Diversität als Forschungsansatz

Diversität als Forschungsansatz ist eine Analysekategorie und ein „herrschaftskritisches Instrument“,1) wie die deutsche Professorin für Diversity Studies, Maureen Eggers, erklärt.
Das heißt: Der Forschungsansatz stellt die Frage nach Macht und Dominanz und analysiert diese anhand von Diversitätsdimensionen.
Damit hat der Forschungsansatz das Potenzial als „Gesellschaftskorrektiv sowie als Normalitätskritik2) zu funktionieren, indem er deutlich macht, dass „Heterogeni­tät […] zu allen Zeiten einen Teil der Gesell­schaftsstruktur ausmacht.“3)
Wichtig dabei ist, dass es nicht um eine Essentialisierung von Unterschieden geht, sondern um Prozesse des „Gewordensein[s].“4)
Zum Beispiel zu analysieren, dass der Androzentrismus ein historisch gewachsener Prozess und keine ‚natürliche‘ Sache ist.

Diversität als Forschungsansatz ist nicht nur in der Soziologie verbreitet, sondern speist sich auch aus benachbarten Forschungsfeldern wie den Politikwissenschaften oder den Gender Studies.
Mit den Diversity Studies gibt es inzwischen sogar ein eigenes transdisziplinäres Forschungsfeld des Ansatzes.

Weitere Elemente des Forschungsansatzes

Weitere kennzeichnende Elemente des Ansatzes sind:

  • Diversitätsdimensionen werden nicht eindimensional betrachtet, sondern auch ihre Schnittpunkte und Wechselwirkungen.5)
  • Der Ansatz hinterfragt auch die Wissenschaft selbst.6) Zum Beispiel: Wer schafft eigentlich Wissen? Wie wird dieses Wissens durch die in der Wissenschaft dominanten Diversitätsdimensionen geprägt?
  • Diversität als Forschungsansatz ist multiperspektiv. Das heißt Diversität wird auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet. Zum Beispiel erklärt die Diversitätsmanagerin Ulrike Mayer, dass Diskriminierungen auf den Ebenen „individuell, interaktional, organisational, gesellschaftlich, international/global“7) betrachtet und analysiert werden können.

Kritik am Forschungsansatz

An Diversität als Forschungsansatz gibt es verschiedene Kritikpunkte:

Uneindeutigkeit

Ein Kritikpunkt bezieht sich auf den Begriff selbst. Nämlich, dass er sich von anderen (entpolitisierten) Verwendungsformen, zum Beispiel in der Arbeitswelt, nicht ausreichend abgrenzt. Dadurch läuft er Gefahr, seine politische und machtkritische Schlagkraft zu verlieren. Mayer schlägt deshalb vor, von „kritischer Diversität8) zu sprechen, um den Begriff deutlicher von anderen Verwendungen zu unterscheiden.

Beliebigkeit

Der Begriff läuft außerdem Gefahr beliebig zu werden. Die Politikwissenschaftlerinnen Sybille Hardmeier und Dagmar Vinz begründen diese Tendenz zur Beliebigkeit damit, dass es eine „schier unendlichen Fülle von Differenzen gibt,“9) die der Forschungsansatz Diversität untersuchen kann. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, listet zum Beispiel sechs Diversitätsdimensionen auf, aber anhand der Kritik zum AGG wird schon deutlich, dass diese Dimensionen nicht ausreichend sind.

Intersektionalität oder Diversität

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass es schon den Ansatz der Intersektionalität gibt.
Diversität und Intersektionalität ähneln sich in einigen Punkten. Doch Intersektionalität hat als Forschungsansatz gegenüber dem Forschungsansatz Diversität einige Vorteile: Zum einen wird der Begriff Intersektionalität nicht entpolitisiert verwendet.10) Zum anderen ist Intersektionalität in Theorie eingebettet, während es bei Diversitätweniger um Theorie und mehr um praktische Anwendung geht“11) und die theoretische Einbettung (noch) fehlt.12)

Intersektionalität

Intersektionalität:
 Schaubild Intersektionalität. | Titel: Intersektionalität | Grafik: Lara Wehler | Copyright: CC-NC-SA-4.0 Der Begriff Intersektionalität (abgeleitet vom Englischen ‚intersection‘ auf Deutsch ‚Straßenkreuzung‘) wurde von der Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw geprägt. 1989 veröffentlichte sie einen Text mit dem Titel „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory, and Antiracist Politics,“ in dem sie den Fall „DeGraffenreid vs. General Motors“ untersuchte.
Fünf Schwarze Frauen hatten nach ihrer Kündigung durch das Unternehmen General Motors geklagt und dem Unternehmen vorgeworfen, „dass sein Vergütungssystem auf der Dauer der Betriebszugehörigkeit basiert, und damit die Folgen der Diskriminierung Schwarzer Frauen aus der Vergangenheit aufrechterhalte.“13) Das Gericht entschied gegen die Klage mit der Begründung, dass hier keine geschlechtliche Diskriminierung vorliege (weißen Frauen war nicht gekündigt worden) und keine rassistische Diskriminierung (Schwarzen Männern war ebenfalls nicht gekündigt worden).
Dies führte Crenshaw zu der Analyse:
„Dieser scheinbare Widerspruch ist jedoch nur ein weiterer Ausdruck der begrifflichen Beschränkungen eindimensionaler Analysen, die der Intersektionalitätsansatz infrage stellt. Es kommt gerade darauf an, dass Schwarze Frauen auf verschiedene Arten Diskriminierung erfahren können […] Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen.14)

Merkmale des Diversitätsverständnisses

Aus diesen Ausführungen lassen sich folgende Merkmale des Diversitätsbegriffs als Forschungsansatz ableiten:

  1. Diversität hinterfragt Machtverhältnisse und Strukturen.
  2. Diversität lässt sich nicht auf einen (Forschungs-)Kontext eingrenzen.
  3. Diversität ist der ‚Normalzustand‘. Fehlende Vielfalt ein Ergebnis von gesellschaftlichen Entwicklungen.
Der Eintrag ‚Diversität als Forschungsansatz‘ ist einer von vier Beiträgen, die sich mit den Definitionen von Diversität in unterschiedlichen Bereichen beschäftigen.
Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier: Was ist Diversität?

Quellen

  • Eggers, Maureen.„Diversity/Diversität“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofua tey-Alazard, 256 - 263. Münster: Unrast-Verlag, 2011.
  • Crenshaw, Kimberlé. „Die Intersektion von ‚Rasse‘ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik“. In Fokus Intersektionalität herausgegeben von Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar und Linda Supik, übersetzt von Thorsten Möllenbeck, 35 - 58. Wiesbaden, Springer-Fachmedien: 2010.
  • Hardmeier, Sibylle und Dagmar Vinz. „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“. Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 16, 1 (2007): 23 - 33.
  • Mayer, Ulrike. „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien“. Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management 5, Nr. 1 (2020): 76 - 82.
1)
Maureen Eggers, „Diversity/Diversität“, in Wie Rassismus aus Wörtern spricht herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Münster: Unrast-Verlag, 2011), 259.
2) , 3)
Maureen Eggers, „Diversity/Diversität“, in Wie Rassismus aus Wörtern spricht herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Münster: Unrast-Verlag, 2011), 261.
4)
Maureen Eggers, „Diversity/Diversität“, in Wie Rassismus aus Wörtern spricht herausgegeben von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Münster: Unrast-Verlag, 2011), 262.
5) , 6) , 8)
Ulrike Mayer, „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik   und darstellende Kunst Wien“, Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management 5, Nr. 1 (2020): 76.
7)
Ulrike Mayer, „Der Ansatz ‚Kritischer Diversität‘ am Beispiel der Diversitätsstrategie der Universität für Musik   und darstellende Kunst Wien“, Zeitschrift für Diversitätsforschung und -Management 5, Nr. 1 (2020): 77.
9)
Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz, „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“, Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 16, 1 (2007): 28.
10) , 11)
Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz, „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“, Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 16, 1 (2007): 27.
12)
Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz, „Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft“, Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 16, 1 (2007): 29.
13)
Kimberlé Crenshaw, „Die Intersektion von ‚Rasse‘ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik“ in Fokus Intersektionalität herausgegeben von Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar und Linda Supik, übersetzt von Thorsten Möllenbeck (Wiesbaden, Springer-Fachmedien: 2010), 37.
14)
Kimberlé Crenshaw, „Die Intersektion von ‚Rasse‘ und Geschlecht demarginalisieren: Eine Schwarze feministische Kritik am Antidiskriminierungsrecht, der feministischen Theorie und der antirassistischen Politik“ in Fokus Intersektionalität herausgegeben von Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar und Linda Supik, übersetzt von Thorsten Möllenbeck (Wiesbaden, Springer-Fachmedien: 2010), 40.
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