ihr Übriges, um eine politisch-gesellschaftliche Dynamik der Erwartungen zu erzeugen, die früher oder später enttäuscht werden mussten.“ (Mau 2019: 124) Wie und warum wurden die Hoffnungen der ostdeutschen Bevölkerung enttäuscht?

Welche Auswirkungen hatte die Wende auf die Biografien vieler Ostdeutscher?

Eine geteilte Community. Kalter Krieg, Mauerfall und die vietnamesische Migrationsgeschichte

Um ein Verständnis für die vietnamesische Community in Deutschland entwickeln zu können, ist es sinnvoll und notwendig einen Blick auf die Geschichte Vietnams zu werfen.

Ein kurzer geschichtlicher Überblick

Mit der Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Vietnams (Indochinaabkommen: 1954) wurde das Land in eine nördliche (sozialistische) und eine südliche (antikommunistische) Zone aufgeteilt. Nach dem militärischen Sieg des sowjetisch unterstützten Nordens über den amerikanisch unterstützten Süden am Ende des Vietnamkriegs (1955-1975), kam es 1976 zur vietnamesischen „Wiedervereinigung“. Der, von nun an, sozialistische Staat verfolgte und ermordete seine antikommunistischen Gegner, die zumeist südvietnamesisch waren. Um dem zu endkommend, flohen viele Vietnamesen in Booten über das Meer („Boatpeople“ als westliche Beschreibung der Geflüchteten). Die BRD war dabei Teil der internationalen Flüchtlingshilfe und brachte die oft traumatisierten Flüchtlinge in die Westrepublik. Für die Mehrzahl der Nordvietnamesen in Deutschland führte der Weg Ende der 1970er-Jahre als „Vertragsarbeiter“ in die DDR. Die Aufnahmebedingungen für die Vietnamesen in Ost und West waren sehr unterschiedlich, sogar konträr:

Vietnamesische „Boatpeople“ in Westdeutschland Vietnamesische „Vertragsarbeiter“ in Ostdeutschland
- Es herrschte eine große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung der BRD

- Da sie als „Opfer des Kommunismus“ galten, genossen sie einen besonderen Umgang

- Erhielten eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung

- Relativ gute Startvoraussetzungen
- Hatten befristete Aufenthaltsgenehmigungen

- Trafen auf schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen

- Wurden von der Allgemeinbevölkerung separiert und kaserniert; man lebte abgeschottet in Baracken, Einrichtungen oder Wohngebäuden

- Es existierte eine strikte Integrationsverweigerung seitens der DDR

- Für die Vertragsarbeiter war Diskriminierung und Rassismus allgegenwertig; auch die Entwicklungsmöglichkeiten wurden für sie eingeschränkt

Kernthesen

Die vietnamesische Community in Deutschland ist sehr zwiegespalten aufgrund der verschiedenen Erfahrungen während der Zeit des Kalten Krieges in Vietnam und Deutschland.

  • Mit dem Ende des Kalten Krieges und der innerdeutschen Teilung stellt der Mauerfall einen Bruch dar, welcher kontinuierlich gewachsene Probleme hervordringen ließ. Nach der Wende waren Ressentiments und Kriegsnarrative zwischen den beiden Communities weit verbreitet. Man machte sich gegenseitig für Kriegsvergehen verantwortlich, trat dabei aber nie wirklich in einen konstruktiven Dialog. Es sind weniger ethnische und kulturelle Unterschiede, sondern vielmehr historische und soziale Umstände, die die Spaltung beeinflussen. Des Weiteren sind die unterschiedlichen ideologischen Sozialisationen und das „Vererben“ von Traumata (Transgenerationale Traumata) von Bedeutung.
  • Beide Seiten haben Probleme mit der Aufarbeitung des Krieges und dem Erlebten. Es existiert keine klare Einheit der Vergangenheit und somit keine Einigung auf eine gemeinsame Wirklichkeit. Der Konflikt ist geprägt von verzerrter Wahrnehmung. So wird im Westen vom Vietnamkrieg gesprochen, in Vietnam vom „Amerikanischen Krieg“. Das Nichtaufarbeiten der Geschichte sowie ein fehlendes politisches Konzept bieten eine Quelle für Vorurteile und Konflikte. Hinzu gibt es in der deutschen Politik auch die fälschliche Auffassung von einer harmonischen, homogenen Geschlossenheit der in Deutschland lebenden Vietnamesen.

→ Das Ziel, so Nguyen, sollte „eine gemeinsame Aufarbeitung- und Verarbeitungskultur der Geschichte“ sein (vgl. Nguyen: 10)

Analogien und Unterschiede der gespaltenen Communities - innerdeutsche und innervietnamesische Zerrissenheit

Beim Betrachten der vietnamesischen Community in Deutschland wird einem deutlich, wie entzweit diese eigentlich zusammengehörende Gruppe ist. Dabei fällt auf, dass auch in der deutschen Gesellschaft zwischen Ost- und Westdeutschen eine Separierung existiert. Aus dem Grund scheint ein Vergleich der beiden Communities sehr interessant zu sein.

Innerdeutsche und innervietnamesische Spaltung

Analogien Unterschiede
- Historische und soziale Kontexte beeinflussen die Spaltung

- Die Transgenerationale Weitergabe und ein kulturelles Gedächtnis nähren die Trennung

- Verzerrte Wahrnehmung der Vergangenheit als Indikator für…
• Ressentiments und Stigmatisierungen, die zwischen den Gruppen existieren
• Probleme bei der gemeinsamen geschichtlichen Aufarbeitung

- Konflikt der identitären Zugehörigkeit
- Die festgestellten Analogien äußern sich sehr verschieden in den jeweiligen Konflikten und sind vielmehr Symptome der Konfliktursachen

- Beispiele der unterschiedlichen Konfliktursachen:
• Vietnamesische Community:
→ Ehemalige Kolonie
→ Kriegsnarrative und Traumata
→ Unterschiedliche Aufnahme in Deutschland
• Deutsche Community:
→ aufoktroyierender Westen
→ Gefühl der „Minderheit im eigenen Land“
→ Wiedererwachen der „ostdeutschen Identität“

Der Vergleich dient keineswegs der Gleichsetzung beider Gruppen. Eine komparative Analyse ist eine übliche Analysemethode der Sozialwissenschaft. Damit können Ähnlichkeiten zwischen scheinbar vollkommen unterschiedlichen Gruppen gefunden werden.

Fazit

Mittlerweile verliert die Ost-West-Frage in den jüngeren Generationen an Bedeutung und ein gesamtdeutsches Bild entsteht allmählich. Ebenso gibt es in der vietnamesischen Community die Tendenz und Bemühung zur Annäherung mithilfe von Projekten (usw.).

Quellen und Weiteres

Einleitung:

Songtext: Grauer Beton (2017) - Trettmann: https://www.blz.bayern.de/data/pdf/zfp_songtext_und_arbeitsmaterial_grauer_beton-1026-0819-53.pdf

Link zum YouTube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=hHT_hEuTtxg

Sitzungstext:

Ein Interview von Fabian Schweyher mit Bengü Kocatürk-Schuster, der Mitherausgeberin des Buches „Unsichtbar – Vietnamesisch-Deutsche Wirklichkeiten“ 2017: Vorwärts: Vietnamesen in Deutschland sind in zwei Lager gespalten: https://www.vorwaerts.de/artikel/vietnamesen-deutschland-zwei-lager-gespalten

Weitere Informationsquellen:

Kleinschmidt, Julia 2013: Bundeszentrale für politische Bildung: Die Aufnahme der ersten „boat people“ in die Bundesrepublik: https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/170611/die-aufnahme-der-ersten-boat-people-in-die-bundesrepublik/

MDR 2019: MDR-Website: Vietnamesische „Vertragsarbeiter“ in der DDR: https://www.mdr.de/geschichte/ddr/wirtschaft/vertragsarbeiter-vietnam-vietnamesen-gastarbeiter-100.html

SWR 2019: Planet-Wissen: Geschichte Vietnams: https://www.planet-wissen.de/kultur/asien/vietnam/pwiegeschichtevietnams100.html

Behrens; Nguyen 2020: Online-Magazin Südostasien: Viet-Deutsche Migration in historischer Perspektive: https://suedostasien.net/viet-deutsche-migration-in-historischer-perspektive/

Das Zugriffsdatum aller Internetquellen ist der 28.11.2022

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