Inhaltsverzeichnis
Wie wird der Diskurs von Menschen mit Behinderung in den gesellschaftlichen Diskurs aufgenommen?
Eine Diskursanalyse anhand von Verbänden und Menschen mit Behinderung, die sich zu dem Bluttest für Trisomie 21 positionieren, im Abgleich mit der Bundestagsdebatte zu dem Thema, die im April 2019 stattfand.
1. Einleitung
Der Diskurs auf der Metaebene kann allgemein mit der Frage beschrieben werden, wer das Recht hat, wen abzutreiben. „Wer“ meint in diesem Fall die schwangere Person selbst, außerdem gesellschaftliche Institutionen, wie Krankenhäuser, oder eine gesellschaftspolitische Mehrheit, die für oder gegen Abtreibung ist. Das Pronomen „wen“ meint den Fötus: Hier geht es um die Frage, ob ein Fötus schon ein Mensch mit Rechten ist, bzw. ab wann er/sie es ist. Daran knüpft die Frage an, was ein Fötus aus einer gesellschaftlichen Sicht genau ist. Der Spezialdiskurs, um den es hier geht, beinhaltet die Frage, ob Embryonen aufgrund einer Behinderung abgetrieben werden dürfen. Behinderungen beschreiben körperliche oder psychische Einschränkungen, die von einer festgelegten Norm abweichen und als beeinträchtigend gelten. Der Unterdiskurs, der aus dem größeren Spezialdiskurs untersucht wird, dreht sich um die Frage, ob ein Bluttest, der risikofreier Trisomie 21 während der Schwangerschaft feststellen kann, eine Kassenleistung werden darf.
Zu diesen Fragen gibt es in dem Diskurs, ob Menschen mit Behinderung abgetrieben werden dürfen, zwei Grundpositionen: Die eine stellt den Embryo in den Mittelpunkt und rechtfertigt daher ein Verbot von Abtreibungen. Diese Positionierung ist vor allem in konservativen und christlichen Sphären zu finden. Die andere rückt die Freiheit und Würde der schwangeren Frau in das Zentrum und tritt für eine Legalisierung der Schwangerschaftsabbrüche ein. Sie ist dem liberalen, linken und feministischen Spektrum zuzuordnen.
Die Ergänzung des Artikels 218 um 218a ist als Kompromiss zwischen GegnerInnen und BefürworterInnen zu sehen. Der Artikel legalisierte aber nicht nur Abbrüche unter bestimmten Bedingungen, sondern hob den spätmöglichsten Zeitpunkt eines Abbruches von drei Monaten bis kurz vor der Geburt auf, wenn eine schwere Behinderung vorliegt, wozu auch das Down-Syndrom zählt. Wie sich die Zahlen von Abtreibungen aufgrund eines positiven Tests auf Down-Syndrom in Deutschland entwickelt haben, ist statistisch nur in Mainz und Sachsen-Anhalt erfasst. Angenommen wird aber eine Abtreibungsrate von 90%. (Vgl. Fischer (2019.)
Die Zahlen der Abtreibungen in Deutschland allgemein sind jedoch gesunken, von 130.000 im Jahr 1996 auf heute um die 100.000. Wie hoch die Zahlen von Abbrüchen bei Ländern mit Verbot sind, ist schwer zu ermitteln, da man nur eine Dunkelziffer schätzen kann. Nach einer Untersuchung der WHO aus dem Jahr 2017 ist jedoch der Zusammenhang von einem steigenden Risiko bei Abtreibungen und einer Illegalisierung nachgewiesen. Die gesamtgesellschaftliche Debatte griff das Werbeverbot aus Paragraf 219 auf, da eine Frauenärztin zu 6000 Euro Strafgeld verurteilt wurde, da sie Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen auf ihre Website gestellt hatte (Vgl. Krotzik- Mathhtei (2019.)
In der vorliegenden Analyse wird untersucht, inwiefern Menschen mit Behinderung in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs eingehen. Der untersuchte Diskurs dreht sich um die Frage, ob die neue Pränataldiagnostik, die Down-Syndrom testet, Kassenleistung werden darf. Dazu werden fünf Stellungnahmen untersucht, die vor der Debatte von verschiedenen Behindertenverbänden veröffentlicht wurden. Es wird angenommen, dass sich diese auf die Bundestagsdebatte auswirken. Wenn Argumente aus den Stellungnahmen in der Bundestagsdebatte auftauchen, ist es möglich, dass eine Beeinflussung und dadurch Repräsentation der Menschen mit Down-Syndrom auf und in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs stattgefunden hat.
2. Diskursanalyse nach Keller
Eine erste Einordnung
Im Folgenden wird der Diskurs, bestehend aus den Stellungnahmen der Verbände und der Reden der Abgeordneten des Bundestages, nach dem Vorgehen von Reiner Keller untersucht (vgl. Keller 2011). Die Analyse nach den einzelnen Schritte Kellers dient dem Überblick und einer allgemeinen Einordnung des Diskurses. Verbreitet und reproduziert wird der Diskurs durch soziale Medien wie FaceBook oder Twitter (für Aufsehen sorgte ein FDP-Tweet, bei dem Lindner ein Bild von einem Kind mit Down-Syndrom postete und sich in dem selben Tweet für den Bluttest als Kassenleistung aussprach). Auch Massenmedien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen berichten über die Frage, ob der Test bezahlt werden soll (vgl. Keller 2011, S.66-68).
Deutungszusammenhänge, die in Verbindung mit der Diskussion vorkommen, sind vor allem moralische Implikationen. Werden Menschen mit Behinderung als weniger wertvoll dargestellt? Wie groß ist die Freiheit der Frauen, wie viel dürfen sie entscheiden? Muss die Gesellschaft das ungeborene Kind vor der Entscheidung der Mutter „retten“? Auch gesellschaftliche Kontexte spielen eine Rolle, wie die statistisch bewiesene Altersarmut in Familien, die ein behindertes Kind haben, oder der Stand der Inklusion. Zudem ist der medizinischer Fortschritt relevant, da man inzwischen auf fast alles Genetische testen kann (vgl. Keller 2011, S. 68-69).
Aus was besteht der Diskurs? Ein großer Teil der Debatte sind Texte , wie Gesetzesartikel. Der Artikel 218-219 des Strafgesetzbuches StGB ist der wichtigste, außerdem die von Deutschland ratifizierte UN- Behindertenkonvention, durch die sich Deutschland Zielen verpflichtet, um die Lebensqualität der Menschen mit Behinderung zu verbessern und die Rechte dieser Gruppe zu schützen. Objekte, die eine Rolle spielen, sind der Bundestag, in welchem über den Entwurf diskutiert wird, sowie die Krankenhäuser und Arztpraxen, in welchen werdende Eltern beraten werden und Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Auch Privathaushalte, in denen ein Mensch mit Behinderung lebt nehmen Einfluss auf den Diskurs, sowie Forschungseinrichtungen, die beispielsweise zu der Lebensqualität von Menschen mit Behinderung forschen, oder zu der Abbruchrate, bei einem positiven Ergebnis auf Down Syndrom. Auch Verbände, die die Menschen mit Behinderung vertreten, sind Teil des Diskurses. Die Praktiken, die vollzogen werden, sind die Strafverfolgung bei einem illegalisierten Abbruch, (der beispielsweise zu spät vorgenommen wurde) die Erhebung von Zahlen von praktizierten Abtreibungen und Durchführungen der Trisomietests, sowie die vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche.
Nachdem Keller die konstituierenden Elemente des Diskurses analysiert, wendet er sich den SprecherInnen selbst zu. Die Frage, nach der Keller diesen Schritt aufzieht, ist, wer wie und wo sprechen darf(vgl. Keller 2011, S. 69-70): Die Menschen mit Behinderung vertreten die Rechte und Anliegen der eigenen Gruppe. Da sie dies oftmals nicht selbst können, stellen Behindertenverbände die politische und rechtliche Vertretung dar. Die andere untersuchte Gruppe in dem Diskurs sind Abgeordnete. Diese vertreten ihre persönliche, parteinahe Meinung . Ein weiterer Faktor, der „das Sprechen“ beeinflusst, stellen Ressourcen dar. Menschen mit Behinderung haben deutlich weniger Ressourcen, da sie körperlich und teils kognitiv eingeschränkt sind, weshalb oft keine gleichwertige Teilnahme am Diskurs möglich ist. Da Menschen mit Einschränkung zudem oft selbst nicht über Geld verfügen, besteht eine finanzielle Abhängigkeit gegenüber Vormundschaften. Der Bundestag hat vergleichsweise sehr viele Ressourcen, da Kontakte zu JournalistInnen und Zeitungen existieren, sowie der Zugang zu ExpertInnenwissen vorhanden ist. Auch spezielle Gremien und Ausschüsse, wie die Ethikkommission, beschäftigen sich ausschließlich mit diesen Themen.
3. Diskursanalyse
Um die Inhalte der Texte besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Genres. Die vorliegenden Texte sind dem Genre der Stellungnahmen zuzuordnen. Eine Stellungnahme fasst kurz und prägnant die Position einer Gruppe zusammen. Es geht um eine Legitimation der eigenen Position, sowie Handlungsaufforderungen und Befürchtungen, wenn diese unterlassen werden. Der Stil ist neutral, sachlich und verständlich. Die Orientierungsdebatten im Bundestag hingegen wollen „[…] das Für und Wider der Aufnahme der Tests in den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen offen über Fraktionsgrenzen hinweg diskutier[n].“ (Wolfang Schäuble, 2019, Bundestagsprotokoll, S. 11315.) Orientierungsdebatten sind somit zu einem ersten Austausch der Abgeordneten da, ohne dass direkt eine Gesetzgebung, -oder Veränderung stattfindet. Schäuble betont, dass die Frage möglichst offen debattiert werden solle, ohne Parteiinteressen zu berücksichtigen.
3.1 Analyse der Stellungnahmen der Verbände
Die Stellungnahmen der Behindertenverbände beziehen sich auf die Frage, ob der Bluttest eine Kassenleistung werden soll und wurden vor der Debatte im Bundestag veröffentlicht. Daher werden im Folgenden die einzelnen Stellungnahmen auf allgemeines Framing, sowie auf eine grobere Phänomenstruktur hin untersucht. Die Ergebnisse bilden dann Kategorien für die Analyse der Bundestagsdebatte.
3.1.1 Stellungnahme der 21 Verbände, hrsg. von der Lebenshilfe
JA“ zur Vielfalt des menschlichen Lebens! Gemeinsame Stellungnahme Deshalb
- Aufklärung über das Leben mit Beeinträchtigungen!
- Keine Bluttests auf genetische Abweichungen (NIPT) auf Kassenkosten!
- Mehr und bessere Beratungsangebote vor, während und nach vorgeburtlichen
Untersuchungen mit Beteiligung der Behindertenselbsthilfe! Den Bluttest auf genetische Abweichungen (NIPT) in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen bedeutet:
- Die Angst vor Behinderung zu verstärken.
- Die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verschärfen.
- Menschen mit Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft als „vermeidbar“ und nicht
willkommen zu bewerten.
- Die Verpflichtungen der UN Behindertenrechtskonvention nicht zu beachten.
- Mit dem Eindruck, dieser Test sei medizinisch sinnvoll, falsche Hoffnungen bei werdenden Eltern zu wecken.
- Den Druck auf Schwangere „alles zu tun, alles zu testen“ zu erhöhen.
- Die Tür für die Kassenzulassung weiterer Tests auf genetische Merkmale zu öffnen.
Die Unterzeichner der Stellungnahme finden Sie auf der Rückseite. (Vgl. Lebenshilfe, 2019.)
3.1.1.1 Framing (Topoi)
(Vgl. Keller 2011, S. 104-106.)
Um die Argumente deutlich voneinander abzugrenzen und dadurch die Kategorien klar zu veranschaulichen, werden die verschiedenen Frames in Stichpunkten aufgeführt.
- Der Wert des menschlichen Lebens konstituiert sich auch durch Vielfalt.
- Wenn der Test Kassenleistung wird, werden die Abtreibungsraten steigen.
- Durch den Test entstehe Druck auf Frauen, ihr behindertes Kind abzutreiben.
- Der Test sei ein Türöffner für weitere Tests (was ein typisches Argument bei gesetzlichen Neuerungen darstellt) und führe zu einer Homogenisierung des Menschen.
- Der medizinische Fortschritt sei insgesamt kritisch anzusehen.
3.1.1.2 Feinanalyse der Phänomenstruktur
(Vgl. Keller 2011, S. 99-104.)
Nach Kellers Vorgehen wird der Text nun auf verschiedene Phänomene hin untersucht. Die Untersuchung der Argumentationsstruktur bezieht die zuvor extrahierten Topoi mit ein.
Eines der Phänomene in Diskursen ist nach Keller die Darstellung der Ursachen für Problematiken. Was aber wird verursacht? Hier ist es der Schwangerschaftsabbruch, wenn es sich um Föten handelt, bei denen Down-Syndrom diagnostiziert wurde. Eine Grundursache, die der Text benennt, ist die Angst vor Behinderung, die in der Gesellschaft herrscht. Wer Angst hat, wird nicht gesagt. Da sich aber die Stellungnahme im Verlauf auf „Schwangere“ und die „Gesellschaft“ bezieht, sind diese Gruppen implizit angesprochen. Auch der medizinische Fortschritt wird als eine Ursache für Abbrüche bei Down-Syndrom-Kindern identifiziert, da durch diesen die Pränataldiagnostik überhaupt erst möglich ist. Durch die Identifizierung der Ursachen konstruieren sich antagonistische und protagonistische Rollen. Der Medizin wird die Rolle eines Anti-Helden zugeschrieben, der sich nicht um moralische Konsequenzen Gedanken macht, sondern ökonomisch agiert und so viel testet, wie möglich ist. Die Helden, die versuchen, die Ursachen zu beseitigen, oder zu beschränken, sind die Verbände selbst, die durch die Stellungnahme als moralische Warner fungieren und der ökonomisierten Medizin antagonistisch gegenüber stehen. Die Politik an sich, bzw. der Bundestag, wird nicht direkt angesprochen. Da die Verbände aber ihre Stellungnahme gezielt vor der Debatte veröffentlichen, ist davon auszugehen, dass auch der Bundestag im RezipientInnenfokus steht. Die Politik kann also durch das Verhindern des Tests als Kassenleistung selbst zu einem Helden werden.
Die Ursachen sind nun geklärt. Was aber ist die Wirkung dieser Ursachen? Die moralischen Warner, die Verbände, verweisen auf eine „Diskriminierung“, ohne diese zu konkretisieren. Diese Implikation wird gesteigert, indem der „Wert“ des „menschlichen Lebens“ an sich auf dem Spiel steht. Durch den Test würden außerdem „falsche Hoffnungen“ geweckt werden, da der Test entgegen der Information durch MedizinerInnen eben nicht „medizinisch sinnvoll“ sei. Dieses Argument wird ebenfalls nicht ausgeführt. Was als medizinisch sinnvoll gilt, bleibt unklar. Die Antagonistenrolle der Medizin wird weiter verstärkt, da diese den schwangeren Frauen falsche Informationen gebe. Außerdem entstehe äußerlicher Druck, -von wem oder was, ist nicht explizit genannt, auf passiv dargestellte Frauen, die nun ihr Kind auf eine Behinderung testen müssen. Da dies nach dem Argument der medizinisch nicht sinnvollen Tests und vor dem Türöffnerargument steht, wird indirekt auf Druck von Seiten der MedizinerInnen verwiesen. Als letzter Punkt der möglichen Folgen wird das Argument des Türschwellenöffners beschrieben. Die Wichtigkeit der Verhinderung des Tests als Kassenleistung wird dadurch stark erhöht, da genau dieser Test entscheidend für den zukünftigen Umgang mit genetischen Tests sei. Der alles entscheidende Test ist keiner, den es schon gibt, oder einen, den es noch geben wird, sondern genau der Bluttest, um den es in der Debatte geht.
Nach der Stellungnahme trägt die Politik die Verantwortung, dass dieses Szenario nicht eintritt. Wie unter dem Punkt „Ursachen“ schon beschrieben, ist die Politik entweder eine potentielle Heldin, die den Test verhindert, oder ein Anti- Heldin, die den Test zu einer Kassenleistung macht. Der Druck wird durch die zuvor aufgeführten, moralisierenden Implikationen stark erhöht: Wenn die PolitikerInnen den Test zulassen, sind sie implizit gegen die „Vielfalt des menschlichen Lebens“, glauben nicht an die Gleichwertigkeit der Menschen mit Behinderung, verstärken die Diskriminierung und die Angst, von und vor M. m. Behinderung. Als handelnde Instanz werden die Abgeordneten des Bundestages nur indirekt angesprochen.
Was kann man nun tun? Die Verbände nennen konkrete Punkte, bei denen Handlungsbedarf bestehe: Der Bluttest darf keine Kassenleistung werden. Zudem brauche es mehr Inklusion und Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern, sowie für werdende Eltern Beratungsangebote und Aufklärung. Auch wird ein Mittelweg zwischen Zulassung und Ablehnung des Tests aufgezeigt: Die Nennung der Beratungsgespräche vor und nach dem Test impliziert die Möglichkeit, auf die Eltern Einfluss zu nehmen, ohne den Test zu verbieten. Die Aufklärung und die Beratung haben aber ganz klar das Ziel, dass die Menschen mit Down- Syndrom auf die Welt kommen.
Die Verbände selbst stellen sich als VertreterInnen der Menschen mit T21 und deren Familien dar. Sie betonen die ethische Seite der Debatte und haben so eine mahnende Rolle. Sie weisen auf mögliche Folgen und aktuelle Zustände hin, machen Vorschläge und stellen deutliche Forderungen an Politik und Gesellschaft. Zusammenfassen lässt sich die Selbst- und Fremdpositionierung der Stellungnahme in dem HeldInnen-Vergleich. Die HeldInnen (das sind die Verbände) verweisen auf unmoralisches Handeln der Anti- HeldInnen. Im Mittelpunkt stehen moralische Werte in Verbindung mit Menschen mit Behinderung. Etwas am Rande stehen die Eltern, auf die Druck ausgeübt wird und die mit falschen Informationen versorgt werden. Die Gesellschaft als Ganzes ist zwar eher ein Antagonist, aber ein sehr abstrakter, schwer zu kritisierender und beeinflussender. Im Gegensatz dazu stehen MedizinerInnen im Fokus der moralischen Kritik. Ihnen wird ein großer Einfluss auf Schwangere zugeschrieben, der oft zu Abbrüchen führe. Die Politik solle diesen Akteur begrenzen und seinen Einfluss mindern.
3.1.2 Stellungnahme Lebenshilfe
WARUM HABEN VIELE MENSCHEN SO GROSSE ANGST VOR DEM DOWN-SYNDROM PRESSEMITTEILUNG BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE e.V. 10. APRIL 2019 Warum haben viele Menschen so große Angst vor dem Down-Syndrom? Der Bundestag debattiert am 11. April über die ethischen und gesellschaftlichen Folgen von vorgeburtlichen Bluttests auf Down-Syndrom. Die Lebenshilfe will verhindern, dass diese [sic!] Test zur Regeluntersuchung in der Schwangerschaft werden. Berlin. „Warum haben viele Menschen so große Angst vor dem Down-Syndrom?“ Das fragt Sebastian Urbanski, der selbst seit 40 Jahren mit diesem Gendefekt lebt. Der Berliner ist Schauspieler und Mitglied im Bundesvorstand der Lebenshilfe. Vom Deutschen Bundestag erhofft er sich am kommenden Donnerstag breite Unterstützung für sich und alle anderen Menschen mit Down-Syndrom - auch für diejenigen, die zukünftig nicht mehr auf die Welt kommen sollen. Denn darum geht es am 11. April, ab 9 Uhr, im Parlament: Die Abgeordneten debattieren über die ethischen und gesellschaftlichen Folgen von vorgeburtlichen Bluttests, die bei einem positiven Befund auf Down-Syndrom in den allermeisten Fällen zur Abtreibung des Kindes führen. Sebastian Urbanski, die Lebenshilfe und viele weitere Organisationen wollen verhindern, dass diese Tests gesetzliche Kassenleistung und damit zur Regeluntersuchung in der Schwangerschaft werden.
Mit den Tests, die seit 2012 auf dem Markt sind, kann systematisch nach dem Down-Syndrom - auch Trisomie 21 genannt - und weiteren Chromosomen-Veränderungen gefahndet werden. „Sie werden als großer Fortschritt angepriesen, weil nur das Blut der schwangeren Frau untersucht und dadurch das Kind erst einmal nicht gefährdet wird“, so die Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt, MdB. Aber die Bluttests hätten gar keinen therapeutischen Nutzen, es gehe nicht darum, eine Krankheit zu behandeln, kritisiert die frühere Gesundheitsministerin. „Die Tests schaffen nicht einmal endgültige Klarheit darüber, ob tatsächlich eine Trisomie 21 vorliegt. Etwa jedes fünfte Ergebnis ist fehlerhaft, die Frauen erwarten gar kein Kind mit Down-Syndrom. Je jünger die Frau ist, umso höher die Fehlerquote. Darum müssen zur Bestätigung weitere Untersuchungen folgen, zum Beispiel eine Fruchtwasseruntersuchung.“
Mit den neuen Methoden der Pränataldiagnostik gerieten Eltern von Kindern mit Behinderung immer stärker unter Rechtfertigungsdruck. „Hättet ihr das nicht wissen und verhindern können“, müssen sich Familien mit einem behinderten Kind immer wieder sagen lassen. Daher müsse der Bundestag ein klares Signal an die Gesellschaft senden: Menschen mit Behinderung sollen willkommen sein und die Hilfe erhalten, die sie und ihre Angehörigen für ein gelingendes Leben brauchen. Sebastian Urbanski sagt: „Ich lebe gerne und habe viel Freude am Leben. Ich bin glücklich, weil ich mich als Teil der Gesellschaft fühle und einfach dazu gehöre. Manchmal brauche ich zwar etwas mehr Unterstützung, aber die braucht ja jeder mal.“
Rund um den Tag der ethischen Orientierungsdebatte im Bundestag fordert die Lebenshilfe im Bündnis mit 26 weiteren Organisationen zu deutschlandweiten Aktionen auf, mit denen die Perspektive von Menschen mit Behinderung und ihrer Familien deutlich werden soll: Ein Leben mit Down-Syndrom kann so glücklich und erfolgreich sein wie jedes andere auch. Darüber hinaus wollen Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien die Bundestagsabgeordneten in ihren Bürgersprechstunden besuchen und darauf aufmerksam machen, welche Folgen eine breite Anwendung der Bluttests haben kann - für Menschen mit Down-Syndrom wie für die Gesellschaft insgesamt. (Vgl. Lebenshilfe 2019, Pressemitteilung.)
3.1.2.1 Framing
- Der Wert des menschlichen Lebens mit Down- Syndrom wird betont.
- Menschen mit T. 21 sind keine Belastung für die Gesellschaft.
- Wenn der Test eingeführt wird, steigen die Abbruchsraten bei Föten mit T21.
- Es gibt größeren Druck auf Frauen, ihr behindertes Kind abzutreiben, bzw. in einem ersten Schritt dies zu wissen.
- Der Test verschaffe keine Klarheit: Medizinische Neuerungen seien kritisch zu betrachten.
- Es sei ein Türöffner für weitere Tests.
- Der Medizinischer Fortschritt sei allgemein kritisch zu hinterfragen.
- Angst wird als grundlegende Handlungsmotivation für Abtreibungen genannt.
- Die Agency der Menschen mit T. 21 wird betont. (Der versuchte Einfluss auf die Gesetzgebung in den Bürgersprechstunden wird erwähnt.)
3.1.2.2 Feinanalyse
Die Ursache für das Problem ist in dieser Stellungnahme der medizinische Fortschritt, sowie die Angst vor Behinderung. Der Medizin wird auch hier die Anti- Helden Rolle zugeschrieben. Sie „fahnde“, wie die Polizei, nach Kindern mit Trisomie. Außerdem „preise sie Tests an“, ohne dass diese wirklich valide seien. Als Antagonistin tritt hier eine Bundestagsabgeordente auf, Ulla Schmidt. Sie kritisiert die Tests und ist damit zugleich eine enge Verbindung zu der Debatte im Bundestag. Hier wird über das Feststellen der negativen Emotion Angst hinaus gegangen. Es wird gefragt, warum nicht behinderte Menschen vor Menschen m. B. Angst hätten. Diese Frage stellt ein Mensch mit der selbst Down- Syndrom hat, wodurch ein Vorwurfscharakter, tiefes Unverständnis und scharfe Kritik entstehen. Es wird außerdem gesagt, dass er Schauspieler ist, wodurch eine alternative, gesellschaftliche Position entsteht, die ihn nicht auf seine Behinderung reduziert. Durch den Verweis auf seinen Beruf wird er den Angst habenden Menschen angenähert und bietet Identifikationspotential.
Mögliche Wirkungen der Kassenleistung sei primär, dass Menschen mit T. 21 nicht mehr auf die Welt kommen werden, wodurch eine gesellschaftliche Homogenisierung entstünde. Dies geschehe, da der Druck auf Familien erhöht werde, sich gegen ein Kind mit T. 21 zu entscheiden Menschen, wie der Schauspieler Sebastian Urbanski, kommen nicht mehr auf die Welt, wenn der Test Kassenleistung wird, so die Message. Indem Urbanski genannt wird, funktioniert die Argumentationsstrategie mit einer Personalisierung. Die Debatte wird somit konkretisiert, wodurch der Abstraktionsgrad gemindert wird. Da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Debatte handelt, wird auf einer abstrakten Ebene über Eltern, Ärzte, Schwangere und Kinder gesprochen. Die Personalisierung erschwert pauschale Urteile und gibt den Menschen mit Behinderung einen Namen, eine Meinung und eine gesellschaftliche Identität. Familien kämen außerdem wiederholt unter Rechtfertigungsdruck. Familien sind passiv dargestellt, die man vor einem Rechtfertigungsdruck schützen muss. Die Familien, die ein Kind mit T. 21 bekommen, sind Helden, die von einer anti- heldischen, anonymen Gesellschaft bestehen müssen.
Verantwortung und Handlungsbedarf sieht dieser Verband in der Politik, die dafür Sorge tragen muss, dass der Test Keine Kassenleistung wird. Durch den Verweis auf die Debatte im Bundestag werden Abgeordnete adressiert. Sie müssen gegen den Test als Kassenleistung abstimmen. Jedoch wird auch hier ein Mittelweg angestrebt: M. m. B. sollen willkommen geheißen werden. Dies impliziert einen moralischen Aspekt, aber auch einen institutionellen. Willkommenheißen reicht nicht, sie müssen auch staatliche Förderungen erhalten, um ein „gelingendes“ Leben zu führen. Ansonsten machen sich die PolitikerInnen mitverantwortlich dafür, dass Menschen wie Urbanski nicht mehr auf die Welt kommen und Familien mit Kindern mit Trisomie der medizinisch orientierten Gesellschaft ausgeliefert sind.
Die Selbstpositionierung erfolgt klar durch die Verbände: Sie geben an, den Bundestag beeinflussen und eine Kassenleistung des Bluttests verhindern zu wollen. Neben den de- personalisierten Verbänden tritt einmal Urbanski als direkter Vertreter der Menschen m. B. auf sowie Ursula Schmitt, die eine Vertreterin der politischen und gesellschaftlichen Elite ist. Alle drei VertreterInnen wollen Menschen mit Behinderung unterstützen und die Kassenleistung abwenden.
Moralische Implikationen sind der Schutz der menschlichen Vielfalt und des menschlichen Lebens. Fast ausschließlich sind moralische Argumente zu finden. Nur das Argument mit den invaliden Tests hat eine rationale Argumentation. Die Überschrift, warum Menschen Angst vor Menschen m. T.21 haben, ist der rote Faden des Textes. Auch sind die Argumente nicht einzeln aufgeführt, sondern in einen Fließtext eingearbeitet, was die Personalisierung und dadurch auch Moralisierung der Entscheidung erhöht.
3.1.3 Stellungnahme von Natalie Dedreux
Mein Name ist Natalie Dedreux. Ich bin 20 Jahre alt. Ich habe das Down-Syndrom. Ich habe das einundzwanzigste Chromosom dreimal. Mein Leben mit Down-Syndrom ist cool. Aber ich habe Angst, dass es weniger Menschen mit Down-Syndrom geben wird, wegen dem Bluttest bei schwangeren Frauen auf Down-Syndrom. Ich will nicht, dass die Krankenkasse den Bluttest bezahlt. Es gibt einen Bluttest. Der Arzt nimmt das Blut ab von den schwangeren Frauen. Dann trennt man das Blut von der Mutter und vom Ungeborenen und dann kann man feststellen, ob das Ungeborene das Down-Syndrom hat. Man kann das vor der zwölften Schwangerschaftswoche machen, in der Früherkennung. In Zukunft wollen die Krankenkassen das bezahlen. Die Politiker in Berlin entscheiden das. Die Politiker wollen eine Debatte machen. Das ist wo man redet miteinander, im Bundestag. Ich will nicht, dass die Krankenkasse das Ganze bezahlt. Wenn die schwangeren Frauen sehen, ob das Ungeborene Down-Syndrom hat, dann werden sie sich gegen uns erst mal entscheiden. Ich glaube, die wollen uns nicht haben, weil die Angst haben. Ich verstehe nicht, warum Angst da ist. Ich finde das schlimm, weil es sonst weniger Menschen mit Down-Syndrom auf der Welt gibt. Also ich finde es wichtig, dass es Menschen mit Down-Syndrom auf der Welt gibt. Ihr sollt nicht mehr so viel Angst vor uns haben. Es ist doch cool auf der Welt zu sein mit Down-Syndrom. Und ich will sagen, dass alle die gleichen Rechte haben. Das steht im Grundgesetz. Die Politiker sollen sich entscheiden. Ich will, dass die Politiker Gesetze machen. Da soll stehen, dass die Krankenkasse den Bluttest nicht bezahlt. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich unterstützt und unterschreibt. Natalie Dedreux (Vgl. Dedreux, 2019.)
3.2.3.1 Framing
- Menschen mit Behinderung sind wertvoll.
- Es wäre eine weniger schöne Welt, wenn es Menschen mit T. 21 nicht mehr gäbe.
- Wenn die Angst vor T. 21 weniger präsent wäre, gäbe es weniger Abtreibungen.
- Die Rate der Abtreibungen steigt, wenn die Frauen wissen, dass ihr Kind T. 21 hat.
3.1.3.2 Phänomenanalyse
Ursachen seien der Medizinischer Fortschritt, sowie die Angst vor Behinderungen. Damit sind die genannten Ursachen für die Problematik ähnlich wie in den anderen Stellungnahmen. Es existiere eine diffuse, unerklärbare Angst vor dem Kollektiv der Menschen mit T.21, zu dem sich Dedreux zuordnet. Die Auswirkung der debattierten Kassenleistung wäre, dass sich Eltern gegen ein Kind mit T.21 entscheiden würden und es dann weniger Menschen mit dem Syndrom auf der Welt geben würde. Da Dedreux selbst das Down- Syndrom hat, impliziert dies auch eine zutiefst persönliche Konsequenz, da sie selbst vielleicht gar nicht geboren worden wäre, hätten ihre Eltern den Test gemacht. Die Verantwortung sieht Dedreux bei der Politik, die die Kassenleistung verhindern muss. Die Abgeordneten werden direkt angesprochen und die Debatte wird nicht nur erwähnt, sondern es wird auch erklärt, was eine Debatte ist. Die Verantwortung läge zwar in erster Linie bei der Politik, die Gesetze mache, aber auch bei der angstbehafteten Gesellschaft, dem Gegenkollektiv zu den Menschen mit T.21, das mit den Personalpronomen „ihr“ und „sie“ und „die“ angesprochen wird. Auch die RezipientInnen stehen in der Verantwortung, Dedreux mit einer Unterschrift ihrer Petition zu unterstützen. Der Handlungsbedarf wird grundlegend in der Verhinderung der Kassenleistung gesehen, indem Unterschriften gesammelt werden. Dedreux spricht am Ende im Imperativ die Abgeordneten an, die der Kassenleistung nicht zustimmen sollen. In einem zweiten Schritt werden die RezipientInnen des Textes angesprochen, die die Petition unterzeichnen sollen, sodass der erste Fall, die Kassenleistung, nicht eintritt. Dedreux tritt hier in eigener Sache, ohne Verweis auf Verbände oder Institutionen auf. Sie setzt sich für ungeborene Menschen mit T. 21 ein, indem sie versucht, direkten Einfluss auf die Bundestagsdebatte zu nehmen. Ihr eigenes, „cooles“, bzw. wertvolles Leben ist die Argumentationsgrundlage für den Wert von Menschen mit Down- Syndrom. Rechtspositivistische Quellen, wie das Grundgesetz, die die naturrechtlich begründete Gleichheit der Menschen festhalten, fließen eher nebenbei ein. Moralische Implikationen sind der Schutz der menschlichen Vielfalt und des menschlichen Lebens an sich. Menschen mit Behinderung haben ein lebenswertes, ein „cooles“ Leben, wie andere junge Menschen auch. Dadurch wird das Argument, Kinder mit Down- Syndrom selbst hätten kein lebenswertes Leben und sollte deshalb nicht auf die Welt kommen, direkt ausgehebelt. Die moralische Positionierung bezieht auch das Grundgesetz mitein, wonach alle Menschen die gleichen Rechte haben und Menschen mit T.21 das gleiche Recht haben, auf die Welt zu kommen, wie Kinder ohne Behinderung.
3.1.4 Auswertung
Festzustellen ist, dass die untersuchten Verbände und Einzelperson[en] ähnliche Argumente nutzen, um ihre Position, die gegen die Einführung des Testes als Kassenleistung ist, zu vertreten. Qo wird die Angst, die vor Behinderungen herrsche, als Hauptursache für die hohe Abtreibungsrate von Kindern mit einer Behinderung gesehen. Auch der Wert der Menschen mit Behinderung wird in allen Papers betont, die genau gleich viel Wert seien und daher auch das selbe „Recht auf Leben“ (diese Formulierung steht in Anführungszeichen, da es in der Debatte zu Schwangerschaftsabbrüchen ein häufig verwendeter Topoi ist) hätten. Auffällig ist auch die antagonistische Konstruktion, in welcher die moralisch guten Verbände der unmoralischen Medizin gegenübergestellt werden. Die Politik und Gesellschaft bilden Nebenrollen, die die Verbände in ihrem Streben nach einer moralischen Gesellschaft unterstützen sollen. Damit entsprechen die Inhalte nicht der Erwartungshaltung an das Genre der Stellungnahmen, die eine gewisse Neutralität impliziert. Auch werden Argumente nicht genannt, die die Forderung, die Tests nicht in den Leistungskatalog aufzunehmen, relativieren könnten. Beispielsweise ist der Test schon auf dem Markt und wird angewendet, allerdings muss dieser selbst bezahlt werden. Auch gilt die bisher untersuchte und von den Kassen bezahlte Fruchtwasseruntersuchung als riskanter als der Bluttest. Zudem sei dies die freie Entscheidung der Frauen und dürfe nicht von der Politik, bzw. der Gesellschaft mitbestimmt werden.
Die Verbände wagen diesbezüglich einen Spagat: Einerseits sind sie klar gegen die Tests, andererseits zeigen sie implizit einen Mittelweg auf, der auch in der Bundestagsdebatte häufig erwähnt wird: die Eltern sollen frei entscheiden können, allerdings mit verbindlichen Beratungsgesprächen vor und nach der Untersuchung. Dies ist auch als Vermittlung der Aufgaben der Verbände zu sehen, die einerseits Menschen mit Behinderung vertreten sollten und andererseits auch die werdenden Eltern und Familien miteinbeziehen müssen.
3.2 Analysekategorien
Die unten genannten Kategorien ergeben sich aus der Häufigkeit der genannten Argumente (Topoi) vonseiten der Verbände. In der Arbeit wird angenommen, dass ein Einfluss des Diskurses von Menschen mit Behinderung auf die Politik wahrscheinlich ist, wenn diese Argumente in der Bundestagsdebatte aufgegriffen werden.
- Türöffner (Wenn der Bluttest Kassenleistung wird, werden noch mehr genetische Tests bewilligt werden.)
- Druck, zu wissen. (Der Druck auf die Eltern, alles zu wissen, steigt. Dadurch wird mehr getestet und mehr Kinder abgetrieben. Rechtfertigungsdruck bei einer Entscheidung gegen Tests, bzw. für ein Kind mit Behinderung.)
- Höhere Abtreibungsraten folgen auf den Test.
- Der Wert menschlichen Lebens gerät in Gefahr, wenn der Test bewilligt wird. Ohne die Tests gibt es mehr Vielfalt.
- Die Angst vor Behinderung ist ein Grund für Abtreibung, weshalb man Aufklärung betreiben muss. Der Bluttest fördert diese Angst indirekt.
- Menschen mit Behinderung werden explizit genannt, oder kommen selbst zu Wort. Ihr Dasein und ihre Präsenz richten sich gegen den Test und für den Schutz von ungeborenen Kindern mit T. 21.
- Menschen mit Behinderung sind keine Belastung für die Gesellschaft und für die Familie. Deshalb ist dies kein Grund, den Bluttest überhaupt einzuführen.
3.3 Gesamtgesellschaftliche Debatte: Der Bundestag
Wie schon erwähnt repräsentiert die Bundestagsdebatte den gesamtgesellschaftlichen Diskurs. In der analysierten Sitzung berät der Bundestag am 11. April 2019 über vorgeburtliche genetische Bluttests (vgl. Deutscher Bundestag (2019), online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=ospKxggLle0). Um die Debatte genau analysieren zu können, werden die Protokolle der Plenarssitzung verwendet (vgl. Plenarprotokoll 19/95. Online verfügbar unter: https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19095.pdf#P.11315). Alle Reden der insgesamt 36 Abgeordneten sind Teil der Untersuchung. Dabei werden die in der Arbeit festgestellten Topoi aus den Stellungnahmen der Verbänden und Dedreux empirisch untersucht. In Tabellen wurden die Argumente der einzelnen Reden den Topoi zugeordnet und anschließend verglichen. Eine Feinanalyse findet sich in Kapitel 3.2.
3.3.1 Empirische Auswertung
Insgesamt nahmen 36 Abgeordnete an der Debatte Teil, davon 19 Frauen und 17 Männer. 7 der Abgeordnete waren für die Kassenleistung, 2 dagegen, 16 nur unter Einschränkungen und 11 tätigten keine klare Aussage. Die häufigst genannten Argumente waren das Recht auf Nichtwissen und Inklusion, gefolgt von der Forderung nach Beratungsangeboten und dem Türöffnerargument. Der Wert des menschlichen Lebens war auf Platz 3, gefolgt von dem Argument von höheren Abtreibungsraten und am wenigsten wurden Menschen mit Behinderung explizit genannt.
3.2 Analyse der Argumentationsstrukturen
Von den verschiedenen Topoi, die sich in den Stellungnahmen und in der Petition finden lassen, wird sich nun auf eines konzentriert: Menschen mit Behinderung sind aktive Wahrer ihre Rechte und die Verbände moralische Mahner. Dieser Topoi impliziert einen Antagonismus: Die Verbände und Menschen mit Behinderung haben die Rolle der HeldInnen inne, die sich entgegen der gesellschaftlichen Tendenzen für ihre Rechte einsetzen. Wie wird dieser Topoi in die Debatte des Bundestages übernommen? Wie werden Menschen und Familien mit Behinderungen in den Diskurs aufgenommen? Wie beeinflusst der Verweis auf die Betroffenen den Diskurs?
Die Aussagen von Abgeordneten, die Menschen m. B. oder Verbände, Familien etc. explizit erwähnen, werden genauer untersucht. Hinter den Namen steht ein
- +: Der/ die Abgeordnete ist für den Test als Kassenleistung.
- x: Er/sie ist dagegen.
- ?: Die Position ist unklar.
- =: Er/sie ist nur unter Einschränkungen (Beratungen etc.) dafür.
Claudia Schmidtke, SPD(+)
„Wir müssen stärker zeigen, was für ein wunderbares Geschenk Kinder mit Downsyndrom für unsere Welt sind. Viel Medien haben die Debatte zum Anlass für Geschichten genommen. hierfür möchte ich ihnen danken“ (Deutscher Bundestag 2019, S.11315). In diesem Redeabschnitt werden Menschen mit Behinderung de-personalisiert erwähnt. Handelnde Akteure sind nicht Menschen mit B. selbst, sondern die Medien, die über sie berichten, sowie die Abgeordneten, die den Wert von Kindern mit Downsyndrom betonten sollten. Der Verweis dient als Betonung des Wertes der Menschen, das vor rationalere Argumenten, wie medizinische Sicherheit priorisiert wird.
Corinna Rüffer, Bündnis 90, die Grünen (?)
„Ein ganz warmes Willkommen gerade heute an die Gäste auf den Tribünen! […] Es ist sehr schade, dass heute niemand mit Trisomie 21 von hier aus den eigenen Standpunkt vertreten kann. Leider befinden wir uns erneut in einem Diskurs, der weitgehend über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführt wird. […] Um mit Natalie Dedreux zu sprechen – sie hat eine erfolgreiche Petition auf den Weg gebracht und mit einer klugen Frage die Kanzlerin ziemlich in die Bredouille gebracht –: Warum habt ihr Angst vor uns? Lassen Sie uns diese Debatte zum Anlass nehmen, Natalie Dedreux, Oskar Schenck, Arthur Hackenthal und all den anderen zuzurufen. […] Wir haben keine Angst vor Ihnen“ (Deutscher Bundestag 2019, S. 11319-11320). Viele der Verbände und Menschen mit Behinderung waren an diesem Tag zu Gast im Bundestag. Ihre physische Präsenz hat Auswirkungen auf die Debatte. Rüffer spricht diese Präsenz an und macht die Menschen mit B. zu dem zentralen Thema in ihrer Rede. Sie reflektiert die eigene Postion als Politikerin: Über Betroffene zu entscheiden, ohne selbst direkt betroffen zu sein. Sie personalisiert den Diskurs, indem sie Dedreux, Schenck und Hackethal nennt, die, oder deren Familien, sich öffentlich gegen die Kassenleistung des Bluttest ausgesprochen haben. Dadurch betont sie auch die Handlungsmacht der Menschen mit Behinderung und macht klar, dass diese noch viel größer sein könnte. Die Frage von Dedreux, die sie der Kanzlerin öffentlich stellte und die sie zu ihrem Leitmotiv ihrer Petition macht (Angst vor Menschen mit Behinderung als Grund für Abbrüche) nutzt Rüffe, um sich selbst klar dazu zu positionieren und ihre KollegInnen und Mitmenschen aufzufordern, dasselbe zu tun. („Wir haben keine Angst vor euch!“). Eine Aussage bezüglich der Zulassung des Bluttestes als Kassenleistung, trifft sie aber nicht.
**Dagmar Schmidt, SPD (?) „Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Drei Minuten für ein Thema mit weitreichenden Folgen für viele Menschen – mit und ohne Downsyndrom –, ihre Familien, Schwangere, werdende Eltern, ihre Angehörigen, ihre Freundinnen und Freunde, also so gut wie fast alle“ (Deutscher Bundestag 2019, S.11321). Schmidt referiert bei der Begrüßung der Zuschauenden auf die im Publikum sitzenden Menschen mit Behinderung und inkludiert sie explizit als RezipientInnen. Sie betont die Folgen, die weitreichend seien. Um die Betroffenen anschaulicher und greifbarer zu machen, zählt sie verschiedene Gruppen auf, die mit dem Thema in Berührung kommen. Sie kommt zu dem Schluss, dass „fast alle“ Menschen betroffen seien. Dadurch erweitert sie die RezipientInnen schrittweise: Erst das physisch anwesende Publikum, dann Menschen mit Down-Syndrom und schließlich alle anderen. Die Menschen mit Down-Syndrom sind hier passive AkteurInnen, die von der Debatte und der Entscheidung der PolitikerInnen betroffen sind, aber selbst keine aktive Rolle in der Debatte spielen.
Kathrin Vogler, die Linken (?)
„Liebe Menschen mit und ohne Downsyndrom! […] An dieser Debatte sollten alle teilnehmen können, die es betrifft -mit und ohne Downsyndrom“ (Deutscher Bundestag 2019, S. 11326-11326). Vogler begrüßt direkt nach ihren KollegInnen die Zuschauenden und unterteilt sie in Menschen mit und ohne Down-Syndrom. Die Unterteilung spricht zunächst einmal alle Menschen an, das heißt auch, dass alle von der Fragestellung betroffen sind und an der Debatte indirekt teilnehmen. Durch die Gleichstellung relativiert sie die Bedeutung der Menschen mit Downsyndrom und macht die Frage zu einer allgemeingesellschaftlichen. Erst am Ende ihrer Rede kommt sie auf die RezipientInnen zurück, indem sie das Betroffenheitsargument anspricht: Demnach sollen die Menschen Dinge entscheiden, die auch davon betroffen sind. Der Konjunktiv impliziert eine Kritik, die aber nicht weiter spezifiziert wird. Hier sind wieder Menschen mit und ohne Downsyndrom gleichgestellt, auch wenn der Betroffenheitsgrad sich deutlich unterscheidet. Den Betroffenen wird eine potentielle Handlungsmacht zugeschrieben, da eine Teilnahme an Debatten voraussetzt, politisch agieren zu können. Was Voglers eigene Rolle in der Debatte angeht, äußert sie sich nicht.
Beatrix von Storch, AfD (x)
„[…] Vor allen Dingen: Liebe Familien mit Kindern mit Downsyndrom hier auf der Tribüne! Die Behindertenverbände lehnen es ab, dass der Bluttest zur Identifikation des Downsyndroms bei ungeborenen Kindern Kassenleistung werden soll. Zehn Verbände, darunter die Evangelische Behindertenhilfe und die Diakonie, haben eine gemeinsame Erklärung dazu abgegeben. Sie stellen fest, dass der Umgang mit dem Test keine rein technische Frage ist, sondern die fundamentalen und ethischen Grundlagen unserer Werteordnung berührt – zu Recht. Deswegen ist es gut, dass wir heute hier darüber reden. […] Kinder mit Downsyndrom werden heute noch geboren. Sie leben und lachen, und sie werden von ihren Eltern geliebt. Sie sind so unvollkommen, wie wir alle unvollkommen sind“ (Deutscher Bundestag 2019, S.11331-11332).
Von Storch framed die Behindertenverbände als moralische Instanz, die die Grundlage für die Debatte im Bundestag bildet. Die Entscheidung des Testes, so die Verbände nach Storch, sei keine rationalisierte Fragestellung, die leicht beantwortet werden könne, sondern tangiere die moralischen Prinzipien, den Grund, auf dem die Werte in Deutschland aufbauen. Daher, weil die Verbände auf die Gefährdung der Moral verweisen und weil dieser Hinweis von Von Storch als richtig erachtet wird, bewertet sie die Debatte im Bundestag als „gut“. Die Verbände werden hier als politische Akteure geframed, die eine Debatte maßgeblich beeinflussen können. Von Storch spricht als RezipientInnengruppe explizit Familien an, die Kinder mit Trisomie 21 haben. Nicht die Menschen mit Behinderung selbst werden genannt. Dies fokussiert die Debatte auf die Familien als ein Kollektiv, in welchem die behinderten Kinder aufwachsen. Von Storch knüpft an den Bluttest an, da in diesem Falle die werdenden Eltern entscheiden. Menschen mit Downsyndrom, die politisch aktiv sind, werden nicht genannt. Stattdessen erwähnt sie die Vertretung in Form der Behindertenverbände. Von Storch hebt zwei Verbände besonders hervor: Die Evangelische Behindertenhilfe und die Diakonie. Dies sind beides kirchliche Träger, wodurch zu dem Thema Schwangerschaftsabbruch etwas Metaphysisches impliziert wird. In einem weiteren Absatz betont Von Storch abermals das Gefüge von Familie- Kind. Kinder mit T.21 seien glücklich und würden leben. Was das Verb „leben“ impliziert, wird nicht genauer ausgeführt. Da es in Verbindung mit „lachen“ auftritt, strahlt das Verb auf „leben“ ab (der sog. Priming-Effekt) und impliziert ein glückliches und dadurch wertvolles Leben. Von Storch nimmt den Diskurs des wertvollen Lebens auf: Leben wird oftmals dann als wertvoll erachtet, wenn es glücklich ist. Ein Leben das schmerzhaft, oder traurig ist, wird hingegen als weniger lebenswert gesehen. Das Bild des glücklichen Lebens der Menschen mit Behinderung wird dann mit den Eltern verknüpft, die das Kind lieben. Dadurch entsteht eine wechselseitige Wertigkeit: Menschen mit Downsyndrom sind wertvoll, weil sie glücklich sind und weil ihre Eltern sie lieben. Die Eltern sind auch wertvoll, weil sie ihre Kinder lieben. Ihnen kommt eine positive Rolle als handelnder Akteur zu: Das Lieben ihrer Kinder ist eine aktive Handlung. Das Personalpronomen „sie“ bezieht sich auf die Kinder, wobei es sich auch auf die Eltern beziehen könnte. Das Weltwissen, das die RezipientInnen mitbringen, macht aber eine Spezifizierung überflüssig: Menschen mit Behinderung werden in Diskursen teils als weniger wertvoll erachtet. Die Gegenpositionierung, wie sie Von Stroch selbst getätigt wird, argumentiert, Menschen mit Behinderung seien wertvoll, weil sie besonders fröhlich oder moralisch gut handeln würden. Von Stroch normalisiert ihr eigenes, idealisiertes Bild von Kindern mit T.21, indem sie die Kinder mit nicht behinderten Menschen vergleicht und feststellt, dass auch diese gleich gut und schlecht seien, wie andere Menschen auch. Die Verbände werden hier als politisch einflussreiche Moralinstanz geframed. Im Gegensatz dazu kommen Menschen mit Behinderung nur als Kind vor und dies in Verbindung mit ihrer Familie. Menschen mit T. 21 werden nicht als aktive, politische AkteurInnen geframed, sondern es wird sich auf die ungeborenen Kinder mit T.21 fokussiert.
Susanne Rühtrich, SPD ( = )
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, Natalie Dedreux sagte vor drei Wochen in unserer Kinderkommission: Unser Leben ist cool. Wir leben gern. – Und ich möchte, dass das auch in Zukunft noch so ist“ (Deutscher Bundestag 2019, S. 11334). Rüthrich beendet ihre Rede mit Verweis auf die Aktivistin Natalie Dedreux, die selbst Downsyndrom hat. Sie wird als Instanz für den Wert des Lebens mit T.21 aufgeführt. Dedreux spricht kollektivierend für andere Menschen mit T.21 und betont das lebenswerte Leben, das sie und andere Menschen mit T 21 führen. Dedreux tritt in der Kinderkommission als Wahrerin und Vertreterin für die Rechte von Menschen mit T.21 auf. Dass Rühtrich die Kinderkommission als Rahmen für das Auftreten Dedreuxs nennt, verkindlicht ihr Engagement, zumal Dedreux selbst 19 Jahre alt ist. Ihre Aussage bleibt nicht alleine stehen, sondern wird von einer erwachsenen Person, hier Rühtrich, unterstützt, indem diese betont, sie wolle dafür sorgen, dass Dedreuxs Leben und das von anderen M. m. B. weiterhin so „cool“, bzw. „lebenswert“ bleibe, wie dies jetzt der Fall sei.
Michael Brand, CDU/CSU, Fulda (?)
„Ich möchte in der heutigen Orientierungsdebatte vor allem ein paar Fragen aufwerfen. Die wichtigste Frage ist die Frage von Andreas, mit dem ich mich angefreundet habe. Andreas lebt wie ich in Fulda. Er ist heute 31 Jahre alt und hat den genetischen Defekt, den wir durch den Bluttest noch vor der Geburt feststellen können. Andreas hat das Downsyndrom. Er gehört also mit seiner Frage hierher, in diese Debatte – sozusagen mitten aus dem Leben mitten in den Bundestag. Bei unserer ersten Begegnung hat er indirekt eine Frage gestellt, die klar zeigt, wie aufmerksam Menschen wie er unsere Debatten verfolgen. Andreas sagte zu mir: „Ich find es total doof, dass ich eigentlich nicht leben soll“. – Er war dabei ehrlich entrüstet und sehr traurig zugleich. Was soll ich Andreas aus dieser Debatte berichten? Soll ich ihm sagen: „Ja, das finden wir auch, aber das ist nicht unsere Entscheidung, ob Menschen wie du leben sollen oder auch nicht leben sollen“? Das ist der Kern der heutigen Debatte. Sollen Menschen wie Andreas leben? Und wie schützen wir sein Menschenrecht auf Leben? Die heutige Debatte kann man nicht auf die Frage „Kassenleistung – ja oder nein?“ reduzieren – das geht sicher viel weiter“ (vgl. Deutscher Bundestag 2019, S. 11335).
Brand strukturiert seine Rede, indem er die Frage von „Andres“ aufgreift, der Downsyndrom hat. Dies ist eigentlich keine Frage, sondern eine Aussage. Andreas bewertet die pränatale Diagnostik als schlecht, da sie dazu diene, dass Menschen, die, wie er, T.21 haben, nicht geboren werden sollen. Dies suggeriert weiter, dass Menschen mit Behinderung, also Andreas selbst, weniger wertvoll sind als andere, da dieser Test überhaupt existiert.
Brand betont, dass Andreas durch seine Betroffenheit Teil der Debatte sei und eigentlich direkt im Bundestag sprechen solle. Brand fungiert dabei als Sprachrohr und transportiert das Anliegen von Andreas aus Fulda nach Berlin. Andreas wird in unterschiedlicher Weise geframed: Da nur sein Vorname genannt wird, sicher aus Datenschutzgründen, wird er gleichzeitig verkindlicht, da normalerweise nur Kinder mit Vornamen und ohne Nachnamen genannt werden. Zudem beschreibt Brand Andreas als „ er schien ehrlich entrüstet und traurig zugleich“, was ebenfalls eine kindliche Konnotation suggeriert, da die komplexen Emotionen scheinbar zielsicher von Brand erkannt und auf zwei Grundkomponenten reduziert werden. Das Adjektiv „entrüstet“ ist im Sprachgebrauch weniger üblich und wird normalerweise durch „wütend“ beschrieben. Alleine, dass Brand dies betont wirkt seltsam, da es um ein emotionales, die Menschen mit Behinderung im höchsten Maße betreffendes Thema ist. Brand lenkt den Fokus von Andreas` Problem auf sein eigenes: Was soll nun er als Politiker Andreas mitteilen? Er lehnt es ab, sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen, indem die Entscheidung an nicht genannte dritte abfällt. Diese nicht genannten Entscheidungsinstanzen könnten Eltern, ÄrztInnen, oder schwangere Frauen sein. Brand stellt nun die Frage, ob Menschen mit Downsyndrom, also auch Andreas, leben dürfen. Dadurch unterstützt er sein Hauptargument, dass die Debatte, ob der Bluttest eine Kassenleistung werden darf, sich nicht alleine technische, rationale und organisatorische Fragen drehen darf. Als Gegenspieler zu dem als a-moralischen, de-personalisierten und technisierten beschriebenen Diskurs führt er Andreas auf, ein Name als Repräsentation eines sonst abstrakten Kollektives von Menschen mit Trisomie 21.
Auswertung
Da die Beiträge der Abgeordneten schon vor der Debatte verfasst wurden, kann man nicht von einer Entwicklung des Diskurses über die Debatte hinweg sprechen. 7 der 36 Abgeordnete nennen explizit Menschen, oder Familien mit Kindern, die T. 21 haben. In diesen Beiträgen wurde ersichtlich, dass Menschen mit Behinderung tendenziell verkindlicht werden, indem sie mit ihren Familien, oder durch den Vormund der Verbände genannt werden. Auch die direkte Zitierung ihrer Sätze, die grammatikalisch einfacher gebaut sind und dem Ziele einer authentischen Wiedergabe genannt werden, verstärkt diese Konnotation. Jedoch entsteht auch ein Eindruck von Handlungsmacht, da sich Familien, Einzelpersonen und Kollektive, die Menschen mit Behinderung zuzuordnen sind, gegen die Kassenleistung einsetzen und ihr Erfolg ersichtlich wird, indem sie in der Debatte genannt werden und als moralische Instanz funktionieren. Auch lässt sich beobachten, dass viele der genannten Argumente aus den Stellungnahmen in der Bundestagsdebatte aufgegriffen werden. Dass Menschen mit Behinderung Teil des gesamtgesellschaftlichen Diskurses sind, lässt sich durch die analysierten sieben Abgeordneten nachweisen. Somit kann die Fragestellung, ob Menschen mit Behinderung in den Diskurs, ob der Bluttest eine Kassenleistung werden soll, eingehen, positiv beantwortet werden. Die aufgezählten Einschränkungen, wie keine direkte Repräsentation, beispielsweise in Form von Reden im Bundestag, oder die bevormundenden und verkindlichenden Tendenzen mancher Beiträge schränkt den Diskurs als aktiv handelnde politische Akteure zwar ein, einen maßgeblichen Einfluss auf den Diskurs haben sie dennoch.
Quellen
Dedreux, Natalie (2019): Petition. Menschen mit Down-Syndrom sollen nicht aussortiert werden! Online verfügbar unter: https://www.change.org/p/menschen-mit-downsyndrom-sollen-nicht-aussortiert-werden-ich-will-nicht-dass-die-krankenkasse-den-bluttest-bezahlt-goeringeckardt-tonihofreiter-dietmarbartsch-swagenknecht-c-lindner-andreanahlesspd-rbrinkhaus, zuletzt geprüft am 25.09.2019.
Deutscher Bundestag (2019): Bundestag berät über vorgeburtliche genetische Bluttests. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=ospKxggLle0, zuletzt geprüft am: 15.09.2019.
Deutscher Bundestag (2019): Plenarprotokoll 19/95, 95. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. April 2019. Online verfügbar unter: https://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19095.pdf#P.11315, zuletzt geprüft am 22.09.2019, S.11315- 11339.
Fischer, Ralf (2019): Prätests zwischen Fortschritt und Selektion. Online verfügbar unter: https://www.br.de/nachricht/trisomie-21-praenataldiagnostik-schwangerschaftsabbruch-100.html, zuletzt aktualisiert am 18.05.2019, zuletzt geprüft am 22.09.2019.
Keller, Reiner (2011): Diskursforschung: Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen. Wiesbaden. Verlag für Sozialwissenschaften.
Krotzik- Mathhei, Kathja (2019): Abtreibungen in der Debatte in Deutschland und Europa. Zentrum für politische Bildung, Ausgabe: 20/2019, . Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/apuz/290793/abtreibungen-in-der-debatte-in-deutschland-und-europa?p=2#footnode40-40, zuletzt aktualisiert am 10.05.2019, zuletzt geprüft a, 20.09.2019.
Lebenshilfe (2019): Stellungnahme der 21 Verbände. Online verfügbar unter: https://www.lebenshilfe.de/mitmachen/kampagnen/1221-trisomie-bluttest/, zuletzt geprüft am 25.09.2019.
Lebenshilfe (2019): Warum haben so viele Menschen so große Angst vor dem Down-Syndrom? Online verfügbar unter: https://www.lebenshilfe.de/presse/pressemeldung/warum-haben-viele-menschen-so-grosse-angst-vor-dem-down-syndrom/, zuletzt geprüft am 25.09.2019.