Das Unbehagen der Geschlechter - Erstes Kapitel

Die Subjekte von Geschlecht/ Geschlechteridentität*/ Begehren ist das erste Kapitel im Buch "Das Unbehagen der Geschlechter" (Gender Trouble), dass 1990 von der amerikanischen Philosophin Judith Butler veröffentlicht wurde. Im ersten Kapitel geht es um die diskursanalytische Dekonstruktion der „Frau“ als Subjekt im Feminismus. Ihre Auseinandersetzung mit der Geschlechterordnung trägt zu einer Infragestellung der Hierarchien und der Macht in der Gesellschaft bei.

Die Kategorie „Frau“ als Subjekt im Feminismus

Das Subjekt in der feministischen Theorie wird durch die Kategorie „Frau“ gebildet. Die Frau als Kategorie soll eine Einheitliche Identität umfassen, die eine politische Repräsentation anstrebt und feministische Interessen und Zielsetzungen im Diskurs anleitet. Problematisch bei der Einheit ist die Übereinstimmung über die Konstitution und Konstruktion dieser Kategorie.

„Eine Frau zu „sein“ ist sicherlich nicht alles, was man „ist“. (1991: 18)

Die Vorstellung der einheitlichen Identität basiert auf der Vorstellung einer gleichartigen Unterdrückungsform. Dies blendet die geschichtlichen Kontexte und Überschneidungen mit rassistischen, ethnischen, sexuellen, regionalen und klassenspezifischen Modalitäten, unter denen Identität konstruiert wird, aus. Zudem wird im Diskurs Geschlecht, Geschlechteridentität und Sexualität als kohärente Einheit dargestellt. Indem die Geschlechteridentität in ein anatomisches Geschlecht eingeschrieben wird, das als naturalisiert gilt.

Dekonstruktion des anatomischen Geschlechts

Das feministische Subjekt ist zwischen Geschlecht (Sex) und Geschlechteridentität (Gender) gespalten. Das anatomische Geschlecht gilt als Naturgegeben und die Geschlechtsidentität als sozial konstruiert. Butler kritisiert die Naturalisierung des anatomischen Geschlechts und hinterfragt nicht nur die Geschlechteridentität, sondern auch das anatomische Geschlecht.
Die Konstruktion der Wirklichkeit und somit auch des Geschlechts ist für Butler in der Sprache bzw. im Diskurs zu verorten.

„Der poststrukturalistische Diskursbegriff definiert Sprache nicht als deskriptiv, sondern als konstitutiv und performativ.“ (2003:15)

Diskurse sind von performativen Sprachakten gerahmt, die sprachlichen und sozialen Konventionen entsprechen und sich ständig wiederholen. Akte „verkörpern Normen“, die meist inkohärent und idealtypisch sind. Durch die Inszenierung einer angeblich natürlichen Substanz, wird die soziale Konstruktion verschleiert (vgl. 2008:153).

Der Körper gilt deshalb als natürlich, weil er in einer binären Zweigeschlechtlichkeit als solcher bezeichnet wird. Der Prozess des Bezeichnens veranlasst den Effekt der Natürlichkeit. Somit widerlegt Butler die vordiskursive anatolische Gegebenheit des Geschlechts (vgl. 2003:13).

„Wenn „der Leib eine Situation ist“, so gibt es keinen Rückgriff auf den Körper, der nicht bereits durch kulturelle Bedeutungen interpretiert ist.“ (1991:26)

Beziehung zwischen Geschlecht, Geschlechtsidentität und Sexualität

Mit dem Körper sind komplexe kulturelle Zusammenhänge verbunden. In diesem Zusammenhang spricht Butler von einer gender performance, einer Darstellung von Geschlecht, die zum natürlichen Geschlecht passen „muss“ und Geschlechteridentität konstruiert. Mit dem weiblichen Körper als passives Medium oder Instrument wird kulturelle Bedeutung festlegt.

„Man wird nicht als Frau geboren, man wird zu einer gemacht“ - Simone de Beauvoir (ebd.: 15)

Für Beauvoir wird die Geschlechteridentität von einem Handlungsträger übernommen oder angeeignet. Durch den gesellschaftlichen Druck wird man in eine Geschlechteridentität gedrängt.

Somit werden Geschlechtsidentitäten von einer „zeitgenössischen Rechtsstruktur erzeugt, naturalisiert und verdinglicht“ (ebd.:26). Dies hat zur Folge, dass die Einheit eine ausschließende Norm aufstellt.

Durch die Einschränkungen des Repräsentationsdiskurses wird nach Butler die unterstellte Universalität des feministischen Subjekts ins Wanken gebracht. Der Bruch äußert sich zwischen Feminismus und der Opposition der Frauen gegen ihn, die er mit vertreten möchte.

Anders als Simone de Beauvoir, die dem weiblichen Körper die Chance zuspricht, als Instrument der Freiheit zu fungieren, möchte Butler den Körper–Geist-Dualismus völlig voneinander trennen. In diesem Zusammenhang weist sie auf die philosophische Unterscheidung zwischen Geist und Körper hin, die stets in Verbindung mit hierarchischen Beziehungen zu finden ist.

Um die Aufrechterhaltung der Hierarchie zu erklären, greift Butler unter anderem auf Monique Wittig zurück. Monique Wittig führt die binäre Einschränkung der Geschlechter auf eine Zwangsheterosexualität zurück, die den Fortpflanzungszielen dient.

„Die heterosexuelle Fixierung des Begehrens erfordert und instituiert die Produktion von diskreten, asymmetrischen Gegensätzen zwischen „weiblich“ und „männlich“, die als expressive Attribute des biologischen „Männchen“ (male) und „Weibchen“ (female) verstanden werden.“ (1991:38)

Das natürliche Geschlecht wird als heterosexuell bestimmt, das sich differenziert zum anderen Geschlecht, welches es begehrt. Alle aus dem Raster fallenden Personen werden ausgeschlossen. Diskontinuität und Inkohärenz werden durch Gesetze gebannt und zugleich produziert. Sexualität und Macht ist für Michel Foucault, auf den sich Butler stützt, deckungsgleich. Die Macht reguliert die Sexualität und verhindert, dass Sexualitäten, die von der hegemonialen Heterosexuellen abweichen, existieren, sodass das binäre Verhältnis zwischen den Geschlechtern aufrecht bleibt.

Subjekte sind nach Foucault einer Struktur unterworfen, die sie regulieren und somit durch die Anforderungen der Struktur gebildet, definiert und reproduziert werden. Problematisch ist, dass bei der Repräsentationsstruktur von einem hegemonialen, westlichen und männlichen Subjekt ausgegangen wird. Dies gibt Theoretikerin Luce Irigaray die Grundlage für die These, dass das weibliche Subjekt in dem Repräsentationssystem der westlichen Kultur niemals als das Subjekt begriffen werden kann, weil sie das Unrepräsentierbare als solches bildet. Subjekt und Objekt sind „männliche Stützen einer geschlossenen, phallogozentristischen Bedeutungs-Ökonomie“ (ebd. 28), die einer weibliche Ausschließung bedürfen, um ihre Ziele zu vollenden.

Störung der Zwangsordnung

Grenzen der Diskursanalyse der Geschlechteridentitäten „wurden stets nach Maßgabe eines hegemonialen kulturellen Diskurses festgelegt, der auf binäre Strukturen gegründet ist, die als Sprache der universellen, allgemeingültigen Vernunft erscheine“. (ebd.: 27)
Die Aufrechterhaltung der binären Ordnung führt Butler auf die Metaphysik der Substanz zurück, die für eine Naturalisierung der Kategorie der Geschlechter verantwortlich ist. Intelligible Geschlechteridentität stiften und erhalten eine Kohärenz und Kontinuität der Beziehungen und zwischen Anatomischem Geschlecht und Geschlechteridentität, der sexuellen Praxis und dem Begehren. Geschlechtsidentität wird als einheitliches psychisches und/oder kulturelles Selbstverständnis aufgefasst, die dem natürlichen Geschlecht untergeordnet ist. Die Markierung der Geschlechter erfolgt durch Sprache.

Um handlungsmächtig zu werden, muss das Subjekt die Verstrickung und Hervorbringung durch diskursive Strukturen anerkennen. Eine Möglichkeit des Widerstands sieht Butler in der parodistischen Wiederholung der Bezeichnungspraxis. Jede Wiederholung kann die Reinterpretation des bestehenden bedeuten und somit die konventionelle Bedeutung umdeuten.

#meToo
Judith Butler erregt durch das Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“ eine große Aufmerksamkeit. Die Aufforderung zur radikalen Trennung und Denaturalisierung von Geschlecht und Geschlechteridentität brachte ihr auch viel Kritik ein. Unter anderem wurde ihr vorgeworfen, ihre Theorie werde realen Problemen, beispielsweise Sexismus, der meist mit physischer und psychischer Gewalt zusammenhängt, nicht gerecht. Auch bei der #meToo Debatte kommt der Vorwurf erneut auf. In der Debatte wird der Körper eng mit der Identität verknüpft. Vorwiegend Frauen outen sich als Opfer sexueller Übergriffe und die #meToo Empowerment Bewegung droht zum Opferdiskurs zu werden.
Heide Oestreich schreibt dazu, dass die Thematisierung des Opferseins notwendig ist, um den Männern das Täter-Sein zu nehmen. In Anlehnung an Butler sieht sie den Diskurs als Möglichkeit, die Konventionen zu verändern, welche die Frau als verletzlich und den Mann als mächtig konstituieren (vgl. 2018).

Literatur

  • Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Erstausg., 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Gender studies, 1722 = N.F., Bd. 722).
  • Becker-Schmidt, Regina; Knapp, Gudrun-Axeli (2000): Feministische Theorien zur Einführung. 1. Aufl. Hamburg: Junius (Zur Einführung, 213).
  • Villa, Paula-Irene (2003): Judith Butler. Frankfurt am Main: Campus-Verl. (Campus Einführungen).
  • Geller, Alex (2005): Diskurs von Gewicht? Erste Schritte zu einer systematischen Kritik an Judith Butler. Zugl.: München, Univ., Magisterarbeit, 2005. Köln: PapyRossa-Verl. (PapyRossa-Hochschulschriften, 63).
  • Villa, Paula-Irene (2008): (De)Konstruktion und Diskurs-Genealogie: Zur Position und Rezeption von Judith Butler. In: Ruth Becker und Beate Kortendiek (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Bd. 216. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 146–158.
  • Oestreich, Heide (2018): Feministische Philosophie und Körper: Müssen wir Butler verabschieden? Online verfügbar unter https://taz.de/Feministische-Philosophie-und-Koerper/!5487457/, zuletzt aktualisiert am 08.09.2019, zuletzt geprüft am 13.09.2019.
  • Thies, Chiara (2018a): #Metoo und der Feminismus - „Man hält krampfhaft am Opferdiskurs fest“. Online verfügbar unter https://www.cicero.de/innenpolitik/metoo-feminismus-debatte-unmuendigkeit-sexismus-, zuletzt geprüft am 13.09.2019.

Weblinks

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