DAS POTENZIAL VON FILMANALYSEN FÜR (FAMILIEN-)SOZIOLOGIE- EINE METHODISCHE BETRACHTUNG ANHAND DER VERFILMUNGEN VON „DAS DOPPELTE LOTTCHEN“ Sylka Scholz, Michel Kusche, Nicole Scherber, Sandra Scherber & David Stiller

Zu den Autor*innen: Sylka Scholz am Institut für Soziologie in Jena Geschlechterforschung, insbesondere Männlichkeitsforschung und Geschlechterbilder in Ost- und Westdeutschland, Familiensoziologie, insbesondere kulturelle Dimensionen des Wandels, Methoden der qualitativen Sozialforschung, insbesondere Biographieforschung, Diskursanalyse, Dokumentarische Bildanalyse, Filmanalyse als Gesellschaftsanalyse Sandra Scherber an der Uni Dresden für Lehrveranstaltungsevaluation, Studiengangsanalyse, Quantitative Sozialforschung, Familiensoziologie David Stiller am Institut für Soziologie in Jena Women's and gender studies, queer studies, visual sociology, qualitative methods (image and video analysis), quantitative methods/statistic Der Text: -bisher sei Videoanalyse in der Soziologie als Methode untergegangen, doch mittlerweile Fragen wie: Wie wird soziale Wirklichkeit durch Visuelle beeinflusst und konstruiert (siehe hier Scheidung, im Seminar: Affäre) -„Durch zunehmenden Medienkonsum ist Wissen über die Gesellschaft in hohem Maße medial vermittelt.“ -Grund wieso so wenig mit dem Film gearbeitet wird: methodisch schwieriger Zugang zum Inhalt und den Sinnebenen des Films, denn noch keine traditionellen Methoden - hier vorgestellter Ansatz orientiert sich an der WDA (wissenssoziologischen Diskursanalyse) + erweitert durch audiovisuelle Methoden (welche? Wie genau sehen diese aus? dazu später mehr) -in verschiedensten Verfilmungen des doppelten Lottchens 1950 und 1990 lassen sich die Idealtypischen „modernen“ Familienformen finden: 1950 Scheidung noch tabuisiert ↔1990 klar thematisiert →Untersucht Ausgang des Films für die Familiensituation: welche Deutungsangebote bezüglich Liebe, Lebensform und Geschlecht werden vermittelt? Reproduktion gesellschaftlicher Bilder und Idealtypen -hier Spezielle Analyse: Vergleich Alter und neuer Verfilmung, vom Tatort gibt es keine Neuverfilmungen in dem Sinne, jedoch neue Folgen und neue Komissar*innen -aber: Filme ≠einfaches Abbild der gesellschaftlichen Strukturen und Konflikte: Film hat immer einen „Eigenwert“ als ein „filmisches Kunstwerk“ (wie schon im Seminar betont) -Methodologie: Jürgen RAAB (2008): wissenssoziologischen Bildhermeneutik Ralf BOHNSACK (2009): dokumentarische Bild- und Videoanalysestellt

2. Wissenssoziologische Diskursanalyse als Forschungsperspektive

-KELLER: wissenssozilogisches Diskursanalyseprogramm -JÄGER: kritische Diskursanalyse - Das Forschungsprojekt konzentrierte sich auf Problematisierungen von: Liebe, Lebensform und Geschlecht im öffentlichen Diskurs

-zu beachten bei Auswahl des Films: (durch Frau Schirmer schon geschehen) nicht jeder Film ist an sich ein diskursives Ereignis hier: durch Rezessionen von Zuschauer*innen ermittelt -erst dann ein „diskursives Ereignis“, wenn sich ein Netz aus Pressemitteilungen, Kommentaren und Rezensionen um ihn herum gebildet hat und er im öffentlichen Diskurs eine erfolgreiche Position einnehmen konnte (LINK 2006, S.409)

-Beispiel des doppelten Lottchens: an einem Teilausschnitt des Films wird beispielhaft methodologisches Vorgehen: -Forschungsinteresse: Scheidung und Trennung -Anhand von Schlüsselstellen wird aufgezeigt, wie diese Themen im Film behandelt werden + sogar eine „Lösung“ für das „Problem“ Scheidung aus dem Filmmaterial herausgearbeitet; durch Verringerung der gefundenen Krisenpotentiale

1. Erschließen der Daten: Handlungsverlauf und Figurenkonstellation 1. Schritt: fokussiert Filminhalte und Figurenkonstellationen: →beide zentral für das Verständnis der darauffolgenden Analyseschritte: -Filmhandlung beider Filme schriftlich auf knapp 1 ½ Seiten zusammengefasst folgt Grafik der Figurenkonstellation (beide an Tafel zeichnen, sehr unterschiedlich?)

-Plot der Neuverfilmung mit Hervorhebungen der Veränderungen und Gleichheiten in der alten und neuen Fassung Hier auffällig: diese neue Fassung umfasst einige mehr Probleme, als die von 1950

2.Schritt: Auswahl der Schlüsselstellen und Fotogramme: -Insgesamt für jeden Film 7 Schlüsselstellen: jeweils inhaltlich miteinander vergleichbar (alt-neu): Kontinuitäten und/oder Unterschiede aufzeigen

erste Schlüsselstelle: Trennung aus Sicht der Eltern zweite: Trennung aus Sicht der Kinder dritte: Suche nach den Trennungsgründen nächstes: Integration der neuen Beziehungsperson in die bestehende Familie vergleichend dargestellt dann: Neue Beziehungsperson eine Gefahr für die sechste: Zukunftspläne der Familie siebte: Ende -Diese Szenen wurden in einer recht unspektakulären Tabelle zusammengefasst.

3.Schritt: Analyse der Fotogramme und Schlüsselstellen (~die Arbeit, die jeder mit seiner Szene gemacht hat): - Szene im Handlungsverlauf eingeordnet - dann: kurz der Inhalt dargestellt -Kameraführung dargestellt -Erzähler wird in Analyse miteinbezogen -Anhand Kameraführung und einer Rückblende werden inhaltliche Interpretationen gemacht -Dialog - ikonografische Interpretation: Filmwissen wird herangezogen, sprich: Gesehene auf den Fotogrammen im Handlungsablauf einordnen (z.B.: Die Lücke zwischen dem Ehepaar scheint auf eine baldige Trennung oder einen großen Abstand hinzudeuten; können Wiedersprüche entdeckt werden, im Bsp.: Liselotte steht im goldenen Schnitt: Aufmerksamkeit auf sie,bildet den Mittelpunkt ↔ hinter Ludwig ist der Fluchtpunkt →weitere Reaktion bzw. Handlung gehen von ihm aus) -szenischen Choreografie: Ludwig und Luiselotte sehen sich spannungsgeladen an (Interessiert bezüglich der Atmosphären vielleicht am meisten) -Kodes schreiben: (wegen unserer Namensschwierigkeiten Beispiele): 1. Männliche Karriere ist wichtiger als Familie 2. Kinder sind Krisenpotenzial für eine Zweierbeziehung 3. Unvereinbarkeit von Familie und Beruf 4. berufstätiger Vater sowie 5. fürsorgliche Mutter

4.Schritt: Ergebnisse unter Einbezug der anderen Bildanalysen und Textanalyse zusammenführen und interpretieren: 1950 1990 Trennung wird kaum thematisiert; nur die Analyse macht dieses Thema klar

Privater Raum des Sorgerechtsstreits/ Scheidung →Tabuisierung

Rollenbild von damals: Frau Kinder- Mann Arbeit; Kinder fallen hier dem Mann sogar zur Last Offen thematisiert die Scheidung; Figuren kommen selbst zu Wort

Institutioneller Raum des Sorgerechtsstreits/ Scheidung

Entwicklung der Geschlechterrollen: beide Kinder wollen sich um Kinder kümmern; Frau belastet nun ebenfalls die Beziehung zu Kindern wegen Karriere Trennung geht mehr von Mann aus (wegen Arbeit) Trennung geht mehr von Frau aus (wegen Arbeit) Kinder als Krisenpotenzial in Beziehung, aber auch als Grund für die Familienzusammenführung 5.Schritt: Kategorienbildung - werden am Ende in einem Kodierparadigma zusammengefasst Hier: -Traditionelle Kernfamilie als ideale Lebensform - Die Lebensform des alleinerziehenden Elternteils wird in dem Film so dargestellt, dass sie nur eine Übergangslösung inszeniert und ist mit negativen Auswirkungen auf die Kinder verbunden - am Ende beider Filme bleiben Zwillinge zusammen → Ausdruck: Geschwister und speziell Zwillinge zusammen aufwachsen sollten.

6.Schritt: diskursiven Deutungsangebote der Filme in Bezug zu den jeweiligen zeitgenössischen Diskursen der 1950er/ 1990er Jahre setzten: -dazu wurden die Filmrezensionen analysiert: hier: durchweg gute Rezensionen → Annahme der „heilen Familie“ als kulturelle Leitidee, da Mangel in der Nachkriegszeit -aber auch Leitidee von starkem Mädchen, was Familienschicksal in die Hand nimmt wurde angenommen -Remake dagegen nicht direkt positiv aufgenommen! Message auch weniger positiv, dafür zeitgemäß: Scheidung ist manchmal unvermeidbar, so der Regisseur Ende ist gemäß „aktueller“ Erziehungsratgeber: Beziehung kann getrennt werden, jedoch beide Elternteile kümmern sich um Kinder Fazit -werben Spielfilmanalyse an als: Methode, die kulturelle Leitidee von Lebensformen herausarbeiten kann (für uns nichts Neues) -komparative Analyse zeigt: die Kontinuität der Leitidee „heile Familie“ ↔ gesellschaftliche Wissensbestände über Thema Scheidung haben sich verändert! (Wäre vielleicht auch cool gewesen einen aktuellen Tatort auf unser Thema Affären hin zu untersuchen)

- Wissensvermittlung erfolgte bei beiden Filmen nicht nur über die Filmvorführungen, sondern auch über: Filmankündigungen, Filmkritiken, Interviews mit den Filmproduzent*innen etc.

Fazit zur Methodologie: + Bei der konkreten Analyse: BOHNSACK zur Einzelbildinterpretationen → da ermöglicht systematische und methodisch kontrollierte Analyse -Bei Auswahl der Einzelbilder schwierig das wissenschaftliche Vorwissen zu suspendieren, wie BOHNSACK sich das vorstellt - viel Zeit in Anspruch, ausführlich jedes Bild zu beschreiben (darum wurde dieser Schritt von den Forscher*innen gekürzt) - Anwendung der dokumentarischen Methode bei der Analyse der Spielfilme: für Ebene der Narration keine ausführlichen Interpretationsleitlinien bei Bohnsack

→Generell gilt für die bisherigen Ansätze der Filmanalyse, dass die Ebene der gesprochenen Sprache bisher wenig untersucht wurde (vgl. SCHMIDTKE & SCHRÖDER 2012). [112] (So auch bei uns wenig, da die Atmosphäre im Vordergrund stand)

→ im Forschungsprojekt einzelne Gruppen dichte Analyse einer Vielzahl von Fotogrammen oder, wie RAAB (2008): ausgehend vom Einzelbild, stärker die Sequenzialität der ausgewählten Schlüsselsequenz in den Vordergrund stellten egal wie: es kamen valide Ergebnisse und hervorragende Interpretationen heraus → Deshalb Autor*innen für eine flexible Handhabung der Methoden

→ Am Ende: Zitat, auf das Frau Schirmer schoneinmal angespielt hat: Die „filmische Wirklichkeit ist […] keineswegs eine im fiktiven Raum verbleibende, sondern eine in andere Wirklichkeiten hineinreichende Wirklichkeit“ (SCHROER 2007, S.10) → soll ermutigen die Filmanalyse in den Vordergrund zu rücken!

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