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Strategien der neuen Rechten

Gramsci von Rechts?

Die generelle strategische Ausrichtung der neuen Rechten und der Alt Right wird zumeist auf die französische Nouvelle Droite zurückgeführt, die zuerst Antonio Gramscis Theorie gesellschaftlicher Hegemonie für eine explizit antikommunistische Politik nutzbar gemacht habe. Der Front National vollführte als eine der ersten rechten Bewegungen einen Fokuswechsel vom „crude racism“ (Mondon / Winter 2020: 9) zu einer antiislamischen, jedoch auf freie Rede, Philosemitismus und Frauenrechte bedachten Agenda (vgl. ebd.).

Nach Gramsci, oder genauer: der neurechten Interpretation Gramscis, muss ein kultureller und ziviler Wandel, ein Wandel des öffentlich Sag- und Diskutierbaren, dem politischen Wandel vorausgehen (vgl. Nagle 2017: 38f.). Volker Weiß argumentiert dementgegen, dass die neurechte ‚Metapolitik‛, wie ihre Intellektuellen selbst ihren Sturm auf das Vorpolitische nennen, sich eigentlich am Gegenaufklärer Joseph de Maistre und an den Autoren des Weimarer Nationalismus, von Oswald Spengler bis Moeller van den Bruck, orientiere (vgl. Weiß 2017: 46), eine gehaltvolle Rezeption Gramscis von Rechts sei ein Wunschtraum Alain de Benoists geblieben, der nie über die Übernahme einiger Schlagworte hinauskam (vgl. ebd.: 49).

Wann und wie dieser Strategiegedanke exportiert wurde ist mir noch unklar, in Deutschland finden sich bereits in den 1990ern Hinweise auf einen Einfluss durch die Nouvelle Droite oder eine parallele Theoriebildung: Laut Julia Ebner und Daniel Köhler (vgl. 2018: 20) wird Ende der 1990er Jahre dem „Medienkampf“ (ebd.) ein hoher Stellenwert zugemessen, Karolin Schwarz verortet erste rechtsextreme Strategien zur Hegemonialisierung im Internet in Deutschland ebenfalls in den 1990ern. In den Vereinigten Staaten attestierte 1998 David Duke, ehemaliger Anführer des Ku Klux Klans, dem Internet großes Propagandapotential (vgl. Ebner / Köhler 2018: 20f.). Im selben Jahr formulierte Milton Kleim Junior (vgl. 1998) ein Strategiepapier für eine „cyber guerilla“ (ebd.), die Mainstream-Gruppen infiltrieren sollte. Das Internet wurde als Schauplatz des metapolitischen Kulturkampfes erkannt.

Hegemonisierung versus Polarisierung

Ähnliche Anleitungen tauchen seither immer wieder auf. Ein von Martin Sellner erstelltes Handbuch für Medienguerillas kursierte Anfang 2018 in rechtsextremen Netzwerken (vgl. Internet 3). Sellner verweist auf Arthur Schopenhauers Eristische Rhetorik: Ziel sei es, das Publikum, nicht den Diskussionsgegner, zu überzeugen. Wenn man argumentativ nicht weiterkomme, solle man auf Beleidigungen umschalten. Strafrechtlich relevante Aussagen oder Drohungen sollten unterlassen werden, der Gegner jedoch selbst zu solchen provoziert werden (vgl. Schwarz 2020: 54ff.; Internet 2). Ein Vergleich dieser Anleitungstexte könnte fruchtbar sein. Sellners (vgl. Internet 3) und Kleims (vgl. 1998) Handbüchern etwa, zwischen denen 20 Jahre liegen, stimmen in ihrem Ziel – der Überzeugung und Radikalisierung von potentiellen Rekruten – überein, jedoch strotzt Kleims Text vor Überzeugung in die argumentative Kraft seiner Position und setzt entsprechend auf ruhiges Debattieren, während Sellner klar ist, dass es vielmehr um die Erzeugung einer bestimmten Atmosphäre in den Kommentarspalten geht, die die Normalisierung der eigenen Haltung ermöglicht, und wozu das Argument nur ein Mittel unter vielen ist.

Versuche, Diskurse online koordiniert zu beeinflussen, lassen sich nachweisen: Auf dem deutschsprachigen rechtsextremen Discord-Kanal Reconquista Germanica wurden verschiedene Trollaktionen organisiert, die von den Akteuren kategorisiert wurden: ‚Clear and Hold‛-Missionen zielten etwa auf die Übernahme von Hashtags ab, ‚Search and Destroy‛-Missionen bezeichneten das koordinierte Spammen von bestimmten Posts mit Memes und Kommentaren (vgl. Ebner / Guhl 2018: 17). Julia Ebner und Jakob Guhl versuchten an zwei Online-Hasskampagnen, zu denen unter anderem in Reconquista Germanica aufgerufen wurde, aufzuzeigen, dass diese erfolgreich darin sind, „das Bild in den Kommentarspalten zu ändern.“ (ebd.: 22f.).

Ein erklärtes Ziel ist also, die eigenen Positionen in den gesellschaftlichen Mainstream zu führen. Dazu gehört auch die Beeinflussung jüngerer Generationen (vgl. Davey / Ebner 2017: 5f.). Andere Aspekte rechtsextremer Strategie sind Polarisierung, Störung und Einschüchterung. Dies etwa inform der beschriebenen Trollaktionen, oder von Versuchen, Wahlen durch ‚psy-ops‛ zu manipulieren (vgl. Davey / Ebner 2017: 5f.). Julia Ebner und Daniel Köhler sprechen hier von einer „Strategie der Spannung“ (Ebner / Köhler 2018: 21), welche auf eine gesellschaftliche Atmosphäre von Unsicherheit angesichts überbordender Kriminalität abziele, was ein höheres Rekrutierungspotential ermöglichen soll.

Der Wert von Polarisierung und Destabilisierung wird auch von Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant (2019) betont und findet besonders bei akzelerationistischen Bewegungen und Gruppen wie den Boogaloo Boys oder der Atomwaffen-Division anklang. Die beiden Strategieaspekte der Hegemonisierung und Polarisierung bedingen auch ein gewisses Spannungsverhältnis, das in gegenseitigen Abgrenzungen von Gruppen und Bewegungen spürbar wird, die sich entweder Beschädigung der eigenen Sache durch vorzeitige Gewaltexzesse oder mangelnde Radikalität und Kollaboration mit dem Feind vorwerfen.

Gamification

Der Erwähnung wert ist noch der in der öffentlichen Debatte vermehrt auftretende Begriff der ‚Gamification‛, also der Anlehnung von Propaganda an das Design und die Rhetorik von Videospielen. Die bei Discord-Koordinations-Kanälen beschriebene Benennung von Taktiken als ‚Search and Destroy‛ ist etwa an Videospiele angelehnt, abgesehen davon handelt es sich bei Discord selbst eigentlich um eine Plattform für Videospielerinnen. Das Thema wurde im Studienprojekt nur am Rande betrachtet, bemerkenswert ist jedoch dass der Begriff ursprünglich auf die Propaganda des Islamischen Staates angewandt wurde (vgl. Schlegel 2018: 5).

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