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Sichtbarmachung von Diskriminierung
Diskriminierung in Deutschland
Diskriminierung stellt ein umfassendes Phänomen dar. Es ist ein Phänomen, welches die gesamte Bevölkerung betrifft. Alle Menschen sind davon betroffen. Deshalb ist es wichtig, dass Diskriminierung ein Thema ist. So ist es bereits in medienöffentlichen und politischen Diskursen omnipräsent. Dennoch ist bspw. in Deutschland die Datenlage dazu ein Problem. Diese ist in Bezug auf Erfahrungen von Diskriminierung laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes noch nicht ausreichend belastbar. Außerdem reichen Ergebnisse wissenschaftlicher Befragungen nicht aus, um einen umfassenden Blick auf Diskriminierung zu werfen (vgl. S.9ff. (alle Seitenangaben beziehen sich auf Beigang et al. 2017, s.u.)). Die Durchführungen von Untersuchungen zu Diskriminierung sind demzufolge wichtig, aber nicht trivial. Vielmehr bringen diese theoretische und methodische Herausforderungen mit sich (vgl. S.301).
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema der Sichtbarmachung von Diskriminierung. Hierbei sind verschiedene Fragen relevant:
Was ist unter Diskriminierung zu verstehen?
Woran wird demzufolge Diskriminierung festgemacht?
An welchen Kriterien, Dimensionen oder Kategorien?
Wer macht Diskriminierung sichtbar?
Wie wird Diskriminierung sichtbar gemacht?
Welche Datengrundlagen werden verwendet?
Welche Methoden zur Datenerhebung werden benutzt?
Was wird gemessen?
Welche Kategorien oder Kriterien sind relevant?
Den leitenden Fragen und dem Ziel des Beitrags wird sich entlang eines Beispiels angenähert. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht der Bericht über „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“, der eine Zusammenfassung der „Ergebnisse einer Repräsentativ- und Betroffenenbefragung“ aus dem Jahr 2017 darstellt.
Grundlage dafür sind zwei Datensätze, welche im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) erhoben wurden (vgl. S.22). Zentral sind die Perspektiven von Personen, die Diskriminierungserfahrungen, die anhand der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Merkmale und anderer Merkmale, gemacht haben. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, in welchen Lebensbereichen und mit welchen Auswirkungen Diskriminierungserfahrungen erlebt werden und wie Betroffene darauf reagieren. Am Schluss des Berichts werden darauf aufbauend Handlungsempfehlungen für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft formuliert.
Was ist unter Diskriminierung zu verstehen?
Die Sichtbarmachung von Diskriminierung kann logischerweise nur dann erfolgen, wenn zuvor klar ist, was unter Diskriminierung verstanden wird. Der Bericht beinhaltet ein Kapitel, welches sich mit der Frage Was ist Diskriminierung auseinandersetzt. Eine eindeutige, allgemeingültige Definition von Diskriminierung gibt es nicht. Es gibt verschiedene Definitionsansätze, verschiedene Formen von Diskriminierung, welche differenziert werden. Die Studie legt ihren Fokus auf Diskriminierungserfahrungen von Diskriminierung betroffenen Personen. Es geht also um individuelle und subjektive Erfahrungen von Menschen.
Subjektive Erfahrungen von Diskriminierung entsprechen nicht (immer) einer objektiven Definition von Diskriminierung (bspw. im juristischen oder sozialwissenschaftlichen Sinne). Einerseits ermöglichen diese einen Zugang zur sog. Betroffenenperspektive und ermöglichen eine umfangreiche Sichtbarmachung. Andererseits können diese Wahrnehmungen von Definitionen im sozialwissenschaftlichen oder juristischen Sinne abweichen. Dies hat zur Folge, dass entweder nicht jede wahrgenommene Diskriminierung eine Diskriminierung im sozialwissenschaftlichen oder juristischen Sinne entspricht oder nicht jede tatsächliche Diskriminierung laut Definition von Personen wahrgenommen und wird. (vgl. S. 10)
Woran wird Diskriminierung festgemacht?
Im Rahmen der Studie wird die Frage thematisiert, auf der Basis welcher Merkmale und Kategorisierungen Diskriminierungen erfolgen? Welche Diskrimierungsrisiken gibt es? (vgl. S.94) Diskriminierungserfahrungen werden wie folgt verstanden: „Benachteiligungen, die anhand gruppenbezogener Merkmale und damit verknüpfter Zuschreibungen verlaufen“ (ebd.).
Die Studie untersucht Diskriminierungserfahrungen, die anhand von im AGG geschützten Diskriminierungsmerkmalen, gemacht wurden. Diese schließen an eine juristische Perspektive an.
Geschlecht
Religion/Weltanschauung
Behinderung
Alter
Sexuelle Identität
Aber zu berücksichtigen ist:
Außerdem wird darauf hingewiesen, dass es durchaus zu Fehlkategorisierungen kommen kann. Diese können seitens der Akteur_Innen geschehen, die diskriminierend sind. Diese Annahme legt das Verständnis von Diskriminierung als Kategorisierungsprozess zugrunde. Das heißt, dass auch Menschen Diskriminierung erfahren können, die sich selbst nicht einer Gruppe zugehörig fühlen. Sie erfahren dennoch Diskriminierung, auch wenn diese sich lediglich auf eine vermeintliche Gruppenzugehörigkeit beziehen (vgl. S.118). Daraus wird abgeleitet, dass es umso wichtiger ist, Betroffene selbst zu fragen. Nur so kann Aufschluss darüber gewonnen werden, anhand welcher Gruppenzugehörigkeiten Diskriminierungserfahrungen erlebt werden (vgl. S.119).
Darüber hinaus ist nennenswert, dass Diskriminierung anhand mehrerer Merkmale erlebt werden kann. Einerseits kann eine Person anhand unterschiedlicher Kategorisierungen und Merkmale Diskriminierung erfahren und dies in unterschiedlichen Situationen. Außerdem kann eine sog. mehrdimensionale Diskriminierung erlebt werden, indem in derselben Situation mehrere Merkmale wirkmächtig sind.
Ein wichtiges Stichwort ist hier die intersektionale Diskriminierung. Dabei handelt es sich um einen „Unterfall mehrdimensionaler Diskriminierung“ (S.18). Davon ist die Rede, wenn erstens eine Überschneidung mehrerer Kategorisierungen innerhalb einer diskriminierenden Erfahrung vorliegt und zweitens sich durch die Überschneidung eine Hervorbringung neuer Diskriminierungserfahrungen ergibt. Das heißt, dass diese Erfahrung sich von der Diskriminierungserfahrung anhand einzelner Merkmale unterscheidet (vgl. ebd.). Aufgrund dessen ist es wichtig das Zusammenwirken mehrerer Diskriminierungsmerkmale in den Blick zu nehmen. Dabei wird aber nicht von einer additiven Perspektive ausgegangen.
Wie wird Diskriminierung sichtbar gemacht?
Diese Frage beinhaltet Fragen zur Erhebung. Welche Datengrundlage liegt vor? Welcher Zugang und welche Erhebungsmethode wird gewählt? Die Repräsentativ- und Betroffenenbefragung wurden bewusst mit dem Ziel einer gegenseitigen Ergänzung gewählt. Trotz positiver ergänzender Effekte, bringen beide jeweils theoretische und methodologische Herausforderungen mit sich (vgl. S.25).
Die Betroffenenbefragung
- Die Betroffenenbefragung hat bspw. den Vorteil, dass diese eine spezifische Zielsetzung verfolgt.
- Sie schafft einen Zugang zu Menschen, welche häufig von Diskriminierung betroffen sind. Diese wiederum stellen einen geringen Anteil an der Bevölkerung dar. In repräsentativen Umfragen ist diese Gruppe nicht ausreichend vertreten. Ein Grund hierfür ist bspw. eine vorhandene Sprachbarriere, wenn Repräsentativumfragen z.B. lediglich in deutscher Sprache zugänglich sind.
- Vorteil der Nichtrepräsentativität (vgl. S.26)
- Die Befragung wurde mit mehreren Umfragesprachen durchgeführt. Es wurde darauf geachtet, dass der Zugang barrierearm gestaltet wird (vgl. S.23)
Repräsentativbefragung
- Inhaltlich geht diese im Vergleich zur Betroffenenbefragung nicht so sehr in die Tiefe (vgl. S.26)
- Die Befragung richtet sich an Personen ab 14 Jahren. Jüngere Personen sind von der Umfrage ausgeschlossen (vgl. S.22)
- Die Befragung wurde nur mittels einer Umfragesprache durchgeführt.
Was wird erhoben?
Es wurde untersucht, welche Diskriminierungserfahrungen die Befragten in den letzten 24 Monaten in welchen Lebensbereichen, in denen das AGG schützt, gemacht wurden.
Dennoch gilt, dass Diskriminierung „überall dort stattfinden kann, wo Menschen aufeinandertreffen, Regeln sowie institutionelle und gesellschaftliche (Macht-)Strukturen wirken oder auch der Zugang zu Ressourcen verhandelt wird – vom Gesundheits- und Pflegewesen bis hin zum Arbeitsmarkt.“ (S.120)
Hierbei stellt sich die Frage, ob die Lebensbereiche, in welchen das AGG schützt ausreichend sind.
Darüber hinaus ist bspw. anzumerken, dass Akteur_Innen sich innerhalb eines Lebensbereichs unterscheiden. Das heißt z.B., dass Diskriminierungserfahrungen nicht zwangsläufig vom Arbeitgeber ausgehen, wenn es sich um den Lebensbereich „Arbeit“ handelt. Durchaus sind hier Kolleg_Innen als potenzielle diskriminierende Akteure zu nennen (vgl. S.120).
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bspw. dadurch, dass Betroffene in unterschiedlicher Häufigkeit in den letzten 24 Monaten mit einzelnen Lebensbereichen in Kontakt gekommen sind (vgl. 121).
Handlungsempfehlungen für die Sichtbarmachung von Diskriminierung
Es wurden im Anschluss an die Auswertung der Studie Handlungsempfehlungen unterschiedlicher Art herausgearbeitet (vgl. S.301ff.):
Es bedarf einer Definition von Diskriminierung bzw. das Bewusstsein darüber, dass es eine Diskrepanz zwischen einem sozialwissenschaftlichen/rechtlichen und alltäglichen Verständnis von Diskriminierung gibt. Für die Fragebogenkonstruktion soll das Wissen darüber nutzbar gemacht werden.
Während der Erhebung sollen Menschen dazu ermutigt werden von ihren Erfahrungen zu berichten, auch wenn diese nicht einem „klassischen“ Sinne als Diskriminierung verstanden werden.
Die Diskrepanz zwischen Fremdzuschreibungen durch Kategorisierungen durch diskriminierende Akteur_Innen und einer Selbstzuschreibung muss Beachtung erfahren.
Allgemein gilt: Die Datenlage soll verbessert und die wissenschaftliche Forschung ausgebaut werden (bspw. durch ein kontinuierliches Monitoring).
Es soll ein Instrumentarium zur sensiblen Erfassung verschiedener diskriminierungsrelevanter Kategorien geschaffen werden.
Quellen
Beigang, Steffen/Fetz, Karolina/Kalkum, Dorina/Otto, Magdalena (2017): Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativ- und einer Betroffenenbefragung. Baden-Baden.