Data Feminism – Datenfeminismus

Data Feminism, oder auch Datenfeminismus, ist die Betrachtung der Datenerfassung und Datenverarbeitung aus feministischer Perspektive mit dem Ziel, diskriminierende Strukturen und Praktiken aufzuzeigen und diese zu verändern. Dabei spielen durch Daten ausgeübte Macht und dabei entstehende oder verstärkte intersektionale Diskriminierungen eine große Rolle.

Wesentliche Merkmale

Datenerfassung und Datenverarbeitung spielen heutzutage eine immer größere Rolle. Daten einsehen und für eigene Zwecke nutzen zu können, bedeutet potenziell große Macht über andere zu haben und jegliche Lebensbereiche beeinflussen zu können. Diese wird nicht nur durch die Nutzung der Daten als Ressource erlangt, sondern schon durch die Macht, entscheiden zu können, wie Daten kategorisiert und interpretiert werden und somit die weitere Verarbeitung zu kontrollieren. [1]

Diese Macht birgt die Gefahr, missbraucht zu werden und Diskriminierungen und Unterdrückung zu verstärken oder gar erst zu erzeugen. Diese zu erkennen und dagegen anzukämpfen, das haben sich Datenfeminist*innen zur Aufgabe gemacht. Häufig erscheinen Daten und darauf basierende Information und Entscheidungen objektiv und neutral, obwohl sie menschengemacht sind und durch die Situiertheit der sie verarbeitenden Menschen keine Objektivität erreicht werden kann. Vor allem durch die Selektion der Daten für die Weiterverarbeitung können sich Schlussfolgerungen, die aus den Daten gezogen werden, stark verändern. [2]

Zudem können Daten häufig erst effektiv verwendet werden, wenn durch Erfahrungswissen erschlossen werden kann, welche Daten besondere Aufmerksamkeit erhalten sollten. So können diese durch die Mitarbeit von Betroffenen zum Beispiel genutzt werden, um diskriminierende Strukturen aufzuzeigen. Gleichwohl besteht die oben genannte Gefahr, dass gerade durch dieses Phänomen Probleme unerkannt bleiben oder vertuscht werden, weil die Personen, die an der Datenverarbeitung beteiligt sind, von der Aufrechterhaltung diskriminierender Strukturen profitieren oder diese durch ihre eigenen Privilegien gar nicht erst wahrnehmen.

Ein weiterer Grund, warum es so wichtig ist, sich aus feministischer Perspektive mit Daten zu beschäftigen, wird erkennbar anhand vieler wichtiger Bereiche unseres Lebens, die zu einem großen Teil von Datenverarbeitung bestimmt sind. Dazu zählen unter anderem das Gesundheitswesen, die Verwaltung des Staatsapparats, das Bildungssystem, die Strafverfolgung, die Arbeitswelt und die Finanzwelt. [1] Wie Daten verarbeitet werden und was für ideologische Ansätze dahinterstehen oder Diskriminierung unhinterfragt vom gesellschaftlichen Alltag übernommen wird, hat also einen großen Einfluss auf das Leben aller und besonders stark auf das Leben von marginalisierten Menschen. Durch die Anonymität, die für die Verantwortlichen entsteht, wenn zunehmend Algorithmen programmiert werden, um Entscheidungen zu treffen, wird besonders zur Gefahr für Menschen, die durch das Raster der Datenverarbeitung fallen, weil sie nicht an eine Norm angepasst werden können.

Da Datenerfassung meist aufgrund der Demographie der Technik-Branche auf eurozentrischer, weißer, männlicher und heteronormativer Sichtweise aufbaut, bleiben viele Menschen, die nicht in dieses Bild passen, außen vor. Das führt zum Beispiel dazu, dass nonbinäre Menschen in Statistiken nicht erfasst werden oder die Standards für Gesundheit, Aussehen und Beziehungen anhand eurozentrischer Normen festgelegt werden. [1]

Insgesamt verfolgt Datenfeminismus einen intersektionalen Ansatz, um die Überlappung verschiedener Machtstrukturen, nicht nur aufgrund von Geschlecht, sondern vielen weiteren Faktoren, aufgrund dessen Menschen marginalisiert werden, offenzulegen und für Veränderung hin zu einer gerechten Datenverarbeitung zu kämpfen.

Das Werk "Data Feminism" von Catherine D'Ignazio und Lauren F. Klein

„Data Feminism“ , geschrieben von Catherine D'Ignazio und Lauren F. Klein und 2020 veröffentlicht, ist ein öffentliches und im Internet kostenfrei lesbares Werk über die feministische und intersektionale Sicht auf die Wissenschaft der Daten und ihrer Ethik. Es ist ein Pionier des Datenfeminismus und somit sehr einflussreich in seiner Beschreibung und Definition des Datenfeminismus. Es wurde zunächst im laufenden Bearbeitungsprozess veröffentlicht, um Außenstehenden die Möglichkeit zu geben, ihre Perspektiven miteinzubringen und ist seit Anfang 2020 fertiggestellt.

Darin werden die Möglichkeiten der Nutzung von Daten für gesellschaftliche Veränderungen, aber auch des Missbrauchs von Daten dargestellt. Auch wird analysiert, wer die Macht über und durch die gesammelten Daten hat und wer außen vor bleibt. [4]

Die Einleitung „Introduction: Why Data Science Needs Feminism“ erklärt, warum eine feministische Analyse der Wissenschaft der Datenverarbeitung notwendig ist, warum eine intersektionale Herangehensweise bevorzugt wird und der Begriff „Data Feminism“ definiert.

Im ersten Kapitel „1. The Power Chapter“ wird gezeigt, wie Machtverhältnisse unsere Wirklichkeit prägen. Dazu zählen strukturelle Machtausübung, etwa durch Gesetze, disziplinäre Machtausübung, wodurch unter anderem die geschaffenen Gesetze durchgesetzt werden, hegemoniale Machtausübung zum Beispiel durch Werte einer Kultur und die zwischenmenschliche Machtausübung, die in individuellen Unterdrückungserfahrungen auftreten. [5] Weiter wird hinterfragt, wer Daten erstellt und wer von ihnen profitieren soll und kann.

Das zweite Kapitel „2. Collect, Analyze, Imagine, Teach“ behandelt die Frage, wie Feminismus diese Machtstrukturen in Frage stellen und gegen Ungerechtigkeit kämpfen kann. Dabei sollen unterdrückende Strukturen offengelegt werden und Strategien entwickelt und gelehrt werden, um diese nachhaltig umzustürzen.

Das dritte Kapitel „3. On Rational, Scientific, Objective Viewpoints from Mythical, Imaginary, Impossible Standpoints“ fordert, mehr Wert auf Emotion und Verkörperung bei der Vermittlung von Daten zu legen und sie nicht zugunsten einer scheinbaren Objektivität zu verdrängen. Dabei werden vor allem die bisher vorherrschenden Standards für die Visualisierung von Daten kritisiert.

Im vierten Kapitel „4. “What Gets Counted Counts” werden Hierarchien und Kategorisierungen, besonders die binäre Einteilung der Geschlechter in Frage gestellt und ihre Folgen betrachtet. Außerdem werden alternative Formen der Kategorisierung aufgezeigt.

Das fünfte Kapitel „5. Unicorns, Janitors, Ninjas, Wizards, and Rock Stars“ handelt von der Idee, viele verschiedene Perspektiven zu vereinen, um möglichst vollständiges Wissen zu erreichen, wobei besonders alternative, fern von der eurozentrischen Wissenschaftspraxis entwickelte Wissensgewinnung betrachtet werden sollte. Zusätzlich beschäftigt sich das Kapitel mit den Methoden der Selektion von Daten für ihre Weiterverarbeitung.

Im sechsten Kapitel „6. The Numbers Don’t Speak for Themselves“ geht es um das unerreichbare Ideal der Objektivität und Neutralität von Daten und was für eine Rolle Situiertheit bei der Verarbeitung von Daten spielt. Diese Situiertheit und der Kontext der Datenerfassung sollten miteinbezogen und mit den Daten kommuniziert werden.

Das siebte Kapitel „7. Show Your Work“ beschreibt, warum die Arbeit, die in die Verarbeitung von Daten gesteckt wird, offen gezeigt werden und alle Beteiligten sichtbar gemacht werden sollten. Vor allem in Bezug auf Frauen und People of Colour ist noch viel Arbeit nötig, damit sie endlich ihre verdiente Wertschätzung erhalten.

Im letzten Kapitel „Conclusion: Now Let’s Multiply“ wird geschlussfolgert, dass Intersektionalität notwendig ist, um Ungerechtigkeit effektiv zu bekämpfen. Auch sollte Wert auf diverse Perspektiven gelegt werden, da die Situiertheit jeder Person verhindert, dass sie Erfahrungen von anderen Menschen allumfassend beschreiben kann.

[6]

Die Prinzipien des Datenfeminismus sind folglich wie in „Data Feminism“ definiert:

„Principle #1 of Data Feminism is to Examine Power. Data feminism begins by analyzing how power operates in the world.“

„Principle #2 of Data Feminism is to Challenge Power. Data feminism commits to challenging unequal power structures and working toward justice.“

„Principle #3 of Data Feminism is to Elevate Emotion and Embodiment. Data feminism teaches us to value multiple forms of knowledge, including the knowledge that comes from people as living, feeling bodies in the world.“

„Principle #4 of Data Feminism is to Rethink Binaries and Hierarchies. Data feminism requires us to challenge the gender binary, along with other systems of counting and classification that perpetuate oppression.“

„Principle #5 of Data Feminism is to Embrace Pluralism. Data feminism insists that the most complete knowledge comes from synthesizing multiple perspectives, with priority given to local, Indigenous, and experiential ways of knowing.“

„Principle #6 of Data Feminism is to Consider Context. Data feminism asserts that data are not neutral or objective. They are the products of unequal social relations, and this context is essential for conducting accurate, ethical analysis.“

„Principle #7 of Data Feminism is to Make Labor Visible. The work of data science, like all work in the world, is the work of many hands. Data feminism makes this labor visible so that it can be recognized and valued.“

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Intersektionalität

Offene Fragen, die durch den intersektionalen Anspruch von Datenfeminismus entstehen und noch weiter erforscht werden müssen, sind zum Beispiel:

* Perspektiven Schwarzer Menschen: Arbeit in Kollektiven, Wissen von Individuen, Menschlichkeit von Daten

* Queere Identitäten: gegenwärtige Einteilung der Menschen in Geschlechter ist meist unvollständig, Heteronormativität, Unsichtbarkeit

* Disability Studies: soziale Strukturen, die Menschen mit von der Norm abweichenden Körpern an ihrer Entfaltung hindern

* Postkolonialismus: Macht, Politik und Geografie

* Indigene Menschen: Wertschätzung kulturellen Wissens, Arbeitsethik und Verantwortung

[3]

Quellen

[1] „Datenfeminismus: Big Data, Überwachung und Gender“,Nicole Shephard, 18.02.2019, abgerufen auf https://www.gwi-boell.de/de/2019/01/18/datenfeminismus-big-data-ueberwachung-und-gender am 17.03.2022.

[2] D’Ignazio, C., & Klein, L. (2020). Introduction: Why Data Science Needs Feminism. In Data Feminism. Zu finden unter https://data-feminism.mitpress.mit.edu/pub/frfa9szd, abgerufen am 17.03.2022.

[3] D’Ignazio, C., & Klein, L. (2020). Conclusion: Now Let’s Multiply. In Data Feminism. Zu finden unter from https://data-feminism.mitpress.mit.edu/pub/a1ao95xs, abgerufen am 17.03.2022.

[4] About „Data Feminism“, https://data-feminism.mitpress.mit.edu/, abgerufen am 17.03.2022.

[5] D’Ignazio, C., & Klein, L. (2020). 1. The Power Chapter. In Data Feminism. RZu finden unter https://data-feminism.mitpress.mit.edu/pub/vi8obxh7, abgerufen am 17.03.2022.

[6] „Data Feminism“, D’Ignazio, C., & Klein, L. (2020). https://data-feminism.mitpress.mit.edu/, abgerufen am 17.03.2022.

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