Judy Wajcman: Technofeminism

Grundthesen

1. Wissenschaft und Technologie bedienen sich einer maskulinen Symbolik und sind Teil einer „maskulinen Kultur“, die Frauen nur dann einen Zugang bietet, wenn diese sich ihrer Femininität entledigen.
2. Technologien sind nicht geschlechtsneutral, sondern immer Teil einer Hierarchie unter den Geschlechtern.
3. Wissenschaft und Technologie sind soziale Praxis und damit wechselseitig von der Gesellschaft in der sie passieren geprägt.
4. Feministinnen können von Technik und Wissenschaft profitieren und diese zugleich kritisieren, ohne sie komplett abzulehnen oder sich in Utopien zu verlieren.

Zusammenfassung der Kapitel

1. Male Designs on Technology
Im Kapitel „Male Designs on Technology“ zeigt Wajcman auf, wie sich unterschiedliche feministische Strömungen von den 1960er Jahren bis in die 1990er mit Technologie und Wissenschaft auseinandergesetzt haben und ordnet diese mit Blick auf die heutige Zeit ein.

- Technischer Wandel wird in vielen aktuellen Gesellschaftsanalysen, wie dem Postmodernismus als gesellschaftsverändernd angesehen, jedoch wird hierbei meist der Effekt auf die Geschlechterverhältnisse übersehen. S. 11 – 12

- Die männliche Dominanz in den Naturwissenschaften und der Technologie wurde von liberalen Feministinnen durch Chancenungleichheit beim Zugang für Mädchen, auf Grund von Sozialisation und Geschlechterstereotypen gesehen. Die technischen Wissenschaften an sich wurden nicht auf ihre Offenheit für Frauen hinterfragt. S. 14 – 15

- Technologie war in der Geschichte durchaus nicht immer rein männlich, erst mit dem Aufkommen des Ingeneurberufs im 19. Jh. manifestiert sich Technologie als etwas maskulines und definiert damit gleichzeitig die Geschlechterrollen wie sie noch heute existieren. S. 15 - 16

- In den 60er und 70er Jahren geht es wissenschaftskritischen Bewegungen vor allem darum, dass Wissenschaft nicht neutral, sondern von der Gesellschaft beeinflusst ist. Es wird Kritik am männlichen Monopol an Wissen und medizinischer Macht über den weiblichen Körper geübt. Ab den 80ern werden Wissenschaft und Technik als nicht geschlechtsneutral analysiert. S. 17 - 18

- Das Aufkommen von Gentechnik und Reproduktionstechnologie, spaltet feministische Bewegungen fundamental. Die eine Seite sah darin die Befreiung aus der biologischen Unterdrückung. Radikal- und Öko-Feministinnen sahen ein weiteres Mittel des Patriarchats um Frauen zu unterdrücken, da Mutterschaft die Natur einer Frau ausmache. S. 18 - 20

- Radikal- und Öko-Feministinnen vertraten die Idee Wissenschaft und Technologie komplett abzulehnen und neu auf Basis weiblicher Ideale zu bilden, dem liegt ein essentialistisches Frauenbild zu Grunde. S. 23

- Sozialistische Feministinnen beschäftigten sich vor allem mit dem Einfluss, den technischer Fortschritt au die Arbeitsbedingungen von Frauen hat (Computerisierung von Büros, „new international division of labour“, Hausarbeit). S. 23- 29

- Wajcman orientiert sich an der marxistischen „Labour-Process-Analyse“: technischer Fortschritt zielt auf die Akkumulation von Kapital und Dominanz über die Arbeiter. Sie kritisiert jedoch die generelle Blindheit von Marxisten gegenüber Geschlechterverhältnissen. Technischer Fortschritt trägt zur Unterdrückung von Frauen bei (Beispiel: Schriftsetzer). S. 26-27

4. The Cyborg Solution
Im Kapitel „The Cyborg Solution“ geht es um Gentechnik und Reproduktions- und Cybertechnologie. Wajcman präsentiert und hinterfragt die Analysen der einflussreichsten Feministin auf diesem Gebiet, Donna Haraway.

- Donna Haraway veröffentlicht ´85 ihren Essay A manifesto for Cyborgs: science, technology and socialist feminism. Darin kritisiert sie Wissenschaft und Technologie scharf (unter anderem als komplett männlich dominiert), spricht sich jedoch im Kontrast zur radikal-feministischen anti-Technik Haltung für eine positive Sicht auf Gentechnik und Reproduktions- und Cybertechnologie aus. Diese böten das Potential nicht nur die Unterdrückung von Frauen zu vermindern, sondern durch den Übergang vom Menschen zum Cyborg die Geschlechter aufzulösen. S. 82 – 83; S. 87 – 90

- Haraway orientiert sich in ihrer Analyse von moderner westlicher Wissenschaft an der von Shapin/Schaffer und übernimmt deren Begriff des „Modest Witness“ und auch deren Analyse von Wissenschaft als soziale Praxis. Sie erweitert die Analyse jedoch um den Gender- und Rassen-Aspekt. „Modest Witnesses“ konnten nämlich nur weiße Männer von Adel sein. Durch das komplette Fehlen von Geschlecht und Rasse, als Demarkation-Kategorien in der Bewertung von Wissenschaft heut zu Tage zeigt sich, wie Wissenschaft immer noch verstanden wird, nämlich als männlich, weiß. S. 84 -86

- Eine Figur, die Haraway als Gegenentwurf für „den modernen Wissenschaftler“ übernimmt ist FemaleMan. FemaleMan betreibt Standpunkt-Wissenschaft, bezieht also soziale Kategorien wie Gender in die Forschung mit ein. Objektivität entsteht aus Multiplizität. Standpunkt-Wissenschaft ist keine rein feminine Wissenschaft, sondern ein Hybrid aus allen, sich wandelnden Aspekten. S. 87

Wajcmans Kritikpunkte and Haraways Analyse S. 92 – 101:
- Haraways Theorie hätte mit der Realität nicht viel zu tun, weder würden durch die Verbindung von Technik und Lebendigem alle Menschen zu Cyborgs (Prothesen, Doping, usw.), noch lösten sich dadurch die Geschlechter auf.

- Die meisten von Haraways Anhängerinnen verständen die Cyborg-Solution essentialistisch als post-politische Utopie.

- Haraways Analyse sei eine sehr amerikanische, die für viele Menschen nicht zugänglich sei. Außerdem wechsele sie zwischen postmoderenen Argumentationen über die Auflösung der Geschlechter und modernen Forderungen zur Verbesserung der Verhältnisse von Frauen, was ihre Analyse in sich nicht immer stimmig erscheinen lässt.

- Haraway lasse keine Möglichkeit zwischen der radikalen Ablehnung von Technologie und der Cyborg Solution.

5. Metaphor and Materiality
In „Metaphor an Materiality“ spricht sich Wajcman für eine neue feministische Herangehensweise an Technologie und Wissenschaft aus, nämlich den Technofeminism. Man könne sich nicht mehr entscheiden, ob man für oder gegen Technologie sei, sondern diese annehmen und die emanzipatorischen Chancen, die in technischem Fortschritt liegen aufdecken und analysieren.

- Was der feministischen Herangehensweise an Technik und Wissenschaft bisher fehlte, warein Theoriegebilde, das es einem erlaubte technischen Fortschritt als wesentliches Element der Verhandlung von Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern zu analysieren. Diese bietet der Technofeminism, er verbindet die Einblicke des Cyborg-Feminismus mit einer materialistischen Analyse von Technologie. S. 104

- Technologie ist ein sozio-materielles Produkt, das sich mit der Veränderung der Gesellschaft immer verändert, während sich die Gesellschaft durch technische Fortschritt auch immer verändert. S. 106

- Geschlechterverhältnisse materialisieren sich in Technologie, während Femininität und Maskulinität ihre Bedeutung, daraus ziehen, inwiefern sie in Technologie manifestiert sind. S. 107

- Um positiven oder negativen Wandel im Bezug auf Technologie zu analysieren, darf man nicht nur auf die Technologien als Auslöser für Wandel sehen, sondern muss auf die sich verändernden sozialen Verbindungen, in die diese eingebettet sind schauen. S. 108

- Obwohl digitale Technologien sich in einem sozialen Kontext entwickelt haben, der im Unterschied zu Kontexten, in denen frühere Technologien entstanden sind, auch durch Feminismus geprägt wurde, sind Frauen in den Technischen Wissenschaften immer noch massiv unterrepräsentiert. Während Frauen in anderen Disziplinen wie Medizin oder Recht inzwischen fast überwiegen. S. 109 – 110

- Die traditionellen Gründe für die männliche Dominanz in technischen Berufen sind für digitale Technologien und Kommunikationstechnologien obsolet. Die ungleiche Repräsentation lässt sich dennoch durch die von Grund auf männliche Prägung dieser Felder erklären, welche Frauen dazu zwingt Teile ihrer Geschlechtsidentität aufzugeben, wenn sie in diesen Feldern arbeiten möchten. Männer, die in den technischen Wissenschaften arbeiten müssen ihre Monopolstellung und Privilegien im Bezug auf Technologie abgeben, da die technischen Wissenschaften attraktiver für Frauen werden, wenn die patriarchalischen Strukturen aufbrechen. S. 110 – 112

- Damit sich die Geschlechterverhältnisse in diesem Bereich verändern können, muss sich auch die Art der Arbeit ändern. Hier bieten neue Technologien wie das Smartphone und das Internet emanzipatorische Möglichkeiten, da sich die beruflichen und privaten Sphären verschieben und mehr Flexibilität möglich wird. S. 113

- Der Ansatz der Cyber-Feministinnen, dass sich Frauen im Internet eine virtuelle Identität ohne Geschlecht geben können, übersieht, dass das Geschlecht sich in der Realität nicht auflöst. Außerdem konstruiert dieser Ansatz die weiblich Identität als Problem und bestärkt damit männliche Normen. Deshalb richtet sich der technofeministische Blick auf konkret sozio-technologische Handlungen. Da soziale Identitäten, wie das Geschlecht durch habituelle Praxis verinnerlicht werden, ist es nötig, dass sich die Frau–Maschine Beziehung verändert, damit Technik ein teil des Habitus wird. S 114 – 116

- Die Designer von Produkten entscheiden über deren gedachte Anwendungsform. Da technische Produkte in der Regel von Männern erstellt werden, sind sie zumeist auch auf die Zielgruppe Mann zugeschnitten (Smart-House bringt nicht weniger Hausarbeit, sondern erhöht vor allem den Entertainment-Faktor). Jedoch können auch Produkte, die eigentlich nicht für Frauen gedacht waren, wie die Mikro-Welle, das Handy oder im Großen das Internet emanzipatorisches Potenzial enthalten. Frauen eignen sich diese technologischen Errungenschaften an und nutzen sie um ihre Verhältnisse zu verbessern. S. 117 – 121

- Ein Schlüsselelement von Technofeminism ist, zum einen den emanzipatorischen Wert von Produkten wie Handys zu sehen, aber auch gleichzeitig zu analysieren, welche Auswirkungen die Massenproduktion von solchen Artikeln in den Produktionsländern, besonders für Frauen hat. S. 122 – 124

- Technofeminism gründet sich auf dem Gedanken, dass Frauen sich nur selbst aus ihrer Unterdrückung befreien können und deshalb eine feministische Politik nötig ist. S. 126 - 129

Diskussionsfragen

1. Wie definiert Wajcman Geschlecht, wenn sie von Technologie als maskulin und nicht für Frauen geeignet spricht?
2. Argumentiert sie dabei nicht auf Grundlagen von essentialistischen Geschlechtsvorstellungen?
3. Was möchte Wajcman mit Technofeminism explizit erreichen?
4. Welche Perspektiven ergeben sich aus Wajcmans Analyse?
5. Was meint Wajcman mit „Metaphor and Materiality“, dem Titel von Kapitel 5?

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