Mögliche Punkte für die Diskussionsfragen

1. Welche Folgen könnten diese zwei Aspekte der “arbeiterliche[n] Gesellschaft” (Engler 2010, zit. n. Mau 2019: 48) der DDR für ostdeutsche Bürger:innen nach der Wende gehabt haben?

  • (Mau 2019: 47 ff.) Die staatliche Förderung von körperlicher Arbeit und die Verachtung von ,Kopf- und Geistesmenschen’ (Mau 2019: 49)/ Abbau von Hochschulen. (53 ff.)

→ Westliche/ globalisierte Gesellschaft - Berufe besonders im tertiären Sektor konzentriert (Redepenning, 2022: 40). Deshalb wäre es schwieriger, als Industriearbeiter seinen Platz im Arbeitsmarkt der BRD zu finden.

→ In der BRD (deren Wirtschaftssystem das sozialistische System nach der Wende ablöste) gab es einen großen Unterschied zwischen den Einkommen von Absolvent*innen und ,Industriearbeiter’*innen. (70% kurz vor der Wende - vgl. Stephan und Wiedemann 1990, zit. n. Mau, 2019: 48). Wenn man in dem vereinigten Deutschland als ehemalige DDR-Bürger*in kein Studium gemacht hatte, wurde man stark benachteiligt. → Arbeitslosigkeit im Osten.

  • Status der Arbeiterklasse als „der entscheidende Träger politischer Macht“ (Mau 2019: 49) + die Beziehung zwischen Chef und Arbeiter in der DDR. (Mau 2019: 51 f.)

→ Im Westen - Chef*in ist einflussreicher als die Arbeiter*innen. Wenn man daran gewöhnt ist, mit dem Führungspersonal gleichgestellt zu sein und es stark kritisieren zu können, wird es zu Spannungen führen, wenn man plötzlich in eine westliche professionelle Hierarchie gestellt wird. → Arbeitslosigkeit.

→ Wäre auch frustrierend für die Bewohner der ehemaligen DDR - könnten ihre Kritik nicht äußern, ihre Macht als Arbeiter wurde plötzlich weggenommen, und sie wurden zu den Unsichtbaren der Gesellschaft, statt die Machthabern der Gesellschaften zu sein. → Abwertung → drücken sie ihre Unzufriedenheit dann durch andere Weise aus (Rechtsextremismus und Radikalisierung (→ Foroutan und Koubiak 2018: 3 f.))?

2. „Dieser stark aufgeladene Begriff [Arbeiterklasse] wirkte wie ein semantischer Regenschirm, unter dem alle Platz finden konnten – ganz so wie heute der Begriff der Mittelschicht“ (Mau 2019: 50) Was denken Sie von diesem Vergleich zwischen die in DDR weitverbreitete Identifikation mit der Arbeiterklasse und die heutige Selbstbezeichnung als Mitglied der „Mittelschicht“?

→ Vielleicht nicht völlig vergleichbar. Die Arbeiterklasse hatte in der DDR eine sehr positive, ideologische Bewertung, aber das moderne Deutschland würde sich wahrscheinlich nicht stolz als Staat des Mittelschichts beschreiben. Mittelschift keine solche starke Identität… kann auch oft als Beschimpfung gelten, wenn zum Beispiel jemand ein relativ sorgloses Leben führt und vielleicht nicht an der Not/ Elend der Arbeiterklasse teilnimmt…

→ Jedoch hat die Mittelschicht auch keine feste Definition - in diesem Sinn gilt der Vergleich. Z.B. Im Vergleich mit dem, was die Leute in den sogenannten Entwicklungsländern verdienen, gehören fast alle in Deutschland zur Mittelschicht… Deshalb gilt der Vergleich in diesem Sinn.

3. Laut Mau (2019: 42) wurden in Lütten Klein „soziale und auch kulturelle Unterschiede weitgehend abgemildert“, d. h. die Merkmale seiner Herkunft wurden zugunsten von Konformität und Einheit geopfert (Mau 2019: 40). Welche Vor- und Nachteile hat diese Politik von kultureller (und sozialer) Assimilation? → Vorteile: Gemeinschaftsgefühl und Solidarität zwischen Menschen aus unterschiedlichen Regionen und besonders aus unterschiedlichen sozialen Schichten (z.B. Ingenieur wohnt neben Seeman). Alle haben geteilte Werten, die die Gemeinschaft zusammenhalten.

→ Nachteile: Nach der Wende gehörten die ehemaligen DDR-Bürger zu einer ethnisch gemischten Gesellschaft… Die BRD war schon ein Einwanderungsland (vgl. Mau: 18) Aber wenn sie daran gewohnt sind, dass alle den Kultur des Wohnorts hinter sich lassen, könnte es zu Schwierigkeiten/ Spannung kommen, wenn z.B. nach der Wende Einwanderer aus Ländern mit ganz unterschiedlichen Herkünften und Kulturen einziehen und erwartet werden, diese Kennzeichnen ihrer Herkunft zu vergessen. Könnte zum Problem der Fremdenfeindlichkeit im Osten beitragen? → Es könnte auch natürlich zu Spannungen zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen kommen, weil im Westen mehr Wert auf Individualität gelegt wurde.

4. (Mau: 40 f.) Warum denken Sie, dass die Mehrheit der Bewohner*innen Lütten Kleins kein Problem mit dieser Assimilation hatten?

→ Vergesellschaftung in der sozialistischen Gesellschaft… bedeutet vielleicht, dass sie schon diese Werte von ,Familienleben, Arbeit, Disziplin, Strebsamkeit und sozialistischer Tatkraft’ (Mau: 40) vorher gelernt hatten. Also vielleicht ist es keine große Überraschung, dass sie sich einfach an der mit dem Wohnen in Lütten Klein verbündeten Erwartungen gewöhnen konnten.

→ Mau (2019: 41) vermutet auch, dass das, was die Bewohner der Neustadt von den Bewohnern der Altstadt unterschied, die Bereitschaft war, in einem solchen Plattenbau zu wohnen. ,Dazu trug sicher auch die soziale Selektivität derer bei, die sich vorstellen konnten, in einem auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampften Neubauviertel zu leben’ (Mau: 41). Man musste also vielleicht eine besondere, geteilte Mentalität haben, um in diesen sozialistischen “Idealstädte[n]” (Mau 2019: 26) wohnen zu wollen. Deshalb war es vielleicht einfacher, sich mit den gemeinsamen Werten der Gemeinschaft zu identifizieren - man wohnte schon mit Gleichgesinnten.

→ Mau behauptete in der Einführung, dass die DDR meistens „ethnisch homogene Gesellschaft [war], die kaum Erfahrung mit Zuwanderung gemacht hatte“ (Mau: 15). Deshalb gab es keine große Mischung von Herkünften - wenige Einwanderer aus dem Ausland… Relativ einfach, kulturelle Unterschiede des Herkunfts abzuflachen, weil die Mehrheit die gleiche nationale Herkunft hatten?

5. „In der DDR konnte man seinen Vorgesetzten beleidigen, ohne daβ man Ärger bekam, aber die Partei und Staatsführung eben nicht. Im Westen war es genau anders herum“ (Mau: 52). Inwiefern gilt dieser Vergleich Ihrer Meinung nach? Kann die Beschränkungen der Kritik von politischen Machthabern in der DDR mit den Beschränkungen der Kritik von professionellen Machthabern in der BRD gleichgestellt werden?

→ Vielleicht nicht? In der DDR, könnte die Beschimpfung der politischen Elite zu Verhaftung führen. In der BRD, könnte die Beschimpfung der professionellen Elite könnte zu Arbeitslosigkeit führen, aber man wäre nicht dafür verhaftet…

→ Jedoch, wenn man z.B. wegen Frechheit oder Skepsis im Umgang mit dem Führungspersonal an seiner Arbeitsstelle entlassen wird, wird es schwieriger, später Fortschritte in der Karriere zu machen. Ähnlich (vielleicht) zur Lage in der DDR - wenn man einen Politiker beschimpft, könnte es auch spätere Fortschritte in der Karriere behindern. Aber die Folgen konnten noch schlimmer in der DDR sein - z.B. nicht Schwierigkeiten beim Aufstieg, sondern Berufsverbot.

→ In der BRD - könnte vielleicht Kritik in der Privatsphäre äußern (z.B. zu Hause). In der DDR, könnte man nicht sicher sein, dass man auch nicht in der Privatsphäre beobachtet wurde.

Literatur:

Foroutan, N., Koubiak D. (2018), „Ausschluss und Abwertung: Was Muslime und Ostdeutsche verbindet“, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik 7, 3-4.

Gutsche, V., Holzinger, R., Pfaller, L., Sarikaya, M. (Hg.) 2022, Distinction, Ausgrenzung und Mobilität. Erlangen-Nürnberg. Redepenning, M. (2022) Räumliche Ungleichheit und die Frage nach dem Stellenwert des Räumlichen. Erlangen-Nürnberg.

Mau, S. 2019: Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, 2. Auflage. Berlin.

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