Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung des Kapitels
Im sechsten Kapitel des Buches „Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste“ beschäftigt sich die Autorin Eva Barlösius mit den gegenwärtigen Transformationen der infrastrukturellen Strukturierungsweisen. Auf den Seiten 112-131 (Kapitel 6.2: Temporalisierung des Territoriums: Kategorien der Raumordnung und das ihnen inhärente Verständnis von Infrastrukturen) geht sie anhand einer Fallstudie näher auf Kategorien der Raumordnung unterschiedlicher Länder ein.
Barlösius stellt die Hypothese auf, dass in den Kategorien der Raumordnung, wie zum Beispiel die Einteilung in Regionen, Kreise und Gemeinden in Deutschland, Erklärungen und Rechtfertigungen für eine staatliche Infrastrukturverantwortung enthalten sind.
Diese eben genannten staatlich administrativen Kategorien fungieren als Vorleistungen sprachlicher Art. Sie enthalten sogenannte Handlungskonzepte für politische Entscheidungen und sind in der Lage, Vorgriffe darauf vorzunehmen, welche Eingriffe und Umsetzungen vonseiten der Politik und vonseiten des Staates zur Verfügung stehen oder infrage kommen könnten.
Anhand einer Fallstudie geht Eva Barlösius in diesem Kapitel weniger auf die konkrete Gestaltung expliziter Infrastrukturen ein, als auf unterschiedliche Begründungen sowie Rechtfertigungen für eine bestimmte Strukturierung oder Umstrukturierung von Infrastrukturen von staatlicher und administrativer Seite.
Für ihre Fallstudie wählte Barlösius drei europäische Länder, welche sie in Bezug auf die jeweilige dort herrschende Infrastrukturverantwortung untersucht und vergleicht. Hierfür untersucht und rekonstruiert sie zunächst die Entwicklung der räumlichen Kategorien innerhalb der letzten Jahrzehnte. Darauf aufbauend stellt sie die Frage, welche Begründungen und Rechtfertigungen für die Entwicklungen und Veränderungen der räumlichen Infrastruktur aufgeführt werden. Im Anschluss analysiert sie, welche Art von Wandel der infrastrukturellen Strukturierungsweisen sich im Allgemeinen davon ableiten lässt.
1. Entwicklung der räumlichen Infrastrukturen der drei Länder der Fallstudie
Anhand der Fallstudie soll zunächst nachvollzogen werden, in welche Richtung sich die räumlichen Infrastrukturen der drei Länder verändert haben. Es wurden die Länder Schweden, Frankreich und Deutschland untersucht.
1.1 Schweden
Schweden gilt als Land mit äußerst dünn besiedelten beziehungsweise komplett entvölkerten Gebieten. Eine der ältesten schwedischen Raumkategorisierungen unterscheidet lediglich Siedlungen und Nicht-Siedlungen. Im Jahr 1991 entwickelte das SCB eine neue Raumklassifikation, welche die lokalen Arbeitsmärkte zu einem raumstrukturierenden Merkmal erklärte. Ergänzt wurde diese räumliche Kategorisierung durch das Nutek um eine Prognose der Entwicklung der lokalen Arbeitsmarktregionen. Solche Regionen beschrieb das Nutek als Gebiete, in denen die Bevölkerung sowohl leben als auch arbeiten kann, ohne zu weite und zeitraubende Entfernungen überwinden zu müssen.
Die wohl bekannteste Raumkategorisierung entstand ebenfalls im Jahr 1991: Die Kategorien des GBV beruhen auf dem Zugang zu beziehungsweise der Erreichbarkeit von Dienstleistungen, Infrastrukturen und Arbeitsplätzen.
Ein wichtiger Vorschlag für die Zukunft lautet, zukünftig in der Raumordnung und der Regional- und Wirtschaftspolitik stärker sozio-ökonomisch erfolgreiche von nicht erfolgreichen ländlichen Regionen zu differenzieren. Auf diese Weise könnte die Heterogenität der ländlichen Räume besser abgebildet werden.
1.2 Frankreich
Im Gegensatz dazu ist die französische Raumordnung von der zentralistischen Ausrichtung des gesamten Landes auf Paris bestimmt. Sogar die Förderung sogenannter Ausgleichsmetropolen, die Gesetze zur Dezentralisierung aus den Jahren 1982 und 1983 sowie der Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen haben die große Bedeutung von Paris wenig relativiert. Dies könnte begründen, warum die offiziellen französischen Raumkategorien bereits in den 1950er Jahren auf städtische Einheiten ausgerichtet wurden.
Bildquelle: https://www.populationdata.net/wp-content/uploads/france_aires_urbaines.jpg
Im Jahr 1962 wurden Gebiete als ZPIU Gebiete ausgewiesen, welche mit einer städtischen Einheit oder mit einer Gruppe ländlicher Kommunen mit hoher wirtschaftlicher Dynamik vernetzt waren. Die Kategorisierung aus dem Jahr 1997 erklärte Arbeitsmärkte unter besonderer Berücksichtigung der Pendlerverflechtungen zum wichtigsten Merkmal räumlicher Unterschiede. Hierbei erfolgte eine Unterteilung des überwiegend städtischen Raumes in Kernstädte, in welchen über 50 Prozent der Bevölkerung einer städtischen Einheit leben und somit städtische Pole bilden und umgeben sind von ländlichen Gemeinden oder städtischen Einheiten, aus denen mindestens 40 Prozent der Bevölkerung in einen nahegelegenen städtischen Pol auspendeln. Ländliche Gebiete bilden hier wie auch bei der vorangegangenen Kategorisierung nicht mehr als eine Restgruppe, welche dadurch bestimmt wird, dass diese keinem definierten Raumtypus zugeordnet werden können.
Als Reaktion auf diese Gebietseinteilung überarbeitete das INSÉE im Jahr 2002 die ZAU-Zonen und führte damit eine Einteilung ein, die explizit auf die Beschäftigung im ländlichen Raum einen Blick wirft (siehe Bild rechts).
Ein Vorschlag für die Zukunft lautet, zwischen ländlichen Räumen zu differenzieren, bei denen die Wohnbevölkerung städtische Gebiete aufsucht, um dort zu arbeiten oder Infrastrukturen zu nutzen, und isolierten ländlichen Gebieten, die insbesondere in den Bergregionen existieren. Bei Letzteren liegen Wohn- und Arbeitsort meist eng beieinander, für die Nutzung von Infrastruktureinrichtungen sind jedoch meist lange Wegstrecken zu überwinden.
1.3 Deutschland
Im Gegensatz zum französischen Zentralismus herrscht in Deutschland eine lange föderale Tradition. Die Bundesländer regeln die Angelegenheiten der Raumordnung über ihre zuständigen Landesbehörden. Anhand der Merkmale Zentralität und Verdichtung werden drei Raumkategorien unterschieden: Agglomerationsräume, verstädterte Räume und ländliche Räume.
Im Raumordnungsbericht aus dem Jahr 2005 hat das BBR mit den sogenannten Raumstrukturtypen eine zusätzliche räumliche Kategorisierung entworfen, welche nicht auf administrative Grenzen baut, jedoch ebenso wie die siedlungsstrukturellen Regionstypen die Merkmale Bevölkerungsdichte und Erreichbarkeit zu Zentren verwendet. Die Raumstrukturtypen wurden entlang eines Zentrum-Peripherie-Modells angeordnet.
Eine neue Raumkategorisierung wurde 2010 vom BBR vorgestellt. Genannt wurde diese Kategorisierung „Raumtypen ROB 2010“ . Hier werden zwei Merkmale kombiniert: Die Besiedlung (Bevölkerungsdichte und Siedlungsflächenanteil) und die Lage der Regionen (Auf Basis der Nähe zu Bevölkerungs- und Arbeitsplatzkonzentrationen sowie der Dichte von Beschäftigungsangebot und Versorgungseinrichtungen).
Ähnlich wie in Schweden und Frankreich wird auch in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend darauf gedrängt, die sozio-ökonomische Heterogenität der ländlichen Räume detaillierter zu erfassen. Ein Vorschlag lautet, ländliche Gebiete danach zu unterscheiden, ob sie sich in einer guten oder weniger guten sozio-ökonomischen Situation befinden.
1.4 Zusammenfassende Ergebnisse der Fallstudie
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich in den letzten 20 Jahren in allen drei Ländern ein ähnlicher Wandel der (staatlich-administrativen) räumlichen Kategorien vollzogen hat. Bis in die 1980er Jahre wurde eine Kategorisierung vor allem nach substanziellen Kriterien vorgenommen. Hierbei werden vorrangig die Bevölkerungs- und Siedlungsdichte zur Unterscheidung genutzt. Außerdem beziehen sich beide Merkmale auf ein räumlich abgegrenztes Gebiet und konzentrieren sich auf das lokale Vorhandensein von Infrastrukturen.
Seit den 1990er Jahren wurden in Frankreich und Schweden und in Deutschland einige Jahre später die substanziellen zunehmend um relationale Merkmale ergänzt. Diese wurden nach und nach immer bedeutungsvoller. Relationale Konzeptionen verwenden zur Differenzbestimmung die Dichte von Verflechtungs- und Austauschprozessen wie zum Beispiel der Pendlerquote und Fahrtzeiten zwischen den Regionen. Sie betrachten Infrastrukturen hinsichtlich ihrer Erreichbarkeit und des Zugangs zu ihnen.
In allen drei Ländern soll in Zukunft die Heterogenität der ländlichen Räume mehr berücksichtigt werden. Allerdings hat die Relationale Kategorisierung die substanzielle Kategorisierung nicht einfach nur ersetzt oder abgelöst. Eher ist das Verständnis von ländlichen und städtischen Regionen ein anderes und es hat eine Veränderung der Auffassung von infrastruktureller Zugänglichkeit stattgefunden.
2. Relationale Raumkategorien und Temporalisierung
Bis in die 1980er Jahre wurden, wie bereits in den Beispielen aufgezeigt, lediglich die Bevölkerungs- und Siedlungsdichte zur Unterscheidung von ländlichen und städtischen Gebieten verwendet. Es handelt sich hier um substanzielle Kriterien, die sich auf ein territorial abgegrenztes Gebiet beziehen. Dem gegenüber steht die relationale Konzeption von Räumen, die zur Differenzbestimmung die Dichte von Verflechtungs- und Austauschprozessen verwendet. Barlösius zeigt in ihrer Arbeit den Wandel von substanziellen zur relationalen Raumbestimmungen auf, da hier zwei unterschiedliche Auffassungen von infrastrukturellen Strukturierungsweisen ersichtlich werden.
„Diese wenigen Beispiele stehen repräsentativ für den generell feststellbaren Trend, in ländlichen Regionen ehemals staatlicherseits lokal vorgehaltene Infrastrukturen nicht überall örtlich sicherzustellen, sondern stattdessen eine ausreichende Versorgung daran zu bemessen, ob Erreichbarkeit und Zugang zu ihnen gewährleistet sind.“
Barlösius 2019, 125
Demnach wurden zuvor infrastrukturelle Vorleistungen abhängig von der Bevölkerungsdichte flächendeckend erbracht, so dass zum Beispiel ein Dorf einen eigenen Supermarkt, Schulen etc. hatte. Dies wandelte sich in den letzten Jahren dahingehend, dass für die Nutzung solcher Infrastrukturen auch größere Entfernungen zurückgelegt werden müssen. Entscheidend sind nun die Anbindungen, zum Beispiel zur nächstgrößeren Stadt. Barlösius betont aber, dass das eine das andere nicht vollkommen ablöst, denn auch die substanziellen Merkmale wie Bevölkerungs- und Siedlungsdichte finden weiterhin Anwendung. Dennoch werden Erreichbarkeit und Zugang zu den beiden zentralen räumlichen Differenzbestimmungen, wie Barlösius herausgearbeitet hat.
3. Transformation der räumlichen Dimension
Doch auch weitere Prozesse sind in diesem Zusammenhang zu beobachten. Barlösius beschreibt eine Transformation der räumlichen Dimension in eine zeitliche: Sie werden temporalisiert . Geografische Entfernungen werden vermehrt danach bemessen, wie viel Zeit man braucht, eine Distanz zu überwinden, zum Beispiel zur nächsten Schule oder Arbeitsstelle.
„Die Raumdimension wurde daher in die Zeitdimension transferiert, räumliche Entfernungen wurden damit temporalisiert.“
Barlösius 2019, 122
Das hat einen Rückzug des Flächenbezugs zur Folge. Die Frage ist demnach: Wie lange muss ich fahren um den nächsten Supermarkt oder meine Arbeitsstelle zu erreichen?
3.1 Welche Folgen hat das für die Betrachtung von Infrastrukturen?
Der Wandel von substanzieller zu relationaler Raumbestimmung bringt eine Verzeitlichung geographischer Entfernungen mit sich. Damit verändere sich auch die infrastrukturelle Strukturierungsweise, so Barlösius. Es ginge, wie im vorigen Kapitel angerissen, weniger um die lokal fixierte Gewährleistung von Infrastruktur, sondern darum, wie viel Zeit man brauche, um andernorts lokalisierte Infrastrukturen zu erreichen. Dies hat eine Entterritorialisierung des Zugangs und der Erreichbarkeit infrastruktureller Vorleistungen und Sozialität zur Folge:
„Die Temporalisierung bedingt nicht nur eine Entterritorialisierung des Zugangs und der Erreichbarkeit infrastruktureller Vorleistungen, sie ruft ebenfalls eine Entterritorialisierung der infrastrukturellen Sozialität hervor.“
Barlösius 2019, 131
Um mit Barlösius zu sprechen: Raum-fixierte Infrastrukturen werden zu raumüberbrückenden oder überräumlichen Infrastrukturen und damit sinkt auch der territoriale Bezug. Das führt - vor allem seitens des Staates - zu einer veränderten Sicht darauf, was eine angemessene infrastrukturelle Versorgung zu bedeuten hat.
→ Es handelt sich überwiegend um Infrastrukturen, für die eine staatliche Gewährleistungsverantwortung besteht oder zumindest übernommen wird.
3.2 Sozialität
Im Zusammenhang mit der Temporalisierung verändert sich auch zunehmend die infrastrukturelle Sozialität. Mit Infrastrukturen gehen immer auch bestimmte Verständnisse von Sozialität einher. Im Gegensatz zu Barlösius Fallbeispiel zur Dörflichkeit könnte man in diesem Beispiel eher von einer Entdörflichung sprechen:
„Das ehemals lokalisierte infrastrukturelle Gefüge wird zunehmend durch ein temporalisiertes, tendenziell entterritorialiertes ersetzt. Die Sozialität der Einrichtungen ändert sich ebenfalls, weil sie nicht mehr auf Face-to-face-Beziehungen wie bei den dörflichen Infrastrukturen gründet, sondern zunehmend auf anonymen, sprich unpersönlichen sozialen Beziehungen fußt.“
Barlösius 2019, 125
Durch die veränderte infrastrukturelle Strukturierungsweise würde auch die Sozialität temporalisiert, so Barlösius, da in dem Fall soziale Nähe weniger durch räumliche Nähe zustande kommt.
3.3 Vorleistung
Wie bereits erwähnt verändert sich die infrastrukturelle Strukturierungsweise auch in Bezug auf Vorleistungen wesentlich. Infrastrukturen werden geschaffen, um bestimmte Handlungen oder Prozesse zu ermöglichen oder Zugang zu ihnen zu bekommen. Barlösius fasst das unter dem Begriff der Vorleistungen zusammen. Diese werden nun nicht mehr überall territorial gesichert, wie das Beispiel aus Schweden zeigt. Abgelegene Orte haben keine eigene Schule aber der Zugang zu Bildung wird durch online Unterricht staatlich gewährleistet.
„Damit werden raumüberwindende Infrastrukturen für die Nutzung räumlich-fixierter Infrastrukturen unerlässlich oder diese werden selbst zu raumüberbrückenden Infrastrukturen.“
Barlösius 2019, 123
Die staatliche Infrastrukturverantwortung bezieht sich zunehmend auf den Zugang als auf die räumlich gleichmäßig verteile Gewährleistung von Infrastruktur. Um mit Barlösius zu sprechen: Anstelle der territorial gebundenen Ordnung tritt nun eine durch Verflechtungen bestimmte soziale Ordnung.
3.4 Entterritorialisierung
Der Prozess der Globalisierung wird häufig als Entterritorialisierung bezeichnet, so Barlösius. Das beschreibt das Loslösen von einer flächenbezogenen räumlichen Ordnung. Das hat mehr und mehr den Rückzug des Staates aus der Fläche zur Folge. Raumüberwindende Infrastrukturen wie Autobahnen oder Stromtrassen machen nicht vor nationalen Grenzen halt und auch überräumliche Infrastrukturen wie das Internet verbinden die Menschen überall auf der Welt. An die Stelle einer territorial gebundenen räumlichen Ordnung, so Barlösius, trete dann eine durch soziale Verflechtungen bestimmte räumliche Ordnung, bei der geografisch nebeneinander liegende Flächen oftmals weniger miteinander verwoben seien als weit voneinander entfernte Gebiete.
4. Legitimation und Begründung
Warum werden bisherige infrastrukturelle Strukturierungsweisen nicht beibehalten? An den konkreten Beispielen vom Anfang des Kapitels hat Barlösius den Wandel und die Prozesse der vergangenen Jahre nachgezeichnet. Dies unterstreicht ihre These vom Anfang des Buches, dass sich gesellschaftlicher Wandel in Infrastruktur widerspiegelt. Das Gewährleisten und Erbringen bestimmter infrastruktureller Vorleistungen vor allem seitens des Staates hat sich damit auch verändert. Dabei lassen sich nach Barlösius verschiedene gesellschaftliche Diskurse erkennen, die den Transformationen vorgelagert waren und die Reaktion staatlicher Infrastrukturverantwortung und Wirtschaftspolitik begründen können. Barlösius identifiziert drei Diskursstränge, die Begründungen und Erklärungen dafür bieten können:
1. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Regionen innerhalb des Nationalstaates steht im Vordergrund.
Beschreibung: Die Infrastrukturpolitik richtet sich danach, Metropolen im globalen Wettbewerb zu fördern und auszubauen. Im Gegensatz dazu tragen kleine Städte und Dörfer nur wenig zu diesen globalen ökonomischen Verflechtungen bei. Stichwort: Wachstum.
„Eine einheitliche oder gleichförmige infrastrukturelle Ausstattung sei für die wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr erforderlich und zudem auch nicht mehr finanzierbar.“ Barlösius 2019, 127
Beispiel: Eine gleichförmige infrastrukturelle Versorgung ist demnach nicht mehr Wettbewerbsfähig: Regionen mit Industrie und Arbeitsplätzen mehr staatliche Infrastruktur Vorleistungen als Regionen ohne: Einkaufsmöglichkeiten, Anbindungen für Pendeler:innen (Beispiel des SCD und der Kategorie einer “funktionalen Region”)
2. Argumentation anhand der sozio-ökonomischen Schwäche der ländlichen Regionen.
Beschreibung: Eine gleich ausgerichtete Regionalpolitik ist nicht mehr sinnvoll, da entlegene Regionen keine Entwicklungschance haben würden.
Beispiel: Gründe hierfür sind unter anderem der demografische Wandel und Abwanderung. Ein Beispiel dafür finden wir in Frankreich, wo das ehemalige Staatsziel einer »égalité territoriale« durch ein »chacun pour soi territorial« ersetzt wurde. Das hat auch eine Veränderung der administrativen Verantwortung zur Folge. Beispielsweise werden Straßenreparaturen in Städten und viel befahrenen Straßen priorisiert oder der flächendeckende Internetausbau in funktionalen Regionen beschleunigt.
3. Die staatliche Infrastrukturverantwortung verändert sich.
Beschreibung: Vermarktlichung und Privatisierung statt staatlicher Ausführung, da diese zu teuer und oftmals nicht ausreichend am Kunden orientiert ist. Das Kostenargument führt zu einer Verminderung der staatlichen Erfüllungsverantwortung von infrastrukturellen Standards.
Beispiel: Privatisierung von Autobahnen oder Krankenhäusern.
Diese Diskurse liefern Legitimation dafür, dass die staatliche Garantie gleichwertiger Lebensverhältnisse mittels Infrastrukturen nicht mehr oder nicht überall gleich realisiert werden könne, schlussfolgert Barlösius.
5. Bedeutung von staatlicher Infrastrukturverantwortung
Die zu Beginn dargestellten Kategorien und Charakterisierungen dienen der staatlich-administrativen Raumplanung zur Entscheidungsvorbereitung und -legitimation, der Regional- und Wirtschaftspolitik wie auch anderen eng assoziierten Politikbereichen. Es werden Handlungskonzepte und Wissen von Expert:innen bereit gestellt und darauf reagiert, dass bestimmte Infrastrukturen gesellschaftlichen Ansprüchen nicht mehr genügen.
Vor allem die staatliche Verantwortung wandelt sich, da ihre Interessen und Prioritäten, gerade im Kontext der Globalisierung andere sind. Wachstumschancen und Kostenargumente stehen im Vordergrund ihrer Argumentation, wie im vorigen Kapitel herausgearbeitet wurde. Festzuhalten ist, dass danach die staatliche Verantwortung immer mehr abgegeben (→ privatisiert) wird und nur noch bestimmte Vorleistungen im Vordergrund ( → staatliche Versorgungspflicht) stehen.
Diese Fallstudie, so beschreibt es Barlösius, bildet einen Kontrapunkt zur ersten über die Verdörflichung von Infrastrukturen, die sich auf nicht staatlich garantierte Infrastrukturen konzentrierte. Gemeinsam ist beiden Fallstudien, dass ihr Fokus auf ländlichen Regionen liegt.
6. Quelle
Barlösius, E. (2019): Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste. Ein Beitrag zur Gesellschaftsanalyse. Frankfurt/New York. Kapitel 6.2, Temporalisierung des Territoriums: Kategorien der Raumordnung und das ihnen inhärente Verständnis von Infrastrukturen, S. 112–132.