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Karin Knorr-Cetina und ihr Beitrag zum Konstruktivismus
Karin Knorr-Cetina
Leben und Werdegang
Die Soziologin und Wissenschaftstheoretikerin Prof. Dr. Dr. Karin Dagmar Knorr-Cetina (*19 Juli 1944 in Graz) ist für ihre Texte und den damit einhergehenden Tabubruch bekannt.
Nach ihrer Dissertation im Jahre 1971 im Bereich der Kulturanthropologie an der Universität Wien und ihrer Arbeit für Soziologie am Institut für Höhere Studien, welches sich ebenfalls in Wien befindet, legte Knorr-Cetina ihren Fokus vor allem auf die Wissenschaftsforschung. Für ihre eigene Forschungen reiste sie zwischen 1979 und 1983 auch in die USA, wo sie sich an der University of Pennsylvania, am Virginia Polytechnic Institute und an der Wesleyan University in Connecticut aufhielt. Ihre Habilitation schloss die Wissenschaftstheoretikerin schließlich an der Universität Bielefeld im Jahre 1981 ab, wohin sie auch zwei Jahre später wechselte. Selbst hier ist sie bekannt für ihre praxisfokussierte Sichtweise, welche sie in ihren Sammelbänden zur Wissenschaftsforschung verschriftlicht (vgl. Pörksen 2015: 230).
Heute hält sich Knorr-Cetina an den Universitäten Konstanz und Chicago auf, wobei sie ihr Interesse an Finanzen gefunden hat und sich diesem nun widmet (vgl. Knorr-Cetina/Preda 2021: 190; Pörksen 2015: 230). Selbst in diesem Themenbereich verfolgt sie den mikro-soziologischen Blick und veröffentlichte bereits ein Buch über die Soziologie des Finanzmarktes (vgl. Knorr-Cetina/Preda 2021: 194ff).
Besonders bekannt sind und bleiben jedoch ihre Werke und die empirische Studie zur „Fabrikation von Erkenntnis“, mit welchen sie zur Rekonstruktion der wissenschaftlichen Alltagsroutinen beitrug und darin ihr empirisches Programm für den (Sozial-)Konstruktivismus begründete.
Einige Forschungsschwerpunkte
- Empirische Wissenssoziologie
- Wirtschaftssoziologie
- Globalisierung
- Ethnografie
- Qualitative Methoden
Werke (Auswahl)
- Knorr-Cetina, K. (1975), Determinants and Controls of Scientists Development. Holland.
- Knorr-Cetina, K. (1981), The Manufacture of Knowledge. An Essay on the Constructivist and Contextual Nature of Science. Oxford.
→(Dt.) Knorr-Cetina, K. (1984), Die Fabrikation von Erkenntnis: Zur Anthropologie der Wissenschaft. Frankfurt/M.
- Knorr-Cetina, K. (1999), Epistemic Cultures: How the Sciences Make Knowledge. Cambridge.
→(Dt.) Knorr-Cetina, K. (2002), Wissenskulturen: Ein Vergleich naturwissenschaftlicher Wissensformen. Frankfurt/M.
- Knorr-Cetina, K., Preda, A. (2004), The Sociology of Financial Markets. Oxford.
Knorr-Cetinas empirisches Programm des Sozialkonstruktivismus
Den folgenden Beitrag zum Konstruktivismus formulierte Knorr-Cetina und differenzierte sich dadurch vom Sozialkonstruktivismus.
Dem Sozialkonstruktivismus mangele es an wissenstheoretischen Fragestellungen und empirischer Erschließung der Konstruktionsprozesse, was die Soziologin mit Hilfe diesen Programms aufholen möchte (vgl. Knorr-Cetina 1989: 91).
Ihr Ansatz war besonders zu Beginn der konstruktivistischen Wende eine Neuheit, da Fragen über den wissenschaftlichen Alltag bis zu diesem Zeitpunkt irrelevant waren (vgl. Pörksen 2015: 232).
Es muss angemerkt werden, dass es keinen einheitlichen Begriff für ihre Auffassung gibt. Die Theorie ist auch bekannt als „epistemischer Konstruktivismus“ (Martinsen 2014: 17), „theoretischer Konstruktivismus“ (Martinsen 2014: 17) oder „praxisorientierter Konstruktivismus“ (Martinsen 2014: 16), wobei Knorr-Cetina selbst den Terminus „empirisches Programm“ (Knorr-Cetina 1989: 91) in ihrem Artikel „Spielarten des Konstruktivismus“ (1989) verwendete, weshalb dieser auch in diesem Format benutzt wird.
Um ihrem Interesse an der praktischen wissenschaftlichen Wissensproduktion nachzugehen, analysiert sie die Konstruktion in Form von wiederkehrenden Praktiken, Interaktionen und Kommunikationsprozessen im Labor (vgl. Pörksen 2015: 234). Knorr-Cetina ist der Meinung, dass selbst die für objektiv gehaltenen Forschungsergebnisse der Wissenschaft Konstruktionen sind und möchte daher genau diese untersuchen (vgl. Knorr-Cetina 2002: 22). Sie selbst forschte dafür von Oktober 1976 bis Oktober 1977 in einem Forschungszentrum in Berkeley (vgl. ebd.: 58). Ihre Beobachtungen sollten unter der Beachtung des Konstruktivismus nicht sonderlich überraschen: Die Suche nach „Natur“ in Forschungsprozessen blieb vergeblich (vgl. ebd.: 23ff). Im Gegenzug gewann Knorr-Cetina Erkenntnisse darüber, wie Wissen in Laboren konstruiert wird und teilte diese Ergebnisse vor allem in ihrem Werk „Die Fabrikation von Erkenntnis: Zur Anthropologie der Wissenschaft“ (1981).
Es gibt beispielsweise unterschiedliche Vorgehensweisen, wie man an seinen Forschungsgegenstand herantreten kann. Knorr-Cetina nennt dafür einerseits die sensitiven und andererseits die frigiden Methoden. Erstere verlangen nach Kontakt statt Distanz zwischen Forscher:in und Forschungsobjekt, wodurch man weniger zu einem falschen Objektivismus, sondern eher zu einer tiefen Auseinandersetzung mit der Forschung neigt, was Knorr-Cetina selbst bevorzugt (vgl. Knorr-Cetina 2002: 44-48; Scholl 2011: 167).
Des Weiteren wird die Forschung immer von der forschenden Person beeinflusst. Die Forscher:innen passen ihr Material bewusst dem Projekt an, wissen was auf welche Weise machbar ist und entwickeln ihr Projekt dementsprechend (vgl. Pörksen 2015: 235). So ist eine Methode beispielsweise im Budget, während einer anderen aufgrund von persönlichen Sympathien entsagt wird (vgl. Knorr-Cetina 2002: 26ff). Selbst die vermeintlich innovativen Ideen rekurrieren auf bekannten Quellen und reproduzieren dadurch bereits vorhandene Weltbilder, was einen Ausgangspunkt des Konstruktivismus darstellt (vgl. Pörksen 2015: 236).
Laut Knorr-Cetina gibt es keine Existenz, die nicht in irgendeiner Art und Weise geformt ist. Wenn schon nicht durch die Wissenschaft, so kann man von der Kultur beeinflusst werden, welche wiederum abhängig von der Zeit ist und sich daher auch ändert (vgl. Knorr-Cetina 1993: 558). Außerdem ist selbst die Wissenschaft mit ihren Vorgängen nur eine „Konstruktionsmaschinerie“ (Knorr-Cetina 1989: 91) des Menschen und dafür da, Wirklichkeit zu konstruieren. Dieses neue Programm zum älteren Sozialkonstruktivismus hat das Selbstbild der Wissenschaftspraxis nachhaltig erschüttert (vgl. Pörksen 2015: 239). Durch diesen Beitrag wurde deutlich, dass selbst die Ergebnisse der (Natur-)Wissenschaft keinen Anspruch auf Wahrheit besitzen.
Folglich musste Knorr-Cetina mit viel Kritik rechnen, welche unter anderem ihre Arbeitsweise betrifft. Diese sei unzulänglich, da die teilnehmende Beobachtung nur auf die Forscherin und ein Jahr beschränkt war. Auch die Selbstdokumentation und -reflexion, sowie der Schreibstil Knorr-Cetinas werden bemängelt (vgl. ebd.: 240f). Die Forscherin selbst sagt, dass sie mit ihrer Forschung keinen Anspruch auf angemessene Präsentation erfüllen will, beziehungsweise kann (vgl. Knorr-Cetina 2002: 62). Darüber hinaus behauptet sie, dass wir uns selbst nicht darüber sicher sein können, ob nicht der Konstruktivismus selbst nur eine Konstruktion der derzeitigen Gesellschaft bildet und daher zeitbedingt ist (vgl. ebd.: 561f). Ihr geht es primär um die Analyse der Forschungsprozesse durch wissenschaftliche Forschungsmethoden und nicht um den Konstruktivismus als eine „life-time occupation“ (Knorr-Cetina 1993: 561f).
Doch trotz dieser Punkte wurde die konstruktive Wissenschaftsforschung durch Knorr-Cetinas Beitrag beeinflusst und weiterentwickelt. Die Überlegenheit der (Natur-)Wissenschaften wird nicht mehr hingenommen, sondern mit einer einzigen Frage zunichte gemacht: „Wie hast Du das gemacht?“ (vgl. Pörksen 2015: 241f).
Quellen
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. (2022), „Curriculum Vitae Prof. Dr. Dr. Karin Knorr-Cetina„, in: Nationale Akademie der Wissenschaften; URL:https://www.leopoldina.org/mitgliederverzeichnis/mitglieder/member/Member/show/karin-knorr-cetina/ [letzter Aufruf: 16.03.2022].
Knorr-Cetina, K. (1989), „Spielarten des Konstruktivismus“, in: Soziale Welt 40(1/2), 86-96.
Knorr-Cetina, K. (1993), „Strong Constructivism - From a Sociologist's Point of View: A Personal Addendum to Sismondo's Paper„, in: Social Studies of Science 23(3), 555-563.
Knorr-Cetina, K. (2002), Die Fabrikation von Erkenntnis: Zur Anthropologie der Wissenschaft. Frankfurt/M.
Martinsen, R. (2014), Spurensuche: Konstruktivistische Theorien der Politik. Wiesbaden.
Pörksen, B. (2015), Schlüsselwerke des Konstruktivismus. Wiesbaden.
Scholl, A. (2011), „Konstruktivismus und Methoden in der empirischen Sozialforschung“, in: Medien&Kommunikationswissenschaft 59(2), 161-179.