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Kampf um Sichtbarkeit: Zur Ost-Berliner Gruppe Lesben in der Kirche (1982-1989)
Der Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche (LiK) war die erste eigenständige Lesbengruppe der DDR, die 1982/83 als Reaktion auf das am 25. März 1982 verabschiedete Wehrdienstgesetz gegründet wurde. Die Gruppe traf sich aufgrund des Fehlens von Versammlungs-, Vereinigungs- und Veröffentlichungsfreiheit unter dem Dach der evangelischen Kirche.
Als erste Organisation, die bereit war, in offener Konfrontation gegenüber der Staatsmacht der DDR für die Sichtbarmachung von Lesben einzutreten, markierte die LiK eine völlig neue Qualität. Mit der Sichtbarmachung von Lesben legte sie eine Grundlage für spätere Liberalisierungen, obwohl ihre Leistungen in der Geschichtsschreibung häufig nicht gewürdigt wurden.
Die Unsichtbarkeit lesbischen Lebens in der Öffentlichkeit Ost-Berlins
Obwohl die DDR in den 1980er Jahren im Vergleich zur damaligen Bundesrepublik in Bezug auf Frauenrechte und Gleichstellung einen fortgeschritteneren Stand hatte, konnten sich diese Fortschritte nicht unbedingt in den Lebensentwürfen der Menschen widerspiegeln, insbesondere in einer Gesellschaft, die oft Teilhabe und Selbstverwirklichung verhinderte (vgl. Lantzsch 2018a).
Die Situation für lesbische Frauen in Ost-Berlin in den 1980er Jahren war für Viele von Unsichtbarkeit und Isolation geprägt (vgl. Bühner 2017; Schenk und Körzendörfer 1990:82). Frauen waren aufgrund der „mehr auf das Private [gerichteten] Sozialisation“ und dem Fehlen öffentlicher Treffpunkte besonders isoliert (Schenk und Körzendörfer 1990:82). Viele blieben jahrelang im Glauben, die einzigen Frauen zu sein, die sich zu Frauen hingezogen fühlen. Die Unsichtbarkeit lesbischen Lebens in der Öffentlichkeit und das Fehlen positiver Identifikationsmöglichkeiten verstärkten dieses Gefühl (vgl. ebd:82).
Karin Gutsche erinnert sich 1990 an das erste Mal, als Sie Gefühle für eine Frau entwickelte:
„Aber in Erinnerung an diese erste Frau und im endlich beginnenden Nachdenken, was meine Gefühle gegenüber Frauen betraf, fing ich an, diese Alternative in Erwägung zu ziehen, mit einer Frau zu leben. Ich bildete mir aber ein, in dieser Stadt die einzige Lesbe zu sein – die Lesbe, das war mir damals noch nicht so klar – die einzige Frau zu sein, die so empfindet.“ (Gutsche 1990:19).
Die DDR war marxistisch-leninistisch und fasste die Gesellschaft in Klassen und Schichten, wobei der antagonistische Hauptwiderspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat lag. Andere Unterschiede, wie die Interessen von Männern und Frauen wurden als Nebenwiderspruch betrachtet, der sich von selbst aufhebt, wenn der Kommunismus aufgebaut wird. Die Einteilung der Gesellschaft nach anderen Kriterien stellte den Marxismus-Leninismus in Frage und wurde als staatskritisch betrachtet. Lesben und Schwule wurden daher nicht als eigene Gruppe betrachtet. Die herrschende These war, dass alle Werktätigen gleichberechtigt seien. So verblieben Probleme auf individueller Ebene, da Gruppeninteressen nicht berücksichtigt wurden. Dies zementierte die isolierende Vereinzelung von Lesben und Schwulen (vgl. Sillge 1991:82f.).
Die Lebensstrategien von Lesben in Berlin unterschieden sich stark. Während viele ihre sexuelle Orientierung versteckten, gingen andere sehr offen mit diesem Thema um (vgl. Schenk und Körzendörfer 1990:83). Trotz der insgesamt schwierigen Lage gab es in Ost-Berlin ein paar Treffpunkte und Kontaktmöglichkeiten für lesbische Frauen; diese umfassten Cafés, Weinstuben und eine Disco. Allerdings dominierten in den etwa zehn Lokalen, die auch für homosexuelle Personen offenstanden, vor allem schwule Männer (vgl. Kokula 1990:77).
Eingeschränkte Möglichkeiten
Die schwierigen Lebensbedingungen für lesbische Frauen wurden kaum thematisiert und angegangen, auch nicht durch den Demokratischen Frauenbund Deutschlands. Es herrschte eine große Herausforderung, andere Gleichgesinnte und Partnerinnen zu finden und es gab ganz praktische Probleme wie die Benachteiligung homosexueller Paare bei der Wohnungsvergabe oder das Verbot von gleichgeschlechtlichen Kontaktanzeigen (vgl. Bühner 2019).
Lesben und Schwule hatten kaum Möglichkeiten, sich zu organisieren und Kritik an den bestehenden Zuständen zu äußern. Es gab keine Möglichkeit, Vereine zu gründen oder öffentliche Veranstaltungen zu organisieren (vgl. Kenawi 2015:21). Lesben trafen sich daher oft in halb privaten Räumen wie Wohnungen und Kneipen. Schließlich wurde die Evangelische Kirche der DDR zu einem Ort, an dem sich Homosexuellengruppen treffen konnten, womit die ersten Lesben auf Kirchentagen und Gemeindetreffen sichtbar wurden (vgl. ebd.:21).
Marinka Körzendörfer, ein Mitglied der Gruppe Lesben in der Kirche, berichtet:
„Wir haben die Lesbenarbeit von vornherein als politische Arbeit verstanden, weil wir Kritik an den bestehenden Zuständen geäußert haben. Wenn du das in der DDR getan hast, ging das nur in der Kirche.“ (Karstädt und von Zitzewitz 1996:155)
Die evangelische Kirche als Schutzraum
Nach Samirah Kenawi (2015:21) konnte die Evangelische Kirche so paradoxerweiser einen Raum bieten, in dem Lesben „Selbstvertrauen erlernten und erste Erfahrungen in Selbstorganisation sammelten“. Die Evangelische Kirche der DDR wurde so zum Ausgangspunkt für die Entstehung von Homosexuellengruppen auch außerhalb der Kirche (vgl. ebd.:21). Allerdings war nicht jede Gemeinde für diese Arbeit offen und einige behandelten Homosexualität diskriminierend oder lehnten sie offen ab. Dies wurde von den Mitgliedern der Arbeitskreise kritisch hinterfragt (Lesben in der Kirche 1985:2). Es ist auch erwähnenswert, dass die meisten Mitglieder dieser Arbeitskreise nicht religiös waren und die Kirchenräume lediglich als einen Ort nutzten, an dem sie sich treffen und politisch engagieren konnten (Bühner 2018). Trotzdem war die Evangelische Kirche der DDR ein wichtiger Ort für die Entstehung der Homosexuellenbewegung in der DDR und half dabei, politische Veränderungen und mehr Sichtbarkeit lesbischer Frauen voranzutreiben (Bühner 2017).
Insgesamt erforderte es „[persönlichen] Mut, Kreativität und Hartnäckigkeit“ (Kenawi 2015:21), um als Lesbe in der DDR sichtbar und gehört zu werden. Die Entstehung von Homosexuellen- und Lesbengruppen sowie die Nutzung der Räume der Evangelischen Kirche der DDR trugen dazu bei, das Leben mancher lesbischer Frauen in Ost-Berlin zu verbessern und politisch zu aktivieren.
Entstehung der Gruppe Lesben in der Kirche
Die Gruppe Lesben in der Kirche in Ost-Berlin entstand 1982/83 aus der homosexuellen Subkultur der Stadt. In den Lokalen trafen sich privat einige Lesben, die durch Sympathien oder Beziehungen miteinander verbunden waren (vgl. Körzendörfer 1990:85). Der Anlass für das erste organisierte Treffen in einer Privatwohnung war das am 25. März 1982 verabschiedete Wehrdienstgesetz, das auch Frauen im Kriegsfall zum Wehrdienst verpflichtete. Das Treffen, an dem 16 Frauen teilnahmen, wurde jedoch von der Polizei aufgelöst (vgl. ebd.:85).
Einige Mitglieder gründeten später die Gruppe Frauen für den Frieden, während andere sich explizit mit lesbischen Themen auseinandersetzen wollten. Der daraus entstehende Arbeitskreis hatte das Ziel, als Lesben sichtbar zu werden, aus der Subkultur herauszukommen und Kritik zu üben (Bühner 2018).
1983 nahm der Arbeitskreis erstmals an der Friedenswerkstatt in Rummelsburg teil und konnte durch die Veranstaltung eine Teilöffentlichkeit erreichen. Er setzte sich insbesondere für die schwierige Situation von sexuellen Minderheiten im Kontext des Friedens ein. Durch die Friedenswerkstatt ergaben sich wertvolle Kontakte und der Arbeitskreis konnte einen kirchlichen Raum für regelmäßige Veranstaltungen finden (vgl. ebd.). Ab Sommer 1983 konnten die Lesben in der Kirche die Räume der Philipuskapelle in Hohenschönhausen nutzen (vgl. ebd.).
Abgrenzung
Es war zunächst angedacht, mit der Schwulengruppe einen gemeinsamen Arbeitskreis Homosexualität zu gründen. Doch nach nur zwei Treffen kam es aufgrund der männlichen Dominanz zur Trennung. Die Gruppe enstand in bewusster Abgrenzung zur Schwulenszene und mit dem Ziel, einen Raum für Lesben zu schaffen, der frei von männlicher Dominanz war. Sie setzten sich für lesbische Sichtbarkeit und Kritik innerhalb der Kirche und im Kontext des Friedens ein (vgl. Körzendörfer 1990:85).
Marinka Körzendörfer, Gründungsmitglied der LiK, erinnert sich:
„Zu Beginn war unser Kreis noch gemischt, also Lesben und Schwule gemeinsam. Doch nach dem dritten Abend zu einem Lesbenthema, bei dem die Schwulen in der Diskussion über uns Lesben voll das Wort an sich rissen, bestanden wir auf Trennung.“ (Körzendörfer 1990:85)
Arbeitsweise und Themen
Der Arbeitskreis Lesben in der Kirche organisierte offene Veranstaltungen, die in den Kirchenräumen stattfanden und von einer wechselnden Gruppe von etwa zehn Personen in Privatwohnungen vorbereitet wurden (vgl. Bühner 2018). Trotz häufiger personeller Veränderungen in der Vorbereitungsgruppe, aufgrund von Ausreisen in Richtung Westen, konnten die Treffen im 14-tägigen Rhythmus stattfinden (vgl. Körzendörfer 1990:87).
Die Themen der Treffen waren vielfältig und reichten von Sexismus in der Sprache bis hin zu Frauengesundheit, Selbstverteidigung und Suchtproblemen. Auch gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Ausflüge und Feiern gehörten zum Programm (vgl. Bühner 2018). Selbsthilfe und Selbsterfahrung waren wichtige Anliegen der gruppeninternen Arbeit, um eine lesbische Solidarität zu entwickeln und ein besseres Verständnis der eigenen Identität zu erlangen. Insgesamt organisierte der Arbeitskreis eine Vielzahl von Veranstaltungen zu Themen wie Sexismus, Patriarchatskritik, feministischer Theologie, Alkoholsucht und Lesbengeschichte.
Der Arbeitskreis verstand sich als „radikal-feministisch“ (Körzendörfer 1990:87) und setzte „basisdemokratische Strukturen“ (Körzendörfer 1990:85) ein. Das Ziel war, im Kollektiv zu denken und zu arbeiten. Die Bewerbung der Veranstaltungen war aufgrund von Einschränkungen bei der Vervielfältigung und der Verbreitung von Publikationen schwierig. Programme und ähnliches durften nur mit dem Vermerk „Nur zum innerkirchlichen Dienstgebrauch“ verbreitet werden (Bühner 2018). Die persönlichen Netzwerke spielten daher eine wichtige Rolle. Zu den offenen Veranstaltungen erschienen bis zu 60 Menschen (vgl. Bühner 2018).
Vernetzung
Die LiK war eine gut vernetzte Gruppe mit vielen Kontakten innerhalb der DDR. Die Gruppe pflegte Kontakte zu anderen Lesbengruppen, homosexuellen AKs und Frauengruppen und hatte grenzüberschreitende Kontakte in die Niederlande, die USA und besonders in die Bundesrepublik. 1985 besuchte die afroamerikanische Dichterin und Aktivistin Audre Lorde mit dem Orlanda Frauenverlag die LiK (Bühner 2017).
Gedenken in Ravensbrück: Die Sturheit der Lesben
Die LiK bemühte sich um die Anerkennung von Lesben im Kontext der nationalsozialistischen Verfolgung von Homosexuellen und fuhr mehrmals zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte (NMG) Ravensbrück (ehemaliges Frauenkonzentrationslager), um dort an die verfolgten lesbischen Opfer zu erinnern (vgl. Bühner 2017). Ein wichtiges Ziel der ersten Aktion 1984 war öffentliche Sichtbarkeit (vgl. Kenawi 2008:58).
Zeitlicher Verlauf der Aktionen
1984, 1985 und 1986 besuchte die Gruppe Ravensbrück, um der lesbischen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken (vgl. Bühner 2017, 2018; Kenawi 2008:58ff., 2015:22f.):
- 1984: Beim ersten Besuch am 10.03.1984 legten etwa 20 Mitglieder der Gruppe einen Kranz nieder und hinterließen einen Eintrag im Gästebuch, der jedoch später entfernt wurde. Auch ein zweiter Eintrag wurde entfernt. Die LiK reagierte darauf mit Eingaben, Beschwerden und Gesuchen um Gespräche mit offiziellen Stellen. Einem Antwortbrief des Ministeriums für Kultur vom 14.06.1984 (zit. n. Kenawi 2008:60) ist zu entnehmen, dass der Staat „nicht primär das Verhalten der NMG Ravensbrück“ untersuchen wolle, „sondern das öffentliche Auftreten einer sexuell motivierten Vereinigung von Bürgern“. Im August 1984 konnte doch noch das erwünschte Gespräch mit dem Ministerium für Kultur stattfinden, bei dem jedoch keine konkreten Ergebnisse erzielt wurden.
- 1985: Als die Gruppe am 20.04.1985 an der Feier zum 40. Jahrestag der Befreiung des KZ teilnehmen wollte, wurde sie von der Volkspolizei und der Stasi gewaltsam daran gehindert. Die 11 Frauen wurden in Polizeigewahrsam genommen und einzeln verhört, wobei es zu verbaler und physischer Gewalt kam (vgl. Bühner 2018).
Hier spielte nach Kenawi (2008:64) die Vermeidung von öffentlichem Aufsehen der Staatsorgane eine große Rolle: „Frauen in stillem Gedenken einen Kranz niederlegen zu lassen, war kein Problem, wenn man den Kranz anschließend genauso still entsorgen konnte. Auch in aller Stille vorgenommene Einträge ins Gästebuch ließen sich still wieder entfernen.“ (ebd.:64).
Die Gruppe schrieb erneut zahlreiche Eingaben an politische Stellen und Briefe an bekannte Personen, um sich für eine Anerkennung und das Gedenken der lesbischen Opfer einzusetzen. Ende Mai fand ein Gespräch mit den Beauftragten des Ministeriums des Inneren statt, in der die Frauen jedoch keine Antwort erhielten auf ihre Frage „was eine angemessene Form [wäre], nach Ravensbrück zu fahren?“ (zit. n. Kenawi 2008:65). Dies führte schließlich zu einer inoffiziellen Entschuldigung durch das Ministerium.
- 1986: Am 20. April 1986 besuchte die Gruppe erneut Ravensbrück nach einer Vermittlung durch Aktion Sühnezeichen. Der Direktor der Gedenkstätte führte sie herum und zeigte, dass nun der Rosa Winkel unter den Häftlingszeichen aufgeführt wurde, was bei ihrem ersten Besuch nicht der Fall war. Es wurde erst später bekannt, dass dieser nur von wegen Homosexualität inhaftierter Männer und nicht von Frauen getragen wurde. Jedoch wurden der Eintrag in das Gästebuch und der mitgebrachte Kranz erneut entfernt und der Besuch wurde von der Stasi überwacht.
Das Ergebnis des Gedenkens der Lesben in der Kirche in Ravensbrück war „eher ein Waffenstillstand“ als ein Sieg (Kenawi 2008:66). Obwohl es in der Gesellschaft weiterhin starke Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Homosexuellen gab, hat die Bewegung zu einer erweiterten gesellschaftlichen Diskussion über das Thema Homosexualität geführt. Seit 1985 gab es staatliche Bemühungen, sich für die Interessen von Homosexuellen einzusetzen, jedoch wurden oft die spezifischen Interessen von Lesben übersehen. Es wird oft vergessen, dass Lesben in der Bewegung für ihre Rechte genauso aktiv waren wie Schwule, wenn nicht sogar, wie hier, mit besonders viel „Mut und […] Sturheit“ (ebd.:66).
Staatliche Bemühungen ab 1985 unter fehlender Anerkennung der lesbischen Bewegung
Ab 1985 begann die DDR langsam, ihre Einstellung zu Homosexuellen zu ändern (vgl. Kenawi 2015:24f.). Es fanden staatliche Bemühungen statt, die nach Hillhouse (1990:585) aufgrund des öffentlichen Drucks durch den Wertewandel in der DDR umgesetzt wurden. Einige Forscher*innen betonen, dass die Bemühungen kritisch betrachtet werden müssen, da sie unter den Vorzeichen von „Assimilierung und Paternalismus“ standen (Bühner 2019). Die staatlichen Bemühungen, die Probleme der homosexuellen Bürger anzugehen und zu lösen, wurden umgesetzt, um sexuelle Minderheiten daran zu hindern, selbst aktiv und kritisch zu werden (vgl. Bühner 2017).
Der langsame Wertewandel in der DDR zeigte sich in einigen neutralen bis positiven Veröffentlichungen zum Thema Homosexualität ab ca. 1984. Hierbei ist jedoch zu bemerken, dass trotz der Offenheit der Presse gegenüber männlicher Homosexualität über weibliche Homosexualität nur am Rande berichtet wurde (vgl. Hillhouse 1990:587).
Im April 1984 schrieb beispielsweise die auflagenstarke DDR-Frauenzeitschrift „Für Dich“:
„Jede abfällige Meinung über homosexuelle Männer und Frauen ist unangebracht und entspricht nicht unserer marxistisch-leninistischen Einstellung zur menschlichen Persönlichkeit.“ (zit. n. Kokula 1990:74–75)
Honecker äußerte 1988: „Der Sozialismus braucht alle und hat Platz für alle“ (zit. n. Sillge 1991:82).
Obwohl dies nicht in vollem Umfang im SED-Staat gegeben war, konnte in der folgenden Zeit dieses Zitat genutzt werden, um sich gegen die Ausgrenzung von Lesben und Schwulen zu wehren.
Die Diskussionen um die Diskriminierung Homosexueller wurden schließlich vom Staat toleriert und es wurden ab 1986 staatliche Arbeitsgruppen gebildet, um das Thema zu bearbeiten (vgl. Kenawi 2015:24f.). Nach und nach wurden Artikel, Bücher und Hörspiele veröffentlicht, Diskussionsforen geschaffen, ausländische Filme gezeigt und später sogar eigene produziert. Anfangs war die Diskussion auf die Sichtweise der Schwulen begrenzt, obwohl die Lesben am mutigsten und hartnäckigsten für eine offene und tolerante Haltung gegenüber Homosexuellen kämpften (vgl. ebd.).
Arbeitsgruppe Homosexualität
Im Herbst 1984 wurde eine Arbeitsgruppe Homosexualität an der Humboldt-Universität zu Berlin gegründet, nur wenige Monate nachdem das erste Gespräch zwischen der Gruppe Lesben in der Kirche und dem Kulturministerium stattgefunden hatte (Kenawi 2008:62). Obwohl die Umstände nicht eindeutig feststellbar sind, liegt nach Kenawi der Schluss nahe, dass „ihre Gründung wesentlich der Hartnäckigkeit der Berliner Lesbengruppe zu verdanken ist“ (ebd.:62). Diese wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität beschränkte sich jedoch größtenteils auf Schwule.
Kenawi (2008:63) kommentiert dies sarkastisch: „Also beschäftigten sie sich ‚streng wissenschaftlich‘ mit dem Thema und dieser ‚streng wissenschaftliche‘ Blick nahm den Menschen an sich, also den Mann war.“
In dieser Aussage sieht man auch die persönliche Enttäuschung und Wut, die die Gruppe Lesben in der Kirche nach ihrem Engagement und der fehlenden Anerkennung gespürt haben könnte.
Aktivitäten der Lesben in der Kirche
Die LiK beteiligte sich weiterhin aktiv an wissenschaftlichen Tagungen, welche sich mit den psychosozialen Aspekten von Homosexualität auseinandersetzten und Verbesserungsvorschläge erarbeiteten (vgl. Bühner 2017). Im Jahr 1989 nutzten Mitglieder der Gruppe die Gelegenheit, an der Sendung „Mensch du – Ich bin lesbisch“ des Jugendradios DT64 mitzuarbeiten, um ihre Ansichten einer breiteren Hörer*innenschaft zu vermitteln (vgl. ebd.). Die zunehmende Thematisierung von Homosexualität in den Medien und die Möglichkeit, an der Radiosendung teilzunehmen, waren wichtige Schritte in Richtung einer toleranteren Gesellschaft.
Rechtliche Änderungen
In den späten 1980er Jahren kam es zu bedeutenden rechtlichen Veränderungen, wie der Aufhebung des Verbots von gleichgeschlechtlichen Kontaktanzeigen und der Streichung des Paragraphen DDR-StGB 151, der „sexuelle Handlungen“ zwischen einer minder- und einer volljährigen Person gleichen Geschlechts unter Strafe gestellt hatte (Gammerl 2010). Auch in den Ehe- und Sexualberatungsstellen wurde Homosexualität nun thematisiert und es wurden offizielle Treffpunkte für homosexuelle Menschen geschaffen (vgl. Bühner 2017).
Es ist unklar, inwiefern die Bemühungen des Staates aus den Aktivitäten verschiedener homosexueller Aktivist*innen-Gruppen resultierten. Die Forderungen der Aktivist*innen gingen zweifellos über das hinaus, was Teile der politischen Elite Ende der 1980er Jahre bereit waren, in Bezug auf die Akzeptanz homosexueller Lebensstile zu gewähren (vgl. Gammerl 2010). Weiterhin zeigt sich klar, dass die Rolle der lesbischen Bewegung in der Geschichtsschreibung kaum wahrgenommen wird (vgl. Kenawi 2008:57).
Der Kampf um Sichtbarkeit
Die Gruppe Lesben in der Kirche spielte eine wichtige Rolle im Kampf um Sichtbarkeit und Emanzipation. Lesben fühlten sich frustriert und wütend darüber, dass ihre „Wünsche, Sehnsüchte und Lebensentwürfe“ von männlich dominierten Machtstrukturen „ignoriert oder belächelt wurden“ (Kenawi 2015:21f.). Dies führte zu einem starken Selbstbehauptungswillen. Der Umstand, dass sie als Frauen und Lesben nicht ernstgenommen oder verstanden wurden, erschwerte den Kampf, ermöglichte aber auch ungewöhnliche Erfolge. Lesben wurden so zu radikalen und kompromisslosen Kämpferinnen für die Rechte der Homosexuellen (vgl. ebd.: 21f.). Leider wurden ihre Erfolge oft unsichtbar gemacht und blieben im Kampf und in der Erinnerung an diesen Kampf oft unerwähnt. Trotzdem haben Lesben einen wichtigen Beitrag geleistet und den Weg für weitere Fortschritte geebnet (vgl. ebd.:22).
„Sichtbarkeit kann nie nur die eigene sein" (Lantzsch 2015a)
„Lesbische Sichtbarkeit in einer weißen Gesellschaft kann ohne die Thematisierung von Rassismus nicht wirklich erreicht werden, denn: Sichtbarkeit kann nie nur die eigene sein.“ (Peggy Piesche in Lantzsch 2015a)
Auch innerhalb des Kontextes der lesbischen Bewegung in Ostdeutschland ist die Frage nach Sichtbarkeit zu erörtern. Lesbische Frauen als Gruppe zu betrachten, kann zu Ausgrenzungen führen und falsche Gleichheit suggerieren, da Identitäten vielfältig, multidimensional und fragmentiert sind. In der Gruppe Lesben in der Kirche identifizierten sich nicht alle Gruppenmitglieder (ausschließlich) lesbisch und weiblich. Es nahmen bisexuelle Personen, ein trans Mann und eine Woman of Colour an der Gruppe teil (vgl. Bühner 2017). Und auch wenn hier die Geschichte einer bestimmten lesbischen Vereinigung erzählt wird, ist zu betonen, dass es keine einheitliche lesbische Identität oder Geschichte gibt, insbesondere im Hinblick auf Rassismus und Antisemitismus (vgl. Lantzsch 2015b:10ff.). Der vorliegende Text kann als eine mögliche Lesart lesbischer Lebensrealtitäten in den 1980er Jahren in der DDR verstanden werden, die neben anderen steht. Es gibt weiterhin viele Themen über die geschwiegen wird und denen in der weiteren Forschung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte (vgl. Bühner 2019).
Peggy Piesche schreibt beispielsweise über ihre Erfahrungen in Sommercamps der Evangelischen Kirche:
„Diese Räume waren natürlich alle durchweg sehr weiß, was wiederum für mich schnell zu Grenzerfahrungen führte. Als Schwarze Frau und Lesbe habe ich vor allem einen Bezug auf die differenzierten Lebensrealitäten, die es in der DDR gab, vermisst. In diesen Räumen wurde der gesellschaftliche Mythos, nach dem es Rassismus in der DDR nicht geben konnte, nicht hinterfragt.“ (Peggy Piesche in Lantzsch 2015a)
Literaturverzeichnis
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