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Widerstand und Bürgerbewegungen in der DDR im zeitlichen Überblick
In diesem Betrag geht es um den Widerstand in der DDR. Des Weiteren wird auf die Bürgerbewegungen am Ende der 1980er-Jahre eingegangen. Diese bildeten einen wesentlichen Teil der friedlichen Revolution und lenkten die Geschehnisse entscheidend mit.
Ein zeitlicher Überblick des Widerstandes
1940er und 1950er
In dieser Zeit bestimmten der Auf- und Ausbau der kommunistischen Diktatur den Widerstand. Viele Menschen versuchten sich gegen die SED-Herrschaft und gegen die deutsche Spaltung zu wehren. Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 bildete dabei den Höhepunkt des antikommunistischen Widerstandes. Dort forderten knapp eine Millionen Protestierende den Abzug der sowjetischen Besatzer, eine Absetzung der Regierung, freie Wahlen sowie eine deutsche Wiedervereinigung (vgl. Lindner, 2014). Die Demonstrationen wurden jedoch auf Hilferuf des SED-Regimes von der sowjetischen Armee gewaltsam und brutal niedergeschlagen, 50 Menschen verloren ihr Leben. Nachdem es dann in der DDR zu enormen Abwanderungszahlen gen Westen kam, beschloss man den Bau der Berliner Mauer 1961. Bis zu diesem Zeitpunkt waren es nämlich 2,7 Millionen Menschen, also 15% der Gesamtbevölkerung, die aus dem Land flohen (vgl. Bildungsserver Berlin-Brandenburg, Datum unbekannt: 2).
1960er und 1970er
Trotz der Unzufriedenheit mit dem Mauerbau, gab nur noch äußert wenige, die sich der Regierung widersetzten und Kritik übten. Zu ihnen gehörten vor allem Oppositionelle, Intellektuelle und Kirchenvertreter, die der SED-Führung Paroli boten. Dieser Rückgang der Proteste war unter anderem mit den Geschehnissen von 1953 zu begründen. Sie hinterließen eine abschreckende Wirkung auf die Bevölkerung und waren noch immer stark präsent. Zudem erschwerten die unterschiedlichen Handlungsmotive und Ziele der Widerständigen das Konstituieren einer breiten, einheitlichen Gegenbewegung (vgl. Lindner, 2014). Reformvorschläge und Kritiken von außen lies das Regime nicht zu. Sie wurden umgehend zensiert sowie verboten (vgl. Bildungsserver Berlin-Brandenburg, Datum unbekannt: 2). Somit gelangten diese Gegenstimmen auch meist nicht an die Bevölkerung und liefen ins Leere. Unterdrückt und verfolgt vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und der Volkspolizei, suchten viele Oppositionelle die Zuflucht bei der evangelischen Kirche, die sich wie ein Sammelbecken des Widerstandes entfaltete. Erst Mitte der 1970er-Jahre wurden die Massen der Auflehnung wieder größer, was auf außen- und innenpolitische Ereignisse zurückzuführen war. Dabei entstanden bei Kritikern zwei wesentliche Formen der Kritikausübung. Entweder blieb man in der DDR und versuchte, sie von innen heraus zu ändern („Hierbleiber“) oder man sah keinen anderen Ausweg als eine Ausreise aus der Deutschen Demokratischen Republik („Ausreiser“). Beide Reaktionen waren als ein Zeichen des Protestes zu verstehen (vgl. Bildungsserver Berlin-Brandenburg, Datum unbekannt: 3).
1980er
Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre gründeten sich zunehmend Friedensinitiativen. Sie wendeten sich gegen eine Militarisierung und das globale Wettrüsten der Großmächte (vgl. Lindner, 2014). Einen größeren Zulauf erhielten diese Friedensbewegungen jedoch erst später, Ende der 1980er-Jahre. Verbunden in der Haltung, dass die SED-Diktatur enden müsse, verfolgten die vielen Gruppierungen unterschiedliche Ansätze. Die meisten wollten den DDR-Staat erhalten und für Demokratisierungsprozesse kämpfen, andere hingegen waren in ihren Plänen deutlich radikaler. Aus Sicht des MfS stellten die Initiativen eine Bedrohung für den Staat dar. Man beobachtete sowie bespitzelte die Gruppen und versuchte, sie zu zerschlagen (vgl. Bildungsserver Berlin-Brandenburg, Datum unbekannt: 4). Im Laufe der 1980er-Jahre zogen überregionale politische Organisationen wie die „Demokratie Jetzt“ (DJ) oder das „Neue Forum“ (NF) tausende Anhänger an (vgl. Bildungsserver Berlin-Brandenburg, Datum unbekannt: 4). Auslöser für ein politisches Engagement waren hierzulande oft aktuelle Vorkommnisse wie die Reformversuche Gorbatschows, die Wahlfälschung 1989 in der DDR sowie die Demokratisierungsversuche in China. Diese Umsturzbewegungen konnten als Impulse von außen verstanden werden, die die Widerstandsdynamiken in der DDR verstärkten.
1989/90 – Friedliche Revolution
Viele verschiedene Faktoren, darunter die steigenden Ausreisezahlen und der beharrende Kurs der SED-Führung, sorgten für eine zunehmende Anspannung der innenpolitischen Situation in der DDR. In Leipzig gingen am 4. September 1989 erstmals einige hundert Menschen auf die Straße (vgl. Lindner, 2014). Sie demonstrierten gegen die SED und forderten demokratische Veränderungen. Diese an einem Montag gestarteten Protestaktionen waren der Beginn der Montagsdemonstrationen und der friedlichen Revolution. Unzählige Menschen schlossen sich der Bewegung an und schnell umfasste sie viel Tausende (vgl. Bildungsserver Berlin-Brandenburg, Datum unbekannt: 4). Seine größten Ausmaße erreichte der Widerstand am 9. Oktober desselben Jahres. An diesem Tag waren es über 70.000 Menschen, die in Leipzig demonstrierten. Das SED-Regime musste einsehen, dass man gegen die Massen nicht mehr mit Gewalt ankommen konnte. Die Berliner Mauer fiel danach am 9. November 1989. Die Bürgerbewegungen und Kirchenvertreter forderten in der Folge Gespräche mit der Regierung. In den Bezirken der DDR entstanden Runde Tische, an denen sich Opposition, Kirche und SED-Führung über die Zukunft des Staates austauschten (vgl. Bildungsserver Berlin-Brandenburg, Datum unbekannt: 5). Erstmals konnten in der DDR im März 1990 demokratische Volkskammerwahlen durchgeführt werden. Sie ebneten den Weg für die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Mit den Volkskammerwahlen und der deutschen Einheit endete schließlich auch größtenteils der Widerstand. Das Hauptanliegen einer Demokratisierung des Staates war erreicht.
Zusammenfassung
Die Implosion der DDR bahnte sich schon über einen längeren Zeitraum hinweg an. Wirtschaftliche Probleme, wie verstopfte berufliche Aufstiegskanäle oder materielle Knappheiten, Abwanderungen gen Westen und ein ideologisch abgewirtschaftetes System, ließen den Staat zerfallen (vgl. Mau, 2019: 114 ff.). Zunehmende Repressionen aufgrund der Zerschlagung des Volksaufstandes 1953 ließen die Anpassung und Gehorsamkeit in der Bevölkerung wachsen. Dies änderte sich gegen Ende der 1980er-Jahre und wandelte sich zu offenem Widerspruch und Widerstand. Der Volksaufstand und die friedliche Revolution 1989 sind Schlüsseldaten, welche für den DDR-Widerstand von großer Bedeutung sind. Sie umrahmen den verschleierten Beginn und das erschöpfte Ende der SED-Diktatur.
Bürgerbewegungen Ende der 1980er-Jahre
Prägend für die Phase am Ende der 1980er-Jahre, als sich viele Menschen formierten, waren vor allem die Bürgerbewegungen sowie die politischen Organisationen. Sie waren das Fundament des Protestes und forderten vehement Reformen.
Im Folgenden werden zwei zentrale Bewegungen beschrieben, die maßgeblich an den Demonstrationen und Wendeereignissen beteiligt waren.
Das „Neue Forum“
Getrieben von einem Drang nach Veränderung, gründete eine kleine Gruppe von Aktivisten am 9. September 1989 die Bürgerbewegung das „Neue Forum“. Unter den Erstunterzeichnern waren Wissenschaftlerinnen und Kunstschaffende wie Jens Reich oder Bärbel Bohley (vgl. Wellach, 2014: 79). Noch im selben Monat beantragte die Bewegung eine Genehmigung als politische Organisation. Der Antrag wurde allerdings vorerst vom Innenministerium abgelehnt, da das „Neue Forum“ als staatsgefährdend eingestuft wurde. Dem wachsenden Zulauf der Initiative konnte das in sich zerfallende SED-Regime nicht standhalten und schließlich wurde das „Neue Forum“ am 8. November 1989 zugelassen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2019). In kürzester Zeit folgten Tausende Menschen in der ganzen DDR dem Gründungsaufruf „Aufbruch 89“ und es entstanden eigene Organisationsstrukturen auf kommunaler sowie regionaler Ebene. Man gelangte in den Mittelpunkt des breiten Protestes der Bevölkerung. Somit hatte das „Neue Forum“ Ende 1989 fast 10.000 Mitglieder und 200.000 Unterstützer (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2019). Die Initiative wusste dabei die im Land herrschende Hoffnungslosigkeit und den Wunsch nach Wandel zu nutzten. Sie versuchten mit ihrem Engagement, einen Diskurs über Reformen in der Politik zu schaffen und drangen auf eine Demokratisierung des Staates. Zudem forderten sie demokratische Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit ein, ließen jedoch ihre restlichen programmatischen Ziele ziemlich unkonkret und offen (vgl. Wellach, 2014: 80). Die Bürgerbewegung betrachtete sich als eine Sammelbewegung und politische Plattform für alle Bürger der DDR (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2019). Jeder sollte an den gesellschaftlichen Veränderungen mitwirken können. Ihre Strategien und ihr Verhalten waren vor allem in ihren Anfangszeiten legalistisch, diplomatisch und auf Kommunikation ausgerichtet. Dies war im Vergleich zu anderen Oppositionellen nicht selbstverständlich. Im Frühjahr 1990 erhielten die Vertreter der Bewegung mehrere Plätze am Zentralen Runden Tisch und konnten so den Umbruch teilweise mitbestimmen. Es schlossen sich in der Folge Teile der Oppositionsbewegungen „Demokratie Jetzt“, „Unabhängiger Frauenverband“, „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ und „Neues Forum“ zum „Bündnis 90“ zusammen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2019). Dieser Prozess von der Bürgerbewegung hin zur Partei kostete das „Neue Forum“ Mitglieder und es kam zu Abspaltungen.
Die „Demokratie Jetzt“
Entsprungen aus der kirchlichen Initiative „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“, wurde die „Demokratie Jetzt“ am 12. September 1989 kurz nach der Gründung des „Neuen Forums“ ins Leben gerufen. Ihr Gründungsaufruf bestand aus zentralen Forderungen und Zielen, die dem Sozialismus in eine demokratische Form verhelfen sollten. Den Aufruf hatten der Physiker Hans-Jürgen Fischbeck, der Regisseur Konrad Weiß, die Organisationsgründerin von „Frauen für den Frieden“ Ulrike Poppe und neun weitere Personen unterzeichnet (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2019). Im Grunde war das programmatische Konzept der „Demokratie Jetzt“ deutlich entschiedener und klarer formuliert als das des „Neuen Forum“. Es kritisierte die SED-Diktatur und stellte das System in Frage (vgl. Wellach, 2014: 85). Außerdem gab es auch in dieser Bürgerbewegung ein Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Der Bewegung zufolge sollte sich der Staat aus Bereichen wie Medien, Bildungswesen, Kultur und Wissenschaft heraushalten. Zudem habe die demokratische Öffentlichkeit als vierte Gewalt die Aufgabe, Staat und Politik zu kontrollieren und zu kritisieren (vgl. Wellach, 2014: 88). Somit besaß die Trennung von Staat und Gesellschaft für die „Demokratie Jetzt“ eine enorme Bedeutung, was vermutlich auf die negativen Erfahrungen in der DDR zurückzuführen war. Trotz der rasant steigenden Bekanntheit ihres „Aufrufs zur Einmischung in eigener Sache“, blieben die Mitgliederzahlen im niedrigen einstelligen Tausenderbereich und waren vor allem kirchlich geprägt (vgl. Wellach, 2014: 86). Die „Demokratie Jetzt“ verstand sich selbst als dezentralisierte Bürgerbewegung, welche sich in Basisgruppen selbst organisierten. Sie wollten nicht in eine Partei übergehen und sahen eine „Parteiendemokratie“ kritisch (vgl. Wellach, 2014: 86). Stattdessen bevorzugten die Anhänger die freiere und ungezwungenere Gestaltung als Bürgerbewegung. In der prekären Zeit vor und nach dem Mauerfall leistet die „Demokratie Jetzt“ Erhebliches. Sie legte den Grundstock für den Runden Tisch und lieferte wichtige Beiträge zur Zivilgesellschaftsdebatte in der DDR (vgl. Wellach, 2014: 86).
Zusammenfassung
Mit Glasnost und Perestroika sowie den Umsturzbewegungen in Osteuropa sah man sich in der DDR bestärkt, Widerstand zu leisten. Die aufkommenden Bürgerbewegungen wie das „Neue Forum“ und die „Demokratie Jetzt“ agierten aus unterschiedlichsten Motiven heraus. Gesamtkonsens der Bewegungen war aber: Die SED-Führung muss enden. Im Vergleich zwischen dem „Neuen Forum“ und der „Demokratie Jetzt“ wird ersichtlich, wie stark oppositionelle Intellektuelle den Widerstand in der DDR mitbestimmten. Dabei verstanden sich beide Initiativen als dezentral strukturiert und der Demokratie zugewandt. Des Weiteren zeigen sich zwischen ihnen Unterschiede im Ursprung, den Mitgliedern und der Programmatik. Es ist festzuhalten, dass beide Bürgerbewegungen eine eminente Bedeutung für den Widerstand hatten und die Geschehnisse der Wende ausschlaggebend prägten. Wie oben schon erwähnt, kam es 1990 zu einem Bündnis aus Teilen der beiden hier vorgestellten Bürgerbewegungen und zwei weiteren Bewegungen. Sie traten als Listenvereinigung bei den Volkskammerwahlen im März 1990 an (vgl. Wellach, 2014: 94). Die „Demokratie Jetzt“ und das „Neue Forum“ blieben gleichzeitig als Bürgerbewegung bestehen.
Literaturverzeichnis
Mau, S. (2019), Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft. Bundeszentrale für politische Bildung.
Wellach, P. (2014), Zivilgesellschaftliche Entwürfe in den Bürgerbewegungen der DDR (1986-1990) im ostmitteleuropäischen Kontext: Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Opusculum: Bd. 73. Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft.
Bundeszentrale für politische Bildung (2019), „DDR-Bürgerrechtsbewegungen 1989: Aufbruch in eine neue Zeit“, in: Bundeszentrale für politische Bildung. URL: https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/296711/ddr-buergerrechtsbewegungen-1989-aufbruch-in-eine-neue-zeit/.
Lindner, B. (2014), „Wege in die Opposition“, in: Bundeszentrale für politische Bildung. URL: https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/185289/wege-in-die-opposition/.
Bildungsserver Berlin-Brandenburg (Datum unbekannt), „Opposition und Widerstand in der DDR – Überblick“, in: Bildungsserver Berlin-Brandenburg. URL: https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/havemann/docs/material/8_MA_II.pdf
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