Diversität im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz:

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, gilt in Deutschland seit 18. August 2006 und hat das Ziel: „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“1).

Das Zustandekommen des Gesetzes war ein langjähriger Prozess, wie die Bundeszentrale für politische Bildungerklärt:
„Das Gesetz setzt vier EG-Richtlinien um, wobei drei von ihnen schon seit Jahren (2002 bzw. 2003) hätten umgesetzt werden müssen. Der erste Versuch einer solchen Umsetzung scheiterte im Jahr 2002 nach nur wenigen Wochen, der zweite Versuch kam über einen Vorentwurf ebenfalls nicht hinaus, und der dritte Anlauf scheiterte schließlich am energischen Widerstand der damaligen Bundestagsopposition CDU und FDP und der von ihnen geführten Landesregierungen.“2)

Das Gesetz wurde mit 442 Stimmen verabschiedet. Für das Gesetz stimmten die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen geschlossen. Außerdem stimmte ein Großteil der CDU/CSU Fraktion für die Einführung des Gesetzes ab. Die FDP stimmte geschlossen gegen den Gesetzesentwurf. Auch die Mehrheit der Linken stimmte gegen das Gesetz, der Rest enthielt sich. 3)

Das Gesetz besteht aus sieben Abschnitten:

  1. In Abschnitt 1 wird das Ziel, die Anwendungsbereiche, Begriffe, mehrdimensionale Diskriminierung und positive Maßnahmen definiert.
  2. Abschnitt 2 beschäftigt sich Schutz von Arbeitnehmer:innen vor Diskriminierung.
  3. Abschnitt 3 regelt den Schutz vor Diskriminierung im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben (Zivilrechtsschutzverkehr).
  4. In Abschnitt 4 wird der Rechtsschutz bestimmt.
  5. Abschnitt 5 definiert Sonderreglungen für den öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse.
  6. In Abschnitt 6 wird die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle definiert.
  7. Abschnitt 7 wird die Unabdingbarkeit des Gesetzes festgehalten.

Kritik am AGG:

Am AGG formulieren Antidiskriminierungsstellen und Rechtswissenschaftler:innen zahlreiche Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge:

  • Das Gesetz hat Lücken. Zum Beispiel werden manche Diversitätsdimensionen, wie die soziale Herkunft, nicht als Diskriminierungsgrund aufgeführt4), es gibt das Kirchenprivileg, dass es Kirchen erlaubt ein Religionsbekenntnis der Arbeitnehmer:innen vorauszusetzen5) oder, wie die ADA Bremen erklärt: „Das schwierige Problem institutioneller Diskriminierung wird […] im AGG nicht angemessen berücksichtigt.“6)
  • Die Strafen verfehlen ihre abschreckende Wirkung. So stellt beispielsweise die Juristin und Beraterin beim Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin, Eva Maria Andrades, dass „[d]ie europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien [vor]sehen […], dass die Sanktion gegen Diskriminierung angemessen und abschreckend sein muss. Dem wird im Allgemeinen die bisherige Rechtsprechung in Deutschland nicht gerecht.“7)
  • Es gibt keine Möglichkeit zur Verbandsklage. Eine Verbandsklage hätte den Vorteil, dass sich Betroffene nicht alleine der Situation stellen müssten, sondern „Verbände könnten dadurch auch Präzedenzfälle vor Gericht bringen, die nicht nur einen Einzelfall behandeln, sondern von allgemeinem Interesse sind und letztlich der Rechtsfortbildung und Rechtssicherheit dienen.“8)
  • Das AGG ist zu wenig bekannt. Wenn Menschen ihre Rechte nicht kennen, können sie sich auch nicht auf diese beruhen. Andrades kritisiert, dass Arbeitgeber:innen verpflichtet seien Arbeitnehmer:innen über ihre Rechte im AGG aufzuklären und „[a]us der Beratung wissen wir aber, dass nur die wenigsten Arbeitgebenden Beschwerdestellen eingerichtet, geschweige denn ein Beschwerdeverfahren entwickelt haben. Da die Einrichtung einer solchen Stelle weder überprüft wird noch behördliche Sanktionen bei Nichteinrichtung erfolgen […], wird es den Arbeitgebenden leicht gemacht, sich über diese Pflicht hinwegzusetzen.9)
  • Die Fristen des AGGs sind zu kurz. Die Ada kritisiert, dass „[e]rlittene Schadensersatzansprüche müssen innerhalb von zwei Monaten vor Gericht geltend gemacht werden. Diese Fristsetzung ist zu knapp, vor allem wenn zunächst einmal eine außergerichtlich Lösung angestrebt werden soll.“10)
  • Es fehlt ein flächendeckendes Beratungssystem für Betroffene.11)
  • Die Beweislast liegt bei den Betroffenen. Diese Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass es kein Auskunftsrecht für Betroffene gibt, wenn sie vermuten diskriminiert zu werden.12)
  • Das AGG folgt einem kategorialen Ansatz. Das bedeutet, dass Diskriminierung anhand von Kategorien oder Merkmalen, zum Beispiel Geschlecht oder Behinderung, bestimmt wird. Dieser Ansatz bietet wiederum in sich einige Probleme:
    • Das AGG wird der Mehrdimensionalität von Diskriminierungserfahrungen nicht gerecht. Die Einordnung in eine von sechs Kategorien verhindert es Diskriminierung als mehrdimensional, also mehrere Diskriminierungskategorien betreffend (HIER KOMMT NOCH DIE VERLINKUNG ZU INTERSEKTIONAL SPÄTER HIN), rechtlich zu untersuchen.(Postkategoriales Antidiskriminierungsrecht? – Oder: Wie kommen Konzepte der Intersektionalität in die Rechtsdogmatik 273))
    • Die Kategorien sind essentialistisch und homogenisierend. Sie legen also Nahe, dass es ein Wesen/ein Sein, zum Beispiel von Geschlecht, gebe, dass über die Kategorie stabil ist. Die Rechtswissenschaftlereinnen Ulrike Lembke und Doris Liebscher beschreiben, dass „Diskriminierungskategorien zumeist als Persönlichkeitsmerkmale konzeptualisiert [werden]. Ein solches Konzept birgt die Gefahr, dass essentialisierende und homogenisierende Zuschreibungen an das Individuum im gerichtlichen Verfahren reproduziert werden, statt sie als Element sozialer Diskriminierung zu benennen und zu verurteilen.“ 13)
    • Der Fokus liegt auf der Kategorie und nicht der Diskriminierung.
Postkategoriales Antidiskriminierungsrecht:
Die Rechtswissenschaftlerinnen Ulrike Lembke und Doris Liebscher schlagen zur Verbesserung des AGGs einen postkategorialen Ansatz vor.
„Postkategorial bedeutet nicht antikategorial. Postkategorialen Ansätzen geht es nicht darum, Diskriminierungskategorien als kritische Benennungs- und Analysebegriffe für soziale Ungleichheiten abzuschaffen. Die Prämisse lautet vielmehr: Nicht besondere Persönlichkeitsmerkmale oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe sind das die Diskriminierung produzierende und das rechtlich zu adressierende Problem, sondern die essentialisierende Zuordnung zu einer oder mehreren hierarchisch angeordneten sozialen Gruppen mit benachteiligender Intention oder Wirkung.14)
Ein postkategorialer Ansatz würde zum Beispiel bedeuten, dass weniger Kategorien wie Frau, Migrant:in, etc. im Vordergrund stünden und mehr die Form der Diskriminierung, zum Beispiel Sexismus oder Rassimus.

Das Diversitäts-Verständnis im AGG:

Aus dem AGG lassen sich vier Merkmale des ihm zugrunde liegenden Diversitäts-Verständnisses ableiten:

  1. Diversität muss gesellschaftlich durch eine entsprechende Rechtssprechung geschützt werden.
  2. Diversität lässt sich anhand der sechs Kategorien ethische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Identität, Alter, Behinderung und Religion oder Weltanschauung bestimmen.
  3. Diversität unterliegt unterschiedlichen Schutzansprüchen in unterschiedlichen Bereichen.
  4. Diversität wird beim Individuum verortet.
Der Eintrag ‚Diversität im Allgemeinen Gleichbehandlungsgeesetz‘ ist einer von vier Beiträgen, die sich mit den Definition von Diversität in unterschiedlichen Bereichen beschäftigen.
Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier: Was ist Diversität?

Quellen:

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