Die Schrumpfgesellschaft

Literatur

Primärliteratur:
Mau, Steffen 2020: Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, 3. Auflage, Berlin, II. Transformation Kapitel 5

Sekundärliteratur:
Aus Barlösius, Eva 2019: Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste, Frankfurt, Kapitel 6.2., Temporalisierung des Territoriums: Kategorisierung der Raumordnung und das ihnen inhärente Verständnis von Infrastrukturen (112-132)

Kapitel 5: Demografischer Umbruch

Kernthesen

Geburtenrate

  • Die DDR verzeichnete nach der Wende einen historischen Einbruch in der Geburtenrate. Das Konzept des „Neuankommens“ im kapitalistischen System des Westens sorgte bei DDR-Bewohner*innen für Unsicherheit bzw. Instabilität der zukünftigen Lebens-/Existenzaussichten. Ein Kind in der Post-Wende-Zeit der DDR aufzuziehen galt als eine riskante Verpflichtung, welche unvereinbar mit der sozial-ökonomischen Lage zu der Zeit war. (S.186 ff.)

Retraditionalisierung

  • Eine, teilweise erwartete, Wiederanpassung der DDR-Bewohner*innen nach der Wende an die „altdeutsche“ Vorkriegs-Kultur fand nicht statt. Ostdeutsche „Traditionen“ der Abwendung von den Familien-/ Beziehungsnormen der Vorkriegs-Kultur, unter anderem aufgrund von sinkender Religiosität der ostdeutschen Gesellschaft, führten zu dem Schluss: „Kulturelle und soziale Prägungen können politische Systeme Überleben“ (S.189 f.)

Schrumpfgesellschaft

  • Wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse der Post-Wende-DDR, und der besseren Arbeitsmarktlage und Einkommenschancen im Westen wanderten ca. 400.000 DDR-Bewohner*innen jährlich in den Westen (1989 & 1990). Oftmals wanderten Bewohner*innen gegen ihren Willen aus, um Arbeitslosigkeit und Existenzkrisen zu entkommen. (S.191 f.)

Umentscheidungen

  • Viele DDR-Auswanderer*innen kehrten, entgegen der wirtschaftlichen Chancen, aus dem Westen zurück in den gewohnten Osten. Die soziale, sowie kulturelle Un-Übereinstimmung ihrer „DDR-Mentalität“ mit der kapitalistischen -westlichen- Weltansicht sorgte für ein Gefühl des „Fremdseins im „eigenen“ Land“. (S.193)

Humankapitalschwund

  • Verstärkt wanderten junge Bewohner*innen mit hoher Bildung und Qualifikation aus, wodurch der Osten demografisch, neben den Einwohner*innen, an Talent, Jugend und Intelligenz verlor. Es entstanden soziale Lücken; Mangel an an hochqualifizierten, an Innovatoren. (S.193 f.)

Männerüberschuss

  • Der Anteil an Auswanderinnen war (fast) doppelt so hoch wie der, der Auswanderer. Diese „Feminisierung der Migration“ , höchstwahrscheinlich wegen der alltagspraktischen Emanzipation der Frau in der westlichen Gesellschaft, bewirkte einen Männerüberschuss in Ostdeutschland. Wegen dieser demografischen Fehleinstellung etablierte sich die „Männlichkeit-fetischisierende“ Welt Ostdeutschlands. (S.194 ff.)

Bildquellen

Diskussionsfragen

  • „Während das demografische Verhalten einbrach, blieben die Familienorientierung und der Kinderwunsch der jungen Ostdeutschen noch bestehen. Die auf der Basis formulierte Prognose, sie würden die ausgefallenen Geburten in den folgenden Jahren nachholen, hat sich allerdings nicht bewahrheitet.“ (S.188)

→ Warum folgte dem Geburtentief in den Folgejahren kein Geburtenhoch?

  • Von 1989 bis 2013 verließen insgesamt mehr als 2 Millionen Menschen Ostdeutschland, mehr als 12% der Bevölkerung (vgl. Mau 2020: S.192)

→ Wie beeinflusste das Schrumpfen der Gesellschaft die Bewohner*innen von Ostdeutschland?

  • „Wer etwas riskierte, sich auf den Weg machte, konnte drohender Arbeitslosigkeit entgehen und sich materiell verbessern. Natürlich hatte die Migration auch ihren Preis” (S.193)

→ Wer ist Gewinner*in, wer Verlierer*in der Wende? Sind alle Auswander*innen Gewinner*innen?

  • „1992 und 1996 war die Zahl der weiblichen Abwanderer mehr als doppelt so hoch wie die der Männer.“ (S.195)

→ Welche demografischen (oder vllt. politischen) Auswirkungen brachte die Überpopulation von Männern in Ostdeutschland?

Temporalisierung des Territoriums

Spiegelt sich der demographische Umbruch in der Infrastruktur wieder?

- Anwendung der Sekundärliteratur auf Mau

Staatliche Reaktionen auf demografisch schwache Regionen

  • Sozio-ökonomisch schwache Regionen mit außerordentlicher, infrastrukturell vertretener, Regionalpolitik sind anfällig für den staatlichen Rückzug/Verringerung von Infrastrukturen vor Ort. Wenn Regionen an Siedlungsdichte verlieren, verlieren staatliche Infrastrukturen an Rentabilität.
  • Wenn viele Menschen auswandern, speziell wenn dies Jüngere tun, sinken die Zukunftschancen der Regionen. Sozialer oder wirtschaftlicher Wachstum wird insofern als besonders problematisch angesehen, sodass eine Umorientierung von Regional- und Wirtschaftspolitik vonnöten ist

→ Somit sind Bau und Unterhalt von staatlichen Infrastrukturen in betroffenen Regionen von staatlich-ökonomischer Seite als nicht mehr vertretbar gesehen

→ Natürlich kann man sich die Frage stellen, ob man den ökonomischen Vorteil über die staatliche Repräsentanz, sowie sozialen Bedürfnissen stellen sollte. Oder ob der Staat im Endeffekt die Abwanderung demografisch schwacher Gebiete selbst zu verantworten hat?

Infrastrukturverantwortung

  • Mögliche Ökonomisierung der Bereitstellung von Infrastrukturen
  • Beispielsweise Privatsierung von Autobahnen, Krankenhäusern, usw.

→ Veränderte Prioritätenstruktur der Regionalpolitik

„Stellt die Gewährleistung einer flächendeckenden gleichförmigen Ausstattung mit Infrastrukturen weiterhin eine Staatsaufgabe dar?“ (S.130)

Entterritorialisierte Infrastrukturen?

  • Unrealisierbarkeit der staatlichen Garantie von gleichwertigen Lebensverhältnissen durch Infrastrukturen → Einfluss der Umsetzung von Infrastrukturen auf sozial-räumliche Ordnung
  • Umwandlung von lokalisierten Zugängen staatlicher Infrastrukturen zu entterritorialisierten Infrastrukturen → Staatliche Infrastrukturen werden in sozio-ökonomisch schwächeren Regionen verringert, jedoch wird ein angemessener Zugang, außerorts, versichert
  • Temporalisierung (Zeitliche Erfassung von Entfernung, oder dem Erreichen von Orten (Infrastrukturen); im Gegensatz zu geografischer Erfassung) als Rechtfertigung für das Schließen von Infrastrukturen → Prioritisierung von der Zeit, die man braucht um lokale Infrastrukturen zu erreichen, anstatt der staatlichen Verantwortung lokale Infrastrukturen zu gewährleisten → Bedingt das Erschließen eines Anforderungsminimums des Zugangs zu Infrastrukturen
  • Durch die Temporalisierung könnte die soziale Teilhabe in betroffenen Regionen umgewandelt werden, von sozialer Teilhabe aufgrund von räumlicher Nähe zur sozialer Teilhabe aufgrund von temporaler Nähe → Förderung von anderen Formen der sozialen Teilhabe

Der demografische Wandel als Gelegenheit für nachhaltige Arbeit in Ostdeutschland

Das Ende des “Raubbaus”?

  • Mit dem beständigen Drohen eines Arbeitsplatzverlustes waren Arbeitnehmende der Post-Wende-DDR lange Zeit bereit, niedrige Löhne und schwere Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Somit hatten Arbeitgebende einen Vorteil und konnten für die Suche ihrer Arbeitskräfte eine sehr große Auswahlmöglichkeit genießen. Das Ausnutzen der Unternehmen der Arbeitsmarktlage zu ihren eigenen Gunsten, sprich lange Arbeitszeiten, hohe physische Belastung und schlechte Entlohnung, fand die die Definition „Raubbau“ ( an der menschlichen Arbeitskraft).
  • Mit Einberechnung des demografischen Wandels kommt es jedoch zu einer Arbeitskräfteknappheit, und somit zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage zugunsten der Arbeitnehmenden. Sie haben mehr Auswahl in ihrer Arbeitssuche, können je nach Bedarf (meist) problemlos Arbeitgeber*in wechseln und höhere Ansprüche an Arbeitsgebende und Arbeitsbedingungen stellen.
  • Mit der steigenden Wertschätzung der Ressource des Arbeitenden, könnten Arbeitnehmende positive Maßnahmen zur Respektierung der Arbeitszeitwünsche, gesundheitlichen Voraussetzungen und der Autonomie von Beschäftigten, durchsetzen. Das generelle Ziel dieser Maßnahmen soll sein, die Arbeitnehmenden besonders lange an die Unternehmen zu binden.

→ Könnte der demografische Wandel nun für eine Stärkung der Position der Arbeitnehmenden fungieren, und nachhaltige Arbeitsbedingungen schaffen?

Literatur

Literatur und Weiteres

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