Ernesto Laclau und Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus (1991)

Mit ihrem gemeinsam verfassten Werk, das 1985 erstmals in englischer Sprache erschien, legten Ernesto Laclau und Chantal Mouffe den Grundstein für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Das Ziel stellte der Entwurf einer radikalen und pluralen Demokratie dar, der sich gegen die Krise des linken Denkens in den 1980ern richtete. Die theoretischen Abhandlungen können daher dem Post-Marxismus zugeordnet werden, lehnen sich jedoch auch an poststrukturalistische Theorien an. Insbesondere die Theorien von Jacques Derrida, Jacques Lacan und Michel Foucault finden sich in der anti-essentialistischen und dekonstruktivistischen Theorie der beiden Autor_innen wieder.

Diskurstheorie nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe

Auf der Suche nach gesellschaftlicher Sinnkonstruktion entwickeln die Autor_innen eine Theorie des Diskurses, die im letzten Schritt als Fundament für eine Klärung des Hegemoniebegriffs fungieren soll. Dabei spielen vor allem Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Diskursen eine tragende Rolle für die Entwicklung ihrer Hegemonietheorie.

Problematik

Ausgangspunkt der Diskurstheorie von Laclau und Mouffe stellt die Problematik, eine Definition von ‚Gesellschaft‘ zu formulieren. Dabei sind folgende Fragen zentral:

Wie kann das Soziale greifbar gemacht, fixiert werden? Lässt sich ‚Gesellschaft‘ überhaupt definieren?
Die Autor_innen begreifen die Aufgabe einer Diskurstheorie im Zusammensetzen der „zu reartikulierenden Elemente“ (Laclau/Mouffe 1991: 140)1), die als Fragmente einer verloren gegangenen Einheit vorliegen. Dadurch ergibt sich jedoch keine natürliche Einheit, sondern eine künstliche (vgl. ebd.: 140). Sie fordern, eine Konzeption von Gesellschaft als „fundierende Totalität“ aufzugeben und setzen sich für eine Auffassung einer „Offenheit des Sozialen“ (142) ein. Soziale Ordnungen begreifen sie als „verfehlte Versuche, das Feld der Differenzen zu zähmen“ (ebd.: 142). Das Konzept ‚Gesellschaft‘ greifbar zu machen, scheitert schließlich an der Tatsache, dass „das Soziale selbst kein Wesen hat.“ (ebd.: 143).

Wenn Gesellschaft und das Soziale nicht fixierbar sind, wie lässt sich dann eine Definition von Hegemonie erarbeiten?
Die Schwierigkeit einer fixierten Definition von Hegemonie liegt in der Zuschreibung einer eindeutigen Identität einer Sache. Durch die Offenheit des Sozialen sollten allgemeingültige Annahmen und Fixierungen vermieden werden. Partielle Fixierungen sind dennoch notwendig, um eine Theoretisierung vornehmen zu können. Um alle Aspekte in eine Definition von Hegemonie einfließen lassen zu können, bedarf es daher einer Aushandlung zwischen widersprüchlichen diskursiven Oberflächen (vgl. ebd.: 139).
Die Problematik liegt demnach darin, möglichst keine Zuschreibung von Identität vorzunehmen, die Betrachtungsgegenstände – Elemente – aber dennoch begrifflich zu bestimmen und damit teilweise zu fixieren:

„[…] eine logische Dekonstruktion kann nur durchgeführt werden, wenn die getrennten „Elemente“ begrifflich bestimmt und fixiert sind. Das heißt aber gerade, ihnen eine volle und unzweideutige Identität zuzuschreiben.“ (ebd.: 153)

In diesem Kontext führen die Autor_innen den Begriff der Überdeterminierung ein. Die Überdeterminierung kann als „Bejahung des unvollständigen, offenen und politisch aushandelbaren Charakters jeder Identität“ (ebd.: 154) verstanden werden. Das Feld der Überdeterminierung besteht aus Identitäten, „die niemals völlig fixiert werden können.“ (ebd.: 163, kursiv im Original). Daraus folgt, dass weder eine absolute Fixiertheit noch eine absolute Nicht-Fixiertheit möglich ist. Es wird damit erneut verdeutlicht, dass die Gesellschaft kein ‚Wesen‘ hat und Regelmäßigkeit lediglich über relative und verschiebbare Fixierungen innerhalb einer konstruierten Ordnung möglich ist (vgl. ebd.: 145). Totalität kann daher nur als „ein Ensemble totalisierender Effekte in einem offenen relationalen Komplex“ (ebd.: 153) verstanden werden.

Artikulation

Eine Artikulation ist „jede Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, daß [!] ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen wir Diskurs. Die differentiellen Positionen, insofern sie innerhalb eines Diskurses artikuliert erscheinen, nennen wir Momente. Demgegenüber bezeichnen wir jede Differenz, die nicht diskursiv artikuliert ist, als Element.“ (ebd.: 155, H.i.O.) Daraus folgt, dass Dinge, die nicht als Momente einer zugrundeliegenden Totalität fixiert werden können, Artikulationen sind. Momente haben einen differentiellen Charakter, Elemente hingegen einen flottierenden Charakter, da sie nicht fixiert sind. Der Logik der Fixierung zu entgehen bedeutet, in Artikulationen zu denken (vgl. ebd.: 142).

„Artikulation ist nun eine diskursive Praxis, die keine Konstitutionsebene vor oder außerhalb der Verstreuung der artikulierten Elemente besitzt.“ (ebd.: 160)

Damit eine Artikulationsbeziehung eine Konfiguration darstellt, muss sie ein System differentieller Positionen enthalten. Es gibt keine Vereinheitlichung der diskursiven Formation, weder durch Logik noch durch ein transzendentes oder sinnstiftendes Subjekt (vgl. ebd.: 155). Vereinheitlichung erfolgt lediglich über die Regelmäßigkeit der Verstreuung. In diesem Punkt widersprechen die Autor_innen Foucault, denn für sie stellt eben diese Verstreuung der Beginn einer Einheit dar. Für eine Verstreuung bedarf es eines Bezugspunktes, um den sich die diskursiven Positionen verstreuen. Die Fixierung dieses Bezugspunktes ist nach Laclau und Mouffe nicht zulässig, da Einheit und Fixierung im Diskurs nicht möglich sind. Weiter verwerfen Laclau und Mouffe die Unterscheidung zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praxen:

„jedes Objekt [konstituiert sich] insofern als Objekt eines Diskurses […], als kein Objekt außerhalb jeglicher diskursiver Bedingungen des Auftauchens gegeben ist“ (ebd.: 157)

Der Vorteil dieser Aufhebung liegt in der Möglichkeit, mehr Kategorien für die Erklärung sozialer Verhältnisse miteinbeziehen zu können (vgl. ebd.: 161). Dennoch gilt hier zu wiederholen, dass Gesellschaft nicht als totalitäres Analyseobjekt dienen kann, denn „‚Gesellschaft‘ ist kein gültiges Objekt des Diskurses.“ (ebd.: 162) Die beiden Autor_innen negieren hiermit erneut das Bestehen einer Totalität, die auf ‚Gesellschaft‘ gründet. Vielmehr verstehen sie Gesellschaft als ein System, das nur als ein Teil eines Bedeutungsüberschusses besteht. Dieser untergräbt das System und ist jeder diskursiven Situation inhärent; er ist damit das notwendige Terrain für die Konstitution jeder sozialen Praxis. Darin begründet sich das Feld der Diskursivität und mit diesem Feld verbunden die Unmöglichkeit eines Diskurses, eine endgültige Schließung zu vollziehen (vgl. ebd.: 163).

„Jedweder Diskurs konstituiert sich als Versuch, das Feld der Diskursivität zu beherrschen, das Fließen der Differenzen aufzuhalten, ein Zentrum zu konstruieren.“ (ebd.: 164)

Diese partiellen Fixierungen werden Knotenpunkte genannt. Diese Knotenpunkte fixieren Bedeutungen, die nicht endgültig sind, aber dennoch notwendig sind, um Artikulationen zu tätigen.

„Die Praxis der Artikulation besteht deshalb in der Konstruktion von Knotenpunkten, die Bedeutung teilweise fixieren. Der partielle Charakter dieser Fixierung geht aus der Offenheit des Sozialen hervor, die ihrerseits wieder ein Resultat der beständigen Überflutung eines jeden Diskurses durch die Unendlichkeit des Feldes der Diskursivität ist.“ (ebd.: 165, H.i.O.)

Der Diskurs ist demnach ein System differentieller Entitäten. Jede soziale Praxis ist artikulatorisch und besteht in der Konstruktion neuer Differenzen. Der Übergang von Elementen (unfixiert) zu Momenten (fixiert) kann niemals vollständig gelingen.

Theorie des Diskurses

Auf Grundlage der bisherigen Ausführungen entwickeln die Autor_innen ihre Theorie des Diskurses. Diese lässt sich in drei Grundannahmen fassen:

A. Die Annahme, dass jedes Objekt als ein Objekt des Diskurses zu betrachten ist, bedeutet nicht, dass es keine Unterscheidung zwischen Idealismus und Realismus gibt. „Nicht die Existenz von Gegenständen außerhalb unseres Denkens wird bestritten, sondern die ganz andere Behauptung, daß [!] sie sich außerhalb jeder diskursiven Bedingung des Auftauchens als Gegenstände konstituieren können.“ (ebd.: 158)

B. Die Unterscheidung des geistigen Charakters des Diskurses entgegen dem materiellen Charakter des Diskurses gründet auf der Ablehnung von rein aus dem Denken bestehenden Diskursen. In diesem Zusammenhang verweisen Laclau und Mouffe auf die Theorie der Sprachspiele nach Ludwig Wittgenstein und den performativen Charakter von Sprache. „Was eine differentielle Position und deshalb eine relationale Identität mit bestimmten sprachlichen Elementen konstituiert, ist nicht die Idee eines Bausteins oder einer Platte, sondern der Baustein oder die Platte als solche. […]. Die sprachlichen und nicht-sprachlichen Elemente werden nicht bloß nebeneinander gestellt, sondern konstituieren ein differentielles und strukturelles System von Positionen, das heißt einen Diskurs.“ (ebd.: 159) Dementsprechend konstituieren sich Diskursformationen nicht nur durch Sprache, sondern werden durch die gesamte materielle Dichte der Elemente durchdrungen. Diskurse sind insofern nicht teleologisch; sie verfolgen keinen Zweck. Dennoch erlauben Regelmäßigkeiten und damit partielle Fixierungen von einer Diskursformation zu sprechen. Diese wird allerdings nicht nur durch ein Subjekt konstituiert, sondern baut auf verschiedenen Subjektpositionen, die innerhalb eines Diskurses bestehen.

C. Die Zentralität des Diskurses besteht in einer neuen Perspektiven auf Objektivität. Laclau und Mouffe begreifen den Diskurs als eine „reale Kraft, die zur Konstitution und Formung sozialer Verhältnisse beiträgt.“ (ebd.: 161) Der Bruch mit der Foucault’schen Dichotomie aus diskursiven und außerdiskursiven Objekten bedeutet, dass keine Trennung mehr besteht zwischen Denken und Wirklichkeit. Daraus folgt eine Erweiterung der zu durchdringenden Kategorien in Form von Diskursen.

Subjekt und Subjektpositionen

Zentral für den Subjektbegriff bei Laclau und Mouffe ist die Annahme, dass der Ursprung sozialer Verhältnisse nicht durch das Subjekt begründet wird. Die Autor_innen halten hingegen fest, dass Erfahrungen per se nur im Diskurs möglich sind. Sie schließen damit an das Narrativ der Entzauberung der Welt an, die aus der Verschiebung einer Auffassung des Subjekts als „rationalem als auch sich selbst transparenten Agenten“ (ebd.: 167) und dessen Konzeption als Ursprung und Grund der gesellschaftlichen Verhältnisse hin zu einer neuen Vorstellung von Totalität resultiert. Weiter vollzieht sich eine Abkehr vom Gedanken an den ‚Menschen‘ als ein einheitliches Subjekt ebenso von der Auffassung dessen Ausdrucks einer integralen Totalität (vgl. ebd.: 167). Wenn Laclau und Mouffe von Subjekt sprechen, meinen sie daher eine Subjektposition innerhalb einer diskursiven Struktur (vgl. ebd.: 168).

„Da jede Subjektposition eine diskursive Position ist, hat sie an dem offenen Charakter eines jeden Diskurses teil; infolgedessen können die vielfältigen Positionen nicht gänzlich in einem geschlossenen System von Differenzen fixiert werden.“ (ebd.: 168)

Subjekte können demnach nicht vor Diskursen existieren; sie sind von ihnen abhängig und werden durch sie konstruiert. Die Wesenhaftigkeit des Menschen wird dabei abgelehnt. Vielmehr muss der Mensch als einer der Knotenpunkte der Verstreuungen angesehen werden. In Verbindung zur Subjektposition steht auch die Repräsentation. Hier sind zwei Formen möglicher Repräsentation zu unterscheiden. Erstens eine Trennung zwischen Repräsentiertem und Repräsentierendem, die in der „Verbuchstäblichung“ einer Fiktion münden. Diese Trennung würde jedoch implizieren, dass beide auf unterschiedlichen Ebenen konstituiert würden und damit dem Prinzip der Überdeterminierung widersprechen. Diese essentialistische Auffassung wird von Laclau und Mouffe abgelehnt. Die zweite Form der Repräsentation folgt der Annahme, dass Interessen erst durch ihre Repräsentation konstituiert werden (vgl. ebd.: 174). Es handelt sich bei beiden Positionen um ein und dasselbe Objekt. Repräsentation ist folglich kein bestimmter Typus einer Beziehung, sondern kann entweder eine „Verbuchstäblichung der Fiktion mittels Bruch aller Verbindungen zwischen Repräsentant und Repräsentiertem [sein] oder das Verschwinden der getrennten Identitäten beider durch ihre Absorption als Momente einer einfachen Identität“ (ebd.: 176). Daraus folgt auch, dass Subjekte nicht einfach charakterisiert und geschlossen werden. Sie sind durch die Überdeterminierung ebenso vieldeutig wie alle anderen diskursiven Identitäten und können daher auch keine Totalität begründen. Vielmehr bleibt der Glaube an eine Totalität ein „Begehren[…] nach einer Fülle, die permanent aufgeschoben bleibt“ (ebd.: 176, H.i.O.). Die Abwesenheit einer Totalität ermöglicht indessen erst eine hegemoniale Artikulation. Um zu verstehen, wie hegemoniale Artikulationen beschaffen sind, ist im nächsten Schritt eine Betrachtung des Phänomens Antagonismus notwendig.

Antagonismus

Antagonismus stellt die diskursive Präsenz der Grenzen von Objektivität dar (vgl. ebd.: 177). Laclau und Mouffe konstatieren, dass die Anwesenheit eines Anderen das Ich daran hindert, gänzlich es selbst zu sein (vgl. ebd.: 180). Diese Beziehung bestimmt beide Seiten des Antagonismus:

„Antagonismus […] konstituiert die Grenzen jeder Objektivität, die sich als partielle und prekäre Objektivierung enthüllt.“ (ebd.: 181)

Weiter bestehen Antagonismen nicht innerhalb einer Gesellschaft, sondern sind ihr vorausgestellt oder ausgelagert. Gemäß dem Verständnis, dass Antagonismen die Grenzen der Gesellschaft abbilden, bewirken sie auch die Unmöglichkeit einer Vollständigkeit von Gesellschaft, oder, wie bereits angeführt, einer endgültigen Totalität (ebd.: 181). Diese Unmöglichkeit einer Schließung bildet die Unmöglichkeit der Kategorie ‚Gesellschaft‘ ab (vgl. ebd.: 176). In diesem Zusammenhang betonen die Autor_innen erneut, dass es keine objektive Realität geben kann, da die Gesellschaft von Grenzen durchdrungen ist.

„Der Antagonismus als die Negation einer gegebenen Ordnung ist ganz einfach die Grenze dieser Ordnung und nicht das Moment einer umfangreichen Totalität […].“ (ebd.: 182)

Antagonismen gründen weiter auf zwei unterschiedlichen Logiken, die innerhalb des Diskurses aufkommen können. Diese sind die Logik der Äquivalenz und die Logik der Differenz. Die Logik der Äquivalenz fasst nicht-identische Elemente zusammen, die sich in ihrer Beziehung zu einem konstitutiven Außen gleichen. So ermöglicht sie die Bildung von Äquivalenzketten und damit eine Aufhebung der Differenz. Äquivalenz führt nach Laclau und Mouffe jedoch auch dazu, dass eine positive Beschreibung eines Gegenstandes unmöglich wird. Wenn die Differenzen durch Äquivalenzketten vollkommen absorbiert werden, wird die Identität des Anderen rein negativ. Durch Äquivalenz wird Negativität generiert, sie bringt daher Vereinfachung mit sich. Als Beispiel führen die Autor_innen die Beziehung zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten an. Durch die Äquivalenz wird ausgedrückt, was ein Gegenstand nicht ist. Demnach sind die Kolonisatoren schlichtweg die Nicht-Kolonisierten. Es bedarf demnach für die Logik der Äquivalenz immer eine negative Identität, sonst handelt es sich um eine einfache Identität (ebd.: 184). Die Logik der Differenz hingegen grenzt diskursive Elemente voneinander ab. Sie macht sie unterscheidbar und generiert Identität. Differenz erweitert den Diskurs und bringt zunehmende Komplexität mit sich. Ausgangspunkt für die theoretische Auseinandersetzung mit Objektivität und Negativität im Diskurs stellt deren Einfluss auf das Soziale dar.

„Da das Soziale von Negativität, also vom Antagonismus, durchdrungen wird, erlangt es nicht den Status der Transparenz, vollständiger Präsenz, und die Objektivität seiner Identitäten wird permanent untergraben. Von hier an ist die unmögliche Beziehung zwischen Objektivität und Negativität für das Soziale konstitutiv geworden.“ (ebd.: 185)

Objektivität und Negativität sind demnach grundlegend für das Soziale. Beide versuchen sich gegenseitig zu unterminieren, was dazu führt, dass weder ein Punkt totaler Äquivalenz, noch ein Punkt totaler differentieller Objektivität erreicht werden kann (vgl. ebd.: 185).

Laclau und Mouffe halten die Formel des Antagonismus schlussendlich folgend fest:

„Der endgültige Charakter dieser Nicht-Fixiertheit, die endgültige Unsicherheit jeder Differenz, zeigt sich folglich in einem Verhältnis totaler Äquivalenz, in die die differentielle Positivität all ihrer Begriffe aufgelöst ist.“ (ebd.: 184f., H.i.O.)

Hegemonie

In welcher Form Hegemonie auftritt und wie es zu hegemonialen Beziehungen kommt, geht als Zusammenspiel der hier vorgelagerten Diskurstheorie und Auffassung von Gesellschaft der beiden Autor_innen hervor.

„Das allgemeine Feld des Auftauchens der Hegemonie ist das der artikulatorischen Praxen, das heißt eines Feldes, auf dem sich die „Elemente“ nicht zu den „Momenten“ kristallisiert haben.“ (ebd.: 192)

Wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, setzt Hegemonie den unvollständigen und offenen Charakter des Sozialen voraus und findet daher auf dem Feld artikulatorischer Praxen statt (vgl. ebd.: 202). Hier ist eine Erweiterung der Definition von Elementen erforderlich. Sie werden hier als flottierende Signifikanten verstanden, die nicht gänzlich zu einer diskursiven Kette artikuliert werden können (vgl. ebd.: 165). Durch die Unmöglichkeit ihrer Fixierung unterscheiden sie sich maßgeblich vom differentiellen Charakter des Moments.

„Hegemonie ist ganz einfach ein politischer Typ von Beziehung, eine Form, wenn man so will, von Politik, aber keine bestimmbare Stelle innerhalb einer Topographie des Gesellschaftlichen. In einer gegebenen Gesellschaftsformation kann es eine Vielzahl hegemonialer Knotenpunkte geben.“ (ebd.: 198)

Die Existenz zweier Lager kann somit ein Effekt hegemonialer Artikulation sein, ist jedoch nicht ihre Bedingung (vgl. ebd.: 195). Eine hegemoniale Formation umfasst schließlich nicht nur die eigene Position, sondern auch das Entgegengesetzte, den Ort der Negation (vgl. ebd.: 198). Somit kann Hegemonie nicht auf die „Logik einer einzigen sozialen Kraft zurückgeführt werden“, sie wird durch „eine Regelmäßigkeit in der Verstreuung konstruiert“ (ebd.: 202). Auch Macht spielt eine Rolle für hegemoniale Beziehungen. Nach Laclau und Mouffe ist „Macht […] niemals grundlegend.“ (202, H.i.O.). Es gibt daher weder eine Klasse noch einen Sektor, in dem sich die Macht bündelt, sondern lediglich partielle Machtkonzentrationen, so genannte Knotenpunkte der Macht (vgl. ebd.: 202). Bildlich gesprochen kann das Soziale als ein Netz in einem unendlichen Raum vorgestellt werden. In diesem Netz gibt es an verschiedenen Stellen Knoten, die Machtkonzentrationen symbolisieren. Hegemonie ist daher auch nicht mit Antagonismus gleichzusetzen, denn Hegemonie bildet keine objektiven Grenzen ab. Vielmehr ermöglicht das Zusammenspiel aus flottierenden Signifikanten (Elementen) und Antagonismus, dass Signifikanten in Beziehungen gesetzt, neue Äquivalenzketten gebildet und entgegengesetzten Lagern zugeschrieben werden können. Dadurch konstituieren sich im Diskurs verschiedene hegemoniale Forderungen. Diese Forderungen sind ebenso wenig fixiert, wie der Raum des Sozialen als eine abgeschlossene Totalität verstanden werden kann. Sie sind Gegenstand ständiger Diskursverschiebungen. Das wird ermöglicht durch eine „fortwährende Neudefinition der sozialen und politischen Räume und jene beständigen Prozesse der Verschiebung der inneren Grenzen, die für die gegenwärtige Gesellschaften eigentümliche soziale Spaltung formen. Nur unter diesen Bedingungen erlangen die durch die Logik der Äquivalenz gebildeten Totalitäten hegemonialen Charakter.“ (ebd.: 204)

Literatur

Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, 1991: Hegemonie und radikale Demokratie: Zur Dekonstruktion des Marxismus. Wien: Passagen Verlag.

  • Dieses Video führt in die Arbeit von Laclau und Mouffe ein. Es zeigt eine historische Einordnung ihrer Theorie und stellt Aktualitätsbezüge her.
  • In seinem Artikel Ernesto Laclau: Diskurse, Hegemonien, Antagonismen2) arbeitet Andreas Reckwitz das Zusammenspiel von Diskurs, Hegemonie und Antagonismus heraus und hilft so zum besseren Verständnis der Diskurstheorie von Laclau und Mouffe.
Anwendungsbeispiel
„Statt diese Form der politischen Auseinandersetzung anzunehmen und zu respektieren, eröffnen Politiker einen inhaltlichen Nebenschauplatz: Die Schule zu schwänzen ist verwerflich. Ein Armutszeugnis für die Debattenkultur, da es zeigt, dass die Demonstrationen vielfach nicht ernst genommen werden. Man versucht, von der eigentlichen Sache, nämlich Klimaschutz, abzulenken und diskutiert nicht mit den, sondern über die Demonstrantinnen und Demonstranten. So zeigt sich die Gleichgültigkeit gegenüber dem Anliegen.
  Dabei wird auch ignoriert, dass Fridays for Future von breiten Unterstützerbündnissen aus Experten und Zivilgesellschaft getragen werden. Ähnlich übrigens wie beim Urheberrechtsgesetz. Mit denen setzt man sich aber gar nicht auseinander, weil es einfacher ist, die Proteste auf Jugendliche und Schulschwänzerei zu reduzieren. Wissenschaftlerinnen, die sich mit Klimawandel auseinandersetzen, kann man nicht einfach sagen, dass man den Diskurs den Experten überlassen sollte, oder man ihr Engagement zwar ganz toll finde, sie aber doch an der Uni bleiben sollten.“
aus: Andrea Römmele, 09.04.19: Parteien, nutzt den Impuls der Jugend! Die Zeit.

„Aber die heuchlerische Zustimmung vieler Politiker schadet der Bewegung mehr, als es ihr letztlich hilft. Denn wir Schüler werden nicht richtig ernst genommen, wenn Politiker die Streiks einerseits anerkennen, aber andererseits nicht auf Augenhöhe mit uns Jugendlichen diskutieren und auch nichts konkret verändern. Unsere Eltern geben uns quasi die Erlaubnis, die Schulpflicht zu verletzen. Das widerspricht dem Kerngedanken, der den Demonstrationen zugrunde liegt. Nämlich, dass man uns nur wahrnehmen wird, wenn wir etwas Verbotenes tun, sprich: die Schulpflicht verletzen. Auflehnung gegen Autoritäten, aber mit der Erlaubnis der Autoritäten – wie überheblich haben sich die Politiker über die Proteste und unsere Forderungen gestellt!“

aus: Jurij Königer, 12.04.19: Future ohne Fridays? taz.

Diskussionsfragen
– Was sind die Elemente und Momente?
– Wie wird Differenz und Äquivalenz deutlich? Könnt ihr Äquivalenzketten erkennen?
– Wie kommt es letztlich zur hegemonialen Deutungsmacht?

1)
Laclau, Ernesto/Mouffe, Chantal (1991): Hegemonie und radikale Demokratie, hrsg. v. Michael Hintz und Gerd Vorwallner. Wien: Passagen-Vergl.
2)
Reckwitz, Andreas (2006): Ernesto Laclau: Diskurse, Hegemonien, Antagonismen, in: Moebius, Stephan/Quadflieg, Dirk (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden: VS, S. 339-349.
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