Ostalgie – eine Begriffsannäherung und Einordnung des Phänomens

„Die ostdeutsche Identität ist dabei nicht einfach eine Fortsetzung der DDR-Identität unter gesamtdeutschen Bedingungen, sondern ein erinnerungsgemeinschaftlicher Zusammenhang, der variationsreich aktualisiert werden kann“ (Mau 2019: 212).

„Im offiziellen Diskurs ist diese Haltung nicht nur gelegentlich als „Ostalgie“ geschmäht worden“ (Mau 2019: 212).

So beschreibt der Soziologe Steffen Mau in seiner Monografie Lütten Klein – Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft die Ausbildung einer ostdeutschen Identität. Mau bewegt sich mit seiner umfassenden Analyse des ehemaligen Ostdeutschlands als Transformationsgesellschaft im Diskurs um die Nachwirkungen und Prägungen der Wiedervereinigung und des Lebens in der DDR. Über seinen Erkenntnissen steht die These von der Existenz einer ostdeutschen Transformationsgesellschaft. Für diese führt er Entwicklungen und Charakteristiken aus, die im Kontext der Wende entstehen und entstanden sind. In diesem Zusammenhang ist das im Diskurs um Ostdeutschland und die Wiedervereinigung präsente Phänomen Ostalgie von Bedeutung.

Die Bezeichnung Ostalgie ist als ein populärwissenschaftlicher Begriff zu verstehen und setzt sich aus den Worten Ost und Nostalgie zusammen. Nostalgie beschreibt im psychologischen Sinn die „sehnsuchtsvolle Hinwendung zur Vergangenheit“ (Fürnberg 2022: 123) und ist mit einer realitätsverzerrenden Idealisierung verbunden (vgl. ebd.: 123). In Verbindung mit der Ergänzung Ost wird dieses Verhalten in Bezug zur DDR-Vergangenheit gesetzt. Im Diskurs um gesellschaftliche Entwicklungen nach der Wende taucht der Begriff in vielen Kontexten auf und beschreibt die nostalgische Erinnerung an das Leben in der DDR. Dabei ist der Begriff häufig tendenziell negativ konnotiert und wird den „Ostdeutschen“ auferlegt (vgl. Mau 2019: 212). Ostalgie weist als populärwissenschaftliche Beschreibung eine Vielzahl an Bedeutungen auf. Da der Begriff keine wissenschaftlich fundierte Grundlage hat und demnach nicht präzise verwendet werden kann, soll der folgende Artikel eine Annäherung an die Begriffsdefinition sowie eine Darstellung alternativer Konzepte und Begriffe sein. Die Entwicklungen, die als Ostalgie beschrieben werden, haben nach Maus Betrachtung Realitätsbezug, was wiederum relevant für viele Fragestellungen im Kontext der deutschen Wiedervereinigung ist. Da der Begriff jedoch häufig in negativen Kontexten verwendet wird, soll dies der Versuch einer möglichst neutralen Betrachtung sein.

Die Begriffskonzeptionen „DDR-Nostalgie“, „Ostalgie“ und „Ostidentität“

Um sich dem mehrdimensionalen Phänomen Ostalgie zu nähern, ist es zunächst sinnvoll, den Begriff weiter auszudifferenzieren. Die Soziologin Katja Neller bietet hierzu die Unterteilung in DDR-Nostalgie, Ostalgie und Ostidentität an. Sie vertritt die These, der Begriff Ostalgie werde in der öffentlichen Debatte zu eindimensional betrachtet und bedürfe einer wissenschaftlichen Konkretisierung (vgl. Neller 2006: 37). Zudem ist Ostalgie als Generationenphänomen zu verstehen, da verschiedene Generationen die Wende und das Leben in der DDR anders wahrnehmen und bewerten. Die Erfahrungen der Wiedervereinigung wirken sich auch auf die nachfolgenden Generationen aus, was an der andauernden Präsenz des Phänomens im öffentlichen Diskurs zu erkennen ist (vgl. Neller 2006: 17).

DDR-Nostalgie

Als DDR-Nostalgie beschreibt Neller das persönliche Verhalten ehemaliger DDR-Bürger:innen, das sich positiv gegenüber der ehemaligen DDR zeigt. Sie charakterisiert die DDR-Nostalgie als Verhalten einzelner Personen auf der Mikroebene (vgl. Neller 2006: 33). Im medizinisch-psychologischen Zusammenhang beschreibt Nostalgie die Sehnsucht nach einem vergangenen Zustand und wird vor allem mit dem Gefühl von Heimweh in Verbindung gebracht. Heimweh kennzeichnet sich unter anderem auch durch seinen Raumbezug. Die Vergangenheit, die nostalgisch vermisst wird, ist also sehr stark an einen Raum oder Ort gebunden. Im öffentlichen Diskurs ist der Begriff nicht mehr rein medizinisch zu verstehen, sondern beschreibt ein massentaugliches Phänomen. In diesem Zusammenhang ist die Sehnsucht nach Vergangenem, wie Neller beschreibt, nicht primär an dem vergangenen Zustand orientiert, sondern entsteht erst im Kontext der gegenwärtigen Situation (vgl. ebd.: 42 f.). Für die Parallele zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit, die im Begriff DDR-Nostalgie aufgegriffen wird, bedeutet dies, dass eine positive Bewertung des Lebens in der DDR im Kontext der Lebensbedingungen nach der Wende entsteht. Diese positive Rückbetrachtung kann in verschiedenen Ausprägungen stattfinden und sich auf das gesamte Leben in der DDR oder nur bestimmte Lebensbedingungen wie die Wohn- oder Arbeitsmarktsituation beziehen (vgl. Neller 2006: 44).

Ostalgie

Das Kunstwort Ostalgie wird von Neller in zwei Dimensionen charakterisiert. Es ist wichtig anzumerken, dass der Begriff keinen wissenschaftlichen Hintergrund hat, sondern vielmehr in literarischen, medialen und politischen Diskursen entstanden ist (vgl. Neller 2006: 49). In der ersten Bedeutung beschreibt Ostalgie ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das mit der Popularisierung des ostdeutschen Lebensstils gleichzusetzen ist. Neller analysiert, wie durch die Popularität ehemaliger DDR-Produkte wie Kleidung oder Filme die Modeerscheinung Ostalgie entsteht, deren Aufkommen sie auf das Ende der 1990er-Jahre datiert (vgl. ebd.: 49) und als „kulturelle Aneignung der DDR“ (ebd.: 41) bezeichnet. Die „Ostalgiewelle“ (ebd.: 51) zeigt sich beispielsweise in Literatur und Film oder dem Phänomen der Ostalgieparties, womit Parties im ostdeutschen Kultstil mit ehemaliger DDR-Kleidung und Musik gemeint sind. Diese Ostalgieparties sind auch im Jahr 2023 noch eine kulturelle Erscheinung und gestalten somit eine Erinnerungskultur, die gesamtgesellschaftlich wirkt (vgl. ebd.: 51f.). Neben der unterhaltungskulturellen Dimension hat die Erinnerung an die positiven Lebenshaltungen der DDR mit „Kultstatus“ (ebd.: 49) auch psychologische Ursachen, die betrachtet werden müssen. Mit der Auseinandersetzung und dem Wiederaufleben von Produkten, die symbolisch für das Leben in der DDR stehen, geht ein Identitätsbildungsprozess einher, der auf ein starkes Erinnerungsbedürfnis der Ostdeutschen hindeutet (vgl. ebd.: 41). Hier überschneiden sich Ostalgie und die oben beschriebene DDR-Nostalgie.

Ostalgie in der Filmindustrie

Das Ostalgiephänomen, wie von Neller charakterisiert, zeigt sich eindrücklich in der Filmindustrie Ende der 1990er und Anfang der 2000er-Jahre. Die Medienwissenschaftlerin Juliane Zeitgeist hat hierzu eine Analyse populärer DDR-Filme veröffentlicht. Nach ihrer These besteht die Popularität der dargestellten Filme in der Verbindung der Darstellung der DDR als Unrechtsstaat mit Alltagsdarstellungen und Normalität (vgl. Zeitgeist 2011: 119). Die Erinnerungskultur, die lange nach der Wende im öffentlichen Diskurs von überwiegend negativen Bewertungen und Konnotationen der DDR geprägt war (vgl. Mau 2019: 213), wendet sich hiermit anderen Aspekten zu. Kennzeichnend für das Genre, das Zeitgeist „Erinnerungsfilm“ (2011: 124) nennt, ist die doppelte Erzählzeit. Filme bieten so die Möglichkeit gesellschaftliche Rahmenbedingungen auf der einen Seite in ihrer bestehenden Zeit und auf der anderen Seite aus einer reflektierenden Perspektive im Nachhinein darzustellen. Damit sind Filme ein großer Teil von Erinnerungskultur und kollektiven Identitätsbildungsprozessen und wirken transgenerational nach (vgl. Zeitgeist 2011: 125). Ostalgie ist wie auch von Neller dargestellt (vgl. Neller 2006: 51) vielschichtig und umfasst ein ganzes Spektrum an Positionen, wobei Filme die Möglichkeit bieten, dieses Spektrum abzubilden (vgl. Zeitgeist 2011: 142). Beispielhaft ist hier der Film „Good Bye, Lenin“ aus dem Jahr 2003 zu nennen. Hier wird zeitlich der Prozess nach der Wende dargestellt, während eine andauernde Rückbesinnung auf die DDR besteht und damit den Inbegriff von Ostalgie darstellt. Besonders ist die positive Idee einer modernen DDR, die der Protagonist gestaltet (vgl. ebd.: 134 f.).

Ostidentität

In Abgrenzung zur Ostalgie und DDR-Nostalgie ist der Diskurs um die deutsche Wiedervereinigung auch vom Begriff der Ostidentität geprägt. Ostidentität bezeichnet dabei ebenfalls eine Identifikation mit der Herkunft aus einem ostdeutschen Bundesland. Dabei entstehen Überschneidungen zur Ostalgie und DDR-Nostalgie, wobei die Ostidentität noch deutlich stärker auf den Identitätsbildungsprozess einwirkt und mit einem Gemeinschaftsnarrativ verbunden ist. Dabei geht es um das „Wir-Gefühl“, das durch die gemeinsame Herkunft entsteht. Die Ostidentität ist dennoch unbedingt von der Ausbildung einer DDR-Identität abzugrenzen (vgl. Neller 2006: 38). Diese wiederum entsteht rückwärtsorientiert aus dem Wunsch nach der Wiederkehr der DDR und den damit einhergehenden Lebensbedingungen, während die Ostidentität in der gegenwärtigen Auseinandersetzung im Kontext der Nachwendeerfahrungen entsteht (vgl. Fürnberg 2022: 124). Sie entsteht zwar auch aus der Identifikation als ehemalige DDR-Bürger:innen, doch sind bei der Ostidentität das Zusammenspiel aus den Erfahrungen aus der DDR und den Erfahrungen aus dem wiedervereinigten Deutschland zentral (vgl. Neller 2006: 54).

Weitergehend schafft der Soziologe Steffen Mau eine Konzeption der Ostdeutschen Identität, die er als „erinnerungsgemeinschaftlicher Zusammenhang, der variationsreich aktualisiert werden kann“ (Mau 2019: 212) definiert. Damit ist gemeint, dass die Identitätsbildung hier zwar auf persönlichen Erfahrungen beruht, jedoch nicht isoliert bei einzelnen Personen geschieht, sondern vielmehr durch eine kollektive Identität entsteht. Auch Neller spricht von einer „Erinnerungsgemeinschaft“ (2006: 55). Besonders zentral für die Entstehung einer Ostdeutschen Identität ist nach Mau die Zeit kurz nach der Wende, in der die Suche nach einer gemeinsamen deutschen Identität im gesellschaftlichen und politischen Diskurs großen Raum einnimmt (vgl. Mau 2019: 211). Aber auch in gegenwärtigen Diskursen um politische Entwicklungen und Tendenzen wie der der Wende nachwirkenden ökonomischen Ost/West-Ungleichheit oder Rechtspopulismus taucht die Konzeption gehäuft auf. Auch Mau benennt eine „Ossi-Werdung“ (ebd.: 214), die als Reaktion auf Benachteiligung und Stereotypisierung Ostdeutschlands nach der Wende entstehe. In diesem Zusammenhang nennt er Statistiken, nach denen fast 60% der ehemaligen DDR-Bürger:innen die DDR im Nachhinein positiv bewerten, was er selbst als „unhinterfragte Vergangenheitseuphorie“ (ebd.: 214) negativ konnotiert (vgl. ebd.: 214 f.). Diese These ist weiter auszudifferenzieren, was Mau in Teilen auch tut, und soll im weiteren Verlauf des Wikis noch einmal aufgegriffen werden.

An dieser Stelle sei zudem auf weitere Ausführungen zu Auswirkungen der Ostdeutschen Identitätsbildung und Suche nach gesamtdeutscher Identität nach der Wende auf migrantische Gruppen verwiesen, weil dies hier zu kurz kommt.

Erklärungsansätze für das Phänomen DDR-Nostalgie

Erinnerungskultur und öffentlicher Diskurs

„Die fortwährende Bezugnahme ex negativo verhinderte eine selbstbestimmte Verortung im historischen Raum“ (Mau 2019: 213). Im öffentlichen Diskurs um die deutsche Wiedervereinigung und Nachwendeerfahrungen ist eine These sehr präsent, nach der die Wiedervereinigung vielmehr eine Eingliederung des DDR-Gebiets in das System der Bundesrepublik Deutschland ist als eine gemeinsam errungene Vereinigung. Diese These steht auch über dem öffentlichen Diskurs um die Erinnerungskultur der DDR-Vergangenheit. Dieser ist vor allem in der Zeit direkt nach der Wende von der Erinnerung und die Aufarbeitung der DDR als Unrechtstaat mit seinen diktatorischen Mechanismen konzentriert. Zu Beginn der Erinnerungskultur beschäftigt die gesellschaftliche Diskussion sich wenig mit Normalitäts- und Alltagserfahrungen in der DDR (vgl. Mau 2019: 213). Der Soziologe Steffen Mau sieht darin ein Problem für die Auseinandersetzung der DDR-Bürger:innen mit der eigenen Vergangenheit. Da die öffentliche Erinnerung sich auf negative Aspekte des DDR-Systems stütze, sei eine realitätsgetreue Aufbereitung unter Einbezug der eigenen positiven Erinnerungen für viele DDR-Bürger:innen nicht möglich gewesen. Daraus resultiere eine gespaltene Erinnerung, die die öffentliche Erinnerungskultur mit den eigenen Erfahrungen nicht vereinen könne. Unter Betrachtung der Annahme, dass Erinnern perspektivisch und selektiv gestaltet (vgl. Wagner 2009) ist sowie eine große Rolle bei der Identitätsbildung spielt, bedeutet dies wiederum, dass das persönliche Erinnern so überschattet und beeinflusst wird, dass negative Assoziationen überwiegen. Beziehungsweise beschreibt Mau, wie der öffentliche Diskurs nicht mit dem Erinnern vieler Ostdeutschen übereinstimmt und so zu keiner Identifikation führt (vgl. Mau 2019: 206). Die These von der gespaltenen Erinnerung spitzt Mau zudem noch weiter zu und beschreibt einen daraus resultierenden „doppelte[n] Geschichtsverlust“ (ebd.: 214) der von ihm analysierten ostdeutschen Transformationsgesellschaft (vgl. ebd.: 214), der dadurch entsteht, dass die öffentliche Erinnerungskultur nicht von den Ostdeutschen selbst gestaltet, sondern maßgeblich von westdeutschen Positionen entschieden wird (vgl. Zeitgeist 2011: 120).

„Soziokulturelle Entwertung“ (Mau 2019: 205)

Eine sehr relevante These im Kontext der Wiedervereinigung ist die von der soziokulturellen Entwertung. Sie geht von der Annahme aus, Westdeutschland habe sich im Rahmen der Wiedervereinigung Ostdeutschland und die DDR-Vergangenheit auch kulturell untergeordnet. Damit ist gemeint, dass der DDR-Alltag mit seinen kulturellen Ausprägungen im Diskurs abgewertet wird und beispielsweise kulturelle Güter wie Ostprodukte, ostdeutsche Filme, Literatur und Musik ersetzt und wenig anerkannt wurden (vgl. Mau 2019: 205). Diese These läuft auch parallel zur kaum abzustreitenden Annahme, die Wiedervereinigung sei kein gemeinsames Projekt, sondern eine sich überordnende Handlung der BRD gewesen. Diese soziokulturelle Entwertung ist als ein Grund oder eine Motivation für die DDR-Nostalgie zu nennen, da die Frage nach der Herkunft und der Identität sehr eng mit der Wahrnehmung dieser Identität von außen zusammenhängt. Die im öffentlichen Diskurs überwiegend negativ konnotierte DDR-Vergangenheit lässt eine Auseinandersetzung mit den persönlichen Erfahrungen der Heimat schwer zu (vgl. Mau 2019: 205). Eine mögliche Reaktion, die daraus resultiert, ist die Idealisierung der DDR-Vergangenheit über persönliche Erfahrungen bis hin zur DDR-Nostalgie. Die Soziologin Katja Neller beschreibt beispielsweise die Tendenz, auch negative Erfahrungen rückblickend zu idealisieren und positive Erfahrungen noch positiver zu bewerten. Gerade im Kontext der DDR-Vergangenheit diene diese Uminterpretation der Wahrung des eigenen Selbstwerts (vgl. Neller 2006: 46). Die Entstehung dieser Haltung bei ehemaligen DDR-Bürger:innen ist nach der These der soziokulturellen Entwertung naheliegend, da die Wahrnehmung des eigene Selbstwerts durch die Übermacht des westdeutschen Diskurses negativ beeinflusst wird und nach Nellers These demnach eine positivere Selbstwahrnehmung hervorruft, die identitätsschützend wirkt.

Nostalgie und Idealisierung

Der Begriff DDR-Nostalgie impliziert nicht nur eine positive Bewertung der DDR, sondern beschreibt, wie Erinnerungen rückblickend idealisiert werden. Diese Idealisierung der Vergangenheit ist ein allgemeines Phänomen, das bei Erinnerungen häufig auftritt. Vor allem Erfahrungen aus Kindheit und Jugend unterliegen häufig einer Idealisierung. Dabei entsteht die Bewertung der Erinnerung im Kontext der gegenwärtigen Lebensbedingungen. Wenn diese als negativ wahrgenommen werden, besteht die Tendenz, Erinnerungen und die eigene Vergangenheit im Vergleich deutlich positiver zu bewerten und zu idealisieren (vgl. Fürnberg 2022: 125). Mau widmet den ersten Teil seiner Monografie dem Leben in der DDR und beschreibt es anhand seiner Biografie. Hier ist interessant, dass seine Erinnerung genau unter dem angeführten Phänomen DDR-Nostalgie einzuordnen und nicht als absolute Erkenntnisse zu fassen ist. Gleichzeitig bieten seine Beschreibungen einen wertvollen Einblick in die Idealisierungstendenz der DDR-Nostalgie, da diese überwiegend auf mikrogesellschaftlicher Ebene ausgehend von Biografien entsteht. Dabei muss sie nicht zwangsläufig im Kontext zur politischen Realität liegen (Neller 2006: 49). Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, auch wenn sie idealisiert sind, müssen demnach auch nicht zwingend mit einer Idealisierung des politischen Systems, in dem sie entstehen, einher gehen. DDR-Nostalgie, wie hier verwendet, umfasst nicht immer alle Teilbereiche einer Lebensrealität. Im Gegenteil – Erinnerung ist immer selektiv und perspektivisch (vgl. Wagner 2009). Beispielhaft führt Mau ausführlich die positiven Seiten der Wohnsiedlungen als gemeinschaftsorientierte „Stadt der kurzen Wege“ (Mau 2019: 34) an (vgl. ebd.: 34). Das Leben in Siedlungen, die auf das Miteinanderleben ausgerichtet sind, wird naheliegend romantisiert beziehungsweise seine positiven Aspekte rücken in den Vordergrund der Erinnerung.

Ausblick: (DDR-N)Ostalgie – ein transgenerationales Phänomen?

„Ausgerechnet die jungen Erwachsenen im Osten nehmen so häufig wie keine andere Altersgruppe ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl der Ostdeutschen wahr“ (MDR 2022).

So schreibt der MDR in einem Artikel, der mit der Überschrift „Ostalgie 3.0?“ einleitet, und zeigt somit auf, wie Ostalgie und DDR-Nostalgie auch im öffentlichen Diskurs um die Reaktionen der Nachwendegenerationen auf die deutsche Einheit längst ein Begriff geworden sind. Bei den oben angeführten Erklärungsansätzen spielt für die Ausbildung der DDR-Nostalgie das Zusammenspiel von öffentlichem Erinnern und persönlichen Erfahrungen eine große Rolle. Hier stellt sich bei den Generationen derer, die nach der Wende geboren sind, nun die Frage, wie erzählte Erinnerungen, die keinen Bezug zu eigenen Erfahrungen im DDR-System haben, diese nostalgischen Reaktionen hervorrufen. Steffen Mau bedient sich in seiner Betrachtung einer Definition von Generation, nach der Generationen Gemeinschaften darstellen, die durch ein gemeinsam erfahrenes historisches Erlebnis entstehen. Daraus resultiere bei denen, die die Wende erfahren haben, eine starke Identifikation der eigenen Vergangenheitsbetrachtung mit dem, was in der Generation kollektiv erinnert wird (vgl. Mau 2019: 200). Auch die Nachwendegenerationen können also aufgrund gemeinsamer Erfahrungen (beispielsweise in der Arbeitswelt) einen ähnlichen Erinnerungsrahmen aufbauen, weil sie in ihrem Aufwachsen ähnlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind (vgl. MDR 2022). Der gemeinsame Erinnerungsrahmen, der in diesem Fall nur durch Erzählungen entstehen kann, ist anfälliger für Idealisierungen, da nicht etwa persönliche Erlebnisse erzählt werden, sondern erzählte Erfahrungen, die möglicherweise bereits idealisiert sind, noch weiter romantisiert werden, ohne dass negative Erfahrungen an sie geknüpft sind. Katja Neller beschreibt so beispielsweise die Entstehung einer „Ostkultur“ (Neller 2006: 41), die nicht direkt eine historische Begebenheit abbildet (vgl. ebd.: 41).

Diese sehr ausschnitthafte Betrachtung zur Frage, wie DDR-Nostalgie in Nachwendegenerationen entsteht, erhebt keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit oder Vollständigkeit. Sie dient lediglich als Ausblick und Denkimpuls zur Frage, wie Erinnern und erzähltes Erinnern zusammenhängen und im Kontext der DDR-Vergangenheit reale Auswirkungen haben können.

Literaturnachweise

Assmann, A. (2021), „Ping Pong in der Mitte Berlins. Imperialer Glanz und koloniales Elend“, in: Zeitgeschichte online; URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/ping-pong-der-mitte-berlins [letzter Aufruf: 18.03.2023].

Fürnberg, O. (2022), „Ostalgie und Westalgie. Bewertung der Wiedervereinigung in Ost- und Westdeutschland“, in: M. Elff et al. (Hg.), in: Wahlen und politische Einstellungen in Ost- und Westdeutschland. Wiesbaden, 117-140.

Hoffmann, M. (2022), „Ostalgie 3.0? – Warum die Nachwendegenration einen besonderen ostdeutschen Zusammenhalt beschwört“, in: MDR fragt; URL: https://www.mdr.de/themen/dnadesostens/neues/ostdeutscher-zusammenhalt-nachwende-generation-kollektiv-100.html [letzter Aufruf: 21.03.2023].

Mau, S. (2019), Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft. Bonn.

Neller, K. (2006), DDR-Nostalgie: Dimensionen der Orientierungen der Ostdeutschen gegenüber der ehemaligen DDR, ihre Ursachen und politischen Konnotationen. Wiesbaden, 37-56.

Wagner, T. (2009), „Erinnerungskultur und Verdrängung“, in: Deutschlandfunk; URL: https://www.deutschlandfunk.de/erinnerungskultur-und-verdraengung-100.html [letzter Aufruf: 18.03.2023].

Zeitgeist, J. (2011), „DDR-(N)Ostalgie in deutschen Nachwende-Spielfilmen von 1990 bis 2006. Zwischen Kritik und Kult“, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 13, 119-153.

Interview mit Aleida Assmann zum Thema Erinnern: https://www.deutschlandfunk.de/erinnerungskultur-und-verdraengung-100.html

Bewertung des Abriss des Palast der Republik in Berlin (Beispiel für Umgang mit Ostalgie-Symbolen): https://zeitgeschichte-online.de/themen/ping-pong-der-mitte-berlins

Trailer zum Film Good Bye, Lenin!: https://www.youtube.com/watch?v=bznjeEx98uM

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