Inhaltsverzeichnis
Brainstorming
Die Forschungsidee entstand ursprünglich aus meinem Interesse, ob oder wie Kindern bzw. Heranwachsenden das Thema Schwangerschaftsabbruch vermittelt wird. Denn ich persönlich kann mich nicht erinnern, dass jemals in meiner Schulzeit das Thema Schwangerschaftsabbruch erwähnt wurde. Nun sind aber Kinder und Jugendliche die Erwachsenen von morgen, weshalb es umso wichtiger ist zu erforschen mit welchen Denkmustern sie aufwachsen und was heutige Erwachsene ihnen mit auf den Weg geben. Dafür sammelte ich verschiedene Medien und die dazugehörigen Quellen, in denen der Diskurs abgebildet werden könnte:
Mögliche Medien:
- Kinder- und Jugendlexika
- Bildungswebseiten
- Schulbücher
- veröffentlichtes Lehrmaterial
- Sexualaufklärungsbücher/ -flyer
- literarische Kinder- und Jugendbücher/ Hörbücher
Mögliche Quellen:
- Stadtbibliothek
- Schulen
- Internet
- Institutionen für Sexualaufklärung
- Kontakte zu SchülerInnen
Dazu versuchte ich mich an einer Soziale-Arena-Map, angelehnt an Clarke, zur besseren Übersicht des Themas: Map
Nach Reiner Keller sollen die Datenformate, wie z. B. textförmige Daten, zu der Fragestellung passen. (vgl. Keller: 2011: 86f.) Da ich erst ein vorläufiges Forschungsinteresse formuliert hatte, behielt ich in meiner Gedankensammlung auch z. B. Audiodaten. Nach der Suche in den verschiedenen Medien, entschied ich mich für die Analyse von Lehrbüchern, da es eine Fülle an Lehrbüchern gibt und in einigen ‚Schwangerschaftsabbruch‘ thematisiert wird. Andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, schlossen besonders im Kindesalter das Thema aus. Bildungswebseiten, auf denen der Schwangerschaftsabbruch erwähnt wurde, waren auch rar. Der Nachteil an Lehrbüchern ist, dass meist nicht alle Inhalte eines Buches in der Schule vermittelt werden. Außerdem spielt die Haltung der Lehrkraft auch eine Rolle ob oder wie er/ sie dieses Thema vermittelt. Somit kann ich nur ermitteln, welche Haltung den Kindern und Jugendlichen in der Schule vermittelt werden kann bzw. soll.
Daraus ergab sich folgende Forschungsfrage:
Forschungsfrage
Inwieweit und wie wird Kindern und Heranwachsenden in Schulen in Baden Württemberg das Thema Schwangerschaftsabbruch in zugelassenen Schulbüchern bereitgestellt?
Korpusbildung
Keller weist darauf hin, dass nicht nur die Analyse nach theoriegeleiteten und reflektierten Regeln erfolgen sollte, sondern auch die Korpusbildung. (vgl. Keller: 2011: 90) Außerdem ist es erforderlich, dass die Zusammenstellung der Daten in Bezug auf Auswahl und auf Vollständigkeit ständig hinterfragt werden soll. (vgl. Keller: 2011: 89)
Den Fokus bei dieser Arbeit legte ich auf Schulbücher und den Unterricht ergänzende Lehrmaterialien, die ich anhand von Listen vom Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) auswählte. Dabei wählte ich die Listen mit den neuesten Bildungsplänen. Diese Listen enthalten Aufzählungen von den aktuellsten zugelassenen Schulbüchern verschiedener Schularten für Baden Württemberg. Orientiert habe ich mich dabei an den Listen mit Fächern, in denen das Thema „Schwangerschaftsabbruch“ relevant sein könnten: Biologie, Materie Natur Technik, NWA Naturwissenschaftliches Arbeiten, Natur Technik. Die Fächer Religion und Ethik hatte ich zuerst außen vor gelassen, um eine sachliche/ naturwissenschaftliche und nicht religiöse oder ethische Perspektive auf das Thema Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Denn die Zulassung von Religionsbüchern ist nicht über die Verordnung des Kultusministeriums gegeben, sondern über die jeweiligen Religionsgemeinschaften. Vereinzelt sind auch GutachterInnen für die Zulassung von Schulbüchern verantwortlich, wie z. B. bei dem Fach Welt Zeit Gesellschaft und Ethik, wie es in Hauptschulen und Werkrealschulen gelehrt wird. (vgl. ZSL 2019: 3)
Allerdings schien es sehr selektiv zu sein Religion und Ethik aus der Analyse zu streichen, weil sie als Fächer genauso in den Schulalltag gehören und diese auch in den Klassenstufen nicht einfach weggelassen werden. So ergänzte ich meinen Datenkorpus um Religions- und Ethikbücher.
Am Anfang der Materialsuche begab ich mich noch von Schule zu Schule und fragte nach, ob ich einen Blick in die dortigen Schulbücher werfen darf. Das ganze stellte sich als ineffizient dar, da es einige Zeit kostete und ich auf die Mitarbeit der SekretärInnen angewiesen war. Daraufhin kam ich auf die Idee in der Bibliothek der pädagogischen Hochschule in Freiburg nachzuforschen, wo ich zum Großteil fündig wurde. Die Bücher durchsuchte ich im Verzeichnis nach Schlagworten wie z. B. ‚Schwangerschaftsabbruch‘, ‚Abtreibung‘, ‚Schwangerschaft‘ und ‚Embryo‘. Bücher ohne Verzeichnis durchsuchte ich entweder komplett, meist waren das Grundschullehrbücher, oder wählte passende Kapitel aus wie z. B. Kapitel über Sexualität.
Materialauswahl
Keller beschreibt, dass für eine Diskursanalyse in der Regel mehr als nur ein Dokument analysiert werden muss, um den gesamten Diskurs zu erfassen. Allerdings werden Forschende aufgrund der Menge auch nicht alle vorhandenen Daten analysieren können. (vgl. Keller: 2011: 91) Deshalb ist eine „[…] systematisch reflektierte und begründete Auswahl von Texten und Textteilen […]“ notwendig. (Keller: 2011: 91) Zu beachten gilt, dass auf eine gewisse Menge und eine Vergleichbarkeit der Daten geachtet wird, „[…] um das Problem des unbeabsichtigten Vergleichs von ‚Datenäpfeln‘ mit ‚Datenbirnen‘ zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen“. (Keller: 2011: 91) Da ich mich auf Lehrbücher und den Unterricht ergänzende Lehrmaterialien beschränkt habe, ist eine gute Vergleichbarkeit gegeben. Die Daten können sowohl in Klassen als auch in Schularten eingeteilt und miteinander verglichen werden. Nachteil an meiner Auswahl ist, dass ältere Schulbücher und Lehrmaterialien, die noch im Unterricht verwendet werden, hier heraus fallen. Außerdem werden auch Schulbücher und Lehrmaterialien, die nicht zugelassen sind, aber unter bestimmten Bedingungen (nach § 3 Abs. 3 Schulbuchzulassungsverordnung) trotzdem im Unterricht eingesetzt werden können, nicht erfasst. (vgl. ZSL 2019: 3) Wichtig ist laut Keller auch, dass die ausgewählten Daten für die Feinanalyse die Bandbreite des gesamten Datenmaterials abdecken sollte. Das gelingt u. a. durch eine Orientierung an die grounded theory mit dem theorieorientierten sampling und den Prinzipien der minimalen bzw. maximalen Kontrastierung. (vgl. Keller: 2011: 92)
Analysemethode
Die gesamte Analyse und deren Vorbereitung stützte ich auf Reiner Kellers Methoden zur Diskursforschung und auf Adele Clarkes Methode der Situationsanalyse. In Orientierung an Reiner Kellers empfohlener Methode des theorieorientierten sampling und der Prinzipien der minimalen bzw. maximalen Kontrastierung, kodierte ich zuerst die die Daten und sortierte sie dann in einer Tabelle.
Danach begann ich mit der Kontextanalyse und der anschließenden Interpretation (vgl. Keller 2011: 99). Es folgte die Analyse eines mir ‚bedeutsam‘ wirkenden Textes (Zeichen der Hoffnung) und dann die Auswahl eines möglichst gegenteiligen Textes (Natura). (vgl. Keller: 2011: 92) Den ersten Text wählte ich aufgrund der starken Position gegen Schwangerschaftsabbruch: „Jede Abtreibung ist eine Tötung menschlichen Lebens“. (Trutwin 2011: 160) Da es keinen direkt gegenteiligen Text gab der Schwangerschaftsabbruch ausschließlich positiv bewertete, entschied ich mich für das Natura-Buch, da es über die Gesetzeslage informiert und verschiedene Positionen darstellt. Auf diese Art und Weise ist laut Keller möglich nach und nach das gesamte Spektrum des Diskurses oder der Diskurse innerhalb meines Datenkorpus zu erfassen. Durch die minimale Kontrastierung, also durch die Auswahl eines möglichst ähnlichen Textes, war es mir möglich diesen Bereich des Diskurses detailliert und möglichst vollständig zu analysieren. (vgl. Keller: 2011: 92f.) Nach erfolgtem Sättigungseffekt blieben von 15 Lehrbüchern, in denen ‚Schwangerschaftsabbruch‘ thematisiert wurde, vier Bücher übrig.
Analyse
Lehrbuch: „Zeichen der Hoffnung“
Kontextanalyse
Fach: Katholischer Religionsunterricht
Publikum: Haupt-, Real- und GemeinschaftsschülerInnen der Sekundarstufe I mit den Jahrgangsstufen 9/10
Autor: Werner Trutwin
Zeitlicher Kontext: 2011, erste Auflage 2007. Ist aktuell als Lehrbuch zugelassen (2019)
Institutioneller Kontext:
Zulassung durch: die Diözesebischöfe von Aachen, Berlin, Dresden, Erfurt, Essen, Freiburg, Fulda, Görlitz, Hamburg, Hildesheim, Köln, Limburg, Magdeburg, Mainz, Münster, Osnabrück, Paderborn, Rottenburg-Stuttgart, Speyer und Trier
Der Kontext ist somit religiös-katholisch und das Buch zeitlich seit 2007 bis heute gültig. Die Texte sind an Jugendliche der Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschulen in den Klassen neun und zehn gerichtet.
Formale und sprachlich-rethorische Struktur
Die Oberthemen sind in entsprechende Abschnitte mit eigenen Überschriften gegliedert. Es werden praktische Aufgaben bzw. Denkaufgaben an die Jugendlichen gerichtet. Bilder, wie das Kunstwerk „Der schwangere Tod“ und eine Frau, die ein Baby küsst (vgl. Trutwin 2011: 161f.) unterstreichen die Themen, sowie Beispielaussagen von Betroffenen oder Gesetzestexte. Wichtige Aussagen werden z. B. durch Fettdrucke oder Einrahmungen hervorgehoben, wie z. B. „Abtreibung“ (Trutwin 2011: 160), „Tötung menschlichen Lebens“ (Trutwin 2011: 160) oder „Eine Abtreibung ist zu jedem Zeitpunkt die Tötung eines Menschen.“. (Trutwin 2011: 161) Auch Statistiken über die Abtreibungszahlen sind unter dem Titel „Erschreckende Zahlen“ dokumentiert. (Trutwin 2011: 163) Der Text vertritt eine starke negative Meinung gegenüber Schwangerschaftsabbruch und stellt eine Mutter vor, die ihr Kind behalten hat unter der Unterschrift „Ich habe mich richtig entschieden“ (Trutwin 2011: 162). Das suggeriert, dass ein Schwangerschaftsabbruch im Gegensatz dazu eine falsche Entscheidung ist. Dem Thema wird verhältnismäßig viel Raum im Buch eingeräumt (zwei Doppelseiten). Die Argumentationsstruktur ist sowohl aus der ärztlichen Praxis als auch aus der psychologischen, der persönlichen Praxis. (vgl. Trutwin 2011: 160f.) Ethisch wird argumentiert, dass das Recht des Ungeborenen einen höheren Stellenwert hat als das Recht der Frau. (vgl. Trutwin 2011: 162)
Interpretative Analytik
Elemente, die in diesem Text vorkommen sind schwangere „Frauen“, die sich im Schwangerschaftskonflikt befinden und eine Ärztin, die Abtreibung als Tötung ansieht und mit wissenschaftliche Erkenntnissen argumentiert, dass Embryonen Schmerzen empfinden können und von Anfang an etwas Lebendiges darstellen. Weitere Elemente sind eine Frau aus der psychologischen Praxis, sie argumentiert mit psychischen Folgen nach einem Abbruch, und eine weitere Frau, die beschreibt, dass es keinen perfekten Zeitpunkt für ein Kind gibt. Des weiteren wird ein Interview mit einer Frau abgebildet, die sich „richtig entschieden“ hat. Auch die Gesellschaft, die Kirchen, die Gesetzeslage und katholische Beratungsstellen sind Elemente. (vgl. Trutwin 2011: 160ff.) Dabei distanziert sich die Kirche von den „katholischen Laien“, die ein Beratungsangebot erstellt haben, indem auch ein Schein für den Schwangerschaftsabbruch erhalten werden kann.(vgl. Trutwin 2011: 163) Denn nach Weisung des Papstes Johannes Paul II. werden in katholischen Beratungstellen keine Scheine mehr ausgestellt, um „nicht an der Tötung eines Kindes mitzuwirken“. (Trutwin 2011: 163) Die psychologische und ärztliche Argumentation richten sich gegen Schwangerschaftsabbrüche: „Eine Abtreibung ist zu jedem Zeitpunkt die Tötung eines Menschen.“(Trutwin 2011: 161), „Das Leben wird durch eine Abtreibung behindert“ (Trutwin 2011: 161). Die Aussage einer Betroffenen: „Die Situation ist nie richtig, um ein Kind zu kriegen“ (Trutwin 2011: 161), ist auch ein Argument gegen Abbrüche, da sie den Zeitpunkt ein Kind zu kriegen als nie richtig bezeichnet und auch sonst immer etwas gegen das Kinderkriegen spricht, sie aber trotzdem das Kind möchte. (vgl. Trutwin 2011: 161) Damit hebelt sie sämtliche Gründe für einen Abbruch aus, ohne dabei sachlich zu argumentieren: „[…] ich will dieses Kind […]“ (Trutwin 2011: 161). Dem Publikum dieses Lehrbuchs wird somit nur Argumente gegen Abbrüche geliefert und Gründe für einen Abbruch als normal dargestellt („[…] all das stimmt nie, immer spricht irgendetwas dagegen.“). Der dargestellte Konflikt bezieht sich auf die Kirche gegen PolitikerInnen. Auch wird darauf hingewiesen, dass die Forderungen der Kirche auch außerhalb der kirchlichen Strukturen Zuspruch finden. (vgl. Trutwin 2011: 163) Somit wird SchülerInnen vermittelt, dass die Haltung der Kirche gesellschaftlich akzeptiert ist und nur noch die Gesetzeslage angepasst werden muss. Außen vor gelassen werden dabei Gründe für einen Abbruch bzw. einen straffreien Abbruch unter bestimmten Voraussetzungen oder einer gesellschaftlichen Diskussion. Eine Deutungsfigur könnte dabei sein: Abtreibung ist Tötung.
Lehrbuch: Natura
Kontextanalyse
Fach: Biologie
Publikum: GymnasiastInnen der Jahrgangsstufen 7-10
Autoren: Horst Bickel, Roman Claus, Roland Frank, Gert Haala, Martin Lüdecke, Günther Wichert und Dirk Zohren
Zeitlicher Kontext: 2018. Ist aktuell als Lehrbuch zugelassen (2019)
Institutioneller Kontext:
Zulassung durch: nach der Verordnung des Kultusministeriums
Formale und sprachlich-rethorische Struktur
Dem Thema Schwangerschaftsabbruch ist eine Doppelseite in dem Lehrbuch eingeräumt worden. Es hat insgesamt neun Unterthemen, die in nummerierten Unterüberschriften verschriftlicht wurden. Es werden praktische Aufgaben bzw. Denkaufgaben an die Jugendlichen gerichtet. Die Doppelseite ist sehr schlicht gestaltet mit viel Text. Es gibt nur eine Grafik, die vermutlich zur Struktur des Buches gehört und nicht unmittelbar mit dem Thema zu tun hat. Weitere Bilder sind nur in Form von Wasserzeichen hinter dem Text vorhanden. Es handelt sich dabei um ein Symbol eines Paragraphen und ein ÄrztInnensymbol, passend zu einzelnen Unterthemen die beleuchtet werden. Dabei sind fast ausschließlich Originalzitate verwendet worden. Bis auf die Beispiele der Betroffenen werden keine Emotionen genannt. Es werden auch keinerlei Appelle an die LeserInnen gesetzt. (vgl. Bickel et al. 2018: 300f.)
Interpretative Analytik
Elemente, die auf dieser Doppelseite vorkommen sind Aussagen aus einem Beratungsbuch sowie drei Erfahrungsberichte, bei denen die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch nicht explizit dargestellt wird – die Erfahrungen einer 16-Jährigen, eines Paares und eines Mannes. Die einzelnen Beispiele stehen in keinem beziehungstechnischen Zusammenhang. Es wird in den ersten beiden Beispielen nur die Situation beschrieben, wie z. B. eine 16-Jährige ungewollt schwanger geworden ist, ein Paar erfährt, dass ihr ungeborenes Kind zu 90 % schwerste körperliche und geistige Behinderungen haben wird. In der letzten Situation wird von einer ungewollten Schwangerschaft gesprochen, bei der die Mutter das Kind bekommen hat gegen den Willen des Vaters, der allerdings nach der Geburt froh über die Entscheidung der Mutter war. Weitere Elemente sind das entsprechende Gesetz heutzutage (§218 und §218a) und die Gesetzeslage ab 1871, sowie verschiedene Sichtweisen des Beginns des menschlichen Lebens. Auch unterschiedliche Ansichten vergangener Kulturen sowie die Problematik einer Abtreibung werden beleuchtet. (vgl. Bickel et al. 2018: 300f.) Gemeinsam haben diese Elemente, dass unterschiedliche Sichtweisen benannt werden und offen bleibt, ob Schwangerschaftsabbruch in Ordnung ist oder nicht. Die Problematik von Abbrüchen werden in einem Zitat von Kurt Tucholski beschrieben, allerdings nicht direkt – es gehört eine Interpretationleistung dazu. Er schreibt aus der Perspektive eines Ungeborenen, wie sehr er behütet wird, allerdings nach der Geburt wird sich nicht um das Kind gekümmert. Er hinterfragt, ob das nicht eine merkwürdige Fürsorge ist. (vgl. Bickel et al. 2018: 301) Somit kann das einerseits interpretiert werden, dass das Ungeborene mehr Wert hat als das Geborene und andererseits kann es darauf aufmerksam machen, dass es dem Geborenen nicht gut geht auf der Welt und es vielleicht nie hätte geboren werden sollen.
Die einzelnen Elemente stehen gegenteilig zueinander z. B. wird bei römischen Philosophen beschrieben, dass der Fetus ein Teil der Mutter ist und nicht wie bei der theologischen Sichtweise das eigene Leben bereits ab der Empfängnis anfängt. (vgl. Bickel et al. 2018: 301) Lösungsmöglichkeiten werden keine gegeben. Ganz im Gegenteil Lösungsmöglichkeiten sind Teil der Aufgaben und regt SchülerInnen an sich eine eigene Meinung zu bilden und selbst Lösungen für beispielhafte Konflikte zu finden. (vgl. Bickel et al. 2018: 301) Im Gegensatz zum Lehrbuch ‚Zeichen der Hoffnung‘ sind diese Doppelseiten möglichst neutral gehalten und spiegelt verschiedene Haltungen zum Schwangerschaftsabbruch wider. Allerdings wird eher eine geschichtliche Perspektive eingenommen und weniger auf aktuellere Bewegungen gesetzt. Es ist ersichtlich, dass verschiedene Perspektiven existieren, aber es scheint nicht ein dringliches oder sehr aktuelles Thema zu sein.
Eine Deutungsfigur könnte dabei sein: Schwangerschaftsabbruch aus verschiedenen Perspektiven.
Lehrbuch: Erlebnis Biologie 7/8
Kontextanalyse
Fach: Biologie
Publikum: GemeinschaftsschülerInnen der Jahrgangsstufen 7/8
AutorInnen: Freundner-Huneke, Imme; Möllers, Ralph; Schulz, Siegfried; Zeeb, Annely
Zeitlicher Kontext: 2016. Ist aktuell als Lehrbuch zugelassen (2019)
Institutioneller Kontext:
Zulassung durch: nach der Verordnung des Kultusministeriums
Formale und sprachlich-rethorische Struktur
Auch in diesem Lehrbuch wird dem Thema Schwangerschaftsabbruch eine Doppelseite zugesprochen. Das Thema wird von Bildern unterstrichen, davon zwei Grafiken und drei Abbildungen von Menschen. Interessant ist, dass gleich zu Beginn Aufgaben an die SchülerInnen gestellt werden, anstatt erst Informationen zu geben. Nur ein Wort ist im Text durch Fettdruck hervorgehoben: „Schwangerschaftskonfliktberatung“. (vgl. Freundner-Huneke et al. 2016: 146) Hier werden die Gefühle einer ungeplant schwangeren 17-Jährigen beschrieben. Dabei handelt es sich um Freude und gleichzeitig Angst. Gegenteilige Emotionen, die allerdings zusammen auftreten und den inneren Konflikt in der 17-Jährigen unterstreichen könnten. Auch die Darstellung der Schwangeren mit gesenktem Blick und auf die Hand gestütztem Kopf unterstreicht ihre Nachdenklichkeit. Auf einem weiteren Bild ist ebenso eine Person mit gesenktem Kopf, stützend auf den Händen abgebildet. Auch die vielen Fragen, die hintereinander gestellt werden, können die Gedankenwelt der 17-Jährigen beschreiben. (vgl. Freundner-Huneke et al. 2016: 146f.) Argumentiert wird hier mit dem Gesetz, das eine Schwangerschaftskonfliktberatung vor einem Abbruch vorschreibt mit dem Ziel ungeborenen Lebens zu schützen und weitere gesetzliche Regelungen rund um den § 218, wie die Legalität eines Abbruchs. (vgl. Freundner-Huneke et al. 2016: 146f.)
Interpretative Analytik
Auf dieser Doppelseite sind Julia und Tom als potentielle Eltern Elemente. Auch die Schwangerschaftskonfliktberatung und die Gesetzeslage sind Elemente. Die verschiedene Beratungsstellen sind auch Teil davon. Ein weiteres wichtiges Element ist die persönliche Entscheidung. Wie Julia und Tom zueinander stehen wird nicht explizit aufgeschrieben, sondern ist nur anhand der Bilder von den beiden erkennbar. Dabei stützt, wie oben beschrieben, Julia mit gesenktem Blick ihren Kopf auf ihre Hand. Ihre Körperhaltung ist zusammengesunken. Das wirkt nachdenklich und/ oder traurig. Tom hingegen hat den Blick auf ein Tablet gerichtet, das er in der Hand hält. Er liegt liegend im Bett und seine Hände sind passiv, denn der rechte Arm ist unter seiner Brust und der linke hält das Tablet. Das wirkt einerseits so als würde er sich im Internet informieren z. B. lesend oder ein Video anschauend oder es könnte auch sein, dass er sich ablenkt. Die beiden werden nicht miteinander auf einem Bild dargestellt, sondern getrennt und in unterschiedlichen Positionen, was auf unterschiedliche Gefühle oder Gedanken hindeuten könnte. Auf einer Grafik wird eine Frau dargestellt, mit einem Laptop auf dem Schoß, an dem sie tippt. Neben ihr liegt eine offene Verpackung mit einem Schwangerschaftstest. Ihr Blick ist neutral. Sie könnte eine sich informierende Schwangere darstellen. Als Lösung dieses Gedankenchaos werden AnsprechpartnerInnen, wie PartnerInnen, die Eltern oder LehrerInnen vorgeschlagen. Konfliktberatungsstellen werden hervorgehoben und näher beschrieben. (vgl. Freundner-Huneke et al. 2016: 146) In einer Grafik werden verschiedene Konfliktberatungsstellen auf einem Wegekreuz dargestellt. Dabei geht jede Beratungsstelle in eine andere Richtung. Das kann die verschiedenen Richtungen einer Beratungsstelle symbolisieren und deren Unterschiedlichkeit. Als Fortsetzung der Lösung wird ein Schwangerschaftsabbruch als Möglichkeit diskutiert, allerdings mit dem Hinweis, dass es sich hier um eine rechtswidrige Handlung handelt, die unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt.(vgl. Freundner-Huneke et al. 2016: 147)
Eine direkte Lösung, wie pro oder contra Schwangerschaftsabbruch wird nicht gegeben, nur ein Hinweis auf die Entscheidung in eigener Verantwortung nach einer Beratung. (vgl. Freundner-Huneke et al. 2016: 147) Die Schwangerschaftskonfliktberatung wird zwar ergebnisoffen geführt, aber zielt dennoch darauf ab ungeborenen Lebens zu schützen und den potentiell werdenden Eltern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie ihr Leben mit dem Kind gestalten können. (vgl. Freundner-Huneke et al. 2016: 146f.) Interessant ist dabei die Formulierung „[…] die Schwangere wird nicht dazu gedrängt, das Kind auf jeden Fall auszutragen“ (Freundner-Huneke et al. 2016: 147). Das „auf jeden Fall“ betont, dass es keine ausweglose Situation ist das Kind auszutragen, sondern, dass nur eine kleine Möglichkeit besteht abzutreiben. Würde das „auf jeden Fall“ weggelassen werden, würden sich die Möglichkeiten abzutreiben oder das Embryo zu behalten etwa auf die gleiche Chance angleichen. Im Umkehrschluss wird die schwangere Person also ein bisschen gedrängt. Auch die Formulierung „Kann sich die Schwangere ein Leben mit dem Kind überhaupt nicht vorstellen, […]“ (Freundner-Huneke et al. 2016: 147) ist stark betonend durch das „überhaupt“. Ein dazwischen gibt es nicht, es gibt nur die Extreme. Das Kind soll somit erst z. B. zur Adoption freigegeben werden oder als Embryo entfernt werden, wenn sich die schwangere Person absolut sicher ist.
Eine Deutungsfigur könnte dabei sein: Beratung zur Entscheidungshilfe
Lehrbuch: Reli konkret 3
Kontextanalyse
Fach: Katholische Religion
Publikum:Real- und WerkrealschülerInnen der Jahrgangsstufen 9/10
AutorInnen: Frank, Peter; Kern, Ulrike; Nörtersheser, Hans-Walter; Rathgeb, Martin; Rathgeb, Simone; Schuhmacher, Christian und Schupp, Barbara
Zeitlicher Kontext: 2011. Ist aktuell als Lehrbuch zugelassen (2019)
Institutioneller Kontext:
Zulassung durch: die Diözesebischöfe von Freiburg, Mainz und Rottenburg-Stuttgart
Formale und sprachlich-rethorische Struktur
Auffällig ist das große Bild eines Fetus in der 18. Schwangerschaftswoche. Es nimmt eine von zwei Seiten zum Thema ein. Auf dem Bild ist der Kopf mit den Augen und der Körper mit den Armen zu erkennen. (vgl. Frank et al. 2011: 125) Auf der vorigen Seite steht eine große Überschrift „Leben – von Anfang an“ (Frank et al. 2011: 124). Darunter gibt es zwei Texte mit jeweiligen Unterüberschriften und zwei Kästen mit Aufgaben. Hier wird biologisch argumentiert „[…] Verschmelzung von weiblicher Eizelle und männlicher Samenzelle […]“, „[…] wichtige Merkmale, wie die Farbe der Augen […]“, „Es beginnt eine Entwicklung, die erst mit dem Tod endet“, „Wenn der Embryo noch nicht einmal ganze zwei Millimeter groß ist, funktioniert bereits sein [sic!] Gehirn.“ (Frank et al. 2011: 124) Aber auch mit Gefühlen wird argumentiert: „Auch die Gefühlszustände der Schwangeren [sic!] teilen sich dem Embryo mit […]“ (Frank et al. 2011: 124), das zeigt die enge Verbundenheit zwischen der schwangeren Person und dem Embryo. Ein weiterer Argumentationsstrang ist moralisch, die kirchliche Instanz der Bischöfe: „Menschliches Leben besitzt von Anfang an eine eigene Würde […]“. (Frank et al. 2011: 124) Alle drei Argumentationstrukturen stehen im Einklang miteinander und machen deutlich, dass Leben bereits ab der Befruchtung der Eizelle durch die Samenzelle entsteht. Die Schulaufgabe besteht darin Argumente zu sammeln für diese und andere Positionen. (vgl. Frank et al. 2011: 124)
Interpretative Analytik
Die verschiedenen Elemente Biologie, Kirche und Gefühle befinden sich, wie oben beschrieben, im Einklang zu der Anfangs getätigten Aussage, dass Leben von Anfang an besteht. (vgl. Frank et al. 2011: 124) Das Bild des Fetus als erkennbar menschliches Wesen trägt auch dazu bei. (vgl. Frank et al. 2011: 124) Der Fetus wird besonders detailliert in den einzelnen Entwicklungsstadien beschrieben. (vgl. Frank et al. 2011: 124) Bei einem Vergleich zwischen geborenem Menschen und Embryo können viele Gemeinsamkeiten festgestellt werden. Der Hinweis auf bestimmte Merkmale wie Haare oder Schuhgröße lassen den Embryo individueller und wie eine Person wirken, die noch nicht gänzlich entwickelt ist. Dazu trägt auch die Aussage bei: „Es beginnt eine Entwicklung, die erst mit dem Tod endet.“ (Frank et al. 2011: 124)
Abtreibung wird nicht explizit erwähnt, aber durch die einheitliche Argumentationsstruktur wird diese von Anfang an ausgeschlossen, da das Embryo nach der Befruchtung aus dem schwangeren Körper entfernt wird. Auch die starke Verbundenheit von Embryo und der schwangeren Person lässt alleine durch die Argumentation keinen Schwangerschaftsabbruch zu. (vgl. Frank et al. 2011: 124)
Eine Deutungsfigur könnte dabei sein: Leben ab Befruchtung
Fazit und Reflexion
Auffällig bei der Zusammenstellung des Datenkorpus war, dass Schwangerschaftsabbruch nicht in Grundschullehrbüchern erwähnt wurde. Auch in den evangelischen Lehrbüchern habe ich das Thema nicht gefunden. Nach Analyse der Bücher sind unterschiedliche Diskursstrukturen sichtbar geworden. Interessant ist hier, dass das selbe Thema in unterschiedlichen Fächern anders behandelt wird. Z. B. wird in den Religionsbüchern von vorneherein geklärt, was gut oder was schlecht ist. Es kann zwar darüber diskutiert werden, aber dass Abtreibung Tötung ist, wird trotzdem als Fakt dargestellt. Anders bei den Biologiebüchern - sie stützen sich auf Gesetzestexte, Erfahrungsberichte und andere Hintergründe, um ein umfassendes Bild von mehreren Seiten zu geben. Außerdem bieten sie keine direkte Lösung ob Schwangerschaftsabbruch zu befürworten ist oder nicht, sondern Informationen, über die sich die SchülerInnen eine eigene Meinung bilden können. Somit kann festgehalten werden, dass der katholisch-religiös-lehrende Diskurs in Richtung Abtreibung ist Tötung geht. Mit der Argumentation, dass Leben ab der Befruchtung anfängt und niemand Leben auslöschen darf. Im Bereich des biologisch-lehrenden Diskurses wird letztendlich die Entscheidung der schwangeren Person überlassen mit einer vielfältigeren Argumentation, wie z. B. gesetzlich, geschichtlich oder medizinisch. Erwähnenswert ist auch, dass das Buch Reli konkret in zwei Ausführungen vorhanden ist. Einerseits für Real- und Werkrealschulen und andererseits für Hauptschulen. Im Hauptschulbuch wurden allerdings Kapitel herausgenommen, so auch das Kapitel, in dem Schwangerschaftsabbruch thematisiert wird. Ich habe mich bemüht auch während des Forschungsprozesses ständig zu reflektieren. Eine große Hilfe waren dabei KommilitonInnen, die meine Entscheidung Religionsbücher und Ethikbücher wegzulassen in Frage gestellt haben. So reflektierte ich meine Entscheidung und nahm die Bücher doch in den Datenkorpus auf, was meine Analyse aufwertete. Für ein größeres Forschungsprojekt dieser Art würde ich vorschlagen auch die Listen der zugelassenen Lehrbücher mit älteren Bildungsplänen zu berücksichtigen. Das war mir leider aufgrund der Menge der Bücher in diesem Zeitraum nicht möglich. Eine weitere Schwierigkeit war der Zugang zu den Büchern, den ich nicht zu jedem Buch hatte, das auf den Listen stand, was natürlich die Wissenschaftlichkeit der Datenerhebung vermindert.
Literatur
Clarke, Adele (2012): Situationsanalyse. Grounded Theory nach dem Postmodern Turn, Wiesbaden.
Bickel, Horst; Claus, Roman; Frank, Roland; Haala, Gert; Lüdecke, Martin, Wichert, Günther und Zohren, Dirk (2018): Natura. Biologie für Gymnasien. 7. bis 10. Schuljahr, Stuttgart.
Frank, Peter; Kern, Ulrike; Nörtersheser, Hans-Walter; Rathgeb, Martin; Rathgeb, Simone; Schuhmacher, Christian; Schupp, Barbara (2011): Reli konkret 3. Unterrichtswerk für katholischen Religionsunterricht an Realschulen und Werkrealschulen in den Jahrgangsstufen 9/10 in Baden Württemberg, Hilger, Georg; Reil, Elisabeth (Hg.), München.
Freundner-Huneke, Imme; Möllers, Ralph; Schulz, Siegfried; Zeeb, Annely (2016): Erlebnis Biologie 7/8. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Braunschweig.
Keller, Reiner (2011): Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Wiesbaden.
Trutwin, Werner (2011): Zeichen der Hoffnung. Grundfassung Religion – Sekundarstufe I. Jahrgangsstufen 9/10, München.
Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) (Hg.) (2019): Liste der zugelassenen Schulbücher Hauptschulen. Zulassungen auf der Basis des Bildungsplans 2004 mit Ergänzungen 2010 und 2012.
Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) (Hg.) (2019): Liste der zugelassenen Schulbücher Allgemein bildendes Gymnasium. Zulassungen auf der Basis des Bildungsplans 2016.
Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) (Hg.) (2019): Liste der zugelassenen Schulbücher Realschulen. Zulassungen auf der Basis des Bildungsplans 2004.
Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) (Hg.) (2019): Liste der zugelassenen Schulbücher Hauptschule/Werkrealschule, Realschule Gemeinschaftsschule bis Klasse 10. Zulassungen auf der Basis des Bildungsplans Sekundarstufe 2016.